Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen spät und unzureichend

18.10.2022 Endlich, endlich gibt es ein Aufnahmeprogramm für in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban akut bedrohte Menschen. Trotz aller Appelle und der augenscheinlichen Dringlichkeit kommt es erst jetzt, 14 Monate später. Ein Zeitverzug, der zahlreiche Menschenleben gekostet hat, wie die Bundesregierung zuletzt auf eine parlamentarische Frage zugeben musste. (s. dazu auch unseren Beitrag Sträfliches Versagen: Tod von Afghanistan-Ortskräften statt Rettung durch die Deutschen).

Das Bundesaufnahmeprogramm kommt erst ein Jahr nach der Bundestagswahl und nachdem verschiedene Bundesländer bereits Landesaufnahmeprogramme aufgelegt hatten, die wegen fehlender Zustimmung der Innenministerin nicht umgesetzt werden konnten. Als zuletzt  Anfang Oktober Hessen entschied, eintausend Menschen aus Afghanistan im Rahmen eines Landesaufnahmeprogrammes Zuflucht zu bieten, stellte Pro Asyl fest: „Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Bundesinnenministerin Faeser“. Günter Burkhard erklärte: „Das ist ein bundesweit bedeutsames Signal. Es ist mutmachend, dass nach Schleswig-HolsteinBremen, Berlin und Thüringen, die bereits im vergangenen Jahr Landesaufnahmeprogramme beschlossen hatten, nun auch Hessen diesen Schritt geht. Das Bundesinnenministerium muss nun dringend seine Zustimmung geben, denn erst dann können sich Menschen um Aufnahme bewerben.“

Jetzt gibt es also das Bundesaufnahmeprogramm, dessen Umsetzung - so Faeser - nun "zügig erfolgen" und voraussichtlich bis September 2025 andauern soll. Doch was lange gewährt hat, ist dadurch nicht automatisch gut. Wir zitieren im Folgenden nach der SZ-Presseberichterstattung die Kritik von Pro Asyl und eine Beurteilung der Seebrücke.

aktualisiert: Zuvor noch ein aktueller Beitrag der News von Pro Asyl vom 21.10.2022:

Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan: Enttäuschung nach langem Warten

Auf das bereits im Koalitionsvertrag angekündigte und nun gestartete Bundesaufnahmeprogramm haben viele gefährdete Afghan*innen lange gewartet. Bis Ende 2025 sollen monatlich 1000 Personen aufgenommen werden. Wenngleich der Start des Programms erfreulich ist, lassen sich bei genauerem Blick einige Unzulänglichkeiten erkennen.

Am 17. Oktober 2022 haben das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium auf einer eigens eingerichteten Website bekannt gegeben, dass das Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen beginnt. Die Not von gefährdeten Menschen aus Afghanistan ist riesengroß – und somit auch das Interesse an einem solchen Programm: Allein bei PRO ASYL gingen in den ersten fünf Tagen nach Bekanntgabe rund 600 Anfragen dazu ein.

Für das Aufnahmeprogramm ließ die Bundesregierung  ein Online-Tool mit mehr als 100 Fragen entwickeln. Dabei werden neben den Daten zur Person auch medizinischer Behandlungsbedarf, Lebensumstände, tätigkeitsbezogene Gefährdungen, Vulnerabilität aufgrund von Geschlecht, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität sowie ein möglicher Bezug zu Deutschland und eine Integrationsprognose abgefragt. Die Angaben sollen, soweit möglich, mit Dokumenten belegt werden. Am Ende vergibt ein IT-System Punkte und soll so feststellen, wer als individuell gefährdet eingestuft werden kann.

Zu der Online-Eingabe haben aber nur ausgewählte Organisationen überhaupt einen Zugang. Wer diese Organisationen sein werden, war bis zur Veröffentlichung dieses Textes noch nicht bekannt.

Afghan*innen können sich aktuell nicht direkt bewerben

Zu der Online-Eingabe haben aber nur ausgewählte Organisationen überhaupt einen Zugang. Wer diese Organisationen sein werden, war bis zur Veröffentlichung dieses Textes noch nicht bekannt. Aus den Fragen und Antworten geht hervor, dass diese »meldeberechtigten Stellen«  selbst darüber entscheiden sollen, ob sie sich als solche zu erkennen geben. Kontakte der Betroffenen zu großen Organisationen sind folglich Grundvoraussetzung, um einen Antrag stellen zu können. Durch Intransparenz und Exklusivität wird so ein künstlicher Flaschenhals geschaffen.

Da die Bundesregierung angibt, dass zu Beginn des Programmes der Fokus auf bereits vorliegenden Fälle liegen soll, sollte schnellstmöglich eine Öffnung und somit ein transparenter Zugang für weitere Schutzsuchende sichergestellt werden. Eine Alternative liegt auf der Hand: Die Online-Eingabemaske sollte auf der Homepage zum Aufnahmeprogramm bereitgestellt werden, so dass Betroffene sich selbst registrieren können.

Afghan*innen haben also aktuell keine eigene Handlungsoption und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Würde eine »meldeberechtigten Stellen« bekannt geben, Anträge anzunehmen, wäre mit einer enorm hohen Anzahl an Anfragen zu rechnen, die von den häufig ohnehin schon unterfinanzierten Organisationen kaum zu bewältigen wäre. Folglich müssten Mitarbeitende auswählen, welche Ersuche sie bearbeiten und welche nicht.

Antragstellende aus Drittstaaten werden ausgeschlossen

Um überhaupt für das Programm in Frage zu kommen, müssen die Menschen die afghanische Staatsangehörigkeit besitzen und sich aktuell in Afghanistan aufhalten. Letzteres ist höchst problematisch: Menschen, die aufgrund ihrer akuten Gefährdung und der späten Bereitstellung von legalen Einreisemöglichkeiten bereits seit August 2021 in Nachbarländer von Afghanistan geflohen sind, werden ausgeschlossen. Es wird nicht berücksichtigt, dass sie dort in aller Regel keine Bleibeperspektive haben und unmittelbar von Abschiebung bedroht sind. Warum die Antragstellenden sich bei Antragstellung in Afghanistan aufhalten müssen, wird von der Bundesregierung nicht weiter begründet.

Menschen, die aufgrund ihrer akuten Gefährdung und der späten Bereitstellung von legalen Einreisemöglichkeiten bereits seit August 2021 in Nachbarländer von Afghanistan geflohen sind, werden ausgeschlossen.

Die Macht liegt beim Algorithmus

Durch den Fragenkatalog sollen Menschen identifiziert werden, die aufgrund ihres Einsatzes für Frauen- und Menschenrechte, ihrer Tätigkeit in den Bereichen Justiz, Politik, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft, aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oder wegen ihrer Religion besonders gefährdetet sind. Darüber hinaus sollen auch Verfolgungen oder Gefährdungen berücksichtigt werden, die sich aus „den besonderen Umständen des Einzelfalles ergeben«, heißt es. Nach der Eingabe der Daten wird zunächst anhand geschlossener Ja-Nein-Fragen durch einen Algorithmus priorisiert und somit vorsortiert. Erst danach sollen sich Mitarbeitende der Bundesbehörden die gefilterten Einzelfälle anschauen und Kurzbegründungen lesen.

Dieses Verfahren ist insgesamt jedoch ungeeignet. Es kann weder individuelle Biografien begreifen noch außergewöhnliche Fallkonstellationen berücksichtigen. Eine individuelle Gewichtung der Anträge ist somit nicht vorgesehen. Bei dem vorgesehenen IT-Scoringsystem, wonach die Anträge gefährdeter Afghan*innen mit digitalen Punktesystem und Algorithmen bewertet werden, besteht außerdem die Gefahr, dass ernsthaft gefährdete Menschen, die aber zum Beispiel möglicherweise nicht die nötigen Sprach- oder IT-Kenntnisse mitbringen, durch das Raster fallen.

Landesaufnahmeprogramme sind in der Planung

Eine mögliche Alternative für gefährdete Afghan*innen mit Familienangehörigen in Deutschland können geplante Landesaufnahmeprogramme sein. Bis zum 20. Oktober hatten  mit Schleswig-HolsteinBremen, Berlin, Thüringen und Hessen fünf Bundesländer Landesaufnahmeprogramme konkret beschlossen. Diese würden  komplementär zum Bundesaufnahmeprogramm existieren und in der Regel eine Lebensunterhaltssicherung in Form einer Verpflichtungserklärung voraussetzen.

Damit die Programme umgesetzt werden können, muss jedoch noch das Bundesinnenministerium seine Zustimmung erteilen, was es nach eigenen Angaben in Kürze tun wird. Keines der geplanten Landesaufnahmeprogramme war bis zum 20. Oktober angelaufen.

Ortskräfteverfahren muss reformiert werden

Auch die Reform des Ortskräfteverfahrens ist noch immer nicht beschlossen: Weiterhin erhalten nur diejenigen eine Aufnahmezusage, die nach Ende 2012 in einem direkten Anstellungsverhältnis standen (zum Beispiel als Dolmetscher bei der Bundeswehr). Dies schließt Menschen aus, die in Subunternehmen für die deutsche Regierung tätig waren oder Honorarverträge hatten. Menschen, die bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) angestellt waren und Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt haben, erhalten nur eine Aufnahmeerlaubnis, wenn sie zusätzlich glaubhaft machen, dass eine individuelle Gefährdung vorliegt. Dabei ist zu bedenken: Erst durch das Handeln der westlichen Staaten wurden diese Menschen in Afghanistan in Gefahr gebracht. Wer als »verwestlicht « gilt, muss aus Afghanistan evakuiert und aufgenommen werden.

Mehr Informationen zum Bundesaufnahmeprogramm stehen auf der Informationsseite zum Bundesaufnahmeprogramm des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes. Dort gibt es auch ein FAQ.

(Annika Hesselmann, Flüchtlingsrat Niedersachsen und Mitarbeiterin des PRO ASYL-Afghanistannetzwerkes)

 

 

Die SZ berichtete am 17.10.2022:

Bund startet Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen

Die Bundesregierung will Menschen, die um Leib und Leben fürchten müssen, nun zusammen mit zivilen Hilfsorganisationen von Afghanistan nach Deutschland holen. ... Am Montag haben Auswärtiges Amt und Innenministerium nun ein neues Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen bekannt gegeben. "Bei der Umsetzung gehen wir in der engen Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen neue Wege und Kooperationsformen ein, die es so bisher nicht gegeben hat", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Bestimmte zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Bundesregierung auswählt, sollen künftig gefährdete Personen vorschlagen können. Zur Unterstützung plant die Bundesregierung eine Koordinierungsstelle. Das Vorhaben hatten SPD, Grüne und FDP bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, die Umsetzung soll nun "zügig erfolgen" und voraussichtlich bis September 2025 andauern. Die Zahl der Aufnahmen bleibt auf altem Niveau Die Bundesregierung hat zwei Zielgruppen für das Programm definiert. Erstens Afghanen, die sich durch ihren Einsatz für Frauen- und Menschenrechte oder in den Bereichen Justiz, Politik, Medien oder Wissenschaft und Sport besonders exponiert haben und deshalb individuell gefährdet sind. Zweitens Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts oder ihrer Religion gefährdet sind. In Betracht kämen nur Menschen mit Aufenthalt in Afghanistan, teilte die Bundesregierung mit. Es sei geplant, pro Monat circa 1000 besonders gefährdete Afghanen aufzunehmen - so viele wie bisher.

Nichtregierungsorganisationen kritisierten am Montag, das neue Verfahren sei intransparent, schaffe einen privilegierten Zugang und verhelfe zu wenig Menschen zur Einreise. ...

 

Pro Asyl gab gleichzeitig eine Pressemitteilung heraus:

Kritik von PRO ASYL zum Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan: Schutzsuchende in Drittstaaten ausgeschlossen

 

Als erste Reaktion kritisiert  PRO ASYL das nun vorgelegte Konzept eines Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Afghan*innen als unzureichend. In der vorliegenden Form ist das Programm nicht geeignet, die am meisten  gefährdeten Menschen, die sich für Menschenrechte und demokratische Werte eingesetzt haben, zu retten. 

Die Menschenrechtsorganisation kritisiert, dass sich das Aufnahmeprogramm ausschließlich auf „afghanische Staatsangehörige in Afghanistan“ bezieht. Schutzsuchende, die sich bereits in Drittstaaten befinden, werden ausgeschlossen.  Außerdem droht das Programm  zu einer Art Schutzlotterie mit geringen Gewinnchancen für gefährdete Afghanin*innen zu werden.

Keine Einengung der schutzbedürftigen Personengruppen 

Die Forderung der Bundesaußenministerin, Frauen und Mädchen zu schützen, ist vollkommen richtig.  Ihr Hinweis dazu lautet: „Besonders an sie richtet sich deshalb das humanitäre Aufnahmeprogramm, das heute endlich an den  Start geht.“ PRO ASYL warnt davor, das Bundesaufnahmeprogramm auf einige schutzbedürftige Personengruppen zu verengen. Im Falle von Racheaktionen durch das Taliban-Regime ist zu berücksichtigen, dass überwiegend männliche Familienangehörige in dessen Visier geraten.

Der Algorithmus spielt Schicksal 

Nach den Plänen der Bundesregierung wird künftig de facto ein Algorithmus entscheiden, wer von dem Bundesprogramm profitieren wird – und nicht ein sachlich begründeter Antrag, den Menschen Fall für Fall prüfen. Mit geschlossenen Ja-Nein-Fragen soll herausgefunden werden, wer für das Programm in Frage kommt.  Erst nach einer computergestützten Priorisierung sollen sich Menschen die vom Algorithmus gefilterten Einzelfälle anschauen und Kurzbegründungen lesen. Eine individuelle Gewichtung der Anträge ist nicht vorgesehen.

Bei dem vorgesehenen IT-Scoringsystem, wonach  die Anträge gefährdeter Afghan*innen mit digitalen Punktesystem und Algorithmen bewertet werden, besteht aus Sicht von PRO ASYL die Gefahr, dass ernsthaft gefährdete Menschen, die aber zum Beispiel möglicherweise nicht die nötigen Sprach- und IT-Kenntnisse mitbringen, durch das Raster fallen.

Zudem kritisiert PRO ASYL, dass sich die Schutzsuchenden nicht selbst direkt für das Programm bewerben können. Das sollen bestimmte in Deutschland registrierte und vom Bundesinnenministerium akzeptierte Nichtregierungsorganisationen übernehmen, eine staatlich finanzierte Koordinierungsstelle soll dann die vermittelten Anträge einpflegen.

Trotz alledem: Aufnahmeprogramm beginnen! 

Obwohl das Programm mangelhaft konzipiert ist, ist es wichtig, dass es nun startet, denn es ist fast der einzige Hoffnungsschimmer für Tausende verzweifelte Menschen. Im Interesse der Verfolgten muss jede Möglichkeit genutzt werden, um bedrohte Menschen vor den Taliban zu retten.

Um die Aufnahme afghanischer Menschenrechtsverteidiger*innen, Medien- und Kulturschaffender, Frauenrechtler*innen und weiterer höchst gefährdeter  Personen zu organisieren, müssen jedoch zusätzlich zu einem Bundesaufnahmeprogramm das Ortskräfte-Verfahren reformiert, weiterhin humanitäre Visa erteilt und der Familiennachzug beschleunigt werden.

Ortskräfteverfahren muss reformiert werden

PRO ASYL fordert, dass die Prüfung von besonders dringenden Einzelfällen durch Erteilung von humanitären Visa fortgeführt wird. Gleichzeitig muss das Ortskräfteverfahren so reformiert werden, dass alle Bedrohten, die für Deutschland gearbeitet haben, Schutz finden. Dafür ist eine Reform des Verfahrens nötig, die den Begriff der Ortskraft auf alle entlohnten und ehrenamtlichen Tätigkeiten für deutsche Institutionen, Organisationen und Unternehmen sowie Subunternehmen ausweitet. PRO ASYL erinnert daran, dass erst durch das Handeln der westlichen Staaten Menschen in Afghanistan in Gefahr gebracht wurden. Wer als „verwestlicht“ gilt, muss aus Afghanistan evakuiert und aufgenommen werden.

 

Auch die Seebrücke reagierte mit einer Pressemitteilung:

Bundesaufnahmeprogramm bleibt viel zu vage – echte Verantwortung sieht anders aus!

17.10.2022 Heute gaben Bundesaußenministerin Baerbock und Bundesinnenministerin Faeser bekannt, dass ein Bundesaufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Menschen aus Afghanistan auf dem Weg gebracht werde. Das Programm solle monatlich 1000 Afghan*innen und Familienangehörige nach Deutschland bringen.

Gleichzeitig leiden die Menschen in Afghanistan unter dem Terrorregime der Taliban. Erst letzte Woche wurde bekannt, dass Dutzende ehemalige Ortskräfte bereits getötet wurden. Darüber hinaus begeht die Taliban einen Genozid an den Hazara.

Die Seebrücke verurteilt die vagen Pläne und fordert die Bundesregierung auf, Verantwortung für ihre Taten und die zurückgebliebenen Menschen in Afghanistan zu übernehmen.

Philipp Kühnlein von der Seebrücke:

„Seit der Machtübernahme der Taliban hätte die Bundesregierung immer wieder die Möglichkeit gehabt, zu handeln und bedrohte Menschen aus Afghanistan schnell und unbürokratisch aufzunehmen. Stattdessen ist im letzten Jahr viel zu wenig passiert. Erst kürzlich wurde bekannt, dass nachweislich über 30 Menschen mit einer bestehenden Aufnahmezusage getötet wurden. Für diese Menschen kommt die jetzige Ankündigung des Bundesaufnahmeprogramms viel zu spät."

Die Seebrücke hat in den vergangenen Monaten immer wieder die schnelle und unbürokratisches Aufnahme von bedrohten Menschen aus Afghanistan, sowie transparente und humane Asylverfahren gefordert. Die blockierende Politik des Auswärtigen Amtes und insbesondere des Bundesinnenministeriums wurde dabei scharf kritisiert. Dass nun endlich ein Bundesaufnahmeprogramm umgesetzt werden soll, begrüßt die Seebrücke. Gleichzeitig sind nach den ersten Veröffentlichungen noch viele Fragen offen.

Dazu Mariella Hettich von der Seebrücke: 

„Ob der Ankündigung eines Aufnahmeprogramms nun tatsächlich zu einer schnellen und unbürokratischen Evakuierung von bedrohten Menschen führt, ist angesichts der zögerlichen und mutlosen Politik mehr als fraglich. Ein Weiter-So der desaströsen Vermeidungs- und Verzögerungspolitik ist zu befürchten. Den Umfang des zukünftigen Bundesaufnahmeprogramms an den bisherigen Aufnahmen zu orientieren und nicht am tatsächlichen Bedarf, verdeutlicht bereits vor dem Start, dass kaum substantielle Verbesserungen von dem Bundesaufnahmeprogramm zu erwarten sind."

Bereits nach dem Fall Kabuls wurde die Verantwortung zur Evakuierung und Auswahl der besonders schutzbedürftigen Menschen an zivilgesellschaftliche Akteur*innen wie die Kabul Luftbrücke, Ärzte ohne Grenzen oder die Seebrücke abgeben. Damit überträgt die Bundesregierung der Zivilgesellschaft eine eigentlich staatliche Aufgabe und zieht sich geschickt aus der Affäre. Den zivilgesellschaflichen Akteur*innen nun zu danken, ist an Zynismus nicht zu überbieten.

 „Die Bundesregierung muss endlich mit größtmöglicher Aufmerksamkeit auf die katastrophale Lage der Menschen in Afghanistan reagieren! Abertausende von verfolgten Menschen warten auf eine Evakuierung und ein Leben in Sicherheit. Statt unklaren Ankündigungen und Verzögerungsspielchen muss eine schnelle, transparente und unkomplizierte Evakuierung aller bedrohten Menschen in Afghanistan ohne festgesetzte Obergrenzen passieren! Wir fordern von der Bundesregierung, neue Aufnahmekapazitäten zu schaffen und den Menschen aus Afghanistan eine eigenständige, bedürfnisorientierte und dezentrale Unterbringung in den über 300 aufnahmebereiten Kommunen in Deutschland zu ermöglichen!", so Jan Behrends von der Seebrücke nachdrücklich.

Die Seebrücke ist eine breite zivilgesellschaftliche und antirassistische Bewegung, die sich für die zivile Seenotrettung, für sichere Fluchtwege und für die dauerhafte Aufnahme von geflüchteten Menschen in Deutschland einsetzt. Mitte August war die Seebrücke gemeinsam mit unterschiedlichen afghanischen Organisationen und Initiativen an einer bundesweiten Großdemonstration mit anschließendem Protestcamp beteiligt. Dabei wurde unter dem Slogan „Don´t forget Afghanistan" u.a. die sofortige Umsetzung eines Bundesaufnahmeprogramms für bedrohte Menschen aus Afghanistan gefordert.