Asylverfahren in NRW So läuft die Aufnahme und Verteilung von Geflüchteten

05.09.2024 In der nach dem Anschlag von Solingen entstandenen hitzigen Debatte trug die Rheinische Post / Generalanzeiger sachliche Informationen zusammen, die wir hier zitieren:

Asylverfahren in NRW So läuft die Aufnahme und Verteilung von Geflüchteten

04.09.2024 , 13:14 Wer als Flüchtling nach Nordrhein-Westfalen kommt, muss ein mehrstufiges Verfahren durchlaufen. Bis über einen Asylantrag entschieden wird, können bis zu zwei Jahre vergehen. Minderjährige stehen unter besonderem Schutz.

Nach dem Anschlag in Solingen, bei dem am 23. August zwei Männer und eine Frau mit einem Messer getötet worden waren, diskutiert Deutschland über Obergrenzen, Rückführungen und Abschiebungen. Der mutmaßliche Täter ist ein Syrer, der Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat sein soll. Der 26-Jährige hätte eigentlich 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, was aber scheiterte.

Zuletzt hatte er in einer Flüchtlingsunterkunft in Solingen gelebt, dort war er seit September 2023, zusammen mit anderen jungen Männern aus Syrien, Algerien oder Afghanistan. In der Unterkunft an der Goerdelerstraße sind aber auch Familien aus der Ukraine untergebracht. Sie alle müssen in Nordrhein-Westfalen ein mehrstufiges Verfahren durchlaufen.

Alle Flüchtlinge, die NRW ankommen, müssen sich nach Angaben des NRW-Fluchtministeriums zunächst persönlich in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum melden. Dort werden sie registriert und erhalten wichtige Erstinformationen. Wer den Asylantrag nach dem Verteilschlüssel des Bundes in NRW stellen darf, wird in eine der fünf Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) des Landes gebracht. Dort werden die Flüchtlinge medizinisch untersucht. Sie können nun ihren Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF) stellen. Es erfolgt eine Anhörung zu den Asylgründen.

[Präzisierung von Weltoffen-Bonn: Eine dieser EAE befindet sich in Bonn, Ermekeilstraße, in der ehemaligen Ermekeil-Kaserne. "Laut Pressesprecher der Bezirksregierung sind in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) 594 Geflüchtete untergebracht, die aus 33 verschiedenen Nationen stammen. 158 von ihnen kommen aus der Ukraine. Der Erweiterungsbau (Containerbau) ist vollständig errichtet und betriebsbereit. Die Gesamtkapazität der EAE beläuft sich damit auf 800 Plätze, sie ist also noch nicht ausgelastet." sie hier]

Die Asylsuchenden bleiben nach Angaben einer Ministeriumssprecherin dann etwa zwei bis vier Wochen in einer EAE. „Anschließend werden sie in einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) oder Notunterkunft des Landes untergebracht und warten dort die Entscheidung über ihren Asylantrag ab“, teilte die Sprecherin mit. „Familien werden dabei nach sechs Monaten Aufenthalt in einer Landesunterbringungseinrichtung einer Kommune zugewiesen.“ Die Verweildauer aller weiteren Personen dort beträgt – je nach Entscheidung des BAMF – bis zu zwei Jahre.

[Präzisierung von Weltoffen-Bonn: Eine der ZUE befindet sich in Bonn-Bad Godesberg, Deutschherrenstraße. Laut Bezirksregierung wird / wurde die bisherige Unterkunft für 480 Personen für zukünftig insg. 1.000 Personen erweitert. s. hier  "In der ZUE werden Asylsuchende mit mutmaßlich geringer Bleibeperspektive untergebracht Als eines der wenigen Bundesländer hat NRW von der Möglichkeit der Länder Gebrauch gemacht, die Aufenthaltszeiten in den Landeseinrichtungen auf bis zu 24 Monate zu verlängern. Familien sind hiervon zwar gesetzlich ausgenommen, dennoch verbleiben auch sie immer wieder länger als sechs Monate in der Aufnahmeeinrichtung" aus Offener Brief des Runden Tischs gegen Kinderarmut]

 

Infos Wer gilt als Flüchtling?

ANERKENNUNG Offiziell als Flüchtlinge anerkannt werden in Deutschland Menschen, die sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen.

GENFER KONVENTION Diese Festlegung wurde in einer völkerrechtlichen Vereinbarung, der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, getroffen.

Nordrhein-Westfalen muss rund ein Fünftel aller Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, aufnehmen. Berechnet wird das nach dem sogenannten „Königsteiner Schlüssel“, der die Bevölkerungszahl und die Steuereinnahmen eines Landes berücksichtigt. Die 396 Städte und Gemeinden in NRW sind gesetzlich verpflichtet, ausländische Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen. Mit einer Verteilungsquote von 21,2 Prozent steht NRW an der Spitze bei der Zuteilung von Flüchtlingen. Es folgen Bayern mit 15,3 Prozent und Baden-Württemberg mit 12,9 Prozent.

Nach der Unterbringung in einer Landesunterbringungseinrichtung oder einer Notunterkunft sollen die Geflüchteten in den Kommunen untergebracht werden. Die Stadt Solingen etwa versucht, die Menschen „dezentral unterzubringen“, wie eine Stadtsprecherin mitteilt. „Das heißt, wenn möglich und wenn Wohnraum zur Verfügung steht, ziehen die Menschen direkt in eine Wohnung“, sagt sie. „Das ist vor allem dann das Ziel, wenn eine hohe Bleibewahrscheinlichkeit besteht.“ In Solingen wird schon nach einer passenden Wohnung geschaut, während der Asylantrag noch läuft. Bei der Wohnungsvermittlung wird priorisiert, etwa für Familien mit Kindern.

Wegen der aktuellen, angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt, seien die Möglichkeiten allerdings begrenzt, wie es aus Solingen heißt. „Deshalb müssen wir zurzeit auch auf einige wenige Gemeinschaftsunterkünfte zurückgreifen oder etwa auf die Notunterkunft Goerdelerstraße“, sagt die Sprecherin. Aufgrund der derzeitigen Situation sei es möglich, dass Personen länger in solchen Unterkünften bleiben müssten. „Und es kann auch vorkommen, dass sie noch in städtischen Asylbewerberunterkünften wohnen, obwohl sie bereits anerkannt sind.“ Fest stehe: „Es wird niemand in die Obdachlosigkeit entlassen.“ Zu Einzelfällen will sich die Stadt aus Datenschutzgründen nicht äußern.

Wenn das BAMF einen Asylantrag ablehnt, können die Asylsuchenden beim Verwaltungsgericht Klage gegen diese Entscheidung einreichen. Dafür bestehen kurze Fristen, etwa eine Woche. Lehnen das BAMF oder später das Verwaltungsgericht den Asylantrag ab, werden die Betroffenen aufgefordert, Deutschland zu verlassen, und ihnen wird die zwangsweise Abschiebung angedroht. Oft ist aber eine Ausreise oder Abschiebung aus verschiedenen Gründen nicht möglich, zum Beispiel wegen Erkrankung oder Mutterschutzzeiten. Diese Personen leben dann teils jahrelang mit einer „Duldung“.

Ausnahmen gelten für minderjährige Flüchtlinge unter 18 Jahren, die ohne ihre Eltern nach Deutschland kommen. Sie unterliegen nach Angaben der Bezirksregierung Arnsberg einem besonderen Schutz und werden nicht in den Unterbringungseinrichtungen des Landes untergebracht, sondern vom örtlich zuständigen Jugendamt in Obhut genommen. Zudem wird ein Vormund bestellt, weil die im Ausland lebenden oder verstorbenen Eltern die elterliche Sorge nicht ausüben können.

In der Regel werden unbegleitete Minderjährige, die keinen Kontakt zu Verwandten oder Bekannten haben, zunächst in einer sogenannten Clearingstelle zur Klärung ihres individuellen Hilfebedarfs untergebracht. Nach erfolgtem Clearing werden die Kinder und Jugendlichen dann in einem Kinder- und Jugendwohnheim untergebracht.