Bewertung des Flüchtlingsgipfels

laufende Aktualisierung, unkommentierte Zitate aus verschiedenen Medien, unter Brücksichtigung der Bundestagsdebatte am folgenden Tag

nd 11.05.2023 Flüchtlingsgipfel: Ausweitung der Pushbackzone  Eine Milliarde Euro und jede Menge Beschränkungen des Asylrechts: die Ergebnisse des »Flüchtlingsgipfels«

Eine Milliarde Euro. Das ist der Kompromiss, den die Regierungschef*innen von Bund und Ländern am Mittwochabend nach stundenlangen Verhandlungen geschlossen haben, um die Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung zu entlasten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach im Anschluss von einem »guten Tag des deutschen Föderalismus«. Das ist angesichts der verärgerten Reaktionen aus Ländern und Kommunen Schönfärberei. Seitens Bayern, Sachsens und Sachsen-Anhalts heißt es in einer Protokollerklärung zum Beschluss: »Die vom Bund vorgesehene Erhöhung um eine Milliarde Euro ist völlig unzureichend und wird der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht.« Eine »Enttäuschung« nannte Städtetags-Präsident Markus Lewe das Treffen: »Alle paar Monate einen fixen Betrag zugeschoben zu bekommen, das hilft uns bei steigenden Flüchtlingszahlen nicht weiter.«

Der Druck, ein Ergebnis vorzeigen zu können, war hoch. Ein Bund-Länder-Treffen unter Leitung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war im November weitgehend ergebnislos verlaufen. Die ausstehende Finanzierungsfrage soll nun in einer »effizienten Arbeitsgruppe« diskutiert und im kommenden November entschieden werden. Die Länder beharren weiterhin auf ihrem Vorschlag einer »atmenden Regelung«, die sich den jeweiligen Flüchtlingszahlen und Kostensteigerungen anpasst.

Weniger Dissens gab es im Verlauf des Treffens bei Entscheidungen zur Einschränkung der Rechte von Asylsuchenden. Einzig das von der Linken mitregierte Thüringen kritisiert in einer Protokollerklärung die aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen und fordert stattdessen eine Ausweitung des Chancen-Aufenthaltsrechts für Geduldete sowie eine Vereinfachung der Arbeitsaufnahme.

Erst im Nachhinein gab es Kritik von den Grünen: »Der MPK-Beschluss zielt darauf ab, die Rechte Geflüchteter massiv zu beschneiden. Das Grundrecht auf Asyl wäre damit Geschichte«, sagte die Abgeordnete Karoline Otte der »Süddeutschen Zeitung«. Clara Bünger, die fluchtpolitische Sprecherin der Linken, kritisierte die Entwicklung bei einer Bundestagsdebatte am Donnerstag: »Nicht Geflüchtete sind das Problem, sondern die mangelnde Infrastruktur in Deutschland«. Nicht weit genug gingen die geplanten Verschärfungen indes Union und AfD, sagte Bünger.

Diskursverschiebung Der Beschluss des Bund-Länder-Gipfels bedeutet eine eklatante Aushöhlung des Asylrechts in Deutschland. Obwohl, wie auch Niedersachsens Ministerpräsident und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz Stephan Weil (SPD) in der Pressekonferenz betont, die Mehrheit der Menschen, die nach Deutschland kommen, ein »Schutzrecht« hat, setzen die Regierungschef*innen auf Abschottung. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte zu Beginn seiner Rede: »Die große Aufgabe, vor der wir stehen, ist, die irreguläre Migration zu steuern und zu begrenzen.«

Was harmlos klingt, spielt Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Kriegsgebieten gegeneinander aus. Denn während Ukrainer*innen von den Verschärfungen nicht betroffen sind, können Flüchtende aus anderen Ländern zumeist nur »irregulär« in die EU einreisen, obwohl sie das gesetzliche Recht haben, einen Asylantrag zu stellen. Indem Asylsuchende ohne Visum pauschal als »irreguläre« Migrant*innen dargestellt werden, ist eine weitere Diskursverschiebung nach rechts vollzogen – und damit eine Pseudo-Legitimierung für die anstehenden Verschärfungen.

Asylverfahren an EU-Außengrenzen Ein zentraler Punkt des Papiers ist die Unterstützung des EU-Migrationspakts, das zwar an einem solidarischen Verteilmechanismus festhält, aber auch schnelle Asylverfahren an den Außengrenzen vorsieht. Kritiker*innen befürchten, dass Geflüchtete dort unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten und die Verfahren rechtlichen Standards nicht genügen. Schon jetzt sind illegale Pushbacks von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen gängige Praxis. Daran beteiligt ist auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex, die die Bundesregierung nun explizit stärken will, um »unerlaubte Einreisen zu reduzieren«.

Abschiebehaft und Schleierfahndung Innerhalb Deutschlands sollen Asylverfahren schneller durchgeführt werden – angesichts der aktuellen Wartezeiten utopisch – und Abschiebungen verstärkt durchgesetzt werden. Von den 2022 insgesamt 304 308 ausreisepflichtigen Menschen in Deutschland waren 248 145 geduldet, das heißt weniger als 60 000 Menschen könnten überhaupt abgeschoben werden.

Dazu sollen Geflüchtete in Abschiebehaft gehalten werden, auch wenn sie ein Asylgesuch geäußert haben, und zwar für vier Wochen statt der bisherigen zehn Tage. Außerdem sollen Beamt*innen zum Zweck der Abschiebung in Gemeinschaftsunterkünften auch andere Räume als die der Gesuchten betreten dürfen. Mobiltelefone von Geflüchteten will die Bundesregierung trotz einer kritischen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin auslesen. Zudem soll die Schleierfahndung an deutschen Grenzen intensiviert werden. Das ist ein Schlupfloch für das verbotene Racial Profiling, bei dem Menschen »verdachtsunabhängig« aufgrund ihres Aussehens kontrolliert werden. So könnten auch Pushbacks innerhalb der EU verstärkt vorkommen.

Sichere Herkunftsstaaten Ein weiterer Baustein im deutschen Abschottungsplan sind Abkommen mit Herkunftsländern nach Vorbild eines Vertrags mit Indien. Demnach soll die Einreise von Fachkräften nach Deutschland vereinfacht werden, im Gegenzug sollen die Länder Menschen, die sich »nicht erfolgreich um Asyl bemüht haben«, wie der Kanzler es ausdrückte, zurücknehmen. In der Vergangenheit kam es dabei schon häufiger zu Abschiebungen in ganz andere Länder als das eigentliche Herkunftsland der Betroffenen.

 

Tagesschau 11.05.2023 Bund übernimmt mehr Flüchtlingskosten SPD zufrieden, Rumoren bei der Union

Stand: 11.05.2023 08:52 Uhr

Der Bund erhöht seine Beteiligung an den Flüchtlingskosten dieses Jahr um eine Milliarde Euro - so das Ergebnis des Gipfels in Berlin. Die SPD zeigt sich zufrieden, unionsgeführten Ländern reicht es dagegen nicht aus.

Das monatelange Ringen um mehr Geld für die Kommunen und Länder bei der Bewältigung der hohen Anzahl an Schutzsuchenden ist gestern im Kanzleramt nicht zu Ende gegangen. Aber schon die Aussicht auf eine baldige Lösung wird als Erfolg verbucht.

Einer ist an diesem Abend sichtlich zufrieden: Bundeskanzler Olaf Scholz. Lächelnd sagt er während der Pressekonferenz im Anschluss an den Migrationsgipfel:

Wenn man mich am Morgen gefragt hätte, wie es heute ausgeht, dann hätte ich gesagt: genau so! Bundeskanzler Olaf Scholz

Denn es schien von vornherein klar, dass der Bund sich auf die Forderungen der Länder nach einer dauerhaften größeren finanziellen Beteiligung an der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten nicht beteiligen wird. Mehr als die bereits spekulierte Einmalzahlung in Höhe von einer Milliarde Euro konnten die Länder beim Bund nicht herausholen.

10.05.2023 Einigung beim Bund-Länder-Gipfel Bund gibt eine Milliarde Euro mehr für Geflüchtete  Der Bund stellt den Ländern in diesem Jahr eine Milliarde Euro zusätzlich für die Versorgung von Flüchtlingen bereit. mehr

Weil zufrieden, Wüst zerknirscht

Während es für Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) dennoch eine "gute Zusammenkunft" war und er sogar Verständnis für die restriktive Haltung des Bundes hat, wirkte sein CDU-Kollege, NRW-Landeschef Hendrik Wüst, deutlich zerknirschter.

Noch bevor die Länderchefs mit dem Bundeskanzler ihre Beratungen gestartet haben, sagte Wüst zu der Aussicht auf den Kompromiss einer Einmalzahlung: "Teilergebnisse, die nicht ein Einstieg wären in eine dauerhafte, verlässlich zusätzliche Finanzierung des Bundes an den Kosten der Länder, das wäre kein Ergebnis."

Noch schärfer kritisieren es die unionsgeführten Länderchefs aus Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt: "Die vom Bund vorgesehene Erhöhung um eine Milliarde Euro ist völlig unzureichend und wird der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht", schreiben sie in einer Protokollerklärung am Ende des Beschlusspapiers.

Auch Thüringens Ministerpräsident merkt an, dass er weiterhin auf ein "atmendes System" beharre, dass eben keine pauschalen Summen, sondern eine pro-Kopf-Finanzierung anstrebt.

Arbeitsgruppe soll dauerhafte Lösung erarbeiten

Die Finanzierung und Versorgung von Geflüchteten im Asylverfahren ist laut Grundgesetz eine Ländersache. Und die Finanzhilfen des Bundes seien bereits hoch genug - etwa 15 Milliarden Euro, wenn man das Bürgergeld für die aus der Ukraine geflüchteten Menschen mitzählt.

Eine Arbeitsgruppe solle aber nun eingesetzt werden, um weitere Vorschläge bis zur nächsten MPK im November zu entwickeln, die einen langfristigen Effekt haben können, um Kommunen und Länder zu entlasten. Dass hiermit zwangsläufig mehr Geld verbunden ist, darf allerdings bezweifelt werden.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat dies bereits mehrfach überdeutlich gemacht. Auch sein Fraktionschef Christian Dürr sagte noch am Abend: "Wir sind doch nicht auf einem Basar, auf dem um immer mehr Geld gefeilscht wird."

kommentar 11.05.2023 Einigung beim Füchtlingsgipfel Die Not-Milliarde als Einstieg in den Dialog   Die Einigung von Bund und Ländern ist eine Minimallösung - und dennoch ein Erfolg, meint Oliver Neuroth. mehr

Zeitenwende in der Migrationspolitik

Einigkeit zwischen Länderchefs und dem Bundeskanzler herrschte nur darüber, dass man den Zugang der Geflüchteten stärker steuern möchte. Bereits in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 ist ihre Zahl um 78,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum angestiegen. Die meisten kommen aus Syrien, aber auch aus Afghanistan und der Türkei.

Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik

Ein Satz des Kanzlers ließ bei der Pressekonferenz im Zusammenhang mit Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber in Länder wie Irak oder Syrien aufhorchen: "Es kann keine Entscheidung geben, dahin niemals!" Statt pauschaler Abschiebungen spricht sich Scholz perspektivisch für Einzelfallentscheidungen aus.

Und auch das Beschlusspapier zeigt deutlich, dass Bund und Länder einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik anstreben - auch auf europäischer Ebene. Die Pläne zur Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex, der Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer insbesondere um Moldau und Georgien und zur generellen Vereinfachung von Abschiebungen, könnten noch zu Diskussionen in den eigenen Reihen der Ampel führen.

Just am Tag des Gipfels veröffentlichte Co-Parteichef Omid Nouripour zusammen mit der Co-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann einen Zehn-Punkte-Plan für eine geordnete menschenrechtsorientierte Asylpolitik. Darin findet sich der Satz: "Eine immer stärkere Abschottung kann dabei nicht die Lösung sein". Für die Grünen nicht, aber möglicherweise für SPD und FDP. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Ampel-Parteien auf Konfrontationskurs zusteuern.

 

Zeit, 11.05.2023 Bund-Länder-Treffen: Nancy Faeser lobt Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels

Die Bundesinnenministerin begrüßt die Einigung zur Flüchtlingspolitik und sieht darin eine "nachhaltige Entlastung der Kommunen". Die Grünen mahnen langfristige Hilfe an.

Aktualisiert am 11. Mai 2023, 9:11 Uhr

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens zur Flüchtlingspolitik begrüßt. "Uns geht es um eine nachhaltige Entlastung der besonders stark geforderten Kommunen. Wir sorgen jetzt für schnellere, effizientere und vor allem digitale Verfahren", sagte Faeser. Auch die konsequente Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern werde gestärkt, die Grenzen würden stärker kontrolliert.

Faeser sagte, die Einigung von Bund und Ländern zeige, "dass alle staatlichen Ebenen gemeinsam ihrer großen humanitären Verantwortung gerecht werden". Das Maßnahmenpaket spiegele die Grundlinien der Flüchtlingspolitik wider: "Wir schützen die Menschen, die vor Krieg und Terror geflüchtet sind. Damit wir hierzu weiter in der Lage sind, begrenzen wir die irreguläre Migration."

Der Bund hat bei dem Treffen am Mittwochabend eine Milliarde Euro als zusätzliche Beteiligung an den Kosten der Flüchtlingsversorgung für dieses Jahr zugesagt. Mit dem Geld sollen die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren.  

Der Gipfel hat neben mehr Geld für Unterkunft und Integration auch Verschärfungen in der Abschiebepraxis und strengere Maßnahmen gegen illegale Migration beschlossen. Das stößt in den Reihen der Grünen offenbar auf Kritik. Aus Fraktionskreisen verlautete gegenüber der Süddeutschen Zeitung, nach der Ministerpräsidentenkonferenz habe es in Teilen der Bundestagsfraktion deutlichen Unmut über die Beschlüsse gegeben, die als "fundamentale Einschränkung von Rechten der Geflüchteten" wahrgenommen würden. Die Grünenbundestagsabgeordnete Karoline Otte sagte der Zeitung: "Das Ergebnis aus der Ministerpräsidentenkonferenz überschreitet alle roten Linien, die ich mir als grüne Abgeordnete vorstellen kann."

Omid Nouripour verlangt Hilfszusagen für die Zeit nach 2023

Für Unmut sorgte auch, dass der Gipfel entgegen der Forderung der Länder keine langfristige Finanzierungszusage für Unterkunft und Verpflegung von Geflüchteten brachte. Über die künftige Aufschlüsselung der Kosten soll zunächst in einer Arbeitsgruppe beraten und erst im November entschieden werden. Das stößt bei den Kommunen auf Kritik. "Mit einer Vertagung drängender Probleme können die Landkreise nicht wirklich zufrieden sein", sagte etwa der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Auch Grünenchef Omid Nouripour mahnte im ARD-Morgenmagazin langfristige Unterstützung für die Kommunen an. "Wer sich von Gipfel zu Gipfel hangelt, der kriegt keinen Boden unter die Füße", sagte er. Es müsse so schnell wie möglich Lösungen für die Zeit nach 2023 geben. 

Die AfD kritisierte die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens. "Noch mehr Geld für noch mehr Flüchtlinge wird die Flüchtlingskrise nicht lösen, sondern verlängern", teilten die Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla in einer Erklärung mit. Es sei irrelevant, ob der Bund oder die Länder die Kosten für die Flüchtlingsunterbringung übernähmen. "Am Ende zahlen die Bürger mit höheren Steuern und Abgaben."

 

 

Zeit: Bund-Länder-Treffen: Kommunen bezeichnen Flüchtlingsgipfel als "große Enttäuschung"

 

Zum Treffen im Kanzleramt waren die Kommunen nicht eingeladen, mit den Ergebnissen sind sie unzufrieden. Kritik kommt auch von der Organisation Pro Asyl.

11. Mai 2023, 2:55 Uhr 

 

 Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels von Bund und Ländern sind bei den Kommunen auf Kritik gestoßen. "Eine Einigung erst im November kommt für das Jahr 2024 deutlich zu spät und stößt bei den Kommunen auf große Enttäuschung", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der Rheinischen Post. Zuvor war bei dem Treffen im Kanzleramt vereinbart worden, eine dauerhafte Lösung zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung auf den Herbst zu vertagen. "Das ist ein schlechtes Signal an die Städte", sagte Städtetagspräsident Markus Lewe der Zeitung.

Auch der Präsident des Deutschen Landkreistages ist enttäuscht. "Mit einer Vertagung drängender Probleme können die Landkreise nicht wirklich zufrieden sein", sagte Reinhard Sager den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die Vertreter der Kommunen waren zu dem Treffen nicht eingeladen worden – die Vertreter der Bundesländer hatten jedoch auch ihre Situation in ihre Forderungen einbezogen. Der Bund hatte bei der Einigung am Mittwochabend eine Milliarde Euro als zusätzliche Beteiligung an den Kosten der Flüchtlingsversorgung für dieses Jahr zugesagt. Über die künftige Aufschlüsselung der Kosten soll aber zunächst in einer Arbeitsgruppe beraten und erst im November entschieden werden. Die Milliarde sei zudem "nur ein Tropfen auf den heißen Stein", kritisierte Landsberg.

Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zeigt sich schockiert

Mit dem Betrag sollen die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zusätzlich zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren. Der Bund hatte zuvor bereits 1,5 Milliarden Euro für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in diesem Jahr zugesagt sowie 1,25 Milliarden Euro für andere Geflüchtete.

Die Aufstockung der Beteiligung gilt als Zugeständnis an die Länder. Die sehen allerdings den Bund grundsätzlich in der Pflicht. "Der Bund allein hält den Schlüssel zur Steuerung und Begrenzung der Migration in der Hand. Solange er diesen Schlüssel nicht ausreichend nutzt, muss er sich an den Kosten der Länder und Kommunen beteiligen", sagte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der im November Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sein wird.

Kritik kommt auch von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Sie ist enttäuscht darüber, dass sich Bund und Länder für Asylverfahren an den Außengrenzen der EU starkmachen wollen. Pro Asyl sei "schockiert, dass der Gipfel zu einer Finanzeinigung auf Kosten der Menschenrechte fliehender Menschen geführt hat", sagte die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Haftzentren an den EU-Außengrenzen sind das Rezept für ein menschenrechtliches Desaster", sagte Judith und forderte, die Bundesregierung müsse "dringend zu einer menschenrechtsbasierten Politik" zurückkehren.

Ramelow ist zufrieden

Dagegen ist Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit den Ergebnissen fürs Erste zufrieden. "Es ist ein erster Schritt, dass der Bund nun unmittelbar eine Milliarde Euro mehr aufbringt und der kommunalen Familie als Unterstützung zur Verfügung stellt", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Aus seiner Sicht müsse aber noch mehr Kraft in die Entbürokratisierung investiert werden, "damit Menschen aus der Falle des Asylverfahrens endlich in die Arbeitsmigration wechseln können". Sein Parteikollege Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag, sprach hingegen in den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland von einem "Enttäuschungsgipfel".

 

Zeit Flüchtlingsgipfel: Problem erkannt, Lösung vertagt

Die Bundesregierung verspricht beim Flüchtlingsgipfel neue Hilfen in Höhe von einer Milliarde Euro. Doch die Bundesländer blitzen mit ihrer wichtigsten Forderung ab.

11. Mai 2023, 0:14 Uhr 97 Kommentare

 

Vor ihrem Spitzentreffen mit dem Bundeskanzler hatten die Ministerpräsidenten der Bundesländer die Messlatte hoch gehängt: Sollte es in der Runde im Kanzleramt keine dauerhafte Finanzierungszusage für Unterkunft und Verpflegung der vielen in Deutschland ankommenden Flüchtlinge geben, käme das einem Scheitern gleich. So sagte es bis zuletzt Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), der stellvertretende Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz.

Nach sechs Stunden intensiver Gespräche im Kanzleramt war am späten Mittwochabend allerdings klar: Die eingeforderte langfristige Finanzierung gibt es nicht. Der Bund sichert den Ländern lediglich eine weitere Milliarde Euro zu. Das ist eine Menge Geld, aber eben keine dauerhafte Lösung für die Herausforderung, die stark steigende Flüchtlingszahlen darstellen.

Verglichen mit der Rhetorik vor dem Gipfeltreffen haben die Länderchefs damit an einem wichtigen Punkt verloren, zumindest stark nachgegeben. Seit dem Frühjahr, als die Zahlen der Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien wieder fünfstellig wurden, forderten die Länderchefs, dass der Bund seine Finanzhilfe schnellstmöglich nicht mehr als Pauschalbetrag leistet, sondern gemessen an der Zahl der ankommenden Flüchtlinge. Nur so ließen sich die Kosten der Kommunen für Unterkunft, Verpflegung und Integration auch bei hohem Flüchtlingsaufkommen decken. Im Gespräch waren bis zu 1.000 Euro pro Monat und Flüchtling. Doch ihre Forderung gaben die Länderchefs schon am Nachmittag auf. Nun will man gemeinsam im November entscheiden, wie eine dauerhafte Lösung aussehen könnte, eine Arbeitsgruppe soll dies vorbereiten.

Offene Differenzen

Dabei dürfte der Streit weitergehen. Die Pro-Kopf-Pauschale wäre eine Rückkehr zu dem sogenannten atmenden System aus der Flüchtlingskrise von 2015/16 gewesen, das die Länderchefs zuletzt alle als sehr wirksam lobten. Die Differenzen treten im Beschlusspapier des Flüchtlingsgipfels offen zutage: "Aus Sicht des Bundes wurde ein atmendes System für die Unterstützung der Länder und Kommunen bereits etabliert", heißt es, ohne dass dieser Widerspruch näher erläutert wird. Ob es jemals wieder zu dieser Kopfpauschale kommt, ist offen, so lässt sich Kanzler Olaf Scholz verstehen, der die Erwartungen bei seinem Auftritt am Mittwochabend dämpfte: Man werde "die Frage erörtern, wie wir längerfristig dieses System vielleicht weiterentwickeln können".

Mit der einmaligen Pauschalzahlung waren die Länder zuletzt gut bedient: Die Flüchtlingszahlen waren niedrig, das Geld des Bundes floss trotzdem. Doch mit steigenden Zahlen wird das Geld nun knapp. Für 2023 hatte der Bund den Ländern für die "flüchtlingsbedingten Mehrkosten" in zähen Verhandlungen bereits einmalig 2,75 Milliarden Euro zugesagt – für Ukrainer und Asylbewerber, finanziert über den Länderanteil an der Mehrwertsteuer. Nun kommt eine weitere Milliarde hinzu.

Grundsätzlich ist die Versorgung von Geflüchteten Sache der Kommunen. Weil die Kostenlast die Kommunen nach 2015 stark drückte, ließ der Bund über die Länder dafür zusätzlich Geld fließen. Doch nun bremst der Bund, der nach einer kurzen Phase sprudelnder Steuereinnahmen nun wieder eigene Haushaltsprobleme hat – wohl auch aus Sorge, die Kopfpauschalen könnten teurer werden als der derzeitige Zahlungsmodus.

"Der Mühe wert"

Die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und NRW verteidigen den Kompromiss: "Wir haben einen Prozess in Gang gesetzt", sagte Wüst nach dem Treffen, "Und das haben wir gemacht, weil wir an diesem Punkt kein Ergebnis erzielt haben." Für Stephan Weil (SPD) aus Niedersachsen war das Ergebnis "die Mühe wert". Doch nicht alle Länderchefs bewerten das Treffen so pragmatisch: Die vom Bund zugesicherte Milliarde "ist völlig unzureichend und wird der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht", ließen die Ministerpräsidenten von Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt in eine Protokollnotiz schreiben. Bayern und Sachsen sind zwar Ankunftsregionen für Flüchtlinge. Auf die Bundesländer verteilt werden Flüchtlinge jedoch nach einem vereinbarten Schlüssel.  

Doch es geht ohnehin um mehr als Geld. Gefordert hatten die Ministerpräsidenten deswegen –  über alle Parteigrenzen hinweg – den Zuzug von Flüchtlingen stärker zu begrenzen. Anders als die Finanzfrage war das jedoch kaum strittig. In dem Beschlusspapier findet sich etwa die Forderung, weitere Migrations- und Rücknahmeabkommen mit Herkunftsstaaten auszuhandeln. Eine schnelle Entlastung für die Kommunen wird sich so jedoch kaum erreichen lassen, denn solche Abkommen brauchen Jahre und bisher haben viele Herkunfts- und Durchreiseländer trotz großzügiger finanzieller oder Visaangebote daran kaum Interesse gezeigt.

Der Beschluss bekennt sich auch zur Reform der europäischen Asylpolitik. Erst kürzlich hatte sich die Ampel-Regierung in Berlin darauf geeinigt, Asylverfahren für Flüchtlinge mit schlechten Anerkennungschancen direkt in Lagern an der EU-Außengrenze durchzuführen. Auch dabei steht freilich in den Sternen, ob sich die EU-Staaten, das Straßburger Parlament und die EU-Kommission wirklich darauf einigen werden.