17.09.2020 Auf der allerletzten Ratssitzung der vergangenen Wahlperiode, am 8. September, stand ein Antrag auf der Tagesordnung, mit dem die Aufnahmebereitschaft für 200 Flüchtlingen aus der Seenotrettung, über die normalen Kontingente hinaus, erklärt werden sollte. Der Antrag von SPD und Linken, der dem Beitritt Bonns zum Bündnis "Städte sicherer Häfen" als Konsequenz folgte, fand keine Mehrheit. Nur die Grünen stimmten zu, die anderen Ratsparteien lehnten den Antrag ab. Die Beratung und Abstimmung erfolgten unmittelbar vor der Feuerkatastrophe von Moria.
Am Wahlsonntag wenige Tage später haben sich die Mehrheitsverhältnisse in Bonner Stadtrat zugunsten der Befürworter*innen verschoben. Wir können davon ausgehen, dass demnächst erneut über die Aufnahme von weiteren Geflüchteten beraten wird. Wohlwissend, dass eine tatsächliche Realisierung nicht in der Kommune entschieden wird, wächst damit der Druck auf den Innenminister und die Regierung.
Die Seebrücke Bonn erklärte am 09.09. zu der Entscheidung:
Stellungnahme zur Ablehnung des Antrags zur zusätzlichen Aufnahme von Geflüchteten durch den Rat der Stadt Bonn
Als zivilgesellschaftliche Bewegung, die für die Entkriminalisierung von Seenotret-tung, eine europaweite staatliche Seenotrettungsmission, sichere Fluchtwege und eine humane europäische Flucht- und Migrationspolitik einsteht, sind wir zutiefst enttäuscht von der Ablehnung des Antrags der SPD- und Linksfraktion zur zusätzlichen Aufnahme von Geflüchteten durch den Rat der Stadt Bonn am Montag, 7. September 2020. Während die anstragstellenden Fraktionen und die Grünen-Fraktion für den Antrag stimmten, lehnten die sonstigen Fraktionen (CDU, FDP, BBB und AfB) ihn ab.
Ziel des Antrags war es, im Sinne der Mitgliedschaft Bonns im Bündnis „Städte Sicherer Häfen" an das Bundesinnenministerium die Bereitschaft Bonns zu signalisieren, 200 Geflüchtete von den griechischen Inseln aufzunehmen und diese in Bonn dezentral unterzubringen.
Seit drei Monaten stehen wir jede Woche mittwochs vor dem Alten Rathaus und machen auf die kritische Lage in den griechischen Lagern aufmerksam: In den EU-Lagern auf den griechischen Inseln sitzen noch immer mehr als 13.000 Geflüchtete unter prekärsten gesundheitlichen und sanitären Bedingungen fest. Bereits vor der Corona-Pandemie war die Situation untragbar, mit der weltweiten Verbreitung des Virus verschärfte die Situation sich jedoch erneut. Insbesondere mit Hinblick auf die in dieser Woche festgestellten ersten Corona-Infektionen im größten Lager Moria, in welchem Hygiene- und Abstandsregeln nicht eingehalten werden können, hat der Rat der Stadt Bonn am vergangenen Montag seine Chance verpasst, bundes- und europapolitisch ein starkes Zeichen zu setzen. Durch die Annahme des Antrags hätte die Stadt Bonn die Möglichkeit gehabt, an die Verantwortung der politischen Entscheidungsträger*innen wie dem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu appellieren, die menschengemachte humanitäre Katastrophe auf den griechischen Inseln unverzüglich zu beenden. Mit der Ablehnung des Antrags widerspricht der Rat der Stadt Bonn dem Geist des Bündnis „Städte Sicherer Häfen“, dem Bonn im vergangen September per Ratsbeschluss beitrat und bestätigte damit unsere Einschätzung, dem demokratischen Beschluss keine Taten folgen lassen zu wollen.
In diesem Sinne blicken wir den Kommunalwahlen am 13. September erwartungsvoll entgegen, die hoffentlich neue Mehrheiten im Rat der Stadt Bonn und womöglich eine verantwortungsvollere und tatkräftigere Rolle im Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ zur Folge haben werden.
Die Ratsentscheidung fand auch Widerhall in Leserbriefen des General Anzeiger. Wir zitieren zwei:
1 Inkonsequent und enttäuschend Vor knapp einem Jahr entschied der Rat der Stadt Bonn, dem Bündnis der Städte Sicherer Häfen beizutreten. Er erklärte damit seine Bereitschaft, aus Seenot Gerettete aufzunehmen zusätzlich zu dem geregelten Verfahren. Der jetzige Antrag auf Aufnahme von 200 Geflüchteten aus den griechischen Lagern, die in einer ähnlichen Notsituation sind wie die aus Seenot geretteten Menschen, sollte diesem Beschluss Taten folgen lassen.
Inkonsequenterweise lehnte der gleiche Rat nun mit knapper Mehrheit diesen Beschluss mit
fadenscheinigen Begründungen ab. Dies ist eine herbe Enttäuschung. Weder der Verweis auf die
Übererfüllung der Verteilungsquote durch die Stadt Bonn noch die Herabstufung des
Antragsanliegens als symbolischer Akt sowie der Verweis auf die notwendige europäische Lösung
sind eine angemessene Antwort auf die aktuelle humanitäre Krise, die sich auf den griechischen
Inseln abspielt.
Mit einer Annahme des Antrags hätte die Stadt Bonn die Bemühungen des Landes NRW zur
Aufnahme von Menschen aus Lesbos unterstützen können - FDP-Integrationsminister Dr. Stamp
hatte sich zuletzt für die Aufnahme von 500 Geflüchteten ausgesprochen - und gleichzeitig den
Druck auf den Bundesinnenminister erhöhen können, endlich einem höheren Aufnahmekontingent
durch Länder und Kommunen zuzustimmen.
Zwei Tage nach dem Ratsbeschluss ist das Lager in Moria abgebrannt und 12000 Menschen irren
obdachlos auf der Insel umher. Armin Laschet will jetzt sogar 1000 davon in NRW aufnehmen und
Bonn steht mit diesem Ratsbeschluss beschämt dar... Welch eine Schande für die weltoffene Stadt
Bonn und ihre vielen Ehrenamtlichen, die bereit sind, sich für Geflüchtete zu engagieren!
Rainer van Heukelum, Bonn
2.
Leserbrief zum Ratsbeschluss „Ablehnung der Aufnahme von 200 Flüchtlingen“ (GA 9.9.20, S. 17)
Die Stadt Bonn ist Mitglied im Bündnis „Städte Sicherer Häfen“. Mit Schrecken und Scham habe ich die Meldung wahrgenommen, dass der Antrag auf Aufnahme von 200 Flüchtlingen mit der Ratsmehrheit von CDU, FDP, BBB und AfB abgelehnt worden ist. Damals war es die angeschwemmte Kinderleiche von Alan Kurdi, nun sind es die obdachlosen Flüchtlinge auf Lesbos, die uns die katastrophale Lage von Menschen auf der Flucht drastisch vor Augen führen. Wie kann man angesichts dieser Bilder und Informationen die Aufnahme von Geflüchteten verweigern? Kapazitäten zur Aufnahme sind vorhanden, Gruppen von erfahrenen Ehrenamtlichen sind bereit, die Geflüchteten in ihrem Ankommen zu begleiten – und da sollte es nicht möglich sein, 200 Menschen ein sicheres Obdach zu gewähren? Bonn – ein sicherer Hafen der Humanität? Wenn die Beschlusslage so bleibt, wäre das eine Schande für die Bürgervertretung einer Stadt, die sich ihrer Kultur rühmt, sich weltoffen gibt und in ihrer Mehrheit die Werte des christlichen Glaubens hochhält. Christoph Nicolai, Bonn
Christoph Nicolais Schlusssatz wurde nicht abgedruckt. Hier ist er: („Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“, Jesus Christus, Matthäus 25, V. 35).