Eindrucksvolle Demonstration von Forderungen zur Seenotrettung und Aufnahme von Flüchtlingen

Zum Nachlesen: Dokumentation von Redebeiträgen unten.

06.06.2020 Zu einer kurzfristig organisierten Demonstration kamen auf dem Bonner Münsterplatz einige mehr als die erlaubten 100 Menschen zusammen, um die Forderungen "Stoppt das Sterben auf dem Mittelmeer!", "Free Alan Kurdi" und weitere Schiffe der Seenotrettung und "LEAVE NO ONE BEHIND" auf Bonns Straßen und Plätzen sichtbar zu machen. Auch die antirassistische Losung "BLACK LIVES MATTER" wurde mit aufgenommen.

Die Teilnehmer*innen mussten sich auf neue Demonstrationsregelungen einstellen: Auf dem Münsterplatz mussten markierte Plätze mit Abstand zueinander eingenommen werden. Die meisten trugen Mund-Nasen-Schutz. Rufen und Sprechchöre waren nicht erlaubt. Dafür gab es viel Beifallklatschen als Zustimmung zu den Redebeiträgen. Und zahlreiche Schilder und Transparente. 

6.6.Demo-Auftakt

Nach dem Auftakt auf dem Münsterplatz zogen die Demonstrationsteilnehmer*innen zur Zwischenkundgebung auf den Friedensplatz und über die Rheinbrücke zur Abschlusskundgebung auf den Konrad-Adenauer-Platz in Beuel.

6.6.DemoAbschluss

Mit der Demonstration wurde die Dauermahnwache des Bündnisses "Grenzenlose Solidarität" abgeschlossen, die zwei Wochen lang rund um die Uhr auf dem Bonner Marktplatz für die Aufnahme Schutzsuchender und die Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln und anderswo warb.

Dauermahnwache "Grenzenlose Solidarität"

Redebeitrag von Kai von der Bonner Sea-Eye-Gruppe:

Am 06. April rettete unsere Crew an Bord des Rettungsschiffes ALAN KURDI in zwei Rettungseinsätzen 150 Menschen auf dem Mittelmeer das Leben. Ab dem Zeitpunkt der Rettung vergingen fast 2 Wochen bis eine Lösung gefunden wurde und unsere Gäste auf ein QuarantäneSchiff des italienischen Roten Kreuzes gebracht wurden. 2 Wochen des Wartens, die für unsere Crew und vor allem die Geretteten eine extreme Belastung darstellten. Diese Stand-Off-Situationen, die jedes Schiff kennt, das zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer betreibt und an die wir uns fast schon gewöhnt haben, sind eine Schande und zeigen, wie wenig europäischen Politikern an flüchtenden Menschen liegt. Es muss dringend ein System der Verteilung geschaffen werden, damit Geflüchtete nach der Rettung möglichst schnell an einen sicheren Ort kommen. Mit dem Auslaufen des MaltaAbkommens, das auch eher schlecht als recht war, sind wir davon aber immer noch weit entfernt. Seit über 5 Jahren versuchen sich europäische Politiker nun schon an einer Lösung und immer noch ist keine in Sicht. Diese Diskussion wird auf dem Rücken von geflüchteten, verfolgten und traumatisierten Menschen ausgetragen. Wir sagen „Shame on EU“!
Doch mit dem Stand-Off nicht genug! Nachdem unsere Crew dann ordnungsgemäß 2 Wochen Corona-Quarantäne aussaß, die übrigens für Handelsschiffe nicht zu gelten scheint, setzten italienische Behörden zuerst unser Schiff ALAN KURDI und einen Tag später auch das spanische Rettungsschiff Aita Mari der NGO SMH fest. Zur Begründung wurde uns eine Liste mit 31 Mängeln vorgelegt, die die ALAN KURDI angeblich aufwiese und weshalb ein Auslaufen nicht möglich sei. Diese Gründe sind absolut unverhältnismäßig, da es sich um Vorgaben handelt, die ein Schiff der Größe der ALAN KURDI nicht erfüllen muss. Vor dem letzten Einsatz wurde die ALAN KURDI einer fünfwöchigen Werftzeit unterzogen, die erst im März endete. Hierbei wurde das Schiff in vielen Bereichen grundlegend überholt. Die deutschen Behörden widersprechen daher den Sicherheitsbedenken ihrer italienischen Kolleg*innen entschieden. Eine Sprecherin teilte mit: „Die von den italienischen Behörden festgestellten Unregelmäßigkeiten betreffen aus Sicht der deutschen Flaggenstaatsverwaltung keine gravierenden Sicherheitsmängel.“ Mit anderen Worten: Die deutschen Behörden sehen keinen Grund, warum die ALAN KURDI nicht auslaufen sollte. Grotesk ist die Argumentation der Italiener vor allem, weil sie kurz vorher 146 gerettete Menschen zwölf Tage an Bord der ALAN KURDI warten ließ, bis sie einem größeren Schiff übergeben werden durften. Es ist mehr als offensichtlich, dass es sich beim Festhalten der beiden Schiffe, um reine Schikane handelt und dass italienische Behörden mit allen Mitteln verhindern wollen, dass Menschenleben gerettet werden. Das ist in meinen Augen mindestens unterlassene Hilfeleistung! Daher hier ganz klar die Forderung: Lasst die ALAN KURDI sofort frei und in den Einsatz zurückkehren! Free ALAN KURDI Interessant ist auch, dass der Crew der Aita Mari auch eine Liste mit exakt 31 Mängeln vorgelegt wurde – Zufall? Ich glaube kaum! Denn das Handelsschiff MV MARINA rettete im April ebenfalls flüchtende Menschen aus Seenot und durfte bereits nach wenigen Tagen in einem sizilianischen Hafen anlegen. Anders als im Falle der ALAN KURDI und der AITA MARI durfte das Handelsschiff ohne technische Überprüfung und ohne Quarantäne sofort wieder auslaufen. Wir fordern, lasst das Rettungsschiff Aita Mari in das Einsatzgebiet zurückkehren, wo es dringender denn je gebraucht wird! Free Aita Mari!
Seit über einem Monat werden die beiden Schiffe nun festgehalten. Über ein Monat, in dem kein einziges Rettungsschiff im Mittelmeer im Einsatz ist und in dem Flüchtende sich selbst oder der Libyschen Küstenwache überlassen werden. Die Folge:
Wie Monitor berichtet, hatte der Stop der Seenotrettung durch Malta und Italien bereits an Ostern dramatische Konsequenzen: 55 Menschen wurden von Europa erst fünf Tage ignoriert & dann gewaltsam nach Libyen geschafft. 12 Menschen überlebten dies nicht. In den vergangenen Wochen sind mehrere Hundert Menschen von der sogenannten Libyschen Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen entführt worden – ein Land, in dem seit Jahren ein dramatischer Bürgerkrieg herrscht. Ein Land, in dem Tausenden Geflüchtete unter den allerschlimmsten Bedingungen in Camps festgehalten werden. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen berichten von Vergewaltigung, Folter und Mord. Letzte Tage wurde berichtet, dass 30 Menschen in so einem Camp erschossen wurden. Die Umstände werden teilweise sogar mit den Konzentrationslagern der Nazis verglichen. In Deutschland reden wir ständig darüber, dass sowas nie wieder passieren darf, doch wenn in Libyen solche Umstände herrschen und die EU sogar dabei unterstützt, die Menschen wieder dort hinzubringen, dann schauen alle weg? Und wer die Menschen rettet, wird festgehalten und kriminalisiert? Wo sind wir denn hingekommen? In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht in §1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“ Und weiter steht in §3: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“
Der Friedensnobelpreisträger EU lässt es zu, dass bestraft wird, wer versucht die Menschenrechte zu verteidigen und unterstützt gleichzeitig diejenigen, die die Menschenrechte mit Füßen treten… Die Situation in Libyen und vielen anderen Ländern zeigt: Jetzt braucht es mehr denn je zivile Seenotrettung! Free The Ships! Free Aita Mari! Free ALAN KURDI!
Ich betreue bei Sea-Eye einige Mailaccounts. Wir bekommen viel positive Resonanz und es gibt viele Menschen, die unsere Arbeit gutheißen und unterstützen. Aber es gibt auch immer wieder negative Kommentare. Ich will zwei kurze Ausschnitte vorlesen:
„Es ist gut das endlich was getan wird gegen Ihre Schleppertätigkeit. Wir brauchen diese Leute nicht in Europa.“ „What Sea-eye is doing is disgusting. Sea-eye must be led by people without a brain ! I will do everything I can to keep your ships blocked.“
Ich muss sagen, für mich gibt es nur zwei Erklärungen für solche Kommentare und solch ein Verhalten: 1. Diese Menschen sind sehr schlecht informiert darüber, warum Menschen ihre Heimatländer verlassen und sich auf den extrem beschwerlichen Weg zu uns machen. oder 2. Ihnen sind die Menschenrechte schlichtweg egal. Oder woher nehmen Sie das Recht, dass es Ihnen besser gehen darf als anderen Menschen?
All diesen Menschen, die unsere Arbeit sabotieren, die sich in der Festung Europa einschließen wollen und die Flüchtende am Liebsten im Mittelmeer ertrinken sähen, möchte ich vieles sagen und manches davon, darf ich auch hier in der Öffentlichkeit:
All die Rechte und Privilegien, die ihr für euch beansprucht und als selbstverständlich anseht, gelten für jeden Menschen und nicht nur für weiße Europäer! Es ist ganz egal, welche Herkunft, Hautfarbe oder Religion ein Mensch hat, wenn sie oder er zu Ertrinken droht, dann müssen wir alles dafür tun, diesen Menschen zu retten! Aus dieser Überzeugung heraus werden wir als Sea-Eye, als Seebrücke und als Aktionsbündnis für grenzenlose Solidarität weiterhin laut bleiben und weiterkämpfen. Wir kämpfen heute und in den nächsten Tagen für die Freilassung der ALAN KURDI und der Aita Mari und sobald wir können werden wir wieder ins Einsatzgebiet fahren und Menschenleben retten. Free ALAN KURDI, Free Aita Mari, Free the Ships!
Genauso kämpfen wir weiter dafür, dass die Camps in Griechenland evakuiert werden und Geflüchtete menschenwürdig behandelt werden. Leave No One Behind
Und wir kämpfen auch gegen Rassismus, der nicht nur in den USA sondern auch in Europa noch immer ein strukturelles Problem ist. Black Lives Matter - in den USA, in Deutschland, an den Außengrenzen der EU und an jedem anderen Ort auf dieser Welt.
Kai für Sea-Eye und die Seebrücke Bonn

 

Redebeitrag von Rainer van Heukelum von der Seebrücke Bonn:

Todesursache Flucht. 
Seit 1993 beobachtet UNITED for Intercultural Action den Tod von Asylbewerber*innen, Flüchtlingen und Migrant*innen, die ein besseres Leben in Europa suchen. Dabei sterben sie auf dem Weg zur Festung Europa im Mittelmeer, auf den Wegen innerhalb Europas, in Haft- und Registrierungslagern, während der Abschiebung oder zurück im Herkunftsland.
 
Bis zum 3. Januar 2019 sind mehr als 36.609 Todesfälle dokumentiert. Die genaue Zahl der Geflüchteten , die wegen der Festung Europa gestorben sind, bleibt unbekannt, geschätzt wird sie dreimal höher als die dokumentierte Zahl, viele Menschen werden nie gefunden. Das Buch „Todesursache: Flucht – eine unvollständige Liste“ versucht die Erinnerung an die an der Festung Europa Zerschellten - wo es geht auch namentlich – festzuhalten.
 
Rufen wir einige heute namentlich auf von denen, die es übers Mittelmeer versucht haben, um zu verdeutlichen, dass sie nicht vergessen sind. Nach jedem Namen werde ich sagen: “Du bist nicht vergessen“. Ich bitte Sie dazu, die rechte Hand auf Ihr Herz zu legen. Ich greife damit eine Tradition der südamerikanischen Befreiungstheologie auf. Die Basisgemeinden dort nennen bei ihren Versammlungen im Kampf gegen  Elend, Ausbeutung und Unterdrückung die bei diesem Einsatz Gestorbenen beim Namen und rufen „Presente“ (=anwesend).
 
- Midour Mohammed (29) aus Algerien ertrank am 04.12.2018, als das Boot in der Nähe von Tigzirt auf dem Weg nach Spanien sank.
 
- Hussein Maden ( 40) aus der Türkei wurde am 11.11 2017 tot an einem Strand auf Lesbos gefunden. Er war mit seiner Familie vor Verfolgung geflohen: 2 Angehörige tot, zwei vermisst.
 
- Darel (2) aus Kamerun ertrank am 23.10.2016 im Mittelmeer beim Versuch, mit seiner Mutter Europa zu erreichen. Seine Mutter wurde nach Libyen zurückgebracht.
 
-  Osama (17)  aus Marokko fiel am 25.05. 2015 von einer Klippe, als er versuchte, die spanische Enklave Melilla von Marokko aus zu erreichen.
 
- More K. Dibanneh (26) aus Gambia ertrank am 19.04.2015 nahe Gergarish in Libyen, als sein Boot kenterte nach einer Kollision mit einem anderen Wasserfahrzeug.
 
- Mohammed (1) aus Syrien ertrank am 19.07. 2014, weil er über Bord fiel eines überfüllten Bootes auf dem Weg nach Italien.
 
- Fadwa Taha Ali (50) aus Syrien wurde am 17.09.2013 erschossen, als das Boot mit 200 Geflüchteten von der ägyptischen Marine beschossen wurde.
 
- Vahide Selami (45) aus Afghanistan ertrank am 06.06. 2013 in der Ägäis, weil sein Boot aus unbekannten Gründen sank.
 
- Saar Yatta (30) aus Subshara-Afrika ertrank am 05.11.2012 nahe der Küste von Ceuta, weil er versucht hatte, nach Ceuta zu schwimmen.
 
- Samia Yusuf Omar (21), Olympionikin aus Somalia, ertrank am 01.04.2012 auf dem Weg von Libyen nach Italien bei dem Versuch, das Rettungsschiff zu erreichen.
 
- Leonie (38) aus dem Kongo kam aus Richtung Libyen, ertrank am 13.04.2011 vor der Küste Italiens, nachdem sie von dem Boot gesprungen war, dass vor Pantelleria Schiffbruch erlitten hatte.

Du bist nicht vergessen 
 
Jeder Tod ist einer zu viel. Wie viele Todesfälle müssen wir zählen, bevor sich diese fatale Politik ändert? Europa muss endlich seine Abschottungspolitik ändern und sichere Fluchtwege schaffen. Lassen wir in unserem Einsatz für dieses Ziel nicht nach!

Rainer van Heukelum, Seebrücke Bonn