Abgeordnete an EU-Außengrenzen unterwegs - Forderung Menschenrechte erhalten! Schutzsuchende evakuieren!

20.01.2022 Eine Gruppe von Abgeordneten aus Europaparlament, Bundestag und Landtagen um Cornelia Ernst, asyl- und migrationspolitische Sprecherin von DIE LINKE im Europaparlament, reiste gerade ins Grenzgebiet Polen/Belarus, um sich durch Gespräche und Beobachtungen einen persönlichen Eindruck über die Lage der Schutzsuchenden zu verschaffen. Unter den Eindrücken entstand ein Forderungspapier mit 5. Punkten (Wortlaut s. unten): 1. Pushbacks an der EU-Außengrenze beenden, EU– und Menschenrechte einhalten, 2. Keine rechtsfreien Sperrzonen, sondern humanitäre Korridore schaffen, 3. Polen ist kein sicherer Ort für Schutzsuchende: Es darf keine Überstellungen nach Polen geben, 4. EU-Kommission muss Verträge hüten und darf nicht die Mitgliedstaaten gewähren lassen, die Menschenrechte verletzen und 5. Keine Kriminalisierung von Fluchthilfe. Die Abgeordneten werden sich in diesem Sinne auf ihren politischen Ebenen engagieren.

Eine weitere Reise führt Ernst ab 20. Januar 2022 5 Tage lang durch das kroatisch-bosnische Grenzgebiet. Cornelia Ernst, erklärt im Vorfeld der Reise: „Im Rahmen einer EU-Grenztour reiste ich letztes Jahr mehrmals nach Griechenland, letztes Wochenende war ich mit einer Delegation der LINKEN in Polen und jetzt stehen Kroatien und die kroatisch-bosnische Grenze im Fokus. Es ist wichtig, direkt vor Ort mit den Menschen zu sprechen und sich ein Bild von den Auswirkungen der von den Mitgliedstaaten vorangetriebenen Politik der ‘Festung Europa’ zu machen. Was täglich an den EU-Außengrenzen passiert ist strukturelle Gewalt. Push-Back-Praktiken und massenhafte Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen stehen auf der Tagesordnung. 2019 war ich zuletzt an der kroatisch-bosnischen Grenze, ich will vor allem herausfinden, was sich seitdem an der Situation Geflüchteter geändert hat.“

 

Abgeordnete der LINKEN auf Delegationsreise in Polen: Menschenrechte einhalten – Schutzsuchende evakuieren!

Vom 14. bis 16. Januar 2022 begaben sich mehrere LINKEN-Abgeordnete aus Europaparlament, Bundestag und Landtagen* auf eine Delegationsreise ins polnisch-belarussische Grenzgebiet. Seit August 2021 spitzt sich die Lage dort zu. Geflüchtete, die über Belarus in die Europäische Union gelangen wollen, sitzen im Wald ohne humanitäre und medizinische Hilfe fest. Viele von ihnen wurden und werden illegal von Polen nach Belarus zurückgewiesen und ihnen somit der Zugang zu einem fairen Asylverfahren verwehrt. Diejenigen, die es nach Polen schaffen, werden in der Regel in Lagern inhaftiert.

Cornelia Ernst, asyl- und migrationspolitische Sprecherin von DIE LINKE im Europaparlament, erklärt nach der Reise:

„Eins ist ganz klar nach unserer Reise: Polen ist für Geflüchtete nicht sicher. Wenn Geflüchtete nicht im Wald an der Grenze dem Tod überlassen werden, werden sie entweder gewaltsam nach Belarus zurückgedrängt oder misshandelt und unter unwürdigen Bedingungen in polnischen Lagern inhaftiert. Aber auch in Polen muss der Zugang zu Asylverfahren immer gewährleistet sein. Schutzsuchende, die sich jetzt noch im Grenzgebiet aufhalten, dürfen wir nicht zurücklassen.

Das Vorgehen der polnischen Regierung ist ein klarer Bruch von Menschenrechten und europäischem Recht. Sie verwehrt außerdem uns Abgeordneten und Nichtregierungsorganisationen den Zugang zur Sperrzone im Grenzgebiet und den polnischen Haftlagern. Damit werden rechtsfreie Räume geschaffen; diese Praxis muss sofort beendet werden! Insbesondere die EU-Kommission muss hier endlich Druck machen und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einleiten, anstatt mit einem „Notfallmaßnahmen“-Paket[1] Polen die Möglichkeit geben, von geltendem EU-Asylrecht abzuweichen und damit die Rechte von Asylsuchenden massiv einzuschränken.

Den vielen Organisationen und Engagierten vor Ort, besonders den Anwohnern im Grenzgebiet, die alles tun um Menschen vor dem Tod zu bewahren, gehört unser tiefer Respekt und unsere Solidarität. Die massenhafte Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen, die in Polen aber auch EU-weit immer massiver wird, muss aufhören!“

Während ihres dreitägigen Aufenthalts sprachen die LINKE-Politikerinnen mit Rechtsanwält*innen und Engagierten unterschiedlicher Organisationen und besuchten das Grenzgebiet. Entlang der über 400 Kilometer langen Grenze hat die polnische Regierung eine Sperrzone eingerichtet. Nichtregierungsorganisationen, Ärzt*innen, Journalist*innen und Abgeordneten ist der Eintritt in diese Zone offiziell untersagt. Die NGO „Ärzte ohne Grenzen“ zog sich deshalb kürzlich von ihrer Hilfsmission aus dem Grenzgebiet zurück. [2]

Die Abgeordneten sprachen mit Vertreter*innen der Organisationen Fundacja Ocalenie, Grupa Granica, Polish Migrant Forum, Association for Legal Intervention, Open House und Helsinki Foundation sowie Abgeordneten der grünen Partei und der linken Parteien Razem und Nowa lewica sowohl über die humanitäre Notlage in der Grenzregion, als auch die politischen Folgen und Forderungen. Ein Besuch im geschlossenen Haftlager Wędrzyn nahe der Grenze zwischen Polen und Brandenburg wurde der Delegation verwehrt. In diesem Lager werden zirka 600 Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten, sie sind willkürlich ohne Zugang zu Beratung, medizinischer Versorgung und Kommunikation inhaftiert.

Aktivist:innen und Ehrenamtliche berichteten davon, wie sie Menschen, darunter viele Familien mit kleinen Kindern, völlig durchgefroren und mit teils schweren Verletzungen im Wald in der von der polnischen Regierung eingerichteten Sperrzone aufgefunden haben. Mit warmer und trockener Kleidung versuchen sie, die Menschen vor Unterkühlung und dem Tod zu retten. Bei manchen Flüchtenden war die Kleidung schon an der Haut festgefroren. Mindestens 21 Menschen sind bisher im Grenzgebiet gestorben – letztes Jahr hat es tausende illegale Pushbacks von Polen nach Belarus gegeben.

Mit diesem Vorgehen verstößt die polnische Regierung eindeutig gegen internationales und europäisches Flüchtlingsrecht. Die EU-Kommission schlägt jedoch – statt auf die Einhaltung von europäischem Recht zu bestehen und Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten – vor, Polen, Litauen und Lettland mit einem neuen Maßnahmenpaket die Möglichkeit  zu geben, von geltendem EU-Asylrecht abzuweichen und die Rechte von Asylsuchenden massiv einzuschränken.

 

Dieses ausführliche Forderungspapier ist infolge der Delegationsreise entstanden:

Menschenrechte erhalten!
Schutzsuchende evakuieren!

Vom 14. bis 16. Januar 2022 begaben sich mehrere LINKEN-Abgeordnete auf eine Delegationsreise ins
polnisch-belarussische Grenzgebiet, wo seit Monaten Menschen illegal von Polen nach Belarus zurück-
gewiesen werden und ohne Zugang zu fairen Asylverfahren oder humanitärer und medizinischer Hilfe
ausharren müssen. Diejenigen, die es nach Polen schaffen, werden in der Regel in Lagern inhaftiert. In
mehreren Gesprächen berichteten NGOs und Politiker:innen davon, dass mindestens 2000 Menschen
in geschlossenen Haftlagern untergebracht sind. Mindestens 21 Menschen sind bisher im Grenzge-
biet gestorben – letztes Jahr hat es tausende illegale Pushbacks von Polen nach Belarus gegeben. Mit
diesem Vorgehen verstößt die polnische Regierung eindeutig gegen internationales und europäisches
Flüchtlingsrecht.
Wir haben während unseres Aufenthalts Rechtsanwält:innen und Engagierte unterschiedlicher Organi-
sationen gesprochen. Aktivist:innen und Ehrenamtliche berichteten davon, wie sie Menschen, darunter
viele Familien mit kleinen Kindern, völlig durchgefroren im Wald in der von der polnischen Regierung
eingerichteten Sperrzone aufgefunden haben. Mit warmer und trockener Kleidung versuchen sie, die
Menschen vor Unterkühlung und dem kalten Tod zu bewahren. Bei manchen Flüchtenden war die Klei-
dung schon an der Haut festgefroren.
Viele Gespräche unter anderem mit der grünen Partei, der Neuen Linken und Razem waren sehr wich-
tig, um die politischen Dimensionen und Forderungen zu diskutieren, die jetzt für eine europäische
Solidarität notwendig sind. Die Berichte verschiedener Organisationen, die Schutzsuchende in ganz
Polen, aber auch an der polnisch-belarussischen Grenze, unterstützen, wie Fundacja Ocalenie, Grupa
Granica, Polish Migrant Forum, Association for Legal Intervention, Open House and Helsinki Foundation,
bekräftigten unsere Forderungen:
1. Pushbacks an der EU-Außengrenze beenden, EU– und Menschenrechte einhalten
Illegale Zurückweisungen von schutzsuchenden Menschen an der EU-Außengrenze müssen endlich
konsequent beendet werden. Es braucht eine Politik, die schutzsuchende Menschen und ihre Rechte
und Anliegen in den Mittelpunkt stellt. Insbesondere das Recht auf Leben und körperliche Unversehrt-
heit sowie der Grundsatz der Nichtzurückweisung und das Verbot von Folter bzw. unmenschlicher
Behandlung müssen Maßstab politischen Handelns sein. Diese Menschenrechte gelten absolut und
dürfen nicht, auch nicht mit außenpolitischer Begründung, außer Kraft gesetzt werden.
2. Keine rechtsfreien Sperrzonen, sondern humanitäre Korridore schaffen
Schutzsuchende, die sich jetzt noch im Grenzgebiet aufhalten, dürfen wir nicht zurücklassen. Die Bun-
desregierung spricht in ihrem Koalitionsvertrag davon, dass sie das Leid an der EU-Außengrenze be-
enden möchte. Dann muss sie jetzt handeln und Geflüchtete aus Polen, aber auch aus Belarus, evaku-
ieren. Hierfür stehen einzelne Bundesländer und hunderte Städte und Kommunen als “Sichere Häfen”
bereit, die entsprechend unterstützt werden müssen. Außerdem muss sich die Bundesregierung auf
europäischer Ebene für eine gemeinsame, nachhaltige und rechtebasierte EU-Asyl- und Migrationspoli-
tik stark machen.
3. Polen ist kein sicherer Ort für Schutzsuchende: Es darf keine Überstellungen nach Polen geben
Polen ist für Schutzsuchende nicht sicher, die Situation in Polen ist beispielhaft für eine systematische
Verletzung von EU- und Menschenrechten. Zum einen, weil Polen Schutzsuchende an der EU-Außen-
grenze ohne rechtstaatliche Verfahren zurückweist und so gegen das non-refoulement Gebot verstößt,zum anderen aufgrund der katastrophalen Unterbringung von Schutzsuchenden. Etwa 2000 Schutz-
suchende sind in Polen sind inhaftiert. Für alle Schutzsuchenden, die von Deutschland nach Polen
abgeschoben werden, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie ebenfalls inhaftiert werden. Die
Haftbedingungen werden selbst von der polnischen Ombudsperson als Verstoß gegen Artikel 3 der
EMRK – dem Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung - beschrieben. Wędrzyn ist eines der
überfüllten Haftlager, in dem über 600 Menschen ausharren müssen. Menschen, die aus lauter Ver-
zweiflung Selbstmordversuche begehen, werden in diesem Lager dafür auch noch bestraft, indem sie
in Isolationshaft gesteckt werden, wie uns von Politiker:innen berichtet wurde. Diese unmenschlichen
Haftlager müssen aufgelöst werden, Schutzsuchende müssen in offenen Aufnahmeeinrichtungen und
dezentral untergebracht werden und Zugang zu angemessener Versorgung und Rechtsbeistand erhal-
ten.
4. EU-Kommission muss Verträge hüten und darf nicht die Mitgliedstaaten gewähren lassen, die Menschenrechte verletzen
Die Zurückweisung von Geflüchteten ohne individuelle Prüfung im Asylverfahren ist ein eindeutiger
Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und gel-
tendes EU-Asylrecht. Diese Rechte können nicht durch nationale Gesetzgebung ausgehebelt werden,
wie es Polen derzeit versucht. Deutschland und die Europäische Union müssen alles dafür tun, damit
die Menschenrechte an der EU-Außengrenze zu Belarus nicht verletzt werden. Statt auf die Einhaltung
von europäischem Recht zu bestehen und Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, will die Kom-
mission Polen, Litauen und Lettland mit einem neuen Maßnahmenpaket die Möglichkeit geben, von
geltendem EU-Asylrecht abzuweichen und die Rechte von Asylsuchenden massiv einzuschränken. Wir
sehen darin einen weiteren Schritt zur Aushöhlung des individuellen Rechts auf Asyl in Europa. Es darf
nicht zugelassen werden, dass an der EU-Außengrenze rechtsfreie Räume geschaffen werden, wie die
militärischen Sperrzonen in Polen, die auch gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip der EU
verstoßen.
5. Keine Kriminalisierung von Fluchthilfe
Solidarität und Fluchthilfe dürfen nicht kriminalisiert werden. Ob humanitäre Hilfe in der polnischen
Sperrzone oder die Fluchthilfe über mehrere Ländergrenzen hinweg Richtung Westeuropa – Solidarität
mit Schutzsuchenden ist kein Verbrechen. Wo die EU-Mitgliedstaaten versagen, humanitäre Korridore
von den EU-Außengrenzen ins Innere des Staatenbundes einzurichten, schaffen Aktivist:innen und die
Zivilgesellschaft kleine Fluchtfenster für wenige. Dieses Engagement muss, anstelle es zu kriminalisie-
ren, als Vorbild für eine staatliche Aufnahmepolitik dienen.

Die Abgeordneten werden sich in diesem Sinne auf ihren politischen Ebenen engagieren.

[1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_21_6447

[2] https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/polen-blockade-projekte