15.07.2024 Wir zitieren aus den News von Pro Asyl vom 08.07.2024:
Bei den Konferenzen der Ministerpräsident*innen und der Innenminister*innen im Juni ging es vor allem darum, wie Geflüchtete von Deutschland ferngehalten werden und wie mehr Menschen, die bereits in Deutschland sind, abgeschoben werden können. PRO ASYL sieht in den Beschlüssen die Ergebnisse einer völlig entgleisten politischen Debatte.
Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (MPK) am 20. Juni 2024 in Berlin
Die Rolle der Ministerpräsident*innenkonferenz (MPK) hat sich seit dem Beginn der Corona-Pandemie stark gewandelt. Die ursprüngliche Definition des Treffens lautet: »Die MPK wurde auf Initiative der Ministerpräsidenten als ´Gremium der Selbstkoordination‚ der Länder ins Leben gerufen. Ziel ihrer Beratungen ist die Abstimmung gemeinsamer Positionen der Länder untereinander bzw. gegenüber dem Bund in wichtigen politischen Fragen außerhalb des normalen Gesetzgebungsverfahrens. Anders als der Bundesrat ist sie kein Verfassungsorgan.«
Das Treffen entwickelt sich seit dem Beginn der Pandemie 2020 jedoch immer mehr zu einem Gremium, das die Bundesgesetzgebung stark beeinflusst. Besonders zu beobachten ist dies im Bereich Flucht und Migration. Für Abschiebungen, Auslagerung von Asylverfahren, Bezahlkarte, Einstufung von Herkunftsländern als sicher, Umsetzung von GEAS in Deutschland und für viele weitere Themen kommen die Impulse inzwischen aus der MPK. Nicht selten finden diese Impulse dann auch Einzug in die Bundesgesetzgebung, wie zum Beispiel bei den neuen rechtlichen Verschärfungen bei Abschiebungen.
Auch bei der MPK im Juni 2024 ging es hauptsächlich um die Reduzierung der Zahlen von Ankommenden und in Deutschland lebenden Geflüchteten ohne Aufenthaltstitel.
Unter der Prämisse »Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung, die wirksam für Entlastung sorgen und den irregulären Zuzug unterbinden« (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 1) wurden die Restriktionen der vorangegangenen Treffen bestätigt und einige neue beschlossen.
AUSLAGERUNG DER ASYLVERFAHREN IN TRANSIT- UND DRITTSTAATEN
So bitten die Länder die Bundesregierung, konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln und dabei insbesondere auch dafür erforderliche Änderungen in der EU-Regulierung sowie gegebenenfalls im nationalen Asylrecht anzugehen. (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 2)
PRO ASYL und viele weitere im Innenausschuss angehörte Expert*innen wissen jedoch, dass eine Auslagerung des Flüchtlingsschutzes in Transit- oder Drittstaaten die Schwierigkeiten deutscher Kommunen bei der Aufnahme von Schutzsuchenden nicht lösen, aber gravierende Menschenrechtsverletzungen, hohe Kosten und Aufwand sowie Abhängigkeit von Drittstaaten verursachen wird. PRO ASYL forderte deswegen vor dem Treffen mit über 300 Organisationen, Menschen zu schützen, statt Asylverfahren auszulagern.
ABSCHIEBUNGEN NACH SYRIEN UND AFGHANISTAN
Zudem bitten die Länder die Bundesregierung, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um Personen, die schwere Straftaten begehen, auch nach Syrien und Afghanistan abschieben zu können. Jedoch sind Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen mit dem Rechtsstaat und Völkerrecht unvereinbar – und genau das ist in Syrien und Afghanistan der Fall. Außerdem soll das Ausweisungsrecht bei »Billigung terroristischer Straftaten« – für die schon ein Like bei Social Media reichen soll – stark verschärft werden. Das Bundesinnenministerium hat hierfür bereits einen Entwurf gemacht.
Schon länger versuchen einige Bundesländer, solche völkerrechtswidrigen Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan zu forcieren. Bei der letzten IMK im Dezember 2023 war ein entsprechender Prüfauftrag beschlossen worden. Nach der schrecklichen Tat von Mannheim hat die Debatte stark an Fahrt aufgenommen und selbst Bundeskanzler Scholz und Bundesinnenministerin Faeser stellten sich hinter die Forderung. Der deutsche Rechtsstaat muss sich aber dadurch auszeichnen, dass eine so erschreckende Tat, wie der Angriff in Mannheim, zu einem angemessenen Strafverfahren führt. Rechtsstaatliche Grundsätze wie das Verbot der Abschiebung in Länder, in denen Folter und unmenschliche Behandlung droht, dürfen einer aufgeheizten Debatte jedoch nicht geopfert werden.
Stand jetzt erscheinen die Forderungen auch weiterhin wenig realistisch: Zum einen, weil beide Regime diplomatisch geächtet werden und es keine Beziehungen zu ihnen gibt. Ob wirklich Nachbarländer an deutschen Abschiebungen mitwirken würden, ist auch höchst zweifelhaft. Zum anderen ist angesichts der schweren Menschenrechtsverletzungen in den Ländern davon auszugehen, dass deutsche Gerichte entsprechende Abschiebungsversuche stoppen würden.
MEHR MIGRATIONS- UND RÜCKFÜHRUNGSABKOMMEN
Weiterhin fordern die Länder die Bundesregierung auf, »den Abschluss von Migrations- und Rückführungsabkommen auf höchster politischer Ebene intensiv voranzutreiben, insbesondere mit denjenigen Staaten, aus denen die meisten irregulären Flüchtlinge mit geringen Anerkennungsquoten nach Deutschland kommen«. (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 4)
Die Folgen der sogenannten Migrations- und Rückführungsabkommen, wie Menschenrechtsverletzungen und die Abhängigkeit von Autokratien, hat PRO ASYL in der Vergangenheit schon häufig kritisiert, zum Beispiel beim Tunesien-Deal und beim EU-Türkei-Abkommen.
BINNENKONTROLLEN UND LEGALISIERUNG VON PUSHBACKS
Des Weiteren begrüßen die Länder die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen und sprechen sich dafür aus, »dass die EU-Rückführungsrichtlinie bei einer Neufassung so abzufassen ist, dass Zurückweisungen an der Grenze weiter zweifelsfrei in einer praktikablen Weise erfolgen können und dabei auch Verfahren für die Zurückweisung von Personen aus sicheren Drittstaaten entwickelt werden«. (TOP 5.1 Umsetzungsstand der Beschlüsse, 5) Damit zeigt der Beschluss auch wenig Verständnis für die tatsächlichen rechtlichen Gegebenheiten. Europarechtlich steht der direkten Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Binnengrenzen aktuell die Dublin-III-Verordnung (und ab 2026 die Asyl- und Migrationsmanagementverordnung) entgegen, die genau regeln, wie Asylsuchende in andere EU-Mitgliedstaaten zu überstellen sind. Insbesondere muss erst geprüft werden, ob es nicht systemische Mängel in dem Land gibt, die eine Überstellung verbieten würden. Sollte es tatsächlich um Abschiebungen in Nicht-EU-Länder gehen – die angeblich für die Person »sicher« seien – dann muss erst recht eine Prüfung bezüglich dieser Sicherheit stattfinden. Alles andere wäre völkerrechtswidrig und ein illegaler Pushback. Dass der Ministerpräsident Stephan Weil selbst bei der Pressekonferenz nach der MPK von Pushbacks an den Binnengrenzen spricht, zeigt eine völlige Entgleisung der Debatte.
EINHEITLICHER BARBETRAG BEI DER BEZAHLKARTE
Außerdem einigten sich Bund und Länder auf einen einheitlichen Barbetrag von 50 Euro, der geflüchteten Menschen mit Bezahlkarte zur Verfügung stehen soll. PRO ASYL kritisiert die Bezahlkarte grundsätzlich als Diskriminierungsinstrument.
Gerade die geringe Menge des Barbetrags ist ein Schlag gegen die gesellschaftliche Teilhabe von neu angekommenen Menschen. Denn Bargeld brauchen die Menschen zum Beispiel für Dorf- und Gemeindefeste, Beiträge für Sportvereine, Einkäufe in kleinen Läden, Ratenzahlung für Anwält*innen und vieles mehr.
Den Abschluss der News bildet der Blick auf die
Sitzung der Innenministerkonferenz (IMK) vom 19. bis 21. Juni 2024 in Potsdam
Zum wiederholten Male ging es bei der IMK ganz maßgeblich um die Problematisierung von Flucht und Migration. Diese Fokussierung auf Abschiebung und Abschottung befeuert die flüchtlingsfeindlichen Diskurse und Debatten und verfestigt das falsche Bild in der öffentlichen Wahrnehmung, dass Migration das größte gesellschaftliche Problem derzeit sei. Eine brandgefährliche Debatte, die sich auch in einer massiv erhöhten Zahl an Übergriffen auf Geflüchtete zeigt.
In sieben Punkten werden die Ergebnisse aufgelistet. (s. News)