Etappensieg im Eilverfahren gegen restriktive Bezahlkarte

24.07.2024 In Bonn wird die Bezahlkarte laut Ratsbeschluss nicht eingeführt. Trotzdem informieren wir hier über Nachrichten zu Auswirkungen, Möglichkeiten solidarischen Handelns und juristischen Erfolgen im Umgang.

Aktualisiert 03.08.2024 | Aktuell (FRNRW): Sozialleistungen Kritik an Bezahlkarte für Geflüchtete: Sozialgericht Nürnberg gibt zwei Klagen statt  Laut der Süddeutschen Zeitung stößt die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern auf weitere rechtliche Herausforderungen. Zwei Asylbewerberinnen haben erfolgreich gegen die Karte geklagt, da sie sich benachteiligt fühlten. Das Sozialgericht Nürnberg entschied in Eilverfahren, dass die monatlichen Unterstützungsleistungen wieder direkt auf ihre Konten überwiesen werden müssen, statt nur über die Karte verfügbar zu sein. Die Karte erlaubt Einkäufe in Geschäften und maximal 50 Euro Bargeldabhebungen pro Monat, ist aber regional begrenzt und nicht für Online-Käufe nutzbar. Kritikpunkt der Klägerinnen war unter anderem die Einschränkung bei Internetkäufen und Vereinsbeiträgen. Die Entscheidung des Gerichts bedeutet keine grundsätzliche Ablehnung der Bezahlkarte, sondern fordert eine individuelle Prüfung und Anpassung an die jeweiligen Umstände der Betroffenen, was aufwendig wäre. Weitere ähnliche Verfahren sind noch anhängig. Den vollständigen Beschluss finden Sie hier.

Aktualisiert 01.08.2024 Bericht SZ: Weitere Klage gegen Bezahlkarte für Geflüchtete erfolgreich  In zwei Fällen bekommen Asylbewerberinnen recht, die sich durch die Bezahlkarten benachteiligt sehen. Weitere Verfahren sind anhängig. Die Staatsregierung sieht dennoch keinen Änderungsbedarf. Die Bezahlkarte für Geflüchtete, die im Juni in Bayern eingeführt worden ist, steht weiter in der Kritik. Das Sozialgericht Nürnberg hat nun schon zwei Geflüchteten recht gegeben, die gegen Einschränkungen durch die Bezahlkarte für Asylbewerber geklagt haben. ... In Eilverfahren wies das Gericht die Stadt Schwabach an, den beiden Klägerinnen ihre monatlichen Unterstützungsleistungen künftig wieder auf ihr Konto zu überweisen – statt sie nur über die Bezahlkarte zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig. ... Das Hamburger Sozialgericht hatte zuvor die Bargeldobergrenze von 50 Euro zumindest für Flüchtlinge mit Kindern und Schwangere für rechtswidrig erklärt. Die für die Karte zuständige Sozialbehörde müsse die persönlichen Lebensumstände der Antragstellenden berücksichtigen und starre Obergrenzen würden das nicht ermöglichen, hieß es. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte daraufhin erklärt, an der Obergrenze festhalten zu wollen.

Wir zitieren eine Pressemitteilung von Pro Asyl:

PRO ASYL und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) haben gemeinsam mit einer schutzsuchenden Familie vor dem Sozialgericht Hamburg einen Erfolg gegen die restriktiven Beschränkungen der Bezahlkarte erzielt. Die Eilentscheidung des Sozialgerichts Hamburg stellt klar: Die pauschale Festsetzung des Bargeldbetrages auf 50 Euro ohne Berücksichtigung der persönlichen und örtlichen Umstände der Betroffenen ist rechtswidrig. Mit der Entscheidung ist ein Schritt mehr getan, um das menschenwürdige Leben schutzsuchender Menschen in Deutschland zu sichern.

Das Hamburger Amt für Migration darf sich nach der sozialgerichtlichen Entscheidung nicht auf die Beschlussempfehlung der Ministerpräsident*innenkonferenz berufen, die im Juni dieses Jahres eine Bargeldbeschränkung von 50 Euro pro Person vereinbart hatte. Das Gericht spricht der Familie zunächst einen Bargeldbetrag von knapp 270 Euro zu.

Mehrere Klagen gegen die Bezahlkarte 

PRO ASYL und die GFF zielen derzeit mit mehreren Klagen darauf ab, die Einführung von restriktiv ausgestalteten Bezahlkarte zu stoppen, weil sie Grundrechte von Geflüchteten verletzen.

„Die Einführung einer Bezahlkarte mit erheblichen Beschränkungen missachtet die Grundrechte der Betroffenen. Die Entscheidung aus Hamburg bestätigt, dass eine pauschale Bargeldobergrenze von maximal 50 Euro für Schutzsuchende nicht haltbar ist, ohne das menschenwürdige Existenzminimum zu gefährden“, betont Lena Frerichs, Verfahrenskoordinatorin und Juristin bei der GFF. „Existenzsichernde Leistungen müssen sich an den konkreten Bedürfnissen und Umständen des Einzelfalls orientieren. Eine Mammutaufgabe für die Verwaltung – aber unabdingbar zur Wahrung der Grundrechte.“

Bezahlkarte: bürokratischer Irrsinn

„Die Bezahlkarte in Hamburg erschwert den Alltag der Betroffenen massiv. Geflüchtete können sich kaum angemessen versorgen. Günstige Onlineeinkäufe oder private Gebrauchtwareneinkäufe sind mit der Bezahlkarte ebenso wenig möglich wie der Abschluss eines Handyvertrages oder die Anmeldung im Sportverein; auch akzeptiert nicht jeder Laden die Bezahlkarte. Dass diese Unterversorgung verfassungswidrig ist, zeigt die Eilentscheidung. Die Entscheidung zeigt auch, welcher bürokratischer Irrsinn auf die Kommunen zukommt, die eine Bezahlkarte einführen wollen. Sie sollten sich dreimal überlegen, ob sie sich diese Mehrbelastung ihrer Verwaltung wirklich leisten können“, erklärt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Zum Fall

Der klagenden Familie, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg wohnt, steht seit Einführung der Bezahlkarte pauschal ein Bargeldbetrag von 110 Euro zur Verfügung, den sie von der Bezahlkarte abheben kann. Mit diesem Betrag können die schwangere Antragstellerin, ihr Kleinkind und ihr Mann nicht die nötigen lebensnotwendigen Einkäufe tätigen, die Bargeld erfordern. Die Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg erteilt der pauschalen Bargeldobergrenze der Bezahlkarte nun eine Absage.

Aktuelle Praxis der Bezahlkarte

Bis auf Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben sich die Bundesländer auf die einheitliche Einführung einer Bezahlkarte verständigt. Mit Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz im Juni dieses Jahres einigten sich die Bundesländer auf eine Bargeldobergrenze von maximal 50 Euro.

Hamburg startete im Februar 2024 als erstes Bundesland mit der Bezahlkarte in Form der Hamburger SocialCard. Das Sozialgericht Hamburg stellt nun klar, dass das Hamburger Amt für Migration sich bei der Festlegung der Bargeldobergrenze nicht ohne Prüfung des Einzelfalles am empfehlenden Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz orientieren darf.

In der Konsequenz bedeutet die Einführung einer Bezahlkarte mit Bargeldbeschränkungen für die überlasteten Kommunen einen erheblich größeren Aufwand als die Ausgabe einer Bezahlkarte ohne Bargeldbeschränkungen, da die Bargeldobergrenze jeweils im Einzelfall festgelegt werden muss oder Leistungen teilweise in bar ausgezahlt werden müssen.

Das Hamburger Amt für Migration kann gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Beschwerde einlegen. PRO ASYL und die GFF gehen mit weiteren Verfahren gegen restriktive Bezahlkartenregelungen vor, die den grundrechtlichen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum schutzsuchender Menschen missachten.

PRO ASYL finanziert diese und weitere Klagen mit dem Rechtshilfefonds, mit dem PRO ASYL jährlich Hunderte von Menschen dabei unterstützt, zu ihrem Recht zu kommen.