Der nächste Deal: EU-Ägypten-Abkommen

18.03.2024 Wie zuvor in Tunesien saßen von der Leyen und Meloni und weitere jetzt auf den Sesseln der ägyptischen Regierung, um ein weiteres Abkommen zu unterzeichnen, das den nordafrikanischen Staat "in strategische Partnerschaft" hebt und zur Kontrolle von Migrationswegen veranlassen soll. Es geht nicht nur um die Migration, sondern auch um Flüssiggas, den Israel-Gaza-Konflikt und die geopolitische Bedeutung. Das ist der EU 7,4 Milliarden Euro wert.

Das Abkommen sieht 5 Milliarden Euro in Form von zinsgünstigen Krediten, 1,8 Milliarden Euro in Form von Investitionen und 600 Millionen Euro in Form von Zuschüssen vor. Davon sind 200 Millionen Euro für die Bewältigung von Migrationsfragen vorgesehen, heißt es in einem EU-Dokument.

»Diese fatalen Kooperationen mit autoritären Regimen sind Teil des Problems und nicht die Lösung bei der Beseitigung von Fluchtursachen.« (Karl Kopp, Pro Asyl

Es ist nicht das erste Mal, dass die EU ein solches Abkommen mit einem Staat schließt, an dessen Einhaltung humanitärer Standards Zweifel bestehen. Vergangenes Jahr  hatte die EU eine vergleichbare Vereinbarung mit Tunesien getroffen, welches sich in der Umsetzung als problematisch erweist. Auch mit Mauretanien besteht ein Migrationsabkommen.

Vorbilder für die Vereinbarung mit dem bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt sind die EU-Migrationsabkommen mit der Türkei und zuletzt mit Tunesien und Mauretanien. Im Gegenzug für die EU-Hilfe soll Ägypten die irreguläre Migration in Richtung Europa eindämmen. (Zeit)

Der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen, Stamp, hat die verstärkte Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Ägypten verteidigt. Es gehe darum, einem Land zu helfen, das zig Millionen Flüchtlinge aus mehreren Krisenländern aufgenommen habe, sagte der FDP-Politiker im ZDF. Die neuen EU-Finanzhilfen sollten dazu beitragen, die Betroffenen in der Region zu halten. ... Auch die migrationspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Düpont, verteidigt das Abkommen.Im Interesse der Stabilität müsse man auch mit Partnern zusammenarbeiten, die man sich nicht ausgesucht habe, sagte sie im Deutschlandfunk. Menschenrechtler kritisieren das Abkommen, weil Staatschef al-Sisi Kritiker systematisch verfolgn und inhaftieren lässt. (Deutschlandfunk)

Migranten stoppen, Missstände ignorieren

Das Ziel der Vereinbarung ist klar: Ägypten soll Migration nach Europa eindämmen – so wie dies bereits Tunesien oder die Türkei tun. Menschenrechtsgruppen kritisieren den Deal. Claudio Francavilla von Human Rights Watch zufolge wird »der Schlüssel« des Abkommens die »Unterstützung der EU für die ägyptischen Grenzkontrollen sein«, quasi eine Kopie der »mangelhaften EU-Abkommen mit Tunesien und Mauretanien: Migranten stoppen, Missstände ignorieren«. (nd)

Schon jetzt leben in Ägypten nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) rund neun Millionen Migranten und Flüchtlinge, darunter vier Millionen Menschen aus dem Sudan, 1,5 Millionen aus Syrien und rund eine Million aus dem Jemen. Mit dem Geld aus Brüssel soll vor allem die Verstärkung der Grenzbefestigungen zum Sudan bezahlt werden; über diesen Weg erreichen viele Migranten aus südlicheren Ländern Afrikas Ägypten. Zuletzt registrierte vor allem Griechenland zunehmende Ankünfte von Migranten ägyptischer Herkunft über eine neue Flüchtlingsroute vom libyschen Tobruk aus Richtung Kreta. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zählte in diesem Jahr bereits mehr als 1000 Menschen, die von Tobruk aus auf den Inseln Gavdos oder Kreta strandeten; die meisten sollen aus Ägypten stammen. (nd)

Der in Berlin lebende ägyptische Wissenschaftler und Aktivist Hossam El-Hamalawy hat ... keine Zweifel: »Das Abkommen entspricht den Bedürfnissen des ägyptischen Regimes, nicht der ägyptischen Gesellschaft.« (nd)

»Die Politik der EU-Deals mit Diktatoren ist schäbig, borniert und korrupt«,

sagte der Europa-Experte von Pro Asyl, Karl Kopp. »Diese fatalen Kooperationen mit autoritären Regimen sind Teil des Problems und nicht die Lösung bei der Beseitigung von Fluchtursachen.« Die EU setze systematisch »auf die falschen Partnerschaften, um Schutzsuchende abzuwehren«. (nd)

 

Wir zitieren die Texte nun vollständig:

Die EU und Ägypten haben eine Erklärung über ihre künftigen Beziehungen unterzeichnet. Dabei geht es um Migration, politische Zusammenarbeit, die ägyptische Wirtschaft - aber auch um Geopolitik.

"Der heutige Tag markiert einen historischen Meilenstein mit der Unterzeichnung unserer gemeinsamen Erklärung für eine strategische und umfassende Partnerschaft," freute sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz in Kairo. Gemeinsam mit einer guten Handvoll europäischer Regierungschefs war sie über das Wochenende nach Ägypten gereist. Dort unterzeichnete von der Leyen gemeinsam mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi eine Erklärung über ein 7,4 Milliarden Euro schweres Partnerschaftsabkommen. 

Das soll den politischen Dialog zwischen dem nordafrikanischen Land und der Europäischen Union (EU) stärken, aber auch Reformen in dem wirtschaftlich angeschlagenen Land unterstützen. Bis 2027 sollen dafür fünf Milliarden Euro als Darlehen gewährt werden. Weitere 1,8 Milliarden Euro sollen in verschiedene Bereiche, wie etwa die Energiewende und den Ausbau des Datenverkehrs investiert werden. Insgesamt sollen 600 Millionen Euro als Zuschüsse gewährt werden.

Außerdem soll im Bereich der Terrorismusbekämpfung und Migration zusammengearbeitet werden. Insbesondere sollen die Ursachen illegaler Migration bekämpft werden und legale Migrationswege in die EU ermöglicht werden. Für das Migrationsmanagement sind 200 Millionen Euro an Zuschüssen vorgesehen.

Migrationszusammenarbeit mit Ägypten

Bei diesem Abkommen handele es sich gerade mit Blick auf die Kooperation im Migrationsmanagement um nichts völlig Neues, sagt Victoria Rietig, Leiterin des Programms Migration bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der DW. Denn die EU und Ägypten würden in diesem Bereich bereits seit mehreren Jahren zusammenarbeiten.

Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sind knapp eine halbe Million Menschen als Flüchtlinge in Ägypten registriert. Auch die Sorge vor zunehmenden Einreisen in die EU waren ein Grund für das neue Abkommen.

"Aus europäischer Sicht ist die Zusammenarbeit mit Ägypten im Bereich Migrationskontrolle eine größere Erfolgsgeschichte als mit anderen Ländern," erläutert Rietig gegenüber der DW. Dies liegt laut der Migrationsforscherin daran, dass "das ägyptische Regime in der Lage ist, mit viel stringenteren Kontrollen tatsächlich dafür zu sorgen, dass die Zahl der Boote, die von Ägypten aus ablegen, sehr gering ist." Grund dafür sei, dass es sich bei Ägypten um ein autoritäres Regime handle, das mit militärischen Mitteln und wenig Interesse an Menschenrechten vor Ort hart durchgreife, so Rietig.

Prekäre Lage bei den Menschenrechten

Ägypten wird seit 2014 durch den autoritären Machthaber Abdel Fattah al-Sisi regiert. Die in den USA ansässige Denkfabrik "Freedom House" beklagt die Verletzung von Menschenrechten. Dazu zählen zum Beispiel politisch motivierte Inhaftierungen sowie Beschränkungen der Pressefreiheit und des Versammlungsrechts. 

Anthony Dworkin, Senior Policy Fellow beim Thinktank "European Council on Foreign relations" (ECFR), hält die Menschenrechtslage in Ägypten für nach wie vor problematisch und besorgniserregend. Es habe zwar in letzter Zeit Versuche der ägyptischen Regierung gegeben, dies anders zu präsentieren, meint Dworkin. Aber von diesen sollten sich die europäischen Staaten nicht blenden lassen, sondern weiter auf Fortschritt drängen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die EU ein solches Abkommen mit einem Staat schließt, an dessen Einhaltung humanitärer Standards Zweifel bestehen. Vergangenes Jahr  hatte die EU eine vergleichbare Vereinbarung mit Tunesien getroffen, welches sich in der Umsetzung als problematisch erweist. Auch mit Mauretanien besteht ein Migrationsabkommen.

Geopolitische Interessen der EU

Dennoch habe die EU gute Gründe für ihre Vereinbarung mit Ägypten. Diese seien vor allem geopolitischer Art, betont Rietig. "Wenn wir nicht mit Ägypten kooperieren, wer kooperiert denn dann mit Ägypten?", fragt die Migrationsforscherin im Gespräch mit der DW. Wenn Europa weniger mit dem Land zusammenarbeite, würde ein "geopolitisches Vakuum" entstehen, welches von Russland, China und den Golfstaaten gefüllt werde.

Erst zu Beginn dieses Monats hatte der Internationale Währungsfonds die Aufstockung eines Kredits für Ägypten auf acht Milliarden Dollar zugesagt, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Kurz zuvor hatten die Vereinigten Arabischen Emirate 35 Milliarden Dollar Investments in die ägyptische Wirtschaft angekündigt. Das Land befindet sich in einer Wirtschaftskrise und leidet unter hoher Inflation. 

Ein wichtiger Player im Nahost-Konflikt

Für Ägypten sei diese Kooperationen mit der EU nur eine von vielen, betont Rietig. Auch Dworkin meint, dass sich die EU vor allem ins Spiel bringen möchte. Aus seiner Sicht handelt es sich vor allem um ein wirtschaftliches Abkommen. Das diene auch dazu, die Rolle anzuerkennen, die Ägypten beim Migrationsmanagement spiele.

Darüber hinaus ist Ägypten momentan von herausgehobener geostrategischer Bedeutung für die EU. Denn das Land übernehme eine entscheidende Rolle für die Stabilität und Sicherheit in der Region, betonte von der Leyen am Sonntag. Ägypten grenzt im Süden an den Gazastreifen und will im Nahost-Konflikt vermitteln. Den "persönlichen Einsatz" al-Sisis für einen Waffenstillstand lobte Kommissionspräsidentin von der Leyen explizit.

 

Die EU wird Ägypten 7,4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um Migration aus dem Land einzudämmen und der notorisch schwächelnden ägyptischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Die Unterzeichnung im Beisein von Italiens Ministerpräsidentin stieß jedoch in ihrem Land auf Kritik. 

Die gemeinsame Erklärung mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel-Fattah al-Sisi wurde am Sonntag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und den EU-Staats- und Regierungschefs von Italien, Griechenland, Zypern, Österreich und Belgien unterzeichnet.

„Ägypten ist ein Pfeiler der Stabilität und Sicherheit im Nahen Osten“, schrieb von der Leyen auf X.

„Wir werden Hand in Hand mit Ägypten und anderen Partnern daran arbeiten, auf allen möglichen Wegen Hilfe nach Gaza zu bringen“, so die Kommissionspräsidentin.

„Zivilisten müssen geschützt werden und es darf keine Zwangsumsiedlung von Palästinensern aus Gaza geben“, fügte sie hinzu.

Man wolle auf eine dauerhafte Friedenslösung hinarbeiten, die auf einer Zwei-Staaten-Lösung basiere.

„Ägypten sei ein wichtiger Partner bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts“, ein entscheidender Verbündeter bei der Stabilisierung Nordafrikas und ein Partner bei der Kontrolle der Migrationsrouten, sagte auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Das Abkommen, das die Beziehungen der EU zu Kairo zu einer „strategischen Partnerschaft“ aufwertet, soll die Zusammenarbeit in mehreren Bereichen fördern. Dazu gehören erneuerbare Energien und Handel im Austausch für finanzielle Unterstützung zur Bekämpfung der derzeit sehr hohen Inflation in Ägypten.

Das Abkommen sieht 5 Milliarden Euro in Form von zinsgünstigen Krediten, 1,8 Milliarden Euro in Form von Investitionen und 600 Millionen Euro in Form von Zuschüssen vor. Davon sind 200 Millionen Euro für die Bewältigung von Migrationsfragen vorgesehen, heißt es in einem EU-Dokument.

„Es ist eine ähnliche Initiative wie die, die wir in Tunesien durchgeführt haben, ein Memorandum of Understanding auch in Ägypten“, sagte Meloni vor ihrer Reise nach Ägypten.

Dies entspreche ihrer Politik, die Beziehungen zu den nordafrikanischen Ländern im Rahmen ihres so genannten „Mattei-Plans für Afrika“ zu stärken.

„Wir werden auch Abkommen und Kooperationen in den Bereichen Gesundheit, Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen und Investitionen unterzeichnen“, fügte Meloni hinzu.

Beide Abkommen stießen jedoch auf Kritik seitens linker europäischer Parteien.

Diese kritisierten, dass die Regierungen Ägyptens wie auch Tunesiens die Menschenrechte missachten würden.

„Es ist sehr schlimm, dass Ursula von der Leyen zusammen mit Giorgia Meloni nach Ägypten fliegt, um dem Regime von al-Sisi Ressourcen im Austausch für die Kontrolle und den Stopp der Ausreisen [von Migranten] zu versprechen“, kommentierte die Generalsekretärin der Demokratischen Partei, Elly Schlein.

Auch aus Melonis eigener Koalition kam Kritik.

„Wenn jemand von der Mitte-Rechts [Politik aus dem] Sessel und ein Abkommen mit Sozialisten einer vereinten Mitte-Rechts-Koalition vorzieht, wird das Italien schaden“, kritisierte Matteo Salvini, Anführer der rechtspopulistischen Lega. Salvini ist als stellvertretender Ministerpräsident Teil der Koalition Melonis.

Der Handel zwischen Italien und Ägypten im Jahr 2023 wurde auf 6 Milliarden Euro geschätzt (3,3 Milliarden für italienische Exporte und 2,6 Milliarden für Importe), berichtete Il Sole 24 Ore.

Italiens Hauptexporte nach Ägypten sind Nichteisenmetalle (25,4 Prozent), chemische Produkte, Produkte aus dem Bergbau und der Gewinnung von Steinen und Erden, Koks und raffinierte Erdölprodukte. In Ägypten sind auch 114 italienische Unternehmen mit 11.668 Beschäftigten und einem Gesamtumsatz von 6,6 Milliarden Euro tätig.

 

von Cyrus Salimi-Asl.

Mit einem ganzen Hofstaat rückte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangenes Wochenende in Kairo an; Regierungschefs von gleich sechs Mitgliedsstaaten begleiteten sie, darunter Giorgia Meloni aus Italien, der griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis und Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. Der autokratisch regierende ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi dürfte sich geschmeichelt gefühlt haben ob so viel Aufmerksamkeit. Und auch in Anbetracht des versprochenen Geldes: Die Europäische Union hat Ägypten ein Hilfspaket in Höhe von 7,4 Milliarden Euro in Aussicht gestellt und, vielleicht noch relevanter für Al-Sisi, eine Verbesserung der Beziehungen.

Das Ziel der Vereinbarung ist klar: Ägypten soll Migration nach Europa eindämmen – so wie dies bereits Tunesien oder die Türkei tun. Menschenrechtsgruppen kritisieren den Deal. Claudio Francavilla von Human Rights Watch zufolge wird »der Schlüssel« des Abkommens die »Unterstützung der EU für die ägyptischen Grenzkontrollen sein«, quasi eine Kopie der »mangelhaften EU-Abkommen mit Tunesien und Mauretanien: Migranten stoppen, Missstände ignorieren«.

Nach Angaben der EU umfasst das Abkommen Kredite in Höhe von fünf Milliarden Euro, Investitionen im Umfang von 1,8 Milliarden Euro (Ernährungssicherheit, Digitalisierung), 400 Millionen Euro für bilaterale Projekte sowie 200 Millionen Euro für Programme zur Migrationskontrolle. Letzteres erscheint wenig, doch setzt die EU offensichtlich auf die Stärkung der ägyptischen Binnenwirtschaft, um die Menschen von der Ausreise abzuhalten. Das dürfte aber kaum ausreichen, denn der ägyptischen Wirtschaft geht es seit vielen Jahren chronisch schlecht. Eine Inflationsrate von 35 Prozent und die hohe Arbeitslosigkeit treiben die Menschen förmlich aus dem Land; immer mehr Ägypter rutschen in Armut ab. Der Staat ist hoch verschuldet, sodass die Regierung sich gezwungen sah, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) das vierte Darlehen seit 2016 in Höhe von acht Milliarden Dollar zu beantragen. Dafür musste sie die Landeswährung abwerten, einen frei schwankenden Wechselkurs einführen und die Ausgaben für die Infrastruktur zurückfahren.

Ob das Geld aus Brüssel Ägypten wieder auf die Beine helfen kann, ist fraglich: »Einige hoffen, dass diese Finanzspritze des IWF und der EU die wirtschaftliche Lage verbessern wird«, sagt dem »nd« der in Berlin lebende ägyptische Wissenschaftler und Aktivist Hossam El-Hamalawy. »Aber Al-Sisi und die Vertreter des Regimes haben bereits Erklärungen abgegeben, die darauf hindeuten, dass alles beim Alten bleibt.« Das heißt: Die überflüssigen und extrem kostspieligen Großprojekte – ein Hochgeschwindigkeitsnetz oder die neue Verwaltungshauptstadt in der Wüste – und die Sparmaßnahmen würden fortgesetzt. »Die Preise für Lebensmittel und Konsumgüter sind nicht gesunken, und die Inflation steigt weiter an. Heute hat das Kabinett eine Erhöhung der Preise für Treibstoffprodukte angekündigt.« El-Hamalawy hat daher keine Zweifel: »Das Abkommen entspricht den Bedürfnissen des ägyptischen Regimes, nicht der ägyptischen Gesellschaft.«

Das sieht die EU naturgemäß anders. »Ägypten ist ein wichtiges Land für Europa«, sagte ein Vertreter der EU-Kommission und verwies auf »die schwierige Nachbarschaft mit Grenzen zu Libyen, Sudan und dem Gazastreifen«. Der Zeitpunkt der Vereinbarung zwischen Brüssel und Kairo kommt also nicht von ungefähr. Die Krisen und Kriege in den genannten Ländern bereiten den Europäern Kopfschmerzen: Ägypten befürchtet eine massive Fluchtbewegung aus dem Sudan und vor allem aus dem Gebiet rund um die Stadt Rafah, befestigt daher die Grenzanlagen zum südlichen Gazastreifen. Doch niemand kann voraussagen, ob sich die Menschen davon aufhalten lassen oder Ägypten nicht gezwungen sein wird, die Grenze zu öffnen, sollte es zur angekündigten Offensive der israelischen Armee auf Rafah kommen.

Schon jetzt leben in Ägypten nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) rund neun Millionen Migranten und Flüchtlinge, darunter vier Millionen Menschen aus dem Sudan, 1,5 Millionen aus Syrien und rund eine Million aus dem Jemen. Mit dem Geld aus Brüssel soll vor allem die Verstärkung der Grenzbefestigungen zum Sudan bezahlt werden; über diesen Weg erreichen viele Migranten aus südlicheren Ländern Afrikas Ägypten.

Zuletzt registrierte vor allem Griechenland zunehmende Ankünfte von Migranten ägyptischer Herkunft über eine neue Flüchtlingsroute vom libyschen Tobruk aus Richtung Kreta. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zählte in diesem Jahr bereits mehr als 1000 Menschen, die von Tobruk aus auf den Inseln Gavdos oder Kreta strandeten; die meisten sollen aus Ägypten stammen. Seit 2021 verlassen wieder mehr Ägypter das Land gen Europa, meistens über Libyen; dieser Trend war schon während der ägyptischen Wirtschaftskrise 2015 zu verzeichnen. In Italien standen Ägypter im Januar 2024 an vierter Stelle der ankommenden Flüchtlinge.

Dass das Migrationsabkommen der EU mit Ägypten von Menschenrechtsexperten scharf kritisiert wird, ficht Brüssel nicht an. Die Menschenrechtslage in Ägypten ist bekanntermaßen notorisch schlecht bis dramatisch. Demonstrationen sind faktisch verboten. Kritiker werden mit drastischen Methoden verfolgt und müssen willkürliche Festnahmen und Schlimmeres befürchten. Zehntausende wurden aus politischen Gründen inhaftiert. Der frühere General Abdel Fattah Al-Sisi regiert das Land mit harter Hand, nachdem er sich 2013 an die Macht geputscht hat.

»Die Politik der EU-Deals mit Diktatoren ist schäbig, borniert und korrupt«, sagte der Europa-Experte von Pro Asyl, Karl Kopp. »Diese fatalen Kooperationen mit autoritären Regimen sind Teil des Problems und nicht die Lösung bei der Beseitigung von Fluchtursachen.« Die EU setze systematisch »auf die falschen Partnerschaften, um Schutzsuchende abzuwehren«. Ähnlich sieht es Hossam El-Hamalawy: Das Abkommen sei ein weiteres Beispiel für die Heuchelei der europäischen Staats- und Regierungschefs, die allein an regionaler Stabilität und der »Eindämmung der Migration schwarzer und brauner Menschen interessiert sind« – auf Kosten der Menschenrechte, wie er sagt. »Ohne die Waffen, das Geld und die diplomatische Unterstützung der EU hätte ein solches Militärregime nicht fortbestehen können.«