Erste Milliarde im EU-Ägypten-Abkommen gesichert

30.06.2024 Das Ziel, die Nord- und Nordwestküste Afrikas für Migranten und Schutzsuchende undurchlässig zu machen, wird nach der EU-Wahl von der alten (und voraussichtlich neuen) EU-Kommissionspräsidentin unerbittlich weiterverfolgt. Es ist anzunehmen, dass sie sich damit die Zustimmung auch der extremen Rechten für ihre Wiederzahl sichern will.

Nun ist das nächste Abkommen mit der ersten Milliarde Finanzhilfe festgezurrt - mit Ägypten. Stichworte dazu:

EU-Investitionskonferenz in Kairo - EU-Finanzhilfen in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro

... sollen "mehr Investitionen ins Land bringen und Arbeitsplätze schaffen" - "neuen Schwung in Ägyptens Wirtschaft bringen"

... Vereinbarung ist der erste Teil eines Pakets von insgesamt über 7,4 Milliarden Euro, das von der Leyen bereits bei ihrem letzten Besuch in Kairo im März angekündigt hatte...

Aktuell beherbergt Ägypten schätzungsweise neun Millionen Flüchtlinge und Migranten. Die Finanzhilfen der EU sollen daher auch langfristig dazu beitragen, dass weniger Menschen sich von Ägypten aus auf den Weg nach Europa machen. (alles Tagesschau)

Ursula von der Leyen nennt das Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und Ägypten einen „historischen Meilenstein“.

... Im Gegenzug erhofft sich die EU-Kommission von der Sisi-Administration vor allem Unterstützung bei der Eindämmung irregulärer Migration. Ägypten ist mit über 110 Millionen Einwohnern nicht nur als Transit-, sondern zunehmend auch als Herkunftsland von Bedeutung. Bei dem in der Vereinbarung als „ganzheitlich“ bezeichneten Ansatz zur Migrationssteuerung dürften die beiden Themen Grenzsicherung und Rückführung für die Kommission am wichtigsten sein. (Beitrag in Stiftung Wissenschaft und Politik im März 2024 mit dem Titel "Ein fragwürdiger Deal mit Kairo - Warum die Bundesregierung das EU-Abkommen mit Ägypten in seiner vorliegenden Form nicht unterstützen sollte)

 

Tagesschau 29.06.2024: Von der Leyen in Kairo - EU besiegelt Milliardenhilfe für Ägypten

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat in Kairo neue EU-Finanzhilfen in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro für Ägypten besiegelt. Sie sollen mehr Investitionen ins Land bringen und Arbeitsplätze schaffen.

Die Europäische Union und Ägypten haben ein gemeinsames Abkommen unterzeichnet, das neuen Schwung in Ägyptens Wirtschaft bringen soll. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen brachte die Finanzhilfe von bis zu einer Milliarde Euro auf einer EU-Investitionskonferenz in Kairo auf den Weg.

"Ägypten und Europa sind sich heute näher als je zuvor, sodass diese Partnerschaft sowohl für Ägypten als auch für Europa ein echter Gewinn ist", sagte von der Leyen in einer Rede. Die Vereinbarung ist der erste Teil eines Pakets von insgesamt über 7,4 Milliarden Euro, das von der Leyen bereits bei ihrem letzten Besuch in Kairo im März angekündigt hatte.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi begrüßte das Abkommen: Ägypten habe sich "als verlässlicher Partner erwiesen, wenn es darum geht, gemeinsame Herausforderungen so zu bewältigen, dass Sicherheit und Stabilität erreicht werden."

Arbeitslosigkeit in Ägypten hoch

Das Geld soll nach Angaben der EU-Kommission unter anderem in die Bereiche Erneuerbare Energie und Ernährungssicherheit investiert werden. Die Hoffnung ist, dass das nordafrikanische Land mit Reformen mehr Investitionen anzieht und neue Arbeitsplätze schafft.

Arbeitslosigkeit ist ein großes Problem in Ägypten und auch die Jugend findet kaum noch Perspektiven. Das Land stand im März zuletzt bereits kurz vor der Zahlungsunfähigkeit.

Aktuell beherbergt Ägypten schätzungsweise neun Millionen Flüchtlinge und Migranten. Die Finanzhilfen der EU sollen daher auch langfristig dazu beitragen, dass weniger Menschen sich von Ägypten aus auf den Weg nach Europa machen.

Internationale Akteure wie etwa die EU setzen auf Ägypten, um Stabilität in die Region zu bringen. Doch angesichts der autokratischen Regierung in Kairo bewerten einige Beobachter die Finanzhilfen auch kritisch. Ägypten müsse sich durch die Finanzhilfen der EU weniger darum bemühen, schnelle Reformen und Veränderungen zu bewirken, so ihre Befürchtung.

 

Beitrag in Stiftung Wissenschaft und Politik 25.03.2024: Ein fragwürdiger Deal mit Kairo  Warum die Bundesregierung das EU-Abkommen mit Ägypten in seiner vorliegenden Form nicht unterstützen sollte

­Die geplanten umfangreichen EU-Hilfen für Ägypten tragen vor allem zur Stützung autoritärer Herrschaft bei, nicht aber zur nachhaltigen Stabilisierung des Landes. Zudem ist das Vorgehen der EU-Kommission verfahrensrechtlich höchst problematisch, erklärt Stephan Roll in diesem Megatrends Afrika Spotlight.

Ursula von der Leyen nennt das Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und Ägypten einen „historischen Meilenstein“. Gemeinsam mit den Regierungschefs von Italien, Griechenland, Belgien, Österreich und Zypern war die EU-Kommissionspräsidentin am 17. März nach Kairo gereist, um das Abkommen mit Präsident Abdel Fatah al-Sisi zu unterzeichnen. Kern der neuen Vereinbarung ist ein 7,4 Milliarden Euro schweres Hilfspaket zur Stabilisierung der Staatsfinanzen und der am Boden liegenden ägyptischen Wirtschaft. Im Gegenzug erhofft sich die EU-Kommission von der Sisi-Administration vor allem Unterstützung bei der Eindämmung irregulärer Migration. Ägypten ist mit über 110 Millionen Einwohnern nicht nur als Transit-, sondern zunehmend auch als Herkunftsland von Bedeutung. Bei dem in der Vereinbarung als „ganzheitlich“ bezeichneten Ansatz zur Migrationssteuerung dürften die beiden Themen Grenzsicherung und Rückführung für die Kommission am wichtigsten sein.

Ein politisches Déjà-Vu

Dass der Plan der EU-Kommission aufgeht, muss stark bezweifelt werden. Ihr Vorgehen weckt Erinnerungen an das Jahr 2016, als Ägypten mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Programm zur Rettung der ägyptischen Staatsfinanzen vereinbarte. Damals, in der Hochphase der sogenannten Flüchtlingskrise, war in den europäischen Hauptstädten die Angst vor einem Staatsbankrott Ägyptens und daraus resultierenden möglichen Fluchtbewegungen ähnlich groß wie heute. Kurzerhand unterstützten deshalb mehrere europäische Staaten das IWF-Abkommen mit großzügigen Budgethilfen. Allein Deutschland stellte 450 Millionen Euro an sogenannten Ungebundenen Finanzkrediten (UFK) zur Verfügung, auch in der Erwartung, dass Ägypten dann seine Grenzen besser sichern würde. Und tatsächlich: Nur wenige Tage nach Gewährung der Finanzhilfen sank die Zahl der Migrant*innen, die von Ägypten aus den gefährlichen Weg über das Mittelmeer wagten, von über 12.000 zwischen Januar und September 2016 auf unter 100 in den darauffolgenden Monaten. Auch die Zahl der Ägypter*innen, die über alternative Routen, zumeist über Libyen, irregulär in die EU gelangten, blieb im Vergleich zu anderen Nationalitäten auf einem niedrigen Niveau.

Die Freude in den europäischen Hauptstädten über diesen Erfolg währte jedoch nur kurz. Das IWF-Programm und weitere Hilfen des Währungsfonds brachten Ägypten keineswegs die erhoffte wirtschaftliche Stabilisierung. Statt nachhaltigem Wachstum verzeichnete das Land vielmehr einen Anstieg der Staatsverschuldung. Steigende Inflation und Einsparungen im ohnehin maroden Sozialsystem führten zu einem dramatischen Anstieg der Armutsrate, die inzwischen deutlich über 35 Prozent liegen dürfte. Auch die Bereitschaft der staatlichen Stellen, die Landesgrenzen angemessen zu sichern, ließ in den Folgejahren zusehends nach. Im Jahr 2022, sechs Jahre nach dem Abkommen mit dem IWF, machten Ägypter*innen mit 21.753 Menschen die größte Gruppe unter den Migrant*innen aus, die über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa kamen.

Falsche Annahmen über Krisenursache

In ihrer Analyse der gegenwärtigen Situation erwähnt die EU-Kommission zwar auch die unzureichende Umsetzung von Reformen durch die ägyptische Regierung. Sie führt die Wirtschaftsmisere des Landes aber in erster Linie auf die Auswirkungen externer Schocks wie die russische Invasion der Ukraine, den Gaza-Krieg sowie den blutigen Konflikt im Nachbarland Sudan zurück. Tatsächlich haben diese Entwicklungen Ägypten in den vergangenen zwei Jahren getroffen. Sie sind aber keineswegs die Hauptursache für die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise. Diese erklärt sich vielmehr aus der schuldenfinanzierten Ausgabenpolitik der ägyptischen Staatsführung unter Präsident Sisi.

Statt sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung zu orientieren, hat Sisi vor allem die Interessen des ägyptischen Militärs im Blick. Zwischen 2017 und 2021 war das hoch verschuldete Ägypten der drittgrößte Waffenimporteur weltweit. Zudem treiben fragwürdige Infrastrukturvorhaben die Staatsverschuldung immer weiter in die Höhe. Allein die Kosten für die pompöse Verwaltungshauptstadt, an deren Bau das Militär kräftig mitverdient, werden auf bis zu 59 Milliarden US-Dollar geschätzt. Ein erheblicher Teil davon dürfte aus der Staatskasse kommen. Und...