In Deutschland: "Ruanda" weiter im Blick

12.07.2024 Während die neugewählte britische Regierung die umstrittenen Ruanda-Pläne von Vorgänger Sunak umgehend storniert hat, erklären Bundesregierung und CDU, am Runanda-Modell festzuhalten.

Dazu Pressestimmen (epd und Spiegel), gefolgt vom Monitor-Beitrag vom 11.07.2024: Ruanda: Flüchtlingsdeal statt Menschenrechte? 

Ein Gastbeitrag von Judith Kohlenberger Judith Kohlenberger, Jahrgang 1986, ist Migrationsforscherin an der Wirtschaftsuniversität Wien und dem Österreichischen Institut für Internationale Politik. Zuletzt erschien ihr Buch »Gegen die neue Härte«.

Die neue britische Regierung hat den Flüchtlingsdeal mit Ruanda aufgekündigt. Doch Deutschland und andere EU-Staaten spielen noch immer mit dem Gedanken, Asylverfahren dorthin auszulagern. Fünf Gründe sprechen dagegen.

Keir Starmer ließ keine Zweifel aufkommen. Das Ruanda-Abkommen sei »tot und begraben«, sagte er bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer britischer Premierminister. Mehr als umgerechnet 340 Millionen Euro hat die britische Regierung bereits nach Kigali überwiesen, damit sie Asylbewerber, die über den Ärmelkanal kommen, in das afrikanische Land hätte schicken können. Dort, so die Theorie, wären sie untergebracht worden und hätten ein ruandisches Asylverfahren bekommen. Ein Weiterreise nach Großbritannien war nicht vorgesehen.

Nun ist der Plan, der so viel Aufsehen erregt hat, Geschichte. Labour hat das Abkommen ausgesetzt, er wolle nicht mit »Gimmicks« weitermachen, die gar nicht abschreckend wirkten, sagte Starmer. Das britische Innenministerium prüft bereits, wie man das Geld zurückbekommen kann. Wahrscheinlich vergebens, Kigali stellt sich stur.

Anders als das Vereinigte Königreich erwägen Deutschland und andere europäische Regierungen immer noch, das Modell zu kopieren. Man werde es weiter prüfen, hieß es vergangene Woche aus der Bundesregierung, obwohl allen Beteiligten klar ist, dass dafür zunächst das EU-Recht geändert werden müsste.

Dabei ist nicht nur das britische Abkommen mit Ruanda gescheitert – sondern das gesamte Modell. Die Auslagerung der Asylverfahren in Drittstaaten ist ein Irrweg. Das hat, abseits humanitärer Bedenken, fünf Gründe.

1. Die Kosten sind immens

Vorbild für das Ruanda-Abkommen ist das vielgepriesene »australische Modell«. Demnach sollten ankommende Asylbewerber auf vorgelagerten Inseln untergebracht werden. Das Modell kostete am Ende jährlich 4,3 Millionen Dollar 

– pro Flüchtling, wohlgemerkt. Das ist wesentlich höher als die Summe, die benötigt werden würde, um all diese Menschen auf dem australischen Festland unterzubringen und sie in die Gesellschaft zu integrieren. Denn die Kosten  der bilateralen Abkommen waren hoch, der Betrieb der Lager teuer  und korruptionsanfällig, dennoch herrschten vor Ort teils katastrophale Bedingungen. Bekannt  wurden Fälle von sexuellem Missbrauch durch das Personal, unzureichende medizinische und psychologische Behandlung, die Missachtung von Kinderrechten.

Das britische Innenministerium hatte die Kosten des Ruanda-Modells insgesamt auf mehr als eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Dieses Geld wäre wohl nicht vorrangig der lokalen Bevölkerung zugutegekommen, sondern hätte auch korrupte Eliten gestärkt, die soziale Ungleichheit vor Ort eher noch vergrößert. So werden langfristig mehr Migrationsursachen erzeugt als bekämpft.

2. Das Asylsystem in Ruanda ist nicht gut genug

Von den Befürwortern einer Auslagerung der Asylverfahren wie dem Migrationsforscher Gerald Knaus (lesen Sie hier ein Interview dazu) wird oft angeführt, dass das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bereits jetzt Asylverfahren in Ruanda durchführe. Das stimmt, ist aber irreführend. Das UNHCR selbst ist aus gutem Grund gegen den Plan. Die Organisation hilft dort bisher punktuell bei der direkten Schutzbeantragung in Ruanda – vor allem aber bei Evakuierungen aus Libyen, wo den Geflüchteten Folter und Erpressung droht. Ruanda ist meist nur Zwischenstation, es handelt sich also nicht in erster Linie um eine Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda.

Wenn die EU rechtsstaatliche Verfahren selbst in Ungarn oder Griechenland nicht durchsetzen kann, wie soll das in einem weit entfernten Drittstaat gelingen?

Dass die Verwaltung in Ruanda bei der Bearbeitung der Anträge überhaupt Hilfe braucht, ist ein Grund gegen einen solchen Deal. Denn das örtliche Asylsystem hat strukturelle Schwächen. Afghanen beispielsweise bekamen anders als in Europa fast nie Asyl  zugesprochen. Auch deshalb haben britische und internationale Gerichte die Überstellung der Migranten immer wieder gestoppt. Und wenn die EU rechtsstaatliche Verfahren und menschenwürdige Unterbringung selbst in Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Griechenland nicht durchsetzen kann, wie soll das in einem weit entfernten Drittstaat gelingen?

3. Das Modell schreckt nicht ab

Länder wie Ruanda können, wenn überhaupt, nur wenige Hundert oder ein paar Tausend Asylbewerber aufnehmen. Danach wären die designierten Zentren voll. Die Befürworter des Modells argumentieren, dass es nur einen Stichtag brauche, nach dem alle Asylbewerber nach Ruanda ausgeflogen werden sollen. Der Rest, so die Annahme, sehe dann ohnehin von einer Einreise ab. Das Modell schrecke ab.

Diese Annahme ist mindestens umstritten, wahrscheinlich einfach falsch. In Großbritannien kamen weiter Asylbewerber auf Schlauchbooten an, obwohl ihnen die Weiterreise nach Ruanda drohte. In diesem Jahr waren es schon mehr als 14.000. Viele kalkulierten offenbar ein, dass wenn überhaupt nur ein kleiner Teil der Menschen wirklich nach Ruanda gebracht werden würde.

Studien zeigen, dass Migranten die Risiken einer Überfahrt übers Mittelmeer bewusst sind. Dennoch entscheiden sie sich dafür. Das Motto: »Europe or death«. Ihre Reise nach Europa dauert oft Monate oder Jahre. Wer fürchtet einen Flug nach Ruanda, wer versucht nicht wenigstens, an sein Ziel zu kommen, wenn er bereits mehrmals sein Leben riskiert hat? Weitere Studien  belegen zudem, dass Abschreckungsmaßnahmen Flüchtlinge meist ohnehin nur auf gefährlichere Routen umlenken.

Keir Starmer ließ keine Zweifel aufkommen. Das Ruanda-Abkommen sei »tot und begraben«, sagte er bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer britischer Premierminister. Mehr als umgerechnet 340 Millionen Euro hat die britische Regierung bereits nach Kigali überwiesen, damit sie Asylbewerber, die über den Ärmelkanal kommen, in das afrikanische Land hätte schicken können. Dort, so die Theorie, wären sie untergebracht worden und hätten ein ruandisches Asylverfahren bekommen. Ein Weiterreise nach Großbritannien war nicht vorgesehen.

Nun ist der Plan, der so viel Aufsehen erregt hat, Geschichte. Labour hat das Abkommen ausgesetzt, er wolle nicht mit »Gimmicks« weitermachen, die gar nicht abschreckend wirkten, sagte Starmer. Das britische Innenministerium prüft bereits, wie man das Geld zurückbekommen kann. Wahrscheinlich vergebens, Kigali stellt sich stur.

Anders als das Vereinigte Königreich erwägen Deutschland und andere europäische Regierungen immer noch, das Modell zu kopieren. Man werde es weiter prüfen, hieß es vergangene Woche aus der Bundesregierung, obwohl allen Beteiligten klar ist, dass dafür zunächst das EU-Recht geändert werden müsste.

Dabei ist nicht nur das britische Abkommen mit Ruanda gescheitert – sondern das gesamte Modell. Die Auslagerung der Asylverfahren in Drittstaaten ist ein Irrweg. Das hat, abseits humanitärer Bedenken, fünf Gründe.

1. Die Kosten sind immens

Vorbild für das Ruanda-Abkommen ist das vielgepriesene »australische Modell«. Demnach sollten ankommende Asylbewerber auf vorgelagerten Inseln untergebracht werden. Das Modell kostete am Ende jährlich 4,3 Millionen Dollar - pro Flüchtling, wohlgemerkt. Das ist wesentlich höher als die Summe, die benötigt werden würde, um all diese Menschen auf dem australischen Festland unterzubringen und sie in die Gesellschaft zu integrieren. Denn die Kosten  der bilateralen Abkommen waren hoch, der Betrieb der Lager teuer  und korruptionsanfällig, dennoch herrschten vor Ort teils katastrophale Bedingungen. Bekannt  wurden Fälle von sexuellem Missbrauch durch das Personal, unzureichende medizinische und psychologische Behandlung, die Missachtung von Kinderrechten.

Das britische Innenministerium hatte die Kosten des Ruanda-Modells insgesamt auf mehr als eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Dieses Geld wäre wohl nicht vorrangig der lokalen Bevölkerung zugutegekommen, sondern hätte auch korrupte Eliten gestärkt, die soziale Ungleichheit vor Ort eher noch vergrößert. So werden langfristig mehr Migrationsursachen erzeugt als bekämpft.

2. Das Asylsystem in Ruanda ist nicht gut genug

Von den Befürwortern einer Auslagerung der Asylverfahren wie dem Migrationsforscher Gerald Knaus (lesen Sie hier ein Interview dazu) wird oft angeführt, dass das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bereits jetzt Asylverfahren in Ruanda durchführe. Das stimmt, ist aber irreführend. Das UNHCR selbst ist aus gutem Grund gegen den Plan. Die Organisation hilft dort bisher punktuell bei der direkten Schutzbeantragung in Ruanda – vor allem aber bei Evakuierungen aus Libyen, wo den Geflüchteten Folter und Erpressung droht. Ruanda ist meist nur Zwischenstation, es handelt sich also nicht in erster Linie um eine Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda.

Wenn die EU rechtsstaatliche Verfahren selbst in Ungarn oder Griechenland nicht durchsetzen kann, wie soll das in einem weit entfernten Drittstaat gelingen?

Dass die Verwaltung in Ruanda bei der Bearbeitung der Anträge überhaupt Hilfe braucht, ist ein Grund gegen einen solchen Deal. Denn das örtliche Asylsystem hat strukturelle Schwächen. Afghanen beispielsweise bekamen anders als in Europa fast nie Asyl  zugesprochen. Auch deshalb haben britische und internationale Gerichte die Überstellung der Migranten immer wieder gestoppt. Und wenn die EU rechtsstaatliche Verfahren und menschenwürdige Unterbringung selbst in Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Griechenland nicht durchsetzen kann, wie soll das in einem weit entfernten Drittstaat gelingen?

3. Das Modell schreckt nicht ab

Länder wie Ruanda können, wenn überhaupt, nur wenige Hundert oder ein paar Tausend Asylbewerber aufnehmen. Danach wären die designierten Zentren voll. Die Befürworter des Modells argumentieren, dass es nur einen Stichtag brauche, nach dem alle Asylbewerber nach Ruanda ausgeflogen werden sollen. Der Rest, so die Annahme, sehe dann ohnehin von einer Einreise ab. Das Modell schrecke ab.

Diese Annahme ist mindestens umstritten, wahrscheinlich einfach falsch. In Großbritannien kamen weiter Asylbewerber auf Schlauchbooten an, obwohl ihnen die Weiterreise nach Ruanda drohte. In diesem Jahr waren es schon mehr als 14.000. Viele kalkulierten offenbar ein, dass wenn überhaupt nur ein kleiner Teil der Menschen wirklich nach Ruanda gebracht werden würde.

Studien  zeigen, dass Migranten die Risiken einer Überfahrt übers Mittelmeer bewusst sind. Dennoch entscheiden sie sich dafür. Das Motto: »Europe or death«. Ihre Reise nach Europa dauert oft Monate oder Jahre. Wer fürchtet einen Flug nach Ruanda, wer versucht nicht wenigstens, an sein Ziel zu kommen, wenn er bereits mehrmals sein Leben riskiert hat? Weitere Studien  belegen zudem, dass Abschreckungsmaßnahmen Flüchtlinge meist ohnehin nur auf gefährlichere Routen umlenken.

Auch die Erfahrung  aus Australien lehrt, dass das »Geschäftsmodell der Schlepper« nicht untergraben wurde. In der ersten Phase, von 2012 bis 2013, als für Flüchtlinge noch die Möglichkeit einer späteren Weiterreise nach Australien bestand, kamen sogar mehr Menschen als je zuvor – mit 24.000 Menschen verzeichnete das Land die höchsten Ankunftszahlen seit den Siebzigerjahren.

Selbst als ab 2013 die Option, überhaupt jemals aufs australische Festland gelassen zu werden, abgeschafft wurde, registrierte Australien in den ersten 16 Tagen  nach Einführung dieser sehr restriktiven Asylpolitik mehr als 1500 Ankünfte. Die Menschen suchten weiterhin auf dem Seeweg Sicherheit in Australien. Die Wende kam erst, als die australische Regierung dazu überging, Boote bereits auf hoher See abzufangen und rückzuführen, also rechtlich zumindest fragwürdige Pushbacks durchzuführen. Die Pushbacks beendeten die Überfahrten, nicht die Auslagerung der Menschen auf Inseln.

4. Die Flüchtlinge werden weiterreisen – und sind dann wieder in Gefahr

Ein ähnliches Abkommen, das Ruanda 2013 mit Israel  schloss, hat ebenfalls eine durchwachsene Bilanz: Die Mehrheit der in Israel abgewiesenen sudanesischen und eritreischen Flüchtlinge erhielt in Ruanda keinen Zugang zum Asylverfahren und wanderte innerhalb kurzer Zeit über Uganda und Libyen nach Europa weiter. Dabei waren viele Flüchtlinge Menschenhandel, Hunger, Gewalt, Zwangsprostitution und Sklaverei in libyschen Foltergefängnissen ausgesetzt.

Bei den nun diskutierten europäischen Modellen besteht ein ähnliches Risiko. Eine dauerhafte Inhaftierung in Ruanda ist weder rechtlich möglich noch gewünscht. Und viele der Asylbewerber, das zeigt die Erfahrung, geben ihren Traum von einem besseren, sichereren Leben nicht einfach auf. Sie ziehen weiter, wenn man sie lässt. Wir Europäer interessieren uns dann erst wieder für ihr Schicksal, wenn sie in Nordafrika versuchen, erneut auf ein Boot zu steigen.

5. Europa schwächt sich selbst

Es stimmt: Die irreguläre Migration in den Norden ist eine große Herausforderung. Aber durch seine Obsession mit dem Thema macht Europa sich erpressbar. Unsere Nachbarländer registrieren genau, wie viele Millionen Euro wir ausgeben, um Asylbewerber fernzuhalten. Die Türkei, Tunesien, Marokko und selbst der Haftar-Clan in Libyen nutzen diese Schwäche aus.

Die Position des Globalen Südens im Ukraine- und im Gazakrieg zeigt, dass dem Westen eine Hierarchisierung der Menschenrechte schnell als »Doppelmoral« ausgelegt wird. Weltweit nehmen Entwicklungs- und Schwellenländer  rund drei Viertel aller Geflüchteten auf – und nun will sich der Norden, so die Sichtweise des Südens, durch neokolonialistisch anmutende Projekte aus der Verantwortung stehlen. Selbstverständlich ist es gut, Ruanda bei dem Aufbau eines funktionierenden Asylsystems zu unterstützen. Aber dazu muss man dem Land keine Asylbewerber aus Europa schicken.

Das stärkste Argument gegen das Ruanda-Modell ist Selbstschutz: Wenn Regierungen der Bevölkerung vorgaukeln, dass es ein Allheilmittel gegen Migration gibt, und diese Erwartungen dann enttäuschen, leidet das Vertrauen in die Politik. Am Ende hilft das nur den Populisten.

 

Nach der Absage des neuen britischen Premierministers an das sogenannte Ruanda-Modell geht in Deutschland die Prüfung weiter. Die Union fordert sogar, die britische Absage für Deutschland zu nutzen.

Der angekündigte Stopp des Asyl-Abkommens zwischen Großbritannien und Ruanda ist in Deutschland auf unterschiedliches Echo gestoßen. Man habe zur Kenntnis genommen, dass die britische Regierung dies nicht weiterverfolgen wolle, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums und hob Zweifel des eigenen Hauses an solchen Modellen hervor. Die Union pocht dagegen weiter auf der Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten und sieht in der Absage aus London eine Chance für Deutschland.

Die ruandische Regierung halte an der Zusammenarbeit mit Europäern fest, und in Ruanda stünden „jetzt umso mehr Kapazitäten für uns bereit“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm (CDU), dem epd. „Wir sollten an dem Projekt festhalten und die Vorarbeit unserer britischen Partner nutzen“, ergänzte er.

Der neu gewählte britische Premierminister Keir Starmer hatte nach seinem Amtsantritt angekündigt, die angestrebte Zusammenarbeit mit Ruanda im Bereich der Asylpolitik nicht weiterzuverfolgen. Großbritannien wollte Asylbewerber in das Land bringen und deren Asylanträge dort prüfen lassen.

Throm: “Als Kontinentaleuropäer stärker von der illegalen Migration betroffen”

Throm sagte, die neue britische Regierung habe sich aus innenpolitischen Gründen gegen das Ruanda-Projekt entschieden. „Als Kontinentaleuropäer sind wir aber viel stärker von der illegalen Migration betroffen. Deutschland und die EU brauchen daher die Möglichkeit, Asylverfahren auch außerhalb Europas durchzuführen“, sagte Throm. Die CDU hatte in ihrem Parteiprogramm die Einführung solcher Drittstaatenregelungen ausdrücklich festgeschrieben.

Seitdem wird in der Politik intensiv darüber diskutiert. Auf Drängen der unionsgeführten Länder hatte das Bundesinnenministerium in einer Expertenanhörung rechtliche und praktische Aspekte prüfen lassen. Im Ergebnis waren die allermeisten Sachverständigen skeptisch. Es gehe beispielsweise um die enormen Kosten für eine solche Verlagerung von Asylverfahren, die um ein Vielfaches das überstiegen, was die Unterbringung von Flüchtlingen im eigenen Land koste, sagte der Sprecher.

Scholz will weiter mögliche Modelle prüfen

Er erläuterte zudem, warum insbesondere eine Kooperation mit Ruanda aus rechtlichen Gründen für Deutschland schwierig sei. Den Rahmen gebe das europäische Recht vor, sagte er. Darin enthalten ist das sogenannte Verbindungskriterium, das verbietet, Flüchtlinge in ein Land zu schicken, zu dem sie gar keinen Bezug haben. Das Augenmerk liege daher auf den Migrationsrouten, also Staaten, durch die sich Flüchtlinge bewegen, erläuterte der Sprecher. Bei solch einem Transitstaaten-Modell gaben wiederum die vom Ministerium angehörten Experten zu bedenken, dass der Abschreckungseffekt, den man sich erhofft, nicht sonderlich groß sein dürfte.

Beim Gespräch über die Ergebnisse der Sachverständigenanhörung bei der Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Juni hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Ländern dennoch zugesagt, weiter mögliche Modelle zu prüfen. Diese Prüfung werde weiterverfolgt, sagte der Innenministeriumssprecher.

In der Asylpolitik will die Bundesregierung das sogenannte Ruanda-Modell weiter prüfen. Dies habe man den Ministerpräsidenten auf der letzten Konferenz zugesagt, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Daran ändere auch die Absage der neuen britischen Regierung an das Modell nichts. Gleichwohl wies der Sprecher daraufhin, dass die Bundesregierung die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU skeptisch bewerte. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, der CDU-Politiker Throm, riet dazu, die Vorarbeit der abgewählten britischen Regierung für die Auslagerung der Verfahren zu nutzen. Ruanda halte an der Zusammenarbeit mit den Europäern fest. Nach der Absage durch die Briten stünden dort jetzt umso mehr Kapazitäten für Deutschland bereit.

Der neue britische Premierminister Starmer hatte erklärt, die angestrebte Zusammenarbeit mit Ruanda nicht weiterzuverfolgen. Starmers Vorgänger Sunak wollte Asylbewerber in das Land bringen und deren Asylanträge dort prüfen lassen.

 

Ein Flüchtlingsdeal mit Ruanda: Nachdem die neue britische Regierung sich von dem Plan verabschiedet hat, Asylbewerber in das zentralafrikanische Land auszulagern, halten deutsche Unionspolitiker umso mehr daran fest. MONITOR-Redaktionsleiter Georg Restle hat in Ruanda recherchiert, welche Perspektiven Geflüchtete dort wirklich hätten – in einem Land, dessen autokratischer Präsident Kritiker brutal ausschaltet und wo schon jetzt über hunderttausend Geflüchtete in perspektivloser Armut leben.

Georg Restle: "Was Sie hier hinter mir sehen, ist kein Urlaubshotel. Es ist einer der wohl zynischsten Orte europäischer Flüchtlingspolitik. Er liegt in Ruanda in Zentralafrika. Dorthin sollen Geflüchtete zwangsweise ausgeflogen werden, die in Europa Asyl beantragen. Dort sollen dann ihre Asylverfahren stattfinden. Und dort sollen sie auch bleiben, selbst wenn sie Asyl erhalten. Mitten in einem der ärmsten Länder der Welt, mitten in einer Diktatur. Ein Plan, den sich die konservative Regierung in Großbritannien ausgedacht hatte. Die neue Labour-Regierung will dieses Modell jetzt aber nicht mehr weiterverfolgen – Deutschlands größte Oppositionsfraktion dagegen umso mehr. Jetzt erst recht heißt es bei CDU und CSU. Was die Geflüchteten in Ruanda erwarten würde, davon habe ich mir selbst ein Bild gemacht – und bin dorthin gereist."

Führung durch ein Vorzeigeprojekt in Ruandas Hauptstadt Kigali. "Hope Hostel" nennt es sich – eine "Herberge der Hoffnung" – für Geflüchtete, die Europa loswerden will. An alles sei hier gedacht, erzählt man uns. Zahnbürste, Haarshampoo und Körperlotion inbegriffen, ein Luxusressort quasi. Platz ist hier für gerade mal hundert Geflüchtete, obwohl doch Tausende kommen sollen. Wohin mit all denen, kann uns die Managerin nicht sagen. Man wolle, dass sich die Geflüchteten hier wie zu Hause fühlen.

Aline Uwimbabazi, Managerin "Hope Hostel" (Übersetzung Monitor): "Sehen Sie nur, was für eine tolle Aussicht man hier hat, mitten im Zentrum unserer schönen Hauptstadt."

Ein Projekt der ruandischen Regierung, das Eindruck machen soll – auch auf deutsche Politiker. "Komme als Gast, gehe als Freund." Auch Jens Spahn kam als Gast. Vor zwei Monaten besuchte er mit anderen CDU-Politikern das „Hope Hostel“. Geflüchtete aus Europa nach Ruanda auszufliegen, Asylverfahren hierhin auszulagern – für ihn eine gute Idee. Ruanda sei schließlich einer der stabilsten Staaten Afrikas.

Jens Spahn, Stv. Vorsitzender CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Wenn wir nur noch als Partner nehmen Länder, die so sind wie Deutschland oder die Schweiz, dann werden wir nicht viele Partner auf der Welt finden für Migrationsabkommen. Entscheidend ist ja, dass Menschen, die politisch verfolgt sind, Menschen, die Schutz brauchen, vor Krieg fliehen, dass wir ihnen Schutzräume möglich machen. Dass Schutz gewährt wird, dass es faire rechtsstaatliche Verfahren gibt, dass es eine gute Versorgung/Unterkunft gibt."

Schutzräume und faire Verfahren? Ausgerechnet in Ruanda? Zurzeit ist Präsidentschafts-Wahlkampf im Land – obwohl von freien Wahlen überhaupt keine Rede sein kann. Ruandas Präsident Paul Kagame regiert das Land seit vielen Jahren mit eiserner Faust. Eine Opposition gibt es faktisch nicht, keine Presse-, keine Meinungsfreiheit. Kritikern gilt das Land als Militärdiktatur. Gegner Kagames mussten aus dem Land fliehen, sind verschwunden oder tot aufgefunden worden. Für Politiker der Union ist das offenbar kein Problem.

Alexander Dobrindt, Vorsitzender CSU-Landesgruppe/Bundestag: "Ich habe mich in Ruanda davon überzeugt, dass die Regierung von Ruanda bereit ist, mit Deutschland auch ein Abkommen für Migration, ein Abkommen zur Steuerung der Migration vorzunehmen. Ruanda wäre bereit."

Alexander Throm, Innenpol. Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Ich war im Mai mit den Kollegen Spahn und Krings gemeinsam in Ruanda und wir haben uns dort einen Eindruck verschafft. Es war sehr bemerkenswert, sicher, gut organisiert."

Sicher und gut organisiert. Für Victoire Ingabire klingt das wie Hohn. Sie ist eine der Letzten in Ruanda, die sich überhaupt noch trauen, offen gegen Kagame aufzutreten. Acht Jahre saß sie aus politischen Gründen im Gefängnis, das Land darf sie nicht verlassen; ihre Familie lebt in den Niederlanden. Ein Flüchtlingsdeal – ausgerechnet mit Ruandas Machthabern, vor denen selbst viele geflohen sind?

Victoire Ingabire, Menschenrechtsaktivistin (Übersetzung Monitor): "Für mich ist das moderne Sklaverei. Die Europäer sagen, wir bezahlen euch und dafür nehmt ihr uns die Menschen ab, die wir nicht in unseren eigenen Ländern haben wollen. Ruanda ist ja kein demokratischer Staat. Und hier geht‘s um Menschen, die aus ihren Ländern geflohen sind, weil es dort eben keine Demokratie gibt – und weil sie zu den ärmsten Ländern der Welt gehören. Und dann sollen sie in ein Land geschickt werden, das genau die gleichen Probleme hat wie ihre Länder?"

Wer sich ein realistisches Bild von der Flüchtlingslage in Ruanda machen will , muss sich auf eine eher beschwerliche Reise begeben: an die Grenze zu Tansania, ins größte Flüchtlingslager des Landes. Über 60.000 Menschen leben alleine hier in Mahama, weitere 80.000 in anderen Lagern. Flüchtlinge aus den Nachbarländern Burundi und der Demokratischen Republik Kongo – in bitterer Armut. Viele harren hier seit fast zehn Jahren aus. Die Hälfte sind Minderjährige. Schon diese Flüchtlinge überfordern das kleine, dicht besiedelte Land, das kaum größer als Hessen ist und zu den ärmsten Ländern weltweit gehört. Bis zu zehn Menschen leben in den kleinen Lehmhäusern. Wer Glück hat, bekommt hier acht Euro im Monat für Lebensmittel, andere nur vier Euro – oder gar nichts. "Wir leiden hier an großem Hunger. Es gibt nicht genug zu essen für uns", sagt diese Mutter von drei Kindern.

Geflüchteter (Übersetzung Monitor): "Sie sagen, wir können uns hier einen Job in den benachbarten Dörfern suchen. Aber selbst, wenn wir uns überall umschauen, hier gibt es nirgendwo Arbeit für uns. Wir kämpfen ums nackte Überleben."

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen spricht von einer desolaten Lage in den Lagern, auch weil internationale Hilfsgelder fehlen. Dass jetzt noch Geflüchtete aus Europa nach Ruanda kommen sollen, hält man hier für eine völlig weltfremde Idee.

Lilly Carlisle, UNHCR Ruanda (Übersetzung Monitor): "Das Leben für die Geflüchteten ist schwierig und das gilt auch für deren finanzielle Unterstützung. Das UNHCR kümmert sich um die Geflüchteten hier. Die Staaten in Europa sollten die Verantwortung für ihre eigenen Asylverfahren selbst übernehmen, anstatt die Last auf ein Land wie Ruanda abzuladen, das heute schon so viele Geflüchtete aufnimmt."

… und wo Menschenrechte nichts zählen. Politisches Asyl in einem Land, dessen Herrscher die Opposition gnadenlos verfolgt?

Gerd Hankel, Ruanda-Experte: "Offensichtlich ist, dass Ruanda ein hartes autoritäres Regime ist – man kann auch sagen eine Militärdiktatur. Dass Ruanda Menschenrechte/Bürgerrechte nicht kennt. Dass Ruanda Menschen behandelt wie Dinge. Dass also Flüchtlinge, die dorthin geschickt werden, sich in einer Rolle wiederfinden, die sie zu Figuren auf dem Schachbrett macht. Das heißt also, ein Flüchtling ist auf Gedeih und Verderb dem ruandischen Regime ausgeliefert."

Für CDU-Politiker wie Jens Spahn zählt das alles offenbar nicht. Auch nicht, dass ein Deal mit Ruanda sehr teuer wäre. Über 600 Millionen Euro hätte Großbritannien für gerade mal 300 Flüchtlinge bezahlt. Alles kein Problem?

Jens Spahn, Stv. Vorsitzender CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Es ist rechtlich möglich. Es gibt keinen Anspruch darauf, sich das Zielland von Flucht auszusuchen. Es gibt kein Recht nach Deutschland zu kommen. Es gibt einen Anspruch auf Schutz, aber der kann eben auch in einem Drittstaat stattfinden."

Viele Juristen sehen das ganz anders. Eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten wie nach Ruanda sei ein elementarer Systembruch.

Prof. Jürgen Bast, Justus-Liebig Universität Gießen: "Dieser Vorschlag bedeutet in der Sache die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl. Weil das beinhaltet im Kern ja zu sagen, die Europäische Union definiert sich als ein Raum, in dem Menschen, die Schutz benötigen, ihn bekommen. Und diese Grundaussage ist, sucht diesen Schutz woanders. Das ist also nur eine andere Formulierung für die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl."

Zurück im „Hope Hostel“. Auch die Bundesregierung prüft, ob sie Asylverfahren in Drittstaaten wie Ruanda auslagern kann. Aber vorerst werden hier wohl keine Asylbewerber ankommen. Die neue Labour-Regierung in Großbritannien will den Deal mit Ruanda jetzt beenden – aus rechtlichen und finanziellen Gründen. Für die Unionsfraktion im Bundestag ein Grund, das Abkommen mit Ruanda jetzt erst recht voranzutreiben.

Zitat: "Wir sollten an dem Projekt festhalten und die Vorarbeit unserer britischen Partner nutzen."

Darauf setzt auch die Managerin des „Hope Hostels“. Schließlich seien die deutschen Politiker hier sehr begeistert gewesen.

Aline Uwimbabazi, Managerin "Hope Hostel" (Übersetzung Monitor): "Als sie hier waren, habe ich beobachtet, wie sehr sie das alles hier bewundert haben. Das kann ich schon sagen."

Zum Abschied zeigt sie uns noch die Willkommenspakete, die hier schon seit zwei Jahren ungeöffnet bereit liegen, zwei Päckchen Zigaretten inklusive.

Georg Restle: "Eine moderne Form der Sklaverei, in der Menschen zu Ware werden – das trifft es wohl. Und ein Deal mit einem Regime, dem Menschenrechte nichts wert sind. Unmenschlicher kann Flüchtlingspolitik dann wohl kaum sein."