Afghanistan: 40. Sammelabschiebung - Lebensgefahr für Abgeschobene

Aktualisiert am 13.07.2021:Deutschland hält an Abschiebungen nach Afghanistan fest  Am Sonntag hatte Afghanistan die europäischen Staaten gebeten, Abschiebungen für drei Monate auszusetzen. Die Bundesregierung plant aktuell keine Änderung der Abschiebepraxis. "Diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen, sollen unser Land wieder verlassen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin... (Quelle: DW)

09.07.2021 Am Dienstag, 6. Juli, startete in Hannover ein Abschiebeflug nach Afghanistan. Mit einem Gefangenentransporter wurden die unfreiwilligen Passagiere zum Flughafen gebracht, jede Kontaktmöglichkeit mit der Öffentlichkeit unterbunden. Diesmal sind es 27 Männer aus 8 Bundesländern, darunter auch NRW. Bei fast allen handele es sich um Straftäter, so das Innenministerium. Einer von ihnen ist Said M. Seine Straftat: Fahren ohne Fahrerlaubnis, ein Verkehrsdelikt. Während bei vier weiteren Männern in Norddeutschland die Abschiebung durch Gerichtsentscheide gestoppt werden konnte, wurden in seinem Fall die Anträge abgelehnt: Bayern ist besonders hart. Keine weitere Duldung, kein der Gefahrenlage angepasster Asylbescheid für Said M. Der junge Mann, 2015 als Minderjähriger gekommen, hatte als Landschaftsgärtner gearbeitet, wollte im September eine Ausbildung beginnen und stand kurz vor der Hochzeit. Das private Glück hier wurde ihm genommen. Seine Zukunft und seine Sicherheit sind ungewiss.

Zwei Tage nach dem erneuten Abschiebeflug nach Afghanistan beleuchtete MONITOR die (Un)Sicherheitslage dort, die sich nach dem Abzug der NATO-Truppen und dem Vorrücken der Taliban drastisch verschlechtert hat. Sicher war es ohnehin nie gewesen, wie Expert:innen immer wieder beim Innenminister vorbrachten, der erbarmungslose seine Abschiebekampagne durchzieht. Doch nun droht mit der bevorstehenden vollständigen Machtübernahme der Taliban unmittelbare und individuelle Verfolgung derjenigen, die das Land verlassen hatten und nun zwangsweise in ein Land verbracht werden, das manche nie gesehen hatten.

Vor allem Bayern ist immer dabei. Ebenso immer die Begründung,  "mehrheitlich Straftäter" würden abgeschoben. Dürfen diese dem sicheren Tod ausgeliefert werden?! Und was ist mit der "Minderheit"?! Wegen welcher Straftaten wurden die "Straftäter" verurteilt?! Terroranschläge, Vergewaltigung, Tötungsdelikte? Oder doch eher Bagatelldelikte: Ladendiebstahl? Verstoß gegen Aufenthalts- und Meldebestimmungen?

Im Beitrag "Krieg in Afghanistan: Die Taliban rücken vor, Deutschland schiebt ab" am 8. Juli 2021 kommen zwei Betroffene zu Wort: Der Eine wurde bereits herausgerissen aus seiner sicheren Umgebung und im Februar abgeschoben, dem anderen steht die Abschiebung bedrohlich bevor. 

Alarmierte zivilgesellschaftliche Expert:innen fordern (erneut!) einen Abschiebestopp. Doch Seehofer wird zitiert:

"Durch den Truppenabzug verändert sich nicht automatisch die Gefahr für die Zivilbevölkerung." (bild, 16.06.)

Und von Außenminister Maas ist vor dem Start der Juli-Abschiebefliegers zu hören, man halte

"... die bisherige Praxis also nach wie vor für vertretbar." (dpa, 5. 7.)

Das Abschieben nach Afghanistan "vertretbar"? So vertretbar wie das Ertrinkenlassen im Mittelmeer?!?

Diese Politik muss spätestens am 26. September ein Ende haben, nicht nur durch Wechsel der Personen, ganz grundsätzlich!  sr

MdB Ulla Jelpke kommentierte am 6. Juli:

Abschiebung nach Afghanistan bedeutet Abschiebung in Krieg, Terror und Elend

„Während die Bundeswehr nach 20 Jahren Afghanistan-Einsatz plötzlich ihre Soldaten gar nicht schnell genug abziehen konnte, startet heute erneut ein Abschiebeflieger aus Deutschland in das gefährlichste Land der Welt. Politiker und Politikerinnen überbieten sich angesichts dieser lebensgefährdenden Aktion gegenseitig mit menschenverachten Forderungen: Wenn es um Abschiebungen geht, plagiiert eine Franziska Giffey von der SPD auch gerne mal die Union, um im rechten Gewässer nach Wählerstimmen zu fischen. Weder nach Syrien, noch nach Afghanistan dürfen Menschen in existenzgefährdendes Elend und massive Gewalt abgeschoben werden!“, fordert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, anlässlich der für den heutigen Dienstag geplanten Sammelabschiebung von Hannover nach Kabul. Jelpke weiter:

„Die Bundesregierung hat Energie, einen Abschiebeflieger nach dem anderen zu füllen – aber dafür, die afghanischen Ortskräfte endlich zu evakuieren, reicht es dann nicht mehr. Es ist absolut beschämend, dass die afghanischen Ortskräfte weiterhin in größter Lebensgefahr schweben, während die Bundeswehr schon Zuhause ist. Auch die Verschleppung des Familiennachzugs afghanischer Familienangehöriger ist durch nichts zu rechtfertigen und muss umgehend beschleunigt werden. Die Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen sind in Afghanistan so heftig wie schon lange nicht mehr – es ist an Zynismus nicht zu überbieten, angesichts dessen noch von vermeintlich sicheren Gebieten zu fantasieren. Abgeschobene sind in Afghanistan in besonderem Maße Verfolgung und Verelendung ausgesetzt. Die für heute geplante Sammelabschiebung nach Afghanistan muss gestoppt werden!“