Anerkannt in Griechenland, abgelehnt in Deutschland? Die Odyssee der »Anerkannten«

13.04.2022 Seit dem 1. April entscheidet nach langem Stopp das BAMF wieder in Verfahren derjenigen, die in Griechenland bereits anerkannt waren. Bei den sogenannten »Anerkannten« aus Griechenland hat sich in den letzten 27 Monaten durch den Entscheidungsstopp ein Rückstau von 43.041 nicht bearbeiteten Asylanträgen gebildet.  Auf Nachfrage von PRO ASYL teilt das BAMF mit, dass bei diesen Fällen »im Regelfall eine inhaltliche Prüfung der Asylanträge« erfolgen werde, auch wenn »Unzulässigkeitsentscheidungen in begründbaren Einzelfällen […] nicht ausgeschlossen« seien. Im Klartext: Die Asylanträge sollen in aller Regel nicht als unzulässig abgelehnt werden. Das Damoklesschwert einer drohenden Abschiebung nach Griechenland dürfte damit in den meisten Fällen vom Tisch sein.

Dies sei, so Pro Asyl, leider nur ein Teilerfolg. Denn statt den Schutzstatus aus Griechenland zu übernehmen, soll ein komplett neues Asylverfahren mit offenem Ausgang durchgeführt werden. Da kann es passieren, dass die "Anerkannten" in Deutschland am Ende einen schlechteren Status als in Griechenland erhalten oder im schlimmsten Fall sogar komplett abgelehnt werden. Pro Asyl erklärt dagegen: Die Anerkannten aus Griechenland haben ein Recht darauf, endlich in Sicherheit und Würde leben und all jene Rechte wahrnehmen zu können, die ihnen als international Schutzberechtigten zustehen.

Der ganze Beitrag aus den News von Pro Asyl:

Anerkannt in Griechenland, abgelehnt in Deutschland? Die Odyssee der »Anerkannten«

Nach monatelangem Entscheidungsstopp kündigt das BAMF an, dass bei Asylsuchenden, die in Griechenland schon anerkannt sind, ein reguläres Asylverfahren durchgeführt werden soll. Das Problem: An die Entscheidung aus Griechenland fühlt sich die Behörde nicht gebunden.

Wer in den letzten zwei Jahren mit einem Schutzstatus aus Griechenland nach Deutschland gekommen ist und hier einen Asylantrag gestellt hat, brauchte vor allem eins: Ganz viel Geduld. Seit Dezember 2019 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asylanträge von Asylsuchenden, die bereits in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt wurden oder subsidiären Schutz erhalten haben, liegen gelassen und nicht weiter bearbeitet.

Zur Erinnerung: Aufgrund der katastrophalen Zustände in Griechenland, die PRO ASYL immer wieder angeprangert hat, fliehen viele Flüchtlinge nach ihrer Anerkennung in Griechenland weiter in andere europäische Länder – darunter auch nach Deutschland. Wenn ihr Asylantrag hier – wie bisher üblich – nicht bearbeitet wird,  leben sie in der Schwebe. Die lange Wartezeit bedeutet eine große Unsicherheit und zermürbt viele Menschen. Die deutsche Rechtsprechung ist sich seit letztem Jahr weitgehend einig, dass die Menschen nicht ins Elend nach Griechenland zurückgeschickt werden dürfen.

Die lange Wartezeit bedeutet eine große Unsicherheit und zermürbt viele Menschen.

Entscheidungsstopp: 43.041 nicht bearbeitete Asylanträge

Nichtsdestotrotz hat das BAMF in der Durchsetzung seines Entscheidungsstopps sogar verfügt, gerichtliche Entscheidungen zu ignorieren. So wird in einem internen Rundschreiben von Mai 2021 angeordnet, dass in Fällen, in denen ein Gericht das BAMF verpflichtet hat, endlich über einen Asylantrag zu entscheiden, das Urteil nicht umgesetzt werden soll. Eine Entscheidung – sprich eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und die Androhung der Abschiebung nach Griechenland – sollte erst ergehen, wenn beim Gericht ein Antrag auf Anordnung eines Zwangsgeldes gegen das BAMF gestellt worden war.

Insgesamt hat sich bei den sogenannten »Anerkannten« aus Griechenland in den letzten 27 Monaten durch diesen Entscheidungsstopp ein Rückstau von 43.041 nicht bearbeiteten Asylanträgen gebildet (Drucksache 20/1221, S. 3). Bei der mit Abstand größten Gruppe dieser Menschen handelt es sich um Syrer*innen (20.197), gefolgt von Geflüchteten aus Afghanistan (12.712) und dem Irak (5.150).

April 2022: Bundesamt entscheidet wieder 

Kürzlich wurde bekannt, dass das BAMF sich nun mit diesen Fällen befassen wird. In einem aktuellen Rundschreiben  informiert das BAMF die Gerichte, dass »seit 1. April 2022 die Entscheidungstätigkeit in diesen Verfahren wieder aufgenommen [wurde]«. Neben »sicherheitsrelevanten« Fällen sollen zunächst Anträge von vulnerablen oder besonders schutzbedürftigen Menschen bearbeitet werden. Die Hoffnung, dass sich die Situation für Anerkannte in Griechenland zumindest soweit verbessert, dass Abschiebungen dorthin von deutschen Verwaltungsgerichten nicht mehr grundsätzlich untersagt werden, scheint das BAMF zumindest für den Moment aufgegeben zu haben.

Abschiebung nach Griechenland in aller Regel vom Tisch

Auf Nachfrage von PRO ASYL teilt das BAMF mit, dass bei diesen Fällen »im Regelfall eine inhaltliche Prüfung der Asylanträge« erfolgen werde, auch wenn »Unzulässigkeitsentscheidungen in begründbaren Einzelfällen […] nicht ausgeschlossen« seien. Im Klartext: Die Asylanträge sollen in aller Regel nicht als unzulässig abgelehnt werden. Das Damoklesschwert einer drohenden Abschiebung nach Griechenland dürfte damit in den meisten Fällen vom Tisch sein.

Kein Erfolg auf ganzer Linie

Was zunächst nach einem Erfolg auf ganzer Linie klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung leider nur als Teilerfolg. Ja, das BAMF sieht sich angesichts der erdrückenden Sachlage und der eindeutigen Rechtsprechung gezwungen, die betroffenen Menschen nicht mehr auf Griechenland zu verweisen und ihnen die Abschiebung dorthin nicht länger  anzudrohen. Dies ist auch das Verdienst von unserem Team von Refugee Support Aegean (RSA) in Griechenland, das seit Jahren die Situation von Anerkannten in Griechenland dokumentiert und dessen Stellungnahmen eine zentrale Erkenntnisquelle für deutsche und europäische Gerichte sind.

BAMF fühlt sich an griechische Asylentscheidung nicht gebunden

Das Problem ist jedoch, dass das BAMF die Asylanträge nun inhaltlich im Hinblick auf die Fluchtgründe aus dem Herkunftsland prüfen möchte und sich dabei nicht an die Statusentscheidung aus Griechenland gebunden fühlt. Statt den Schutzstatus aus Griechenland zu übernehmen, soll ein komplett neues Asylverfahren mit offenem Ausgang durchgeführt werden. Ob das überhaupt zulässig ist, ist rechtlich umstritten.

Was bedeutet das für die betroffenen Menschen? Ihr Schutzbedarf wurde in einem Asylverfahren in Griechenland bereits festgestellt. Da sich das BAMF jedoch nicht an diese Entscheidung gebunden fühlt, sondern ein ergebnisoffenes Asylverfahren durchführen möchte, kann es passieren, dass sie am Ende einen schlechteren Status als in Griechenland erhalten oder im schlimmsten Fall sogar komplett abgelehnt werden.

Menschen mit Flüchtlingsanerkennung in Griechenland wären im Fall einer Komplettablehnung durch das BAMF aufgrund der ausländischen Flüchtlingsanerkennung vor einer Abschiebung ins Herkunftsland geschützt (§60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Bei ihnen ist es unter bestimmten Voraussetzungen auch möglich, die Verantwortung für die Ausstellung des Flüchtlingspasses von Griechenland auf Deutschland zu übertragen, sodass sie als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland leben können (vgl. bspw. VG Minden, Urteil vom 07.12.2021 – 7 K 2885/20 – asyl.net: M30345).

Bei jenen, die in Griechenland als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt wurden, ist hingegen zu befürchten, dass das BAMF davon ausgehen wird, dass sogar eine Abschiebung ins Herkunftsland nicht ausgeschlossen ist.

Anerkennung in Griechenland, Ablehnung in Deutschland?

Letztlich bleibt abzuwarten, wie das BAMF nun inhaltlich über die Asylanträge entscheiden wird. Ein Blick auf die aktuelle Entscheidungspraxis der Behörde bei den beiden größten Flüchtlingsgruppen unter den Anerkannten aus Griechenland verdeutlicht exemplarisch, zu was für absurden Konstellationen die Durchführung eines ergebnisoffenen Asylverfahrens führen könnte.

Syrer*innen mit Schutzstatus in Griechenland sind dort fast ausnahmslos als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden (2019–2021: 99,7% GFK-Status, 0,3% subsidiärer Schutz; eigene Berechnung anhand von EUROSTAT). In Deutschland hingegen erhalten sie überwiegend subsidiären Schutz. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es zahlreiche Syrer*innen geben wird, die trotz Flüchtlingsanerkennung in Griechenland hier in Deutschland nur subsidiären Schutz erhalten. Das hat Auswirkungen etwa auf den Familiennachzug. Zwar hat die Ampel-Regierung angekündigt, bei subsidiär Geschützten die Einschränkungen aufzuheben, die sie bislang gegenüber Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention beim Familiennachzug hatten, jedoch ist dieses Versprechen noch nicht in die Tat umgesetzt.

In Griechenland anerkannte Afghan*innen haben in den letzten Jahren dort in der Mehrzahl subsidiären Schutz erhalten (2019–2021: 47% GFK-Status, 53% subsidiärer Schutz; eigene Berechnung anhand von EUROSTAT). In Deutschland stellt das BAMF aktuell überwiegend fest, dass wegen der katastrophalen humanitären Lage in Afghanistan ein nationales Abschiebungsverbot vorliegt. In geringerem Maße werden Afghan*innen auch als Flüchtlinge anerkannt, subsidiärer Schutz wird hingegen kaum gewährt. Vereinzelt sind auch Komplettablehnungen möglich; Entscheidungen zu jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männern sind weiterhin zurückgestellt (Drucksache 20/765, S. 18).

Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass viele der in Griechenland anerkannten Afghan*innen in Deutschland am Ende nur mit einem nationalen Abschiebungsverbot dastehen, in vereinzelten Fällen möglicherweise sogar komplett abgelehnt werden. Sollte es tatsächlich zu Komplettablehnungen kommen, könnte es bei all jenen, die in Griechenland »nur« subsidiären Schutz haben, sogar passieren, dass das BAMF die Abschiebung nach Afghanistan androht.

Das unwürdige Schauspiel muss ein Ende haben!

Die Anerkannten aus Griechenland haben ein Recht darauf, endlich in Sicherheit und Würde leben und all jene Rechte wahrnehmen zu können, die ihnen als international Schutzberechtigten zustehen. Ihr Schutzbedarf wurde längst festgestellt. Es mag verfahrensrechtlich geboten sein, nach der Feststellung, dass eine Rückkehr nach Griechenland ausscheidet, pro forma ein neues Asylverfahren durchzuführen. Dabei muss jedoch die Entscheidung aus Griechenland übernommen werden, zumindest darf es keine Schlechterstellung geben. Alles andere verlängert nicht nur unnötig den unerträglichen Schwebezustand, in dem sich die betroffenen Geflüchteten seit Jahren befinden, sondern läuft auch der Idee eines »Gemeinsamen Europäischen Asylsystems« komplett zuwider.