08.11.2022 Der mdr widmet einen Beitrag dem Vorwurf eines Pullfaktors ( z. B. Merz´ hetzendes Wort vom "Sozialtourismus") der Sozialleistungen und stellt mit einem Faktencheck fest: Sozialleistungen sind nicht der Grund, in Deutschland Zuflucht zu suchen. Entscheidende Gründe sind die Pushfaktoren Krieg oder Armut und gute Arbeitsmöglichkeiten und bereits im Land lebende Verwandte oder Freunde mit ihren Erfahrungen.
Hier der Beitrag des mdr:
Sozialleistungen sind kein Fluchtgrund – ein Faktencheck
Wenn in Deutschland die Zahl der Geflüchteten steigt, wird oft über Pull-Faktoren diskutiert – also Anreize, die Geflüchtete in ein Land ziehen. Ein Vorwurf: Geflüchtete kommen vor allem wegen der Sozialleistungen nach Deutschland. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat den Vorwurf bei Maybrit Illner zurückgewiesen: "Das mit den Pull-Faktoren ist durch nichts belegt. Es stimmt einfach nicht, dass Menschen hierherkommen, weil sie mehr Geld bekommen." Ein Faktencheck.
- Laut einer Professorin für Migrationsforschung kann man nicht von Pull-Faktoren aufgrund von Sozialleistungen sprechen.
- Entscheidende Gründe für die Flucht sind Push-Faktoren wie Krieg oder Armut.
- Eine Studie zu Dänemark sieht einen Zusammenhang zwischen Sozialleistungen und Fluchtbewegungen. Allerdings habe sie eine eingeschränkte Aussagekraft, sagen Migrationsforscher.
Für Birgit Glorius ist klar, dass Nancy Faeser mit ihrer Aussage recht hat. Glorius ist Professorin für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung an der TU Chemnitz. "Wir haben durchaus Modelle, in denen versucht wird, Migration zu erklären. Da gibt es auch diesen Begriff der Pull-Faktoren. Allerdings haben diese Modelle insgesamt vier Komponenten und Pull-Effekte ist nur einer davon. Andere sind Push-Effekte, also Faktoren, die Menschen überhaupt dazu bewegen, ihr Heimatland zu verlassen."
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Die Frage, in welches Land Geflüchtete gehen, sei multikausal – man könne also nicht von Pull-Faktoren aufgrund von Sozialtransferleistungen sprechen, erklärt Glorius. Die Push-Faktoren, also warum Geflüchtete aus ihren Ländern "weggedrückt" werden, sind zum Beispiel Krieg oder Armut. Dazu sei entscheidend, ob sie schon Verwandte in einem Land haben und wie gut die Arbeitsmöglichkeiten sind.
Ähnlich sieht das Marcus Engler. Er ist Migrationsforscher am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin und sagt, die Annahme, dass Menschen dahin gingen, wo es die höchsten Sozialleistungen gebe, könnten viele Studien nicht bestätigen. Die Geflüchteten suchten sich das Land, in das sie gehen, nicht wie in einem Katalog aus und verglichen auch nicht die Höhe der Sozialleistungen. "Die Situation von Flucht ist häufig gekennzeichnet von sehr kurzfristigen Entscheidungen und auch von sehr eingeschränkten Möglichkeiten, überhaupt irgendwohin zu kommen", erklärt Engler.
Studie sieht Zusammenhang zwischen Flucht und Sozialleistungen
Bei Nancy Faesers Aussage gibt es jedoch ein Aber. So existiert durchaus eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Sozialleistungen und Fluchtbewegungen sieht. Dafür hatten sich Wissenschaftler der Princeton-University die Einwanderung in Dänemark angesehen – zwischen 1980 und 2017. Das Ergebnis: Wurden Sozialleistungen im Land gekürzt, ging auch die Zahl der Geflüchteten zurück.
Nach Einschätzung von Tobias Heidland vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel ist die Studie sehr gut gemacht. Aber: "Das heißt nicht, dass sie perfekt ist. Eine Sache, die die Studie leider nicht richtig abdeckt, ist, was sich noch zur gleichen Zeit verändert hat. Es wurden eben auch in anderen Bereichen, zum Beispiel beim Familiennachzug, Einschränkungen vorgenommen und die sind nicht berücksichtigt worden in der Studie."
Deshalb sagt auch Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung: Die dänische Studie habe eine sehr eingeschränkte Aussagekraft. Weil sie viele andere Faktoren ausblende.