Bund-Länder-Treffen: Unbeirrbar weiter auf dem Weg zu Bezahlkarte, Asylverfahren in Drittstaaten und Obergrenze

07.03.2024 Vom gestrigen Treffen zwischen Bundesregierung und den Ministerpräsident*innen der Länder berichteten viele Medien am gestrigen Abend. Der vollständige Beschluss (PDF zum Download) des Treffens ist hier zu lesen. Hier ausgewählte Zitate und deren Ursprungstexte:

  • Insgesamt sehen sie [die Regierungschefinnen und -chefs] Deutschland bei der Migrationspolitik auf einem guten Weg, sie rechnen allerdings nicht mit einem schnellen Rückgang der Asylbewerberzahlen.
  • Die Länder verlangen von der Bundesregierung Klarheit über eine mögliche Verlagerung von Asylverfahren in Länder außerhalb der EU. In einem am Mittwoch nach ihren Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) veröffentlichten Beschluss bitten die 16 Länderchefs die Ampel-Regierung in Berlin, bei der nächsten Bund-Länder-Konferenz am 20. Juni dazu erste Ergebnisse vorzulegen.
  • Bald soll nach dem Willen der Länder auch feststehen, wann die damals vereinbarte Bezahlkarte für Asylbewerber kommt. Sie soll teilweise Bargeld-Auszahlungen ersetzen und damit verhindern, dass die Flüchtlinge Geld in ihre Heimatländer überweisen. In dem gemeinsamen Beschluss fordern die Regierungschefs der Länder den Bund auf, dafür zu sorgen, dass der Bundestag einen entsprechenden Entwurf dazu rasch verabschiedet.
  • Der amtierende MPK-Chef Boris Rhein und andere CDU-Länderchefs hatten im Vorfeld neue Forderungen an die Bundesregierung gerichtet. Rhein drängte auf konkrete Ergebnisse des Treffens und verlangte vom Kanzler Klarheit darüber, »wann weitere Staaten mit geringer Anerkennungsquote als sichere Herkunftsländer ausgewiesen werden und wie es um die zusätzlichen Rückführungsabkommen steht«. Kretschmer, Wüst und andere erneuerten auch ihre Forderungen nach schnelleren Abschiebungen und einem Vorantreiben von Rückführungsabkommen mit anderen Staaten durch die Bundesregierung. Jeder abgelehnte Asylbewerber, der nicht abgeschoben werde, sei »ein Versagen des Staates, ist eine Niederlage und nicht hinzunehmen, weil die Bevölkerung das auch nicht hinnimmt«, erklärte Kretschmer.
  • Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder verlangte »jetzt sofort einen echten Richtungswechsel«. Nach seinen Vorstellungen sollten Asylbewerber erst nach fünf statt wie bislang beschlossen drei Jahren volle Sozialleistungen erhalten. Neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine sollten nur noch Asylbewerberleistungen statt sofort Bürgergeld erhalten, forderte der CSU-Vorsitzende. Außerdem plädierte Bayerns Regierungschef für »zentrale Ausreisezentren des Bundes an Flughäfen« und eine klar definierte Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern. In diese Kerbe hatte zuvor bereits Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer geschlagen. »50 000 oder 60 000 Flüchtlinge pro Jahr – mehr können das erst mal für die nächsten Jahre nicht sein, weil wir so eine große Integrationsanstrengung haben«, sagte der CDU-Politiker gegenüber »Bild«. Diese Obergrenze sei bis 2030 nötig, um die vorhandenen Kapazitäten an Wohnungen, Integrationskursen und Plätzen an Schulen nicht über Gebühr zu strapazieren. Der renommierte Migrationsforscher Gerald Knaus nannte Kretschmers Idee einen »utopischen Vorschlag«. Eine Obergrenze lasse sich weder rechtlich noch praktisch durchsetzen, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.
  • Aus NRW kamen deutlich pessimistischere Töne [als von Boris Rhein, MP Hessen (CDU)]. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zeigte sich nach dem Treffen ernüchtert. Man müsse kein Hellseher sein, um zu wissen, dass der Migrationsdruck auf Deutschland auch in diesem Jahr enorm sein werde. ..."Noch so ein Jahr on top, immer noch mehr Menschen obendrauf, wird uns an die Grenzen dessen bringen, was überhaupt noch geht", sagte Wüst... „Wir laufen sehenden Auges in eine totale Überforderung dieses Landes hinein“... Der renommierte Migrationsforscher Gerald Knaus nannte Kretschmers Idee indes einen »utopischen Vorschlag«. Eine Obergrenze lasse sich weder rechtlich noch praktisch durchsetzen, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.
  • Wichtige Fragen auf 20. Juni vertagt Beim nächsten Treffen der Runde am 20. Juni soll den Angaben zufolge klar sein, an welchem Tag die Bezahlkarte für Asylbewerber starten werde. Sie soll teilweise Bargeld-Auszahlungen ersetzen. Bei dem für Juni angekündigten Treffen soll die Bundesregierung außerdem vortragen, was bei ihrer Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten herausgekommen ist.
  • Ein zuvor geäußerter Vorschlag des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) fand offenbar keine Zustimmung. Herrmann hatte angeregt, neu ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr auszuzahlen, sondern Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. So sollten soziale Anreize nach Deutschland zu kommen, deutlich reduziert werden. Zum Vergleich: Ein alleinstehender Asylbewerber hat nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einen Anspruch auf maximal 460 Euro pro Monat. Beim Bürgergeld beträgt der Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen 563 Euro im Monat.

Hier die Berichte von Tagesschau, SZ, WDR und nd in vollem Wortlaut:

Harmonische Töne auf offener Bühne: Die Länderchefs und Kanzler Scholz geben sich nach gemeinsamen Beratungen zur Asylpolitik geschlossen. Man habe viel erreicht, müsse jetzt aber auch "dranbleiben", sagte der Kanzler.

Nach der Ministerpräsidentenkonferenz zur Migration hat Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsam mit Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Ergebnisse vorgestellt.

Unter dem Druck anhaltend hoher Asylbewerberzahlen hatten sich Bund und Länder im November nach langem und zähem Streit auf Maßnahmen zur Reduzierung der Fluchtmigration nach Deutschland verständigt. Heute trafen sich die Regierungschefinnen und -chefs erneut für eine Zwischenbilanz. Insgesamt sehen sie Deutschland bei der Migrationspolitik auf einem guten Weg, sie rechnen allerdings nicht mit einem schnellen Rückgang der Asylbewerberzahlen.

Scholz zeigte sich ebenfalls zuversichtlich: Es seien in den vergangenen Monaten bereits grundlegende Veränderungen auf den Weg gebracht worden, betonte der Kanzler. Man dürfe bei der Begrenzung der irregulären Migration jetzt nur "nicht die Hände in den Schoß legen". Es gelte nun, die im November beschlossenen Maßnahmen auch umzusetzen. Dieses "Dranbleiben" sei auch heute bei dem Treffen erneut bestärkt worden.

Versöhnliche Töne aus der Union

Obwohl insbesondere die Unions-Ministerpräsidenten im Vorfeld der Konferenz die Migrationslage als problematisch beschrieben hatten, zeigte sich der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU), mit den Beratungen zufrieden.

Migrationspolitik sei ein "unfassbar komplexes Thema" und er sei froh, dass etwa mit der Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber ein großer Fortschritt gelungen sei, so Rhein. Er hoffe auf eine bundesweite Einführung der Karte bereits im Sommer. Bund und Länder hätten gezeigt, dass sie einen gemeinsamen Fahrplan hätten und handlungsfähig seien. Jetzt gehe es darum, "all das konsequent umzusetzen".

"Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir jemals so viel zusammen hinbekommen, dass wir so viel Geschwindigkeit in das Thema gebracht haben", betonte Rhein. Als Beispiele nannte der Ministerpräsident etwa die erfolgte Einstufung von Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten. Er persönlich finde auch die von Parteikollegen angestoßene Debatte über eine Obergrenze für Asylbewerber legitim.

 

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Berlin (dpa) - Die Länder verlangen von der Bundesregierung Klarheit über eine mögliche Verlagerung von Asylverfahren in Länder außerhalb der EU. In einem am Mittwoch nach ihren Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) veröffentlichten Beschluss bitten die 16 Länderchefs die Ampel-Regierung in Berlin, bei der nächsten Bund-Länder-Konferenz am 20. Juni dazu erste Ergebnisse vorzulegen.

Bald soll nach dem Willen der Länder auch feststehen, wann die damals vereinbarte Bezahlkarte für Asylbewerber kommt. Sie soll teilweise Bargeld-Auszahlungen ersetzen und damit verhindern, dass die Flüchtlinge Geld in ihre Heimatländer überweisen. In dem gemeinsamen Beschluss fordern die Regierungschefs der Länder den Bund auf, dafür zu sorgen, dass der Bundestag einen entsprechenden Entwurf dazu rasch verabschiedet.

Scholz: "Immer am Thema dran bleiben"

Scholz (SPD) und die amtierenden Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, der Hesse Boris Rhein (CDU) und sein niedersächsischer Stellvertreter Stephan Weil (SPD), zogen vier Monate nach dem Migrationsgipfel im November insgesamt eine positive Zwischenbilanz der Umsetzung ihrer Beschlüsse. Es seien in den vergangenen Monaten bereits "grundlegende Veränderungen auf den Weg gebracht" worden, betonte der Kanzler. Man dürfe bei der Begrenzung der irregulären Migration jetzt nur nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müsse "immer am Thema dranbleiben".

Unzufrieden zeigten sich dagegen die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Bayern, Hendrik Wüst (CDU) und Markus Söder (CSU). "Das reicht nicht: Die heutige MPK war wieder nur eine Bestandsaufnahme und hat nichts Neues gebracht", sagte Söder. Bayern und Sachsen forderten in einer gemeinsamen Protokollnotiz, dass neu ankommende ukrainische Flüchtlinge künftig statt Bürgergeld wieder die normalen Leistungen für Asylbewerber erhalten. "Mit dieser Halbherzigkeit werden die Zugangszahlen im Sommer kaum sinken", hieß es in der Notiz weiter. Hessen forderte, Länder mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent grundsätzlich zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Thüringen stellte sich gegen "Asyllager an den europäischen Außengrenzen".

Wüst mahnt mehr Tempo an

Wüst meinte: "In der Migrationspolitik braucht es Tempo statt Zeitspiel." Vor allem beim Thema Asylverfahren in Drittstaaten gehe es nur im Schneckentempo voran, bemängelte der CDU-Politiker. Bereits 2021 habe die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag einen entsprechenden Prüfauftrag verankert. "Passiert ist dann nichts", kritisierte Wüst.

Beim Flüchtlingsgipfel im November hatte die Bundesregierung erneut eine Prüfung zugesagt. Auch in anderen europäischen Ländern werden entsprechende Modelle diskutiert. Italien hatte im vergangenen Jahr eine Absichtserklärung mit Albanien zur Errichtung von zwei Zentren zur Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Migranten in Albanien unterzeichnet. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hält eine solche Verlagerung von Asylverfahren generell für möglich, allerdings nur unter eng gefassten Bedingungen.

Weil äußert rechtliche Bedenken gegen Obergrenze für Asylbewerber

In der Debatte über eine Obergrenze für Asylbewerber wurden sehr unterschiedliche Sichtweisen deutlich. Hessens Ministerpräsident Rhein nannte die Diskussion als Vorsitzender der Länder-Konferenz legitim. Der niedersächsische Ministerpräsident Weil hält eine Obergrenze aus verfassungsrechtlichen Gründen dagegen nicht für realistisch. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte zuletzt "50.000 oder 60.000 Flüchtlinge pro Jahr" als mögliche Grenze genannt.

"Als Ziel kann man über alles reden", sagte Weil dazu. Für eine Obergrenze wären aber grundlegende rechtliche Änderungen notwendig, nicht nur in Deutschland, sondern es gehe hier auch um die Genfer Flüchtlingskonvention.

Rhein mahnt Realismus bei Eindämmung der Zuwanderung an

Weil zeigte sich auch skeptisch, was einen schnellen Rückgang der Asylbewerberzahlen angeht. "Niemand soll von unseren Beschlüssen erwarten, dass sie sofort den Schalter umlegen", sagte er. Auch Rhein sagte, man müsse da "ja doch realistisch bleiben".

In Deutschland hatten im vergangenen Jahr rund 329 000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt – etwa 50 Prozent mehr als 2022. Die mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine, die seit Kriegsbeginn Ende Februar 2022 nach Deutschland kamen, sind darin nicht erfasst, da sie kein Asyl beantragen müssen. Viele Kommunen sind mit der Unterbringung inzwischen überfordert.

Im Januar dieses Jahres wurden fast 26.400 Asyl-Erstanträge gezählt. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr ergäbe dies eine ähnliche Zahl wie 2023. Dabei ist aber noch nicht berücksichtigt, dass im Frühjahr, Sommer und Herbst üblicherweise mehr Flüchtlinge kommen als im Winter.

Einige Streitpunkte bereits vor dem Treffen abgeräumt

Um gegenzusteuern, hatten sich Bund und Länder im November auf ein Maßnahmenpaket verständigt. Enthalten war eine Pro-Kopf-Pauschale des Bundes als zusätzliche Beteiligung an den Asylkosten abgerungen: 7500 Euro pro Jahr für jeden, der erstmals in Deutschland Asyl beantragt. Damit eine erste Abschlagszahlung an die Länder in Höhe von 1,75 Milliarden Euro für 2024 noch im ersten Halbjahr kommt, will der Bund bald einen Gesetzentwurf zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vorlegen.

 

NRW-Ministerpräsident Wüst hat schnellere Maßnahmen bei der Begrenzung irregulärer Migration gefordert. Doch bei dem Asyl-Bund-Länder-Treffen in Berlin wurden wichtige Fragen auf Juni vertagt.

Die Regierungschefs der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sehen Deutschland in der Migrationspolitik insgesamt auf einem guten Weg. Man dürfe bei der Begrenzung der irregulären Migration jetzt nur nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müsse "immer am Thema dranbleiben", sagte Scholz am Mittwoch nach einem Bund-Länder-Treffen.

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sagte: "Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir jemals so viel zusammen hinbekommen, dass wir so viel Geschwindigkeit in das Thema gebracht haben." Konkrete neue Vorhaben wurden allerdings nicht vorgestellt.

Aus NRW kamen deutlich pessimistischere Töne. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zeigte sich nach dem Treffen ernüchtert. Man müsse kein Hellseher sein, um zu wissen, dass der Migrationsdruck auf Deutschland auch in diesem Jahr enorm sein werde.

In der Migrationspolitik braucht es Tempo statt Zeitspiel. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst

Die Liste der unerledigten Hausaufgaben durch die Ampel-Regierung sei ellenlang, betonte Wüst. Die Bundesregierung habe den Ernst der Lage offensichtlich nicht erkannt. Vor allem beim Thema Asylverfahren in Drittstaaten gehe es nur im Schneckentempo voran.

Wüst hatte bereits vor dem Treffen im WDR-Interview einen deutlich dringlicheren Ton angeschlagen als sein Parteifreund Rhein später bei der PK mit Scholz. "Viele Systeme sind am Limit und dabei geht es letztlich ja immer um Menschen".

"Noch so ein Jahr on top, immer noch mehr Menschen obendrauf, wird uns an die Grenzen dessen bringen, was überhaupt noch geht", sagte Wüst bereits am Dienstag in der ARD-Sendung "Maischberger".

Wichtige Fragen auf 20. Juni vertagt

Beim nächsten Treffen der Runde am 20. Juni soll den Angaben zufolge klar sein, an welchem Tag die Bezahlkarte für Asylbewerber starten werde. Sie soll teilweise Bargeld-Auszahlungen ersetzen. Bei dem für Juni angekündigten Treffen soll die Bundesregierung außerdem vortragen, was bei ihrer Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten herausgekommen ist.

329.000 Erstanträge auf Asyl

In Deutschland stellten im Jahr 2023 rund 329.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl – etwa 50 Prozent mehr als 2022. Die mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine, die seit Kriegsbeginn Ende Februar 2022 nach Deutschland kamen, sind darin nicht erfasst, da sie kein Asyl beantragen müssen.

 

Forderung nach härterer Fluchtpolitik dominiert Ministerpräsidentenkonferenz. Bei Migranten sind deutsche Abschreckungsmaßnahmen kaum bekannt

In Sachen Bezahlkarte hatten Bund und Länder bereits vor dem Treffen am Mittwoch in der Berliner Vertretung Hessens in Berlin eine Einigung mit der Bundesregierung erzielt. Das Ampel-Kabinett hatte am Freitag eine Gesetzesänderung beschlossen, die Kommunen und Landkreisen Rechtssicherheit dafür geben soll, dass nicht nur Asylbewerber in Sammelunterkünften, sondern in Wohnungen untergebrachte Geflüchtete die Chipkarte anstelle von Bargeld bzw. Überweisungen auf ein echtes Konto bekommen.

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am Mittwoch ging es gleichwohl erneut vor allem um weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Zahl der Abschiebungen und zur Abschreckung weiterer »irregulärer Migranten«. Der Bezahlkarte schreiben die Länderchefs einen großen Abschreckungseffekt zu. Sie betonen, die Karte werde Menschen daran hindern, Geld an Angehörige in den Herkunftsländern oder an »Schlepperbanden« zu überweisen.

Eine just am Mittwoch veröffentlichte Studie widerspricht indes der These, dass die Sozialleistungen in Deutschland ein Faktor sind, der Menschen »anlockt«. Eine Erhebung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) im westafrikanischen Senegal zeige, dass nur ein Teil der Befragten über Details des europäischen Asylverfahrens informiert ist, teilte das RWI am Mittwoch in Essen mit. Außerdem seien Sozialleistungen nur selten ein Grund für die Wahl eines Einwanderungslands. Das Rückführungsverbesserungsgesetz sowie die Einführung der Bezahlkarte, die Beschleunigung der Asylverfahren und die Zahlung der höheren Sozialleistungen erst nach 36 statt 18 Monaten hätten keinen nennenswerten Abschreckungseffekt.

Auf die Frage nach den Gründen für ihre Auswahl eines Migrationsziel gaben laut der Studie nur elf Prozent der Menschen an, dass die genannten Leistungen und die Regeln ihrer Auszahlung eine Rolle spielen. Eine mögliche Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten wie Tunesien oder Ruanda senkt die Migrationsabsichten der Studie zufolge hingegen messbar, wenn auch nicht besonders stark. Für die Studie wurden 1000 Männer zwischen 18 bis 40 Jahren befragt.

Am Gipfel am Mittwoch nahm zeitweilig auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teil. Der amtierende MPK-Chef Boris Rhein und andere CDU-Länderchefs hatten im Vorfeld neue Forderungen an die Bundesregierung gerichtet. Rhein drängte auf konkrete Ergebnisse des Treffens und verlangte vom Kanzler Klarheit darüber, »wann weitere Staaten mit geringer Anerkennungsquote als sichere Herkunftsländer ausgewiesen werden und wie es um die zusätzlichen Rückführungsabkommen steht«.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder verlangte »jetzt sofort einen echten Richtungswechsel«. Nach seinen Vorstellungen sollten Asylbewerber erst nach fünf statt wie bislang beschlossen drei Jahren volle Sozialleistungen erhalten. Neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine sollten nur noch Asylbewerberleistungen statt sofort Bürgergeld erhalten, forderte der CSU-Vorsitzende.

Außerdem plädierte Bayerns Regierungschef für »zentrale Ausreisezentren des Bundes an Flughäfen« und eine klar definierte Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern. In diese Kerbe hatte zuvor bereits Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer geschlagen. »50 000 oder 60 000 Flüchtlinge pro Jahr – mehr können das erst mal für die nächsten Jahre nicht sein, weil wir so eine große Integrationsanstrengung haben«, sagte der CDU-Politiker gegenüber »Bild«. Diese Obergrenze sei bis 2030 nötig, um die vorhandenen Kapazitäten an Wohnungen, Integrationskursen und Plätzen an Schulen nicht über Gebühr zu strapazieren.

Nordrhein-Westfalens CDU-Regierungschef Hendrik Wüst antwortete am Dienstagabend in der ARD-Sendung »Maischberger« auf die Frage, ob er die von Kretschmer vorgeschlagene Obergrenze für richtig halte: »Ich glaube, das ist eine Zahl, die sich an dem orientiert, was wir hier verarbeitet kriegen.« Der renommierte Migrationsforscher Gerald Knaus nannte Kretschmers Idee indes einen »utopischen Vorschlag«. Eine Obergrenze lasse sich weder rechtlich noch praktisch durchsetzen, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Kretschmer, Wüst und andere erneuerten auch ihre Forderungen nach schnelleren Abschiebungen und einem Vorantreiben von Rückführungsabkommen mit anderen Staaten durch die Bundesregierung. Jeder abgelehnte Asylbewerber, der nicht abgeschoben werde, sei »ein Versagen des Staates, ist eine Niederlage und nicht hinzunehmen, weil die Bevölkerung das auch nicht hinnimmt«, erklärte Kretschmer.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte indes, die Ampel arbeite intensiv an der konkreten Gestaltung von Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU. Wie so etwas rechtskonform gestaltet werden könne, werde man »gemeinsam mit Migrationsexperten und Juristen intensiv« weiter beraten, sagte Faeser zu Spiegel online. Weiter betonte sie, es gebe seit der Verschärfung der Abschieberegeln bereits eine Steigerung der Rückführungen um mehr als 25 Prozent. Nun müssten die Länder die neuen Möglichkeiten intensiver nutzen. Die Bundespolizei werde sie dabei weiter unterstützen. Zudem habe der Bund mehr als 1000 neue Kräfte beim Bundesamt für Migration Flüchtlinge eingestellt.