10.03.2023 Wir zitieren eine Pressemitteilung von Pro Asyl:
08.03.2023 Zur heute stattfindenden Tagung „Verraten und vergessen? Frauen in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban“ veröffentlichen in Deutschland und den Niederlande lebende Afghaninnen einen eindringlichen Appell an die Bundesregierung und Weltgemeinschaft, ihre Versprechen an bedrohte Menschen in Afghanistan zu halten.
PRO ASYL veranstaltet zusammen mit der Evangelischen Akademie zu Berlin am heutigen Internationalen Frauentag eine Tagung, bei der sich afghanische Frauen vernetzen und insbesondere Forderungen an die Bundesregierung erheben. Im Laufe der Tagung wollen sie zusammen mit Politikerinnen Wege ausloten, bedrohte Menschen in Afghanistan zu unterstützen und in Deutschland aufzunehmen. An die zweihundert Afghaninnen, die in Deutschland und Niederlande leben, haben ihr Kommen angekündigt.
Forderungen an die Bundesregierung
Anlässlich der Tagung veröffentlichen über 80 Afghaninnen unter der Federführung der Afghanistan-Referentin von PRO ASYL, Frau Dr. Alema, eine Erklärung, die sich an politische Entscheidungsträger*innen westlicher Staaten richtet: „Wir verzweifeln über unseren Handys, auf denen wir tagtäglich die grausamsten Nachrichten und Bilder von einem Afghanistan erhalten, in dem es keine Menschenwürde mehr gibt. […] Wir können der Situation nicht tatenlos zusehen“.
Die Unterzeichnerinnen kritisieren die unzureichende Umsetzung des Koalitionsvertrages: Die angekündigte Reform des Ortskräfteverfahrens hat nicht stattgefunden, der Familiennachzug dauert Jahre und die Vergabe von humanitären Visa für höchst gefährdete Personen stockt. Menschen, die nach der Machtergreifung der Taliban mangels Aufnahme in westlichen Staaten in das benachbarte Ausland geflohen sind, sind von dem aufgesetzten Bundesaufnahmeprogramm der Bundesregierung ausgeschlossen. Immer noch werden Asylanträge afghanischer Frauen abgelehnt oder nur mit einem minderen Schutzstatus anerkannt, der den Familiennachzug ausschließt.
In dem Appell fordern die Unterzeichnerinnen deswegen leichtere Zugänge zum Bundesaufnahmeprogramm, Erleichterungen bei der Familienzusammenführung sowie die Fortführung der Aufnahme über Vergabe von humanitären Visa. Im Asylverfahren sollten zudem afghanische Mädchen und Frauen die Flüchtlingseigenschaft aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung erhalten, wie auch jüngst von der Europäischen Asylagentur (EUAA) gefordert. Länder wie Dänemark und Schweden haben diesen Schritt bereits vorgemacht.
Frau Dr. Alema fordert: „Rund eineinhalb Jahre nach der Machtübernahme der Taliban fühlen sich die Unterzeichnerinnen des Appells von westlichen Staaten im Stich gelassen. Die Lage von Mädchen und Frauen in Afghanistan ist dramatisch, es herrscht mittlerweile Geschlechter-Apartheid. Die Versprechungen in dem Koalitionsvertrag, der Aktionsplan Afghanistan und das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan – all dies wurde bisher ungenügend umgesetzt. Es muss dringend nachgebessert werden. Deutschland muss seiner Verantwortung endlich gerecht werden.“
Künstlerin unterstützt den Appell
Eine prominente Unterzeichnerin des Appells ist die afghanische Künstlerin Sara Nabil. Nabil wurde 1994 in Afghanistan geboren und erlebte als Kind die erste Terrorherrschaft der Taliban. Erst nach deren Sturz im Jahr 2001 konnte Nabil die Schule besuchen. Die erneute Machtergreifung der Taliban im August 2021 hat sie sehr getroffen. Im Gespräch mit PRO ASYL formuliert sie:
„Ich gehöre zu den Leuten, die in den letzten 20 Jahren Möglichkeiten hatten. Zur Schule zu gehen, zur Uni zu gehen, sich zu entwickeln und für die Menschenrechte einzusetzen. Aber wir haben gesehen, dass innerhalb von einem Tag alles zerbrechen kann. Jetzt leiden 35 Millionen Menschen und man findet die vorherigen Werte nicht wieder. Die Taliban glauben nicht an Menschenrechte, man sieht jeden Tag die schlimmsten Sachen.“
Heute lebt Nabil in Deutschland. Die Situation der Frauen in Afghanistan bildet das Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit: „Meine Kunstwerke sprechen von der Situation der Menschen und besonders von Frauen in Afghanistan und von dem, was die Menschen in dem Land brauchen. Ich glaube, die Forderung ist ganz klar: Menschen sind keine Ware und ihr Schicksal ist keine Verhandlungsmasse! Das möchte ich über meinen Aktivismus und über meine Kunst vermitteln.“
Leben unter den Taliban
Für die Menschen in Afghanistan ist es der zweite Internationale Frauentag unter der erneuten Herrschaft der Taliban. Die Situation ist dramatisch: Viele sind auf der Flucht oder im Versteck, Gewalt ist an der Tagesordnung. Dazu kommt eine massive wirtschaftliche Krise, Millionen Menschen leiden unter Hunger. Besonders katastrophal ist die Situation für Frauen und Mädchen, die von den Taliban nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben gedrängt wurden. Ihnen wurde ihr Recht auf Bildung, politische Teilhabe und freie Ausübung eines Berufes genommen. Sie dürfen nicht mehr reisen, keinen Sport treiben, nicht einmal Parks oder öffentliche Bäder besuchen. Ein selbstbestimmtes und sicheres Leben existiert für sie nicht mehr.