Bezahlkarte für Geflüchtete soll bis zum Sommer realisiert werden

31.01.2024 Ein Teil der staatlichen Leistungen für Asylbewerber*innen soll künftig nicht mehr als Bargeld ausgezahlt werden, sondern als "guthabenbasierte Karte mit Debitfunktion". Das wurde jetzt von den Ministerpräsident*innen beschlossen.

"Leistungsberechtigte sollen perspektivisch einen Teil der Leistungen als Guthaben auf einer Karte anstelle einer Barauszahlung erhalten. Über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen entscheidet jedes Land selbst", teilte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) mit. Er ist derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz.

Die Bezahlkarte sei grundsätzlich in allen Branchen einsetzbar, aber nicht im Ausland. Auch Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen im In- und Ausland seien nicht vorgesehen. "Mit einer Bezahlkarte werden Bargeldauszahlungen an Asylbewerberinnen und -bewerber weitgehend entbehrlich", sagte der Co-Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD).

Die bar gezahlte Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stelle einen Pullfaktor dar, wurde von den Befürwortern argumentiert. Dem widersprechen Wissenschaftler.

Aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen. Hans Vorländer, Chef des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Geflüchtete hätten andere Prioritäten, so Vorländer: "Sie suchen einen Ort, an dem sie sicher sind, Arbeit finden und idealerweise schon jemanden kennen. Bezahlkarten können Migration nach Deutschland deshalb nicht grundsätzlich beeinflussen."

Die Einführung der Bezahlkarten ist Teil der einschränkenden Maßnahmen, mit denen die Bundes- und Landespolitik angesichts der Nöte der Kommunen dem Druck von Rechts entgegenkommt.

Das Ziel, Migration zu regulieren, legitimiert keine sozialpolitische Drangsalierung. Das zumindest betont Andrea Kothen von Pro Asyl gegenüber »nd«. Laut Bundesverfassungsgericht dürfte die Menschenwürde nicht für migrationspolitische Zwecke relativiert werden. Doch genau das passiere aktuell: »Das Thema Bezahlkarte wurde in die politische Debatte vor allem mit dem einen Argument eingeführt: Die Asylzahlen müssen runter«, sagt Kothen.

Weitere Stimmen:

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Alabali-Radovan, warnte mit Blick auf die geplante Umstellung von Bargeldzahlungen auf Bezahlkarten vor Nachteilen für Geflüchtete. Es dürfe nicht sein, dass Menschen durch Bezahlkarten in Läden als Geflüchtete identifizierbar seien, mahnte sie im Interview mit dem Tagesspiegel.

NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul von den Grünen sieht Vorteile. "Natürlich stecken auch Chancen in der Bezahlkarte", sagte Paul am Dienstag. So könnte die Bezahlkarte etwa zu Erleichterungen für Geflüchtete führen, weil sie sich dann nicht mehr zu bestimmten Zeiten an bestimmten Stellen anstellen müssten. Wichtig sei aber, dass die Karte tatsächlich zu einer Verringerung des Verwaltungsaufwandes führe, so Paul.

Alle Zitate sind den folgenden Medientexten entnommen.

Wir zitieren zunächst die Pressemitteilung von Pro Asyl und dann weitere Medienstimmen:

Nach der heutigen Einigung von 14 der 16 Bundesländer auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte für eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten hält PRO ASYL an der grundsätzlichen Kritik an der Bezahlkarte fest: Bund und Länder planen mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument, das den schutzsuchenden Menschen in Deutschland das Leben schwer machen soll.

„Bund und Länder haben mit der Einigung zur Bezahlkarte ein Diskriminierungsprogramm verabredet. Denn das erklärte Ziel der Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler im November 2023 war, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Asylzahlen zu senken. Mit der  Bezahlkarte wird also vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken. Schon allein wegen dieses unverhohlenen Motivs wirft die Bezahlkarte verfassungsrechtliche Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

An der heutigen Einigung sind drei Punkte besonders problematisch:

- Überweisungen sollen nicht möglich sein: Ohne eine Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus dem Alltagsleben ausgegrenzt. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag und kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen auch ihre für das Asylverfahren nötigen Rechtsanwält*innen per Überweisung bezahlen können.

- Kein Mindestbetrag für die Barabhebung: Die Möglichkeit, über Bargeld zu verfügen, ist vor allem zur Sicherung des – verfassungsrechtlich verbürgten – soziokulturellen Existenzminimums geboten. Wer dies angreift, greift die Menschenwürde der Betroffenen an. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse feht.

- Regionale Einschränkung: Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch einer sozialpolitischen Drangsalierung dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

„Die Bezahlkarte ist, ebenso wie die gerade vom Bundestag beschlossene Verlängerung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, keine rationale, konstruktive Asylpolitik. Die Bezahlkarte wird absehbar zu einer Menge Ärger im Alltag führen und das Ankommen und die Integration der Menschen erschweren – aber rein gar nichts verbessern. Auch den nach wie vor engagierten Unterstützer*innen und Willkommensinitiativen fällt man mit einer diskriminierenden Bezahlkarte in den Rücken“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

Bundesländer müssen bestehenden Spielraum positiv nutzen!

Die nun beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind allerdings keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten, um eine schändliche politische Willenserklärung abzugeben. Die Bundesländer können aber trotzdem großzügigere Regelungen als die dort festgehaltenen anwenden. PRO ASYL appelliert an die Eigenverantwortung der Länder und Kommunen, die nach wie vor vorhandenen Spielräume zu nutzen und auf eine Bezahlkarte zu verzichten oder diese zumindest diskriminierungsfrei auszugestalten. Dazu hatte PRO ASYL im Dezember 2023 unter dem Motto „Menschenrechtliche Standards beachten!“ notwendige Eckpunkte veröffentlicht.

Auch die Kommunen werden nicht entlastet: Denn die Kürzung von Sozialleistungen und der Umstieg auf mehr Sachleistungen halten die Menschen nicht davon ab, vor Krieg oder Vertreibung zu fliehen. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zeigen zudem: Rechtsstaatlichkeit, Freund*innen, Familie und die Arbeitsmarktbedingungen in einem Land sind Faktoren für den Zielort einer Flucht. Sozialleistungssysteme dagegen wirken sich nicht als entscheidungsrelevant aus. Auch die Bezahlkarte wird also an den Fluchtwegen von Menschen nichts ändern.

 

Wir zitieren Medienstimmen:

Eine Bezahlkarte für Flüchtlinge soll bundesweit eingeführt werden. Auch in NRW soll die Karte kommen - Flüchtlingsministerin Josefine Paul von den Grünen sieht Vorteile.

"Natürlich stecken auch Chancen in der Bezahlkarte", sagte Paul am Dienstag. So könnte die Bezahlkarte etwa zu Erleichterungen für Geflüchtete führen, weil sie sich dann nicht mehr zu bestimmten Zeiten an bestimmten Stellen anstellen müssten. Wichtig sei aber, dass die Karte tatsächlich zu einer Verringerung des Verwaltungsaufwandes führe, so Paul.

Nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern machen nicht mit

NRW nimmt nach Auskunft der Ministerin an dem Ausschreibungsverfahren der Länder für einen gemeinsamen technischen Dienstleister. 14 von 16 Bundesländern sind dabei, nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen eigene Modelle entwickeln. Bereits im November hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz darauf verständigt, dass Asylbewerber in Deutschland mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf einer Bezahlkarte bekommen sollen. Gestern erzielte die Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) dann den Durchbruch.

"Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen, und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität", zählt Hessens Ministerpräsident Boris Rhein auf, aktuell Vorsitzender der MPK. Wie hoch das Guthaben auf der Karte sein soll und wie viel Geld weiterhin bar ausgezahlt wird, sollen die Länder selbst entscheiden.

Ziel: Überweisungen in Herkunftsländer nicht mehr möglich

Da keine Karte-zu-Karte-Überweisungen und Überweisungen im In- und Ausland mehr möglich sein sollen, erhoffen sich einige Bundesländer, Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken. Insbesondere soll verhindert werden, dass Schutzsuchende Geld aus staatlicher Unterstützung in Deutschland an Angehörige und Freunde im Herkunftsland überweisen - was mitunter als Hauptanreiz einiger Flüchtlinge für die Einreise in Deutschland betrachtet wird.

Die Auswirkungen einer Bezahlkarte müssen wissenschaftlich aber erst noch erforscht werden, sagt etwa Wirtschaftswissenschaftler Paul Poutvaara vom Münchner Ifo-Institut. Zwar könne die Einführung einer Bezahlkarte Deutschland weniger attraktiv als Zielland machen, allerdings gebe es bisher keine Erkenntnisse über die Effekte einer solchen Reform. Daher sei es wichtig, nun parallel zur Einführung zu erforschen, ob sie die gewünschten Auswirkungen habe.

In Hannover und Greiz gibt es schon Bezahlkarten

In einigen Landkreisen Deutschlands gibt es ein Bezahlkarten-Modell bereits, etwa im Ortenaukreis in Baden-Württemberg oder in Hannover, wo die Stadt Sozialleistungen per Überweisung auf die sogenannte "Social Card" gutschreibt. Im Landkreis Greiz in Thüringen berichtet das Landratsamt, dass die Abreise von Asylsuchenden sich mit der Einführung einer Bezahlkarte verstetigt hätte. 15 Betroffene, die bisher ihre monatliche Unterstützung abgeholt hätten, hätten sich einfach nicht mehr gemeldet. Landrätin Schweinsburg von der CDU sagte im ZDF, dadurch trenne sich die Spreu vom Weizen.

Es gibt jedoch auch Kritik an den Plänen. Brandenburgs Integrationsbeauftragte Lemmermeier bezeichnete die Pläne als eine "Art von Diskriminierung", da Menschen nicht zugetraut würde, mit Geld verantwortlich umzugehen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Alabali-Radovan, warnte mit Blick auf die geplante Umstellung von Bargeldzahlungen auf Bezahlkarten vor Nachteilen für Geflüchtete. Es dürfe nicht sein, dass Menschen durch Bezahlkarten in Läden als Geflüchtete identifizierbar seien, mahnte sie im Interview mit dem Tagesspiegel.

 

Staatliche Leistungen für Geflüchtete werden künftig zum Teil über eine Bezahlkarte bereitgestellt. Das soll verhindern, dass die Mittel ins Ausland überwiesen werden.

Die Bundesländer haben sich auf Standards zu einer geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber geeinigt. 14 der 16 Bundesländer streben ein gemeinsames Vergabeverfahren an, teilte die Hessische Staatskanzlei mit. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen die Karte demnach ebenfalls einführen, dabei aber einen eigenen Weg gehen.

Die Länderregierungschefinnen und -chefs und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatten sich im November darauf verständigt, dass Asylbewerber in Deutschland mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf einer Bezahlkarte bekommen sollen. Die Nutzung solcher Karten soll Schutzsuchenden die Möglichkeit nehmen, Geld aus staatlicher Unterstützung in Deutschland an Angehörige und Freunde im Herkunftsland zu überweisen. Es könnte jedoch auch viele notwendige Leistungen komplizierter machen, etwa die Bezahlung eines Anwalts.

"Leistungsberechtigte sollen perspektivisch einen Teil der Leistungen als Guthaben auf einer Karte anstelle einer Barauszahlung erhalten. Über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen entscheidet jedes Land selbst", teilte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) mit. Er ist derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz.

Die ersten Bezahlkarten sollen demnach bis zum Sommer ausgegeben werden. Der Bund habe sich bereit erklärt, notwendige bundesrechtliche Änderungen schnellstmöglich auf den Weg zu bringen, schrieben die Ministerpräsidenten.

Bezahlkarte für alltägliche Leistungen

Eine von der Ministerpräsidentenkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe unter hessischem Vorsitz hatte ein Modell für eine Bezahlkarte mit bundeseinheitlichen Mindeststandards erarbeitet. Geeinigt habe man sich unter anderem darauf, dass es sich um eine guthabenbasierte Karte mit Debitfunktion (ohne Kontobindung) handeln solle, die das Auszahlen von Bargeld ersetzt, teilte die hessische Landesregierung mit.

Die Bezahlkarte sei grundsätzlich in allen Branchen einsetzbar, aber nicht im Ausland. Auch Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen im In- und Ausland seien nicht vorgesehen. "Mit einer Bezahlkarte werden Bargeldauszahlungen an Asylbewerberinnen und -bewerber weitgehend entbehrlich", sagte der Co-Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD).

Auch die Kommunen sollen entlastet werden: "Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen, und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität", sagte Rhein. Gleichzeitig wolle man sich bemühen, Menschen schnell in Arbeit zu bringen – über selbst verdientes Geld könnten auch Asylbewerber selbstständig verfügen.

 

Millionen Geflüchtete sollen bald kein Bargeld mehr bekommen, sondern Bezahlkarten. Was ist konkret geplant - und lässt sich so Migration eindämmen? ZDFheute mit Antworten.

Die Bezahlkarte kommt - künftig erhalten Asylbewerber wohl überall eine Karte statt Bargeld, um beispielsweise Lebensmittel zu kaufen. Das Ziel: Weniger Pullfaktoren und damit die Migration nach Deutschland senken. Auch die Verwaltung soll vereinfacht werden. Kann das funktionieren? Welche Modelle gibt es bisher, was ist für die Zukunft geplant - und was halten Experten von den Bezahlkarten? ZDFheute mit einem Überblick.

Was plant die Politik?

Noch gibt es keinen klaren Fahrplan. Bund und Länder hatten sich Ende 2023 grundsätzlich geeinigt, Bezahlkarten einzuführen statt Geflüchteten Bargeld auszuzahlen. Dahinter steht die Annahme, dass Migrantinnen und Migranten dann nicht mehr ihre Schleuser bezahlen oder ihre Familien im Ausland finanziell unterstützen können, erklärt Migrationsforscherin Petra Bendel vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen/Nürnberg.

Ende Januar endet die Frist, bis zu der konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen sollten. Eine Arbeitsgruppe der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers soll am Mittwoch über die weiteren Schritte beraten. Die "Bild"-Zeitung berichtet, dass die Bezahlkarte im Juni fertig sein und eingeführt werden solle. Zwölf von 16 Bundesländern hätten bereits ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet, was mit der Bezahlkarte möglich sein soll und was nicht.

Schwäbisch-Gmünd galt einst als Musterbeispiel für gelungene Integration. Doch nun mahnt der Oberbürgermeister genau dabei Probleme an – und das Verständnis der Menschen schwindet.13.10.2023 | 2:48 min

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund unterstützt die Pläne: Aus kommunaler Sicht seien Bezahlkarten "ein sehr guter weiterer Baustein", um Migration zu begrenzen und Integration zu steuern, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Andre Berghegger, am Dienstag dem ARD-Morgenmagazin.

Wo gibt es bereits Bezahlkarten in Deutschland?

Einige Kommunen sind bereits vorgeprescht und haben eigene Bezahlkarten-Modelle eingeführt oder planen das demnächst, beispielsweise der Landkreis Greiz in Thüringen. Dort bekommen Geflüchtete schon den Großteil ihrer Leistungen auf eine Karte überwiesen, mit der sie regional einkaufen können. Abhebungen oder Überweisungen sind nicht möglich.

Ein ähnliches Projekt wie in Greiz läuft derzeit schon im Landkreis Eichsfeld in Thüringen, weitere Kreise in Thüringen wollen sich anschießen. Die Karten sollen für Auslandsüberweisungen gesperrt werden und nur innerhalb des Landkreises funktionieren. Auch Sachsen-Anhalt und Bayern planen zeitnah ähnliche Guthaben-Karten für Asylbewerber, Bayern will im Frühling mit Pilotprojekten starten.

Im grün regierten Hannover gibt es bereits die sogenannte "SocialCard", die auf einer herkömmlichen Visa-Debitkarte basiert und praktisch keinerlei Einschränkungen vorsieht. Bei diesem System schreibt die Stadt die Sozialleistungen per Überweisung monatlich auf der Karte gut. Das Ziel sei es, "geflüchteten Menschen einen diskriminierungsfreien Zugang zu bargeldloser Bezahlung zu ermöglichen", heißt es auf Nachfrage von ZDFheute von der Stadt. Ein ähnliches System ist in Hamburg im Gespräch.

Wie wurde das Greizer Modell aufgenommen?

Im Großen und Ganzen sei die Umstellung akzeptiert worden, erklärte bereits Mitte Januar Dagmar Pöhland vom Verband für Behinderte Greiz, der auch Flüchtlinge berät und betreut: "Die Leute sind froh, dass sie überhaupt eine Leistung kriegen." Wer wirklich auf der Flucht sei, dem sei das egal.

Aber: Seitdem die Bezahlkarten statt Bargeld ausgegeben werden, hätten sich "die Abreisen von Asylsuchenden aus dem Landkreis Greiz verstetigt", heißt es aus dem Landratsamt. 15 Betroffene, die bisher ihre monatliche Unterstützung abholten, hätten sich einfach nicht mehr gemeldet. Da "scheidet sich die Spreu vom Weizen", so Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) im ZDF.

Der Flüchtlingsrat übte hingegen Kritik: Geflüchtete könnten zwar in Supermärkten zahlen, beim Friseur, in kleineren Geschäften oder beim Erwerb eines Deutschlandtickets gebe es aber Probleme.

Können Bezahlkarten Migration eindämmen?

Die von ZDFheute befragten Migrations-Expertinnen und -Experten sind sich einig: Die Einführung von Bezahlkarten wird Migration nach Deutschland nicht wesentlich reduzieren.

Aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen. Hans Vorländer, Chef des Sachverständigenrats für Integration und Migration

Geflüchtete hätten andere Prioritäten, so Vorländer: "Sie suchen einen Ort, an dem sie sicher sind, Arbeit finden und idealerweise schon jemanden kennen. Bezahlkarten können Migration nach Deutschland deshalb nicht grundsätzlich beeinflussen."

Ähnlich sieht es der Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück: Menschen würden auf der Suche nach Schutz lange, riskante und teure Wege auf sich nehmen. Da sei es kaum nachzuvollziehen, warum ein winziges Element der Asylpolitik wie die Geldkarte einen Beitrag dazu leisten soll, dass Menschen eine Migration nicht unternehmen.

Die Migrationsforscherin Petra Bendel bezweifelt bereits die Grundannahme, dass viele Asylsuchende in großem Stil Bargeld an ihre Familien ins Ausland überweisen: "Die Höhe der staatlichen Leistungen ist ja mitnichten so hoch, dass die Personen noch sehr viel Geld sparen könnten", erklärt die Professorin.

Was bringen Bezahlkarten dann überhaupt?

Eine Bezahlkarte könnte durchaus Vorteile haben, so Vorländer. Als Beispiel nennt er die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber. Wichtig sei dabei jedoch ein bundesweit einheitlicher Ansatz, um einen weiteren administrativen Flickenteppich zu vermeiden.

Ob sich eine Bezahlkarte lohnt, hänge davon ab, wie das System am Ende ausgestaltet ist, mahnt Oltmer: Geht es um die Vereinfachung der Verwaltung - wie etwa in Hannover - sei der Aufwand für die Umstellung relativ gering. Wenn die Karten aber diverse Funktionseinschränkungen haben sollen, um Geflüchtete abzuschrecken, sei der Aufwand ungleich höher, das Projekt viel teurer. Da könne man aus der Erfahrung lernen, so der Migrationsforscher: Seit den 1980er Jahren seien Sachleistungsmodelle immer wieder ausprobiert worden. Sie hätten sich dann aber fast immer als zu teuer und arbeitsaufwändig herausgestellt.

 

Berliner Flüchtlingsrat hält die geplante Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber für gefährlich

Überwachung, Kontrolle und Restriktion – das könnte die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber*innen mit sich bringen, befürchtet der Berliner Flüchtlingsrat. In einer aktuellen Pressemitteilung wendet er sich gegen die Pläne des Berliner Senats, Leistungen für Asylbewerber*innen bargeldlos über eine extra dafür geschaffene Karte abzuwickeln. Und er appelliert an die Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD), ihre kritische Haltung gegenüber diesem Instrument beizubehalten.

Die hatte sich noch bis vor kurzem vehement gegen die Idee ausgesprochen, »durch die Einführung einer Bezahlkarte Migrantinnen und Migranten abzuschrecken«, wie sie dem »Tagesspiegel« sagte. Der Zeitung zufolge will die Landesregierung jedoch schon in der gemeinsamen Sitzung am Dienstag die verbindliche Teilnahme am Vergabeverfahren beschließen. Damit würde sich Berlin gemeinsam mit 13 weiteren Bundesländern an einer Ausschreibung beteiligen, bei der der IT-Dienstleister Dataport einen Anbieter für die guthabenbasierten Debitkarten aussucht.

Die Beschlussvorlage soll mehrere Mindestanforderungen an das Bezahlkarten-System festlegen: So will Kiziltepes Integrationsverwaltung über »individuelle Betragsgrenzen zur Barauszahlung« entscheiden können. Eine Bezahlkarte ohne jeglichen Zugang zu Bargeld hatte Kiziltepe zuvor abgelehnt.

Bisher holen in Berlin registrierte Asylbewerber*innen ohne eigenes Konto die Leistungen als Bargeld-Auszahlung entweder direkt in den Unterkünften, im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten oder in den bezirklichen Sozialämtern ab. Im November 2023 hatte sich die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) auf das Ziel verständigt, diese Bargeldzahlungen durch ein bundesweites Bezahlkarten-System zu ersetzen.

Asylbewerber*innen sollten demnach mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen. Die solle nur in Deutschland, möglicherweise nur in einer bestimmten Region funktionieren, Überweisungen könnten nur eingeschränkt oder gar nicht möglich sein. Ob und wie Nutzer*innen an Bargeld kommen sollten, wurde nicht entschieden. Bis zum 31. Januar will eine Bund-Länder-Gruppe einheitliche Mindeststandards erarbeiten.

Die Argumente für diese Bezahlkarte folgten einer migrationsfeindlichen Logik: So müsste der angebliche Anreiz für Migrant*innen, nach Deutschland zu kommen, um hiesige Geldleistungen in ihre Herkunftsländer zu schicken, geschmälert werden. Laut dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung lässt sich jedoch weder nachweisen, dass die Aussicht auf Bargeld vom deutschen Staat Menschen in ihrer Fluchtentscheidung beeinflusst, noch dass dieses Geld tatsächlich ins Ausland fließe.

Und selbst wenn: Das Ziel, Migration zu regulieren, legitimiert keine sozialpolitische Drangsalierung. Das zumindest betont Andrea Kothen von Pro Asyl gegenüber »nd«. Laut Bundesverfassungsgericht dürfte die Menschenwürde nicht für migrationspolitische Zwecke relativiert werden. Doch genau das passiere aktuell: »Das Thema Bezahlkarte wurde in die politische Debatte vor allem mit dem einen Argument eingeführt: Die Asylzahlen müssen runter«, sagt Kothen.

Sie bezweifelt zwar, dass das Bezahlkarten-System die Zahl der Asylanträge senken würde: »Das ist illusorisch, das Getöse darum dient aber als Signal an die Ressentiment-geladenen Teile der Bevölkerung.« Doch es könnte die Rechte der Kartennutzer*innen maßgeblich beschneiden, etwa wenn die Karte nur in einer bestimmten Region funktioniert und dadurch die Bewegungsfreiheit innerhalb Deutschlands einschränkt. Oder wenn die Möglichkeit zur Überweisung fehlt und damit so etwas Zentrales wie ein Telefonvertrag unmöglich wird.

Doch es gibt auch positive Beispiele für ein Bezahlkarten-System: Hannover hat etwa schon lange vor dem MPK-Beschluss die Bezahlkarte geplant und Anfang des Jahres eingeführt – allerdings nur für Asylbewerber*innen, die kein eigenes Konto eröffnen können, erklärt Kai Weber, Pressesprecher vom Flüchtlingsrat Niedersachen. Sie enthalte keinerlei Einschränkungen.

»Die Idee war hier gar nicht von einer Diskriminierungsabsicht geprägt«, sagt Weber zu »nd«. Im Gegenteil: Nicht nur Geflüchteten ohne Identitätsnachweis, auch Wohnungslosen oder anderen sozial ausgeschlossenen Menschen eröffne die Karte einen Weg zum eigenen Konto. Außerdem entlaste das System die Behörden, die dadurch nicht mehr für die monatliche Auszahlung zuständig seien. »Aber wir sehen natürlich die Gefahr, dass die Karte bei anderen Mehrheitsverhältnissen zu Diskriminierungszwecken missbraucht werden kann«, gibt Weber zu.

Um gar nicht erst die Möglichkeit zum Missbrauch zu schaffen, spricht sich der Flüchtlingsrat Berlin prinzipiell gegen die Bezahlkarte aus. »Selbst wenn man sogenannte Mindeststandards etabliert, ist vollkommen unklar, wie das System in Zukunft weiter genutzt wird. Wer einmal die Büchse der Pandora öffnet, bekommt sie so schnell nicht wieder geschlossen«, sagt Flüchtlingsrat-Sprecherin Sina Stach.