Abflug nach Pristina: „Freiwillige Rückkehr“ in den Kosovo

  

Nicht alle, die sich in diesen Tagen in der Abflughalle des Düsseldorfer Flughafen drängen, sind glücklich und freuen sich auf eine beginnende schöne Urlaubsreise. Unter den Wartenden am Schalter des Fluges nach Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, zum Beispiel befinden sich zahlreiche Männer, Frauen, Kinder, die gegen ihren Wunsch Deutschland verlassen müssen. Auch die Familie, die wir verabschieden, reist ungern ab, und es fließen Tränen der Traurigkeit, Enttäuschung, Bitterkeit, dass sie nun Deutschland verlassen muss. Tränen auch bei uns, denn in der langen Zeit waren durch zahlreiche Treffen, gemeinsame Unternehmungen und durch Sprachstunden gute Beziehungen entstanden.

Im Winter 2014/2015 waren die Eltern mit drei schulpflichtigen Kindern nach Deutschland gekommen, wie Zehntausende andere auch. Sie flüchteten vor Arbeitslosigkeit, Armut, Perspektivlosigkeit auch für die Kinder, vor ethnischer Benachteiligung in der geteilten Heimatstadt und vor der unumgänglichen Korruption, die sie sich nicht leisten konnten. Sie kamen in der Hoffnung, in Deutschland Sicherheit für die Familie zu finden, gute Schulen für die Kinder, Arbeit für die Erwachsenen, denn sie wollten natürlich selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Um sich in Deutschland aufhalten zu können, mussten sie einen Asylantrag stellen, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Eine Arbeitserlaubnis wurde wie üblich nicht erteilt, sie mussten von Sozialleistungen leben. Doch im Asylverfahren zählten ihre Fluchtgründe nicht, und so kam nach 14 Monaten bangen Wartens der Bescheid: abgelehnt! Dagegen halfen keine Rechtsmittel, und auch die erfolgreichen Integrationsanstrengungen und die hervorragenden Schulleistungen halfen nicht. Es blieb nur die Wahl, „freiwillig“ zurückzureisen oder es auf eine folgenschwere zwangsweise Abschiebung ankommen zu lassen. Sie entschieden sich für das Erstere und erreichten, dass ihr Aufenthalt noch bis zum Schuljahrsende geduldet wurde, damit die Kinder das Schuljahr beenden konnten. Doch dann war endgültig Schluss. Das Ausländeramt erwartet jetzt das Papier mit dem Stempel, dass die Ausreise erfolgt ist, dann wird die Akte geschlossen.

Was erwartet sie in ihrer Heimat Kosovo? Arbeit zu finden ist für die Eltern genau so unmöglich wie vor ihrer Abreise nach Deutschland, Sozialleistungen gibt es nicht. Eine Wohnung und Möbel haben sie nicht mehr, auch keine Rücklagen. Ein wenig kann die große Verwandtschaft helfen, wo die fünf erst einmal für kurze Zeit auf engstem Raum unterkommen können. Vielleicht, vielleicht werden sie später einmal die Möglichkeit nutzen, die ihnen die „freiwillige Rückreise“ verheißt: mit Visum nach Deutschland zu kommen und Arbeit bzw. Ausbildungsplätze zu suchen, wobei die geknüpften Kontakte und die erworbenen Deutschkenntnisse hilfreich wären.

Das ist halt der Lauf der Dinge, sagen viele in Deutschland. Das sind doch „Wirtschaftsflüchtlinge“, und der Kosovo ist wie andere Länder auch als „sicheres Herkunftsland“ eingeordnet worden. Ich will das nicht so hinnehmen. Das Schicksal dieser fünf lieb gewonnenen Menschen steht für viele, die nach dem inzwischen eingeführten „Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz“ gar nicht mehr die Möglichkeit haben (sollen!), Beziehungen aufzubauen, weil sie im Schnellverfahren binnen einer Woche zurückgeschickt werden. Ihnen allen wird nicht das Menschenrecht zugestanden, das für uns durch unser privilegiertes Herkunftsland selbstverständlich ist: dahin zu gehen, wo wir uns ein besseres Leben erhoffen. Im Gegenteil: Nach dem „Sommer des Willkommens“ geht es Deutschland und der EU ebenso wie den anderen reichen Staaten und Regionen in verstärktem Maße um Abschottung und Sicherung der reichen „Festung“. Im Namen von Menschlichkeit und Solidarität sind ein gestärktes Asylrecht und die Gewährleistung regulärer Zuwanderung nötig. Diese durchaus nicht mehr neue Forderung behält traurige Aktualität, deshalb erzähle ich hier von dem Abschied auf dem Düsseldorfer Flughafen.

In einem Beitrag „Nordrhein-Westfalen rüstet auf“ vom 21. Juli 2016 (und infamerweise vermengt mit Ausführungen über Terrorbekämpfung und – abwehr nach dem Amoklauf eines 17-jährigen Flüchtlings in Würzburg) schreibt der Bonner General Anzeiger: „Zugleich erhöht das Land den Druck bei den Abschiebungen, bis Jahresende peilt das Land eine Verdoppelung der Ausreisen an. So wurden 2016 bereits 11000 Flüchtlinge `freiwillig zurückgeführt´, wie es heißt – ebenso viele wie im gesamten Vorjahr. Auch die Zahl der zwangsweisen Abschiebungen sei bis Mai um 62 Prozent auf 2167 in den ersten fünf Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen.“

Susanne Rohde, 21. 7. 2016