Asyl im Zeichen des Regenbogens

01.10.2022 Wir zitieren einen Beitrag aus den News von Pro Asyl:

Asyl im Zeichen des Regenbogens?

Homosexuelle und queere Menschen haben es schwer, in Deutschland Asyl zu erhalten. Behörden oder Gerichte argumentieren häufig, ein Schutzstatus sei unnötig, weil sie ihre Sexualität im Herkunftsland ja heimlich leben könnten. Das stürzt viele Betroffene in eine Krise. Das Bundesinnenministerium hat nun zum 1. Oktober Verbesserungen angekündigt.

Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari hat Angst – große Angst. Er ist schwul, stammt aus Algerien und lebt seit rund drei Jahren in Hessen. Doch nun droht ihm die Abschiebung, weil seine Homosexualität vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Frankfurter Verwaltungsgericht nicht als Schutzgrund anerkannt wird. »Ich habe Angst um mein Leben, weiß nicht, was passiert. Ich kann wieder verfolgt werden. Ich kann ermordet werden, das geht ganz leicht«, sagt er gegenüber dem Hessischen Rundfunk. In Algerien werden Homosexuelle verfolgt und drangsaliert, die Gesellschaft ist sehr homophob. Ein Student aus Algier ist 2019 getötet worden, weiß Abdelkarim von einem Freund. »Er war schwul«, habe man mit seinem Blut an die Wand geschrieben.

In Deutschland lebt der angehende Elektriker Abdelkarim so offen schwul, wie es nur möglich ist: Er hat sich in großen Medien deutlich positioniert und an einer Datingshow teilgenommen, er setzt sich als Aktivist für die Rechte von LSBTIQ-Geflüchteten ein und hat 2019 in Frankfurt auf der CSD-Bühne gestanden und über die Situation von Homosexuellen in Algerien gesprochen. Doch all das reicht dem Richter am Frankfurter Verwaltungsgericht nicht aus. Im März 2020 bestätigte er die Ablehnung von Abdelkarims Asylantrag durch das BAMF. Abdelkarim, der seinen Freund mit zur Verhandlung brachte, stellte einen Asylfolgeantrag, den das BAMF am 12. Februar 2021 als unzulässig ablehnte. Auch dagegen klagte der Mittdreißiger. Vor wenigen Wochen, am 23. August, hat das Verwaltungsgericht Frankfurt die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Entschieden hat das derselbe Richter, der bereits im vorherigen Verfahren für seinen Fall zuständig war – und der dafür bekannt ist, so gut wie nie positive asylrechtliche Entscheidungen zu treffen. Politisch mag es fragwürdig sein, dass derselbe Richter ein zweites Mal über einen Fall entscheidet, rechtlich aber ist es korrekt.

Abdelkarims Fall steht beispielhaft für eine europarechtswidrige Praxis des BAMF

Der Richter zweifelt nicht die Homosexualität des Algeriers an sich an, sondern lehnt den Asylantrag ab mit der Begründung, Abdelkarim könne seine geschlechtliche Identität in Algerien ja heimlich leben und würde so einer möglichen Verfolgung entgehen. Das BAMF und deutsche Gerichte verweisen immer wieder auf ein solch »diskretes Verhalten« im Herkunftsland, bekannt als Diskretionsgebot. Dass damit ein gefährliches, lebenslanges Versteckspiel einhergeht, wird ignoriert. Der Fall des 35-Jährigen steht damit stellvertretend für eine Praxis, mit der das BAMF und Gerichte seit Jahren ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unterlaufen. Der EuGH stellte schon 2013 klar, dass die zuständigen Behörden »vernünftigerweise nicht erwarten [können], dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.« Doch bislang wurde das von deutschen Behörden und Gerichten missachtet.

»Dieses Rumgesuche nach Gründen, weswegen eine Person doch womöglich nicht homosexuell ist, führt zu massiven Fehlern in den Entscheidungen [des BAMF]«  Knud Wechterstein von Rainbow Refugees

Anstatt der Rechtsprechung des höchsten europäischen Gerichts zu folgen, haben sie Wege gefunden, das Diskretionsgebot weiterhin anzuwenden und so Asylanträge von LSBTIQ-Asylsuchenden abzulehnen. »Um das erwartete Verhalten der geflüchteten Person zu ermitteln, stellen sie eine kaum untermauerte ‚Prognose des zukünftigen Verhaltens‘ an, anhand dessen sie eine fiktive Verfolgungswahrscheinlichkeit bei Rückkehr ins Herkunftsland konstruieren«, erklärt der Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Salopp formuliert prognostizieren deutsche Institutionen einfach, dass der Asylbewerber im Herkunftsland wohl diskret leben würde und deshalb nicht gefährdet sei. Diese Praxis ist als Diskretionsprognose bekannt.

 

Zu diesen rechtlich äußerst fragwürdigen Konstruktionen kommt hinzu, dass die Entscheidungen des BAMF mit Blick auf queere Geflüchtete häufig falsch sind. Ein Großteil derjenigen, die gegen ihre Asylablehnung klagen, bekommt vor Gericht Recht. Das hat unter anderem die Beratungsstelle Rainbow Refugee Support dokumentiert, die bei der Aidshilfe Hessen angesiedelt ist. »Dieses Rumgesuche nach Gründen, weswegen eine Person doch womöglich nicht homosexuell ist, führt zu massiven Fehlern in den Entscheidungen [des BAMF]«, sagt Knud Wechterstein von Rainbow Refugees in einem Interview. »Das sehen wir vor allem in Entscheidungen aus den Jahren 2015 bis 2017, in denen die Bescheide keine gute Qualität hatten und sie reihenweise von den Verwaltungsgerichten kassiert wurden.«

Jede Spende schützt Flüchtlinge

Es ist immer wieder zu absurden Situationen gekommen, verbunden auch mit der Unterbringung von queeren Geflüchteten in regulären Erstaufnahmeeinrichtungen. Outen sie sich dort, setzen sie sich der Gefahr von Diskriminierung, Mobbing oder gar Gewalt durch andere Flüchtlinge aus. Selbst Fälle von Vergewaltigungen wurden schon bekannt. Probleme beim Thema Gewaltschutz gibt es laut dem LSVD bundesweit. So ist es nicht verwunderlich, dass die meisten queeren Geflüchteten in deutschen Massenunterkünften ihre Sexualität nicht zur Schau stellen. Genau das erweist sich aber später als nachteilig für sie, wenn nämlich das BAMF und Gerichte, die über ihren Asylantrag entscheiden, damit argumentieren, ihnen sei es offenkundig nicht wichtig, ihre Sexualität offen zu leben, schließlich hätten sie das bislang auch nicht getan. Berichtet ein Asylbewerber bei seiner Anhörung, dass er nicht jedem sagt, dass er homosexuell ist, wird ihm ein Strick daraus gedreht und vom BAMF die Konsequenz gezogen, dass er folglich in sein Herkunftsland zurückgeschickt werden könne – entgegen der Rechtsprechung des EuGH.

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