31.08.2023 Monitor beleuchtet in einem Beitrag die unheilvolle Kontinuität:
Alte Parolen: Der Angriff der CDU aufs Asylrecht
Führende CDU-Politiker fordern, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Die Argumente: angeblich millionenfacher Asylmissbrauch, Überforderung, die Gesellschaft wolle nicht mehr. Es sind fast exakt dieselben Parolen wie vor 30 Jahren, als CDU und CSU angesichts zahlreicher rechtsextremer Anschläge in ganz Deutschland für eine massive Einschränkung des Asylrechts sorgten. Auch die heutige Kampagne könnte vor allem rechtsextremen Scharfmachern in die Hände spielen.
Von Lara Straatmann, Luisa Meyer, Lara Lohmann
Hier der Text des Beitrages:
Georg Restle: "Rechtsextremismus, der sich breit gemacht hat in diesem Land: Auf den Straßen, in den Parlamenten, in den Talkshows und im Internet. Und das mit den immer gleichen Themen und den immer gleichen Parolen. Vor allem, wenn es gegen Geflüchtete und Migranten geht. Dieses Plakat hier stammt allerdings nicht von der AfD und es ist auch nicht von heute; es ist ein CDU-Plakat von 1991. Es könnte aber auch fast genauso aus diesem Jahr sein, denn gut 30 Jahre später hat die CDU-Spitze ihre Parolen von damals quasi aus der Mottenkiste geholt. Und genauso wie damals geht es auch heute wieder gegen das Grundrecht auf Asyl. Vor 30 Jahren wurde dieses Recht massiv eingeschränkt, jetzt soll es gleich ganz abgeschafft werden. Offenbar hält man das in der CDU-Spitze für eine kluge Strategie im Kampf gegen die Rechtsextremisten von heute. Lara Straatman, Luisa Meyer und Lara Lohmann."
Deutschland im Jahr 2023. Krisenstimmung, die Wut wächst; und richtet sich gegen Geflüchtete und Asylbewerber. Angriffe auf Unterkünfte häufen sich, der Ton wird schärfer – auch in der CDU.
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, 23.07.2023: "Wir müssen dabei bleiben, dass wir ein Land sind, dass auf der Welt hilft, aber diese Hilfe darf auch nicht missbraucht werden und sie wird hunderttausendfach missbraucht, und dagegen müssen was tun."
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, 27.08.2023: "Wenn wir das nicht schaffen, fliegt uns diese Gesellschaft um die Ohren."
Asylmissbrauch stoppen! Klingt bekannt. Deutschland Anfang der 90er-Jahre. Viele Menschen flohen vor den Balkankriegen nach Deutschland. Rassistische Anschläge häuften sich, Pogromstimmung, in Mölln, in Rostock-Lichtenhagen. Die Reaktion der CDU darauf:
Berndt Seite (CDU), ehem. Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommern, 25.08.1992: "Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird."
Hieß für die CDU, das Grundrecht auf Asyl so stark beschneiden, dass niemand mehr ins Land kommt – Drittstaatenlösung. Das Grundgesetz wurde geändert – auch mit Stimmen von FDP und SPD. Deutschland schottete sich ab. Und heute geht es wieder ums Grundrecht auf Asyl. In der Unionsspitze will man es jetzt ganz abschaffen. In Deutschland - und Europa.
Jens Spahn (CDU), Stellv. Fraktionsvorsitzender, 11.05.2023: "Vielleicht muss man tatsächlich nochmal darüber nachdenken, ob die Flüchtlingskonventionen, die Europäischen Menschenrechtskonventionen so noch funktionieren."
Thorsten Frei (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer, 18.07.2023: "Das bedeutet im Klartext, dass man keine individuellen Rechtsansprüche mehr hat."
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, 27.08.2023: "Diese Diskussion ist echt und sehr ernst gemeint, weil wir ein ernsthaftes Problem in Deutschland haben."
Sie hat damals mitgestimmt bei der Einschränkung des Asylrechts. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Was sagt sie zu den heutigen Forderungen aus der CDU?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a.D.: "Die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl wird es nicht geben. Und wenn es es gäbe, gelten die europäischen Regelungen. Und dann muss man die auch alle abschaffen und die Europäische Menschenrechtskonvention aufkündigen. Und deshalb, diese Debatte sollten wir wirklich beenden. Das ist in meinen Augen Stammtisch."
Stammtischparolen? Damals warnten Spitzenpolitiker der Union vor Millionen, die das Land "überfluten" könnten.
Edmund Stoiber (CSU), ehem. Bayerischer Innenminister, 11.11.1988: "Dass im Grunde genommen wir nicht in der Lage sind, alle Mühselig und Beladenen – das sind 50 bis 60 Millionen in unserem Land – aufzunehmen."
Zig Millionen Flüchtlinge – heute kommen sie für die CDU aus Afghanistan.
Thorsten Frei (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer, 02.08.2023: "Wenn man die aktuelle Schutzquote zugrunde legt, dann hätten 35 Millionen Afghanen – wenn sie das denn wollten – einen Schutzanspruch in Deutschland."
Horrorszenarien. Damals wie heute. Und immer wieder verzerrende Zahlen.
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, 27.08.2023: "Dieser Artikel 16a des Grundgesetzes wird sehr stark missbräuchlich in Anspruch genommen. Wir haben Anerkennungsquoten, die liegen teilweise nur bei 3 bis 4 Prozent."
Eine drastische Irreführung. Insgesamt lag die bereinigte Anerkennungsquote zuletzt bei 72,3 Prozent. Bei Menschen aus Syrien und Afghanistan sogar bei knapp 100 Prozent. Wohl kaum ein Beleg für einen starken Asylmissbrauch. Asylmissbrauch – auch damals schon. Das Kalkül war, eine Partei rechts von der Union zu verhindern, indem man ihre Parolen kopierte. Asylbetrug hieß es auf den Wahlplakaten der rechtsradikalen Republikaner.
Rudolf Seiters (CDU), ehem. Bundesinnenminister, 30.04.1992: "Ich denke, wir sind uns doch einig, dass wir das Feld nicht rechtsradikalen Demagogen überlassen dürfen, die die Menschen aufhetzen."
Das gleiche Konzept auch heute: Mit Angriffen aufs Asylrecht will die Unionsspitze die rechtsextreme Konkurrenz kleinkriegen.
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, 23.07.2023: "Wir müssen dieses Problem in Europa lösen, dann wird die AfD auch wieder kleiner."
Mit den Rezepten von damals gegen die Rechtsextremisten von heute? Gegen eine Partei wie die AfD, die genau darauf setzt, dass die CDU sich überflüssig macht, indem sie die AfD kopiert?
Prof. Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler, Universität Kassel: "Da ist nicht zu erwarten, dass diese Partei durch eine kräftige Übernahme ihrer Positionen seitens der CDU oder anderer Kräfte geschwächt wird, sondern im Gegenteil, sie wird davon profitieren, weil sie als das Original betrachtet wird."
Die CDU von heute auf den Spuren der Union von damals. Es könnte ein gefährlicher Kurs sein, für die Partei und die Gesellschaft insgesamt.
Prof. Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler, Universität Kassel: "Die Gefahr ist sehr groß, dass am Ende das Wasser auf die Mühlen der Rechten ist und damit eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, die man nicht mehr steuern kann."
Eine Entwicklung in Gang setzen. Drei Tage nach der Änderung des Grundgesetzes starben damals fünf Frauen und Mädchen in Solingen. Bei einem der schlimmsten rassistisch motivierten Brandanschläge, die das Land je erlebt hat.
Georg Restle: "Offenbar gibt es viele in der CDU und auch in anderen Parteien, die tatsächlich glauben, man könne Wähler gewinnen, indem man den Sound der AfD übernimmt. Vielleicht übersehen sie ja dabei auch, wie viele Menschen man dabei verlieren kann."