Ab nach Ruanda: Deutsche Träume, britisches Durchstarten , örtliche Wirklichkeit

19.03.2024 Immer wieder wird das "Zauberwort" Ruanda ins Spiel gebracht. Wir stellen heute Hintergrundbeiträge, aktuelle Berichte und populistische Forderungen zusammen:

  • Zeit online am 19.03.2024 zum Unterhausbeschluss: Ab nach Ruanda, um jeden Preis  Die Umfragen desaströs, interne Kritiker in Aufruhr: Großbritanniens Premier kämpft um den Machterhalt. Rigide Abschiebepolitik soll ihn retten – koste es, was es wolle. Eine Analyse von Bettina Schulz, London
     
  • Amnesty-International-Aktuell 18.03.2024 Auslagerung von Asylverfahren: Weder rechtlich noch praktisch machbar Die allermeisten Schutzsuchenden weltweit leben nicht in Europa, sondern in Ländern des globalen Südens. Knapp drei Viertel aller Schutzsuchenden weltweit befinden sich in ihren jeweiligen Nachbarländern. Dennoch diskutieren gerade Länder des globalen Nordens, wie Dänemark, Australien oder Großbritannien, wie sie die Verantwortung für Schutzsuchende an Länder des globalen Südens, oft sogar an ehemalige Kolonien, auslagern können....
  • Tagesschau Studio Nairobi 12.03.20: Abkommen mit Großbritannien Was Ruandas Bürger über den Asyldeal denken Noch ringt Großbritannien darum, ob Flüchtlinge nach Ruanda abgeschoben werden dürfen. Ruandas Präsident Kagame sagt, in seinem Land sei alles dafür bereit. Wie willkommen wären die Abgeschobenen?...
  • BR24 17.12.2023 Nach Ghana oder Ruanda: Spahn will Flüchtlinge wegbringen lassen  Im Einklang mit dem geplanten CDU-Grundsatzprogramm: Jens Spahn wirbt für die Verbringung aller Flüchtlinge, "die irregulär die EU erreichen", unter anderem nach Ghana oder Ruanda. Damit könnten Ziele der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt werden....

  • innerhalb der Tagesschau-Beitrages vom 16.03.2024: Debatte über Obergrenze Merz will höchstens 100.000 Flüchtlinge pro Jahr: ... Ebenfalls offen zeigte sich der Oppositionsführer für sogenannte Drittstaatenlösungen. Dabei werden Asylverfahren in andere, als sichere Herkunftsländer deklarierte Nicht-EU-Staaten ausgelagert. Sollte er Bundeskanzler werden, wolle er durch die Welt reisen und nach einem geeigneten Land suchen, das die Asylverfahren abwickeln kann. "So eine Reise des Bundeskanzlers wäre längst überfällig“. Lob für britischen Ruanda-Plan Die Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda, so wie es Großbritannien plant, sei "im Prinzip eine gute Idee“, sagte der CDU-Chef....

 

Im Folgenden vollständig zitiert:

1. Zeit online am 19.03.2024: Ab nach Ruanda, um jeden Preis  Die Umfragen desaströs, interne Kritiker in Aufruhr: Großbritanniens Premier kämpft um den Machterhalt. Rigide Abschiebepolitik soll ihn retten – koste es, was es wolle. 

Die britische Regierung ist ihrem Ziel, Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben, einen großen Schritt nähergekommen. Das Gesetz, das Flüge von sogenannten illegal Eingewanderten, also in der Regel Bootsflüchtlingen, in den afrikanischen Staat ermöglichen soll, tritt möglicherweise noch diese Woche in Kraft. Das Oberhaus hatte das entsprechende Gesetz ändern wollen, doch eine Mehrheit von Abgeordneten der Konservativen lehnte alle Änderungsvorschläge am Montagabend im Unterhaus ab.  

In den Augen der Regierung wäre das Inkrafttreten des Gesetzes ein großer Erfolg für Premierminister Rishi Sunak. Für ihn ist wichtig, dass Flüchtlinge praktisch keine Handhabe haben, rechtlich gegen ihre Abschiebung vorzugehen. Die Abgeordneten stimmten deshalb sogar gegen die Forderung des Oberhauses, dass das sogenannte Safety Rwanda Bill nationalem und internationalem Recht entsprechen solle. Die Torys lehnten auch ab, dass Opfer von moderner Sklaverei und Menschenhandel von dem Verfahren ausgenommen würden. Sie wollten nicht einmal akzeptieren, dass Personen, die dem britischen Militär – zum Beispiel in Afghanistan – geholfen hatten, bleiben dürfen. Und vor allem: Sie lehnten alle Gesetzesänderungen ab, die es ermöglicht hätten, das Gesetz nochmals von Gerichten überprüfen zu lassen. 

Da das Oberhaus in Großbritannien nicht vom Volk gewählt wird, darf es Gesetzesvorschläge der Regierung in der Regel nur abändern. Das gewählte Unterhaus entscheidet dann, ob es diese Änderungsvorschläge akzeptiert. Im Oberhaus haben zwar ebenfalls die Konservativen die Mehrheit, wie auch im Unterhaus, doch sie agieren unabhängiger und betreiben weniger Parteipolitik. 

Schon im Mai könnte der erste Flug abheben

In den nächsten Tagen handeln die beiden Parlamentskammern nun einen Kompromiss aus, der weitestgehend auf der Linie der Regierung liegen dürfte. Für Sunak, der derzeit keinen leichten Stand hat, ein wichtiger Erfolg. Egal, was sich der Premier bisher hat einfallen lassen – die Ergebnisse der Umfragen prognostizieren hartnäckig eine katastrophale Niederlage der Torys bei der nächsten Unterhauswahl. Schon wieder drängeln manche aus der Partei darauf, Sunak auszuwechseln, um mit einer anderen Figur an der Regierungsspitze möglicherweise bessere Wahlchancen zu haben. Die Stimmung in der Partei ist äußerst schlecht.  

Deshalb hofft Sunak, dass ihm das Ruanda-Gesetz helfen wird. Sollte es diese Woche in Kraft treten, könnte, so hoffen die Torys, schon im Mai der erste Abschiebeflug nach Kigali abheben. Sollten sich Ober- und Unterhaus nicht bis Mittwoch einigen, verschiebt sich das Gesetz bis nach Ostern. Der erste Flug könnte dann erst im Sommer starten.

Die konservativen Wählerinnen und Wähler stehen mehrheitlich hinter der harten Abschiebepolitik. Das Ganze ist als Abschreckungsmanöver gedacht, nach dem Motto: Wenn die ersten paar Hundert Flüchtlinge nach Afrika ausgeflogen wurden, haben die anderen Migranten an der französischen Küste keine Lust mehr und kommen gar nicht erst. Damit ginge der Plan der Torys auf, die "unfaire Invasion der illegalen Flüchtlinge" über den Kanal zu stoppen.  

Flüchtlinge, die per Boot über den Ärmelkanal kommen, sollen in Großbritannien kein Asyl mehr beantragen dürfen. Sie sollen kurz interniert und dann nach Kigali ausgeflogen werden. Dort sollen die Menschen dann Asyl beantragen, um in Ruanda leben zu dürfen. Nach Großbritannien dürfen sie nicht zurückkehren. Die Regierung in Kigali erhielt für die Abmachung bereits mehrere Hundert Millionen Pfund aus London. 

Nach britischen Medienberichten hat die Regierung 5.641 Migrantinnen und Migranten in die engere Auswahl für einen Abschiebeflug nach Ruanda gezogen, davon 150 Personen, deren Abschiebung mit Kigali bereits konkret abgesprochen sei. Die britische Regierung erwartet, dass diese Personen versuchen werden zu beweisen, dass Ruanda für sie persönlich kein sicheres Land sei. Entweder weil sie krank seien oder sie die Abschiebung in den Suizid treiben könnte. Um diese Argumente rechtlich abzuklären, dürften bis zu zehn Wochen ins Land gehen.   

Ruanda braucht erst mal Zeit, die Infrastruktur anzupassen

Nach den ersten Abschiebungen soll allerdings erst mal eine Pause folgen. Die Regierung in Kigali ließ nach britischen Medienangaben bereits wissen, dass sie 150 bis 200 Personen abwickeln wolle und dann zwei Monate brauche, um das System auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen auszuweiten. Ruanda habe nicht die Kapazität, sofort Zigtausende von Flüchtlingen aus dem Vereinigten Königreich aufzunehmen. 

Doch noch kommen die Bootsflüchtlinge weiter nach Großbritannien. Allein seit Juli waren es nach Angaben der Organisation Migration Watch 18.000 Personen. Bis diese Menschen nach Ruanda abgeschoben werden können, werden sie in Hotels untergebracht, erhalten Essen, bekommen umgerechnet elf Euro die Woche, dürfen nicht arbeiten und müssen warten – auf was, weiß keiner. Viele werden depressiv, trinken oder verschwinden, tauchen einfach unter. 

Rechtlich ist die Abschiebepolitik der britischen Regierung umstritten. Eine einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stoppte bereits im Juni 2022 den ersten geplanten Flug. Der Supreme Court hatte die Abschiebepolitik im November 2023 als rechtswidrig abgelehnt mit der Begründung, Ruanda sei kein sicheres Land, um Geflüchtete dorthin ausfliegen zu können. Das Risiko sei zu groß, dass sie wieder in ihren Herkunftsländern landeten, wo sie möglicherweise verfolgt würden. Die Abschiebung verstoße gegen internationales Recht, unter anderem gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte und die UN-Flüchtlingskonvention.  

 

2. Amnesty-International-Aktuell 18.03.2024 Auslagerung von Asylverfahren: Weder rechtlich noch praktisch machbar

Die allermeisten Schutzsuchenden weltweit leben nicht in Europa, sondern in Ländern des globalen Südens. Knapp drei Viertel aller Schutzsuchenden weltweit befinden sich in ihren jeweiligen Nachbarländern. Dennoch diskutieren gerade Länder des globalen Nordens, wie Dänemark, Australien oder Großbritannien, wie sie die Verantwortung für Schutzsuchende an Länder des globalen Südens, oft sogar an ehemalige Kolonien, auslagern können.

Auch in Deutschland wurden in den letzten Monaten Stimmen laut, die eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten fordern. So hat beispielsweise die CDU diese Idee in den Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms aufgenommen, das Anfang Mai verabschiedet werden soll.

Auch die Ampelregierung prüft nach einem entsprechenden Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz im November 2023, inwiefern eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten möglich sein könnte.

Die Idee der Auslagerung von Asylverfahren ist nicht neu, sondern wird mit großer Regelmäßigkeit immer wieder diskutiert. In einigen Fällen wurde sie sogar in die Praxis umgesetzt, wie beispielsweise in Australien oder durch den EU-Türkei-Deal. Andere Länder, wie zum Beispiel Großbritannien, Italien oder Dänemark, haben bereits nationale Gesetze verabschiedet und damit zumindest erste Schritte in Richtung praktischer Umsetzung unternommen.

Amnesty International hat alle Modelle, bei denen erste Schritte zur Umsetzung unternommen wurden oder bei denen tatsächlich Menschen in Drittstaaten überstellt wurden, untersucht. Unsere rechtlichen Analysen zeigen: Die Auslagerung von Asylverfahren ist mit erheblichen rechtlichen und praktischen Hindernissen verbunden. Jede praktische Umsetzung dieser Modelle hat zu schweren Menschenrechtsverletzungen geführt. 

Im Jahr 2023 hat nun auch Italien angekündigt, Asylverfahren nach Albanien auslagern zu wollen und ein entsprechendes "Memorandum of Understanding" mit Albanien abgeschlossen. In einer umfassenden rechtlichen Analyse des Memorandums kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass eine Auslagerung der Asylverfahren nach Albanien sowohl völker- als auch europarechtswidrig wäre. Insbesondere würde das Memorandum of Understanding zwischen Italien und Albanien zu einer willkürlichen Inhaftierung Schutzsuchender in Albanien führen. Zudem wäre es aller Voraussicht nach nicht möglich, effektiven Rechtsschutz zu garantieren. Besondere Schutzbedarfe könnten weder ausreichend erkannt noch berücksichtigt werden. Insgesamt kann so das Recht auf ein faires Asylverfahren nicht gewahrt werden. 

Anstatt Verantwortung an Drittstaaten auszulagern, sollte Italien allen Personen, die unter italienischer Gerichtsbarkeit Asyl beantragen, Zugang zu fairen Asylverfahren in Italien ermöglichen und denjenigen internationalen Schutz gewähren, die ihn benötigen.

Download Amnesty-Stellungnahme-Asylverfahren-Auslagerung-Italien-Albanien-Januar-2024.pdf(pdf, 212.76 KB)

 

3.  Tagesschau Studio Nairobi 12.03.20: Abkommen mit Großbritannien Was Ruandas Bürger über den Asyldeal denken

Noch ringt Großbritannien darum, ob Flüchtlinge nach Ruanda abgeschoben werden dürfen. Ruandas Präsident Kagame sagt, in seinem Land sei alles dafür bereit. Wie willkommen wären die Abgeschobenen?

Er habe gegen das Gesetz gestimmt, das die Abschiebung von Geflüchteten aus dem Vereinigten Königreich ins ostafrikanische Ruanda regelt, sagt Frank Habineza - Abgeordneter im ruandischen Unterhaus und Vorsitzender der oppositionellen Demokratischen Grünen Partei Ruandas.

Es ist nicht so, dass Habineza per se gegen Geflüchtete ist, nur die britischen will er nicht, denn, so sagt er, "diese Menschen können nicht frei entscheiden, ob sie nach Ruanda kommen wollen. Sie werden gezwungen. Das verstößt gegen ihre Menschenrechte." Nicht viele äußern sich so offen gegen die Regierung wie Habineza.

Foltervorwürfe gegen Kagame

Der Autokrat Paul Kagame führt das Land seit 2000 mit harter Hand. Immer wieder werfen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch Kagame vor, dass Andersdenkende bedroht, inhaftiert und gefoltert werden. Einige Kritikerinnen und Kritiker sind schon verschwunden oder starben unter ungeklärten Umständen.

2018 waren zwölf Geflüchtete aus der Demokratischen Republik Kongo, darunter Schwangere, von ruandischen Sicherheitskräften erschossen worden, als sie für eine bessere Essensversorgung demonstriert hatten. Auch deshalb hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den ersten geplanten Abschiebeflug aus London gestoppt. Der britische Supreme Court sah Ruanda ebensowenig als sicheren Drittstaat an.

Kein Platz im Land?

Habineza wirft auch die Platzfrage auf: Ruanda, kaum größer als Sizilien, hat 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Das Bevölkerungswachstum in den vergangenen 30 Jahren war enorm und dürfte UN-Schätzungen in den kommenden 25 Jahren noch weiter ansteigen.

Sollte jetzt das Vereinigte Königreich tausende Geflüchtete nach Ruanda ausfliegen, könnte es eng werden, befürchtet Habineza:

"Ruanda ist das am dichtesten besiedelte Land in Afrika. Also haben wir nur begrenzt Platz." - kaum größer als Sizilien

Eine Sorge, die auch andere Menschen teilen: "Mehr Menschen im Land werden zu einem höheren Bevölkerungsdruck führen. Das wird unser aller Leben erschweren." Andere wiederum halten die Befürchtungen für überhöht, kein Land sei zu klein, dass es Menschen in Not nicht helfen könne.

Ruanda profitiert - finanziell

Großbritannien will an Ruanda umgerechnet 440 Millionen Euro für die Aufnahme dieser Menschen zahlen. Das Geld geht in einen Fonds zur wirtschaftlichen Entwicklung Ruandas. Hinzu kommen noch einmal rund 175.000 Euro pro Geflüchteten.

Ein Deal, der sich für beide Seiten rechnen dürfte. Vor allem aber könnte Ruanda sich als verlässlicher Partner des Westens etablieren. Das meint auch ein Mann, der in der Hauptstadt bereit ist, sich zu dem Thema zu äußern: "Unsere Regierung wird Gelder einnehmen, die dann der Entwicklung unseres Landes zugutekommen, zum Beispiel in der Infrastruktur."

Ein anderer befürchtet allerdings, dass er davon nicht profitieren wird:

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf den Dörfern, also dort, wo die Menschen ums Überleben kämpfen, überhaupt irgendwas ankommt."

Profilierung als Partner

Auch Habineza glaubt nicht daran: Natürlich würden die Bauherren und Versorger der Geflüchtetenunterkünfte finanziell profitieren, aber die allermeisten Menschen in Ruanda eben nicht. Und die seien eben nicht alle auf Linie mit Präsidenten Kagame, der im Land selbst nie um Zustimmung für die Pläne gefragt hat. Stattdessen verspricht er vollmundig, alles für die Aufnahme der Geflüchteten aus dem Vereinigten Königreich vorbereitet zu haben. Man warte nur noch auf die finale Zustimmung der britischen Entscheider. Und eines hat Kagame auch jetzt schon erreicht: Ruanda auf die Weltkarte zu bringen - als zuverlässigen Partner inmitten einer instabilen Weltregion.

"Ruanda und seine Regierung werden als das Land gepriesen werden, das Flüchtlingen Asyl gewährt. Wir werden sichtbarer und viele Menschen werden uns kennen", jubelt ein Bürger Kigalis. Das Ziel ist selbst ist jetzt schon erreicht. Das "Ruanda-Modell" ist auch bei einigen deutschen Politikerinnen und Politikern inzwischen zu einem Gedankenspiel geworden. So sprach sich CDU-Vize Jens Spahn Ende 2023 dafür aus, Geflüchtete unter anderem nach Ghana oder Ruanda abzuschieben.

Möglicherweise könnte also in absehbarer Zeit eine Bundesregierung prüfen, ob Abschiebungen nach Afrika für ein dorthin ausgelagertes Asylverfahren realistisch sind. Gut möglich, dass Ruanda sich auch in diesem Fall anbieten würde.

 

4. BR24 im Radio am 17.12.2023  Nach Ghana oder Ruanda: Spahn will Flüchtlinge wegbringen lassen

Im Einklang mit dem geplanten CDU-Grundsatzprogramm: Jens Spahn wirbt für die Verbringung aller Flüchtlinge, "die irregulär die EU erreichen", unter anderem nach Ghana oder Ruanda. Damit könnten Ziele der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt werden.

Unionsfraktionsvize Jens Spahn plädiert dafür, Flüchtlinge, "die irregulär die EU erreichen" nach Ghana, Ruanda oder in osteuropäische Nicht-EU-Länder zu bringen. "Wenn wir das vier, sechs, acht Wochen lang konsequent durchziehen, dann werden die Zahlen dramatisch zurückgehen", prophezeite der CDU-Politiker in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" .

Viele Menschen würden sich gar nicht mehr auf den Weg in Richtung Europäische Union machen, "wenn klar ist, dass dieser binnen 48 Stunden in einen sicheren Drittstaat außerhalb der EU führt",

führte Spahn aus. Ziel der Idee seien "vertragliche Vereinbarungen", wonach Flüchtlinge in den Drittstaaten ein Asylverfahren bekämen "und im Falle der Schutzgewährung dort sicher bleiben können", erläuterte Spahn. "Ruanda wäre wohl dazu bereit, Ghana möglicherweise auch." Auch mit osteuropäischen Ländern wie Georgien und Moldawien solle gesprochen werden.

Vorschlag Teil des Entwurfs des CDU-Grundsatzprogramms

Das Konzept der Drittstaaten findet sich auch im neuen Entwurf zum CDU-Grundsatzprogramm wieder. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll demnach in einen sogenannten sicheren Drittstaat übergeführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. "Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren."

Das Papier sieht vor, dass nach der erfolgreichen Einrichtung des Drittstaatenkonzepts "eine Koalition der Willigen innerhalb der EU jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnimmt und auf die Koalitionäre verteilt". CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte, man wolle erreichen, dass die wirklich Schutzbedürftigen kommen könnten und die illegale Migration nicht weiter an Fahrt gewinne.

Spahn: "Finde das humanitärer"

Spahn nimmt in seinen Ausführungen Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention, das wichtigste internationale Dokument für den Flüchtlingsschutz: Dort stehe nicht, dass Schutz vor Kriegsverfolgung in der EU gewährt werden müsse. Wenn dafür gesorgt sei, dass Verfolgte in Drittstaaten "einen sicheren Schutzraum bekommen, dort gut versorgt werden und ohne Angst leben können, dann ist das Ziel der Flüchtlingskonvention erfüllt". Außerdem, so Spahn weiter, habe Deutschland dann auch "Kraft, Raum und Ressourcen, um diejenigen aufzunehmen, die unseren Schutz wirklich brauchen. Ich finde das humanitärer."

Italien und Großbritannien wollen vorangehen - Gerichte schreiten ein

Ähnliche Pläne verfolgten zuletzt Großbritannien und Italien. Der britische Premierminister Rishi Sunak bemüht sich derzeit trotz Hürden weiterhin darum, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern und Ankommende dorthin abzuschieben. Das Vorhaben stößt auf massive Kritik von Menschenrechtsgruppen.

Großbritannien hatte bereits im April 2022 mit Ruanda ein Abkommen unterzeichnet, wonach Migranten, die über den Ärmelkanal in Großbritannien eintreffen, in das ostafrikanische Land geschickt werden, wo ihre Asylanträge bearbeitet werden sollten. Auch bei einem positiven Ausgang sollten sie aber nicht nach Großbritannien zurückkehren. Der Oberste Gerichtshof von Großbritannien hatte den umstrittenen Plan als illegal eingestuft.

Auch Italien und Albanien schlossen vergangenen Monat ein Migrationsabkommen. Die umstrittene Vereinbarung sieht die Errichtung von zwei Aufnahmezentren für Migranten in Albanien vor, die über das Mittelmeer in Italien ankommen. Das albanische Verfassungsgericht hat die Ratifizierung des Abkommens durch das Parlament in Tirana jedoch vorläufig blockiert.

 

5. Tagesschau-Beitrages vom 16.03.2024: Debatte über Obergrenze Merz will höchstens 100.000 Flüchtlinge pro Jahr.

Mehr als 300.000 Flüchtlinge im Jahr seien zu viele, meint CDU-Chef Merz. Deutschland könne maximal 100.000 integrieren, sagte er in einem Interview. Den britischen Asyldeal mit Ruanda nannte er "im Prinzip eine gute Idee".

Deutschland soll aus Sicht von CDU-Chef Friedrich Merz nicht mehr als 100.000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen. "Über 300.000 im Jahr, wie im Jahr 2023, sind auf jeden Fall zu viel", sagte Merz im Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Merz bezieht sich dabei auf eine Äußerung von Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. Dieser hatte sich für die Aufnahme eines Flüchtlingskontigents von jährlich maximal 60.000 bis 100.000 Menschen ausgesprochen. Das beschreibe ungefähr, "was wir heute mit unserer Integrationskraft noch leisten können", so Merz.

Offen für Asylverfahren in Drittstaaten

Ebenfalls offen zeigte sich der Oppositionsführer für sogenannte Drittstaatenlösungen. Dabei werden Asylverfahren in andere, als sichere Herkunftsländer deklarierte Nicht-EU-Staaten ausgelagert.

Sollte er Bundeskanzler werden, wolle er durch die Welt reisen und nach einem geeigneten Land suchen, das die Asylverfahren abwickeln kann. "So eine Reise des Bundeskanzlers wäre längst überfällig“.

Lob für britischen Ruanda-Plan

Die Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda, so wie es Großbritannien plant, sei

"im Prinzip eine gute Idee“,

sagte der CDU-Chef. Es müsste dabei aber geklärt werden, wie die Verfahren in Ruanda "im Einklang mit unseren menschenrechtlichen Verpflichtungen gestaltet“ werden könnten.

Die konservative britische Regierung will Migranten mit scharfen Gesetzen abschrecken und unerlaubt Eingereiste ohne Berücksichtigung persönlicher Umstände nach Ruanda abschieben.

"Entscheidend ist, dass der humanitäre Schutz nach einem erfolgreichen Asylantrag dann auch tatsächlich in dem Aufnahmeland gewährleistet bleibt", so Merz.