Da waren es nur noch 47

19.05.2020 Ein Kommentar von Sabine Kaldorf, Flüchtlingshilfe Bonn e. V.

47 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hat Deutschland aus Griechenland aufgenommen, mit hohem medialem Getöse. Was nicht so laut gesagt und jetzt erst durch „Report Mainz“ aufgedeckt wurde: Das war keine großzügige Geste der Bundesregierung. Denn die meisten der Flüchtlinge hatten eigentlich ein Recht zu kommen, und das schon viel früher.

Der Berg kreißte und gebar eine Maus

Von den 200.000 Plätzen für neu zugewanderte Flüchtlinge, die selbst Horst Seehofer für verkraftbar hielt, blieben alleine in 2019 über 50.000 frei. Das hätte gereicht, um die griechischen Inseln leer zu räumen. Dass sie mehr Flüchtlinge aufzunehmen bereit sind, haben in den letzten Monaten viele Städte und einige Länder bekräftigt. Allein der Bund sperrt sich.

Die erste Null ging schon verloren, als kurz vor Weihnachten eine Diskussion aufkam, wenigstens die 5.000 unbegleiteten Minderjährigen nach Deutschland zu holen, die in Griechenland registriert sind.
Die zweite Null verschwand, als Deutschland sich im Rahmen der „Koalition der Willigen“ zur Aufnahme von 400 Kindern bereit erklärte.
Volle 47 wurden wirklich aufgenommen, die dritte Null war weg.

Perversion der Schutzkriterien

Dabei pervertierten die Verantwortlichen die gängigen Kriterien für besondere Schutzbedürftigkeit: Aus „unbegleitete Minderjährige ODER Frauen in Gefahr ODER Menschen mit besonderen medizinischen Bedürfnissen ODER Folteropfer“ wurden „allein reisende kranke Mädchen unter 14“. Dabei wurde der Realität gerade so viel Tribut gezollt, dass sie nicht auch noch Folteropfer sein mussten.

Natürlich gab es keine 400 Mädchen, die diese Kriterien erfüllten, man fand gerade einmal 4.

Dreist aber nicht dumm

Nur 4 Menschen aufzunehmen, war dann wohl doch zu peinlich. So wurde die Gruppe mit Jungen aufgefüllt, von denen die meisten bereits Verwandte in Deutschland hatten. Eigentlich hätten sie schon eine ganze Weile das Recht auf Familienzusammenführung gehabt. Aber eine unheilige Allianz der Behörden verhindert seit Jahren den Familiennachzug aus Griechenland nach Deutschland: Die griechischen Behörden stellen die Anträge zu spät, und die deutschen Behörden lehnen sie dann wegen Fristüberschreitung ab. Pro Asyl hat rund 3.000 Flüchtlinge gezählt, die so um ihre Rechte gebracht wurden.

Wenn alle wissen, dass es so läuft und niemand etwas dagegen tut, dann ist das offensichtlich genau so gewollt.

Lähmende Angst

Wer auf die gesamteuropäische Lösung warten will, meint, dass Deutschland gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen soll, und verkriecht sich dabei hinter den Regierungen von Ungarn und Polen. Aber auch die Politiker*innen im Regierungslager, die noch guten Willens sind, scheinen panische Angst zu haben, dass der kleinsten humanitären Aktion eine Massenwanderung von Millionen von Flüchtlingen folgt.

Die Angst vor dem „Pull-Effekt“ lähmt noch gründlicher als die Sorge vor dem Erstarken der AfD.

Wann, wenn nicht jetzt?

Alle Grenzen sind Corona-bedingt zu. Wenn jetzt die Flüchtlinge von den griechischen Inseln evakuiert würden, setzt das ganz gewiss keinen Migrationsschub in Bewegung. Man könnte die Aktion gut als „einmalig“ erklären, weil sie auch für den Corona-Schutz der griechischen Bevölkerung mehr als sinnvoll wäre.

Also, Politiker*innen aller Parteien:

Fasst Euch ein Herz und stimmt der großzügigen Aufnahme aus Griechenland zu!

49.953 Plätze sind immer noch frei.

11. Mai 2020, Sabine Kaldorf, Flüchtlingshilfe Bonn e. V.