Breite Front stellt sich gegen historische Asylverschärfungen

07.06.2023 Wir zitieren eine Pressemitteilung der Seebrücke:

Gegenwind von allen Seiten – Breite Front stellt sich gegen historische Asylverschärfungen

Morgen treffen die Innenminister*innen der EU in Luxemburg zusammen, um umfassende Verschärfungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu beschließen. Ein Bündnis aus über 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen appelliert an die Bundesregierung, sich den Plänen entgegenzustellen und sich für eine menschenwürdige Migrationspolitik einzusetzen.

So heißt es im Appell: „Anstatt sich dem Trend der Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze entschieden entgegenzustellen, signalisiert die Regierung mit ihrer Position die Bereitschaft, diesen Weg um jeden Preis mitzugehen. Damit gerät sie in eklatanten Widerspruch zu zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags“

In den vergangen Tagen haben über 800 Anwält*innen sowie über hundert Prominente die Bundesregierung für ihre geplante Zustimmung zur GEAS-Reform scharf kritisiert.

„Es ist beschämend, dass die Bundesregierung trotz einer breiten zivilgesellschaftlichen Front an ihren menschenverachtenden Plänen festhält. Im Mittelmeer ertrinken beinahe täglich schutzsuchende Menschen, Menschen verrotten in Lagern an den Grenzen und in Deutschland fordert eine brennende Geflüchtetenunterkunft ein Kinderleben. Frau Faeser, folgen Sie den Appellen der Expert*innen und stoppen Sie die Reform!“, fordert Maria Sonnek von der Seebrücke nachdrücklich.

Währenddessen üben auch hunderte Mitglieder der Grünen scharfe Kritik am Kurs der Parteispitze. Ebenso erstarkt der Protest innerhalb der SPD-Basis.

Dazu Jan Behrends von der Seebrücke: „Wir begrüßen es, dass auch die Mitglieder der Regierungsparteien sehen, welches Unrecht im Namen ihrer Parteien beschlossen werden soll. Wir fordern dennoch einen stärkeren Einsatz der Basis. Es reicht nicht, sich mit Ausnahmeregelungen für Kinder und Familien zufrieden zu geben. Wir müssen es ganz klar sagen: Fundamentale Menschenrechte sollen eingeschränkt werden. Wo bleiben die Beschwerden? Wo bleibt der Aufschrei? Wo bleibt der Aufstand?“

 

Beitrag in nd, 07.06.2023

Bundesregierung soll EU-Asylreform ablehnen, fordern Experten

»Besser keine Reform als eine, die Probleme verschärft«    Fachleute aus Recht, Migrationsforschung und Sozialpolitik fordern die Bundesregierung auf, den Verschärfungen des Asylrechts nicht zuzustimmen

Zu Beginn der Legislaturperiode wollte die Bundesregierung noch das Leid an den europäischen Außengrenzen beenden. Jetzt wollen sie einer Reform zustimmen, die Asylsuchende weiter entrechten würde.

Einen Tag vor dem EU-Ratstreffen der Innenminister*innen in Brüssel am Donnerstag und Freitag hat auch der Rat für Migration die Bundesregierung dazu aufgerufen, dem Entwurf der EU-Kommission über eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems nicht zuzustimmen. Darin vertreten sind fast 200 Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen, die zu Migration und Integration forschen. »Besser keine Reform als eine, die Probleme verschärft«, sagte Vassilis Tsianos, Vorsitzender des Gremiums, am Mittwoch in Berlin und widerspricht damit dem Credo der Bundesregierung. Er kritisiert, die Debatte würde »kontrafaktisch« geführt: »Es wird so getan, als befände sich die Europäische Union in einem Ausnahmezustand. Dabei haben wir eigentlich eine sehr entspannte Konsolidierungsphase der Migrationsbewegungen.«

Seit Ende April öffentlich wurde, dass die Bundesregierung entgegen ihrer bisherigen Position Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen unter haftähnlichen Bedingungen zustimmen will, hatten über 60 Menschenrechtsorganisationen vor einer weitgehenden Abschaffung des Flüchtlingsschutzes gewarnt, darunter Pro Asyl, Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, rund 800 Anwält*innen vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), Diakonie Deutschland und Brot für die Welt. 100 prominente Einzelpersonen schlossen sich in einem offenen Brief den Bedenken an.

Im Fokus der Kritik stehen die verpflichtenden Grenzverfahren unter Haftbedingungen, die Ausweitung der sicheren Drittstaaten und eine Verschärfung des Dublin-Systems. Es wird befürchtet, dass Asylsuchende künftig ohne eine Prüfung ihrer individuellen Fluchtgründe – wie in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen – in einen angeblich sicheren Drittstaat abgeschoben werden könnten. Statt eines solidarischen Systems benachteilige das Vorhaben weiterhin die Staaten an den EU-Außengrenzen. Diese hätten demnach keinen Anreiz, Geflüchtete gut unterzubringen und faire Asylverfahren durchzuführen. Dabei habe es mehrere wissenschaftliche Projekte im Auftrag der Europäischen Union gegeben, die nachweisbar realisierbare Entwürfe für eine Reform des Asylsystems geliefert hätten. Doch diese würden nicht umgesetzt, kritisiert der Rat für Migration. »Die Ideologie des Dublin-Systems ist nahezu unerschütterlich, besonders in Deutschland«, sagt der Vorsitzende Vassilis Tsianos.

Kritik kam auch aus den Parteien selbst: Am Dienstag hatten 730 Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen ihre Parteispitze aufgefordert, »den Pfad zur Zustimmung der Asylverfahrensverordnung zu verlassen«. In die gleiche Richtung ging eine Stellungnahme von 31 Abgeordneten aus Grünen und SPD, die mit Brand New Bundestag assoziiert sind. Scharfe Kritik kam von der Linkspartei. In einer gemeinsamen Erklärung forderten ihre fluchtpolitischen Sprecher*innen die Bundesregierung zu einer Ablehnung der Reform auf: »Ja – die europäische Asylpolitik muss grundlegend neu ausgerichtet werden. Dabei müssen aber die Menschenrechte der Schutzsuchenden im Mittelpunkt stehen und nicht rechte Träume von einer totalen Abschottung der Festung Europas«, heißt es dort.