03.05.2024 Das nächste Türsteher-Abkommen ist unter Dach und Fach. Nach der Türkei, Tunesien und Ägypten ist es diesmal der Libanon, ein "dysfunktionales und autokratisch regiertes Land" (TAZ). Von der Leyen strahlt mit dem Regierungschef in die Kameras. Auch in diesem Falle ist das oberste Ziel: Zurückhalten der Flüchtenden. "Mit 5 Millionen Einwohnern und 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen hat das Land die größte Pro-Kopf-Flüchtlingsrate der Welt", schreibt die TAZ. Wegen Perspektivlosigkeit wollen viele die EU über Zypern erreichen, das nächstliegende EU-Mitglied, das inzwischen ebenfalls eine unverhältnismäßig hohe Quote an schutzsuchenden Migrant*innen beherberbergt. "Vertriebene machten inzwischen ein Drittel der gesamten Bevölkerung aus - mit Folgen für Wirtschaft, Infrastruktur, Sicherheit und Stabilität des Landes." (Tagesschau). Ohne Zweifel muss Zypern solidarisch unterstützt und entlastet werden. Doch ist dieses neue Abkommen dazu der Weg?
Die Problemlösung für Zypern und die EU besteht (vielleicht auch dem EU-Wahlkampf geschuldet) weiterhin in fragwürdigen Abkommen. Da bleiben offenbar die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse außer Acht, und Geld ist anscheinend auch genug da. Zwar wird in der Pressekonferenz zum Ziel erklärt, mit "humanitären Hilfen, dem Aufbau von Infrastruktur sowie Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Solaranlagen das Leben für Geflüchtete und in den Aufnahmegemeinden zu erleichtern – und damit die Geflüchteten im Libanon zu halten. Das nun angekündigte EU-Geld soll auch ins Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen fließen." (TAZ). Doch ob wirklich humanitäre und nachhaltige Lösungen erreicht werden, ist höchst zweifelhaft.
Die Ursache der Flucht syrischer Menschen, der seit 13 Jahren dort herrschenden Krieg, der sie vertreibt, wird damit nicht gelöst. Auch nicht, indem Teile Syriens als sicher erklärt werden, wie populistische Politiker*innen es vermehrt fordern.
Eine Milliarde Euro sollen zur Beschränkung von irregulärer Migration in das Land fließen. Die EU will damit zur Stabilität des Libanon beitragen. "Gleichzeitig zählen wir auf Ihre gute Kooperation, illegale Migration zu verhindern und das Schleusen von Migranten zu unterbinden", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Gespräch mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Nadschib Mikati und dem Präsidenten Zyperns, Nikos Christodoulidis, in Beirut. ...
Der Libanon hat seit 2011 mehr als 1,5 Millionen syrische Geflüchtete aufgenommen. Sein Land trage damit die Hauptlast, erklärte Premier Mikati. Das übersteige die Kapazitäten. Vertriebene machten inzwischen ein Drittel der gesamten Bevölkerung aus - mit Folgen für Wirtschaft, Infrastruktur, Sicherheit und Stabilität des Landes... Mikati warnte, der "Feuerball" werde sich nicht auf den Libanon beschränken, die Sicherheit des Libanon und die Europas seien verbunden. Sollte die EU nicht handeln, warne er davor, "dass der Libanon zu einem Transitland von Syrien nach Europa wird....
Nichtregierungsorganisationen befürworten zusätzliche Unterstützung für den Libanon, kritisieren aber die Stoßrichtung der EU. Neben den vielen Geflüchteten sei auch die einheimische Bevölkerung des Libanon in immer größerer Not. "Doch die Mittel für humanitäre Hilfe gehen seit Jahren zurück. Das schürt Spannungen zwischen Einheimischen und den Geflüchteten", erklärte Ahmad Safi, Programmverantwortlicher der Diakonie Katastrophenhilfe in der Region.
Auch die Hilfsorganisation "Brot für die Welt" fordert von der EU, die humanitäre Hilfe auszubauen und Aufnahmeprogramme ermöglichen. In Syrien selbst bleibe die Lage vielerorts verheerend. Eine Rückkehr sei mit hohen Gefahren verbunden, da der Konflikt nicht beigelegt sei. (alles Tagesschau)
Währenddessen hetzen [im Libanon] Politiker gegen die rund 1,5 Millionen Syrer*innen als Sündenböcke. Es gibt mediale Kampagnen für Rückführungen, Ausgangssperren, Konfiszierung von Motorrollern. Kürzlich drohte der Minister für Vertriebene in der libanesischen Übergangsregierung damit, „die Seehäfen seines Landes weit zu öffnen“. Ein 2020 unterzeichnetes bilaterales Abkommen erlaubt Zypern Pushbacks, also Migrant*innen aus dem Libanon zurückzuschicken. Seit Februar weigert sich der Libanon aber, Syrer*innen zurückzunehmen. Deshalb nun der Deal. ...
Der EU-Flüchtlingsdeal mit dem Libanon, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Beirut verkündet hat, wirft Fragen auf. Wie kann man die versprochene 1 Milliarde Euro ausgeben, in einem völlig dysfunktionalen Staat, der sich seit Jahren im freien ökonomischen Fall befindet? Und wie kann man das Minenfeld umschiffen, nämlich dass die militant-schiitische Hisbollah seit Jahren in Beirut an der Regierung sitzt?
Alle drei EU-Flüchtlingsabkommen, die die EU am südlichen und östlichen Mittelmeer geschlossen hat – vergangenes Jahr mit Tunesien, vor sechs Wochen mit Ägypten und jetzt mit dem Libanon –, müssen sich auch eine andere Kritik gefallen lassen: Egal ob den arabischen Autokraten in Ägypten oder Tunesien oder den libanesischen Polit-Clans – sollte die EU überhaupt an Orten Geld ausgeben, in denen die Menschenrechtslage mehr als zweifelhaft ist? Die EU-Vertreter haben hier stets das gleiche Bekenntnis auf den Lippen: Man befinde sich in dieser Frage mit den jeweiligen Seiten im Dialog. Der Rest ist Realpolitik.
Die Verzweiflung dürfte bleiben.
„Vor mir liegt das Meer und hinter mir die Armut.“ (alles TAZ)
Wir zitieren Beiträge der Tagesschau und der TAZ vom 2.05.2024:
- Tagesschau: EU schließt Flüchtlingsabkommen mit dem Libanon
Sie fliehen vor Krieg und Armut aus ihrer Heimat - doch auch im benachbarten Libanon sind die Bedingungen für syrische Geflüchtete prekär. Viele von ihnen wagen die Überfahrt in Richtung EU. Nun soll ein Milliarden-Deal die Menschen zurückhalten.
Die Europäische Union hat mit dem Libanon ein Flüchtlingsabkommen geschlossen. Eine Milliarde Euro sollen zur Beschränkung von irregulärer Migration in das Land fließen. Die EU will damit zur Stabilität des Libanon beitragen. "Gleichzeitig zählen wir auf Ihre gute Kooperation, illegale Migration zu verhindern und das Schleusen von Migranten zu unterbinden", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Gespräch mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Nadschib Mikati und dem Präsidenten Zyperns, Nikos Christodoulidis, in Beirut.
Die Finanzhilfe soll bis 2027 ausgezahlt werden und in Bildung, Gesundheit, Wirtschaft, Sicherheit sowie Grenzschutz fließen. "Darüber hinaus wäre es sehr hilfreich für den Libanon, eine Zusammenarbeit mit Frontex zu schließen", der Grenzschutzagentur der EU, erklärte von der Leyen. Die Union wolle im Gegenzug legale Migrationswege aufrechterhalten und Aufnahmeprogramme für syrische Geflüchtete ermöglichen.
In den vergangenen Jahren sind viele Flüchtlinge über den Libanon nach Zypern gekommen. Der Libanon und Zypern sind über das Mittelmeer nur einige hundert Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Insbesondere syrische Geflüchtete wählen daher diese Strecke, um nach Zypern und damit in die EU zu gelangen.
Mehr als 1,5 Millionen syrische Geflüchtete im Libanon
Der Libanon hat seit 2011 mehr als 1,5 Millionen syrische Geflüchtete aufgenommen. Sein Land trage damit die Hauptlast, erklärte Premier Mikati. Das übersteige die Kapazitäten. Vertriebene machten inzwischen ein Drittel der gesamten Bevölkerung aus - mit Folgen für Wirtschaft, Infrastruktur, Sicherheit und Stabilität des Landes.
Mikati warnte, der "Feuerball" werde sich nicht auf den Libanon beschränken, die Sicherheit des Libanon und die Europas seien verbunden. Sollte die EU nicht handeln, warne er davor, "dass der Libanon zu einem Transitland von Syrien nach Europa wird. Und die Probleme an der zyprischen Grenze sind nur ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn dieses Problem nicht schnell angegangen wird."
Hohe Zahl an Asylanträgen auf Zypern
Nach Angaben von Zyperns Präsident Christodoulidis kamen in den vergangenen Monaten fast täglich Syrer aus dem etwa 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten auf der Insel im östlichen Mittelmeer an. Seit Jahresbeginn wurden bereits etwa 4.000 Migranten gezählt - im ersten Quartal des Vorjahres waren es lediglich 78. In absoluten Zahlen kamen zwar deutlich weniger Migranten an als in Italien, Spanien und Griechenland. Gemessen an der Einwohnerzahl werden aber nirgendwo in der EU so viele Asylanträge gestellt wie auf Zypern.
Die wachsende Zahl syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon sei nicht mehr tragbar, hieß es von der zyprischen Regierung. Die Flüchtlingslager seien überfüllt. Sie forderte ein Handeln der EU.
EU setzt auch auf freiwillige Rückkehr nach Syrien
Der Ministerpräsident des Libanon, Mikati, bedankte sich beim zyprischen Präsidenten dafür, den Wandel in den Beziehungen mit der EU erreicht zu haben. In einem ersten Schritt sei es notwendig, in der EU und international anzuerkennen, "dass die meisten Regionen in Syrien sicher geworden sind, was die Rückkehr von Vertriebenen ermöglicht". Syrer, die den Libanon nach 2016 erreicht hätten, seien aus ökonomischen Gründen gekommen, sie seien keine Flüchtlinge. Er rufe daher die EU auf, die Unterstützung in Syrien zu verstärken und zur freiwilligen Rückkehr zu ermutigen.
"Wir verstehen die Herausforderungen", sagte von der Leyen. Seit 2011 habe die EU den Libanon mit 2,6 Milliarden Euro unterstützt. Die EU werde analysieren, wie sie Hilfen effektiver gestalten könne. Das beinhalte auch die freiwillige Rückkehr nach Syrien in enger Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und den Wiederaufbau in Syrien.
NGO: Mittel für humanitäre Hilfe im Libanon gehen zurück
Nichtregierungsorganisationen befürworten zusätzliche Unterstützung für den Libanon, kritisieren aber die Stoßrichtung der EU. Neben den vielen Geflüchteten sei auch die einheimische Bevölkerung des Libanon in immer größerer Not. "Doch die Mittel für humanitäre Hilfe gehen seit Jahren zurück. Das schürt Spannungen zwischen Einheimischen und den Geflüchteten", erklärte Ahmad Safi, Programmverantwortlicher der Diakonie Katastrophenhilfe in der Region.
Auch die Hilfsorganisation "Brot für die Welt" fordert von der EU, die humanitäre Hilfe auszubauen und Aufnahmeprogramme ermöglichen. In Syrien selbst bleibe die Lage vielerorts verheerend. Eine Rückkehr sei mit hohen Gefahren verbunden, da der Konflikt nicht beigelegt sei.
Die EU möchte dem Libanon 1 Milliarde Euro zahlen, damit das Land syrische Geflüchtete nicht ausreisen lässt. So soll Zypern geholfen werden.
Rund 1 Milliarde Euro möchte die EU bis ins Jahr 2027 ausgeben, um Geflüchtete im Libanon zu halten. Das haben Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Beirut verkündet. Mit dem Geld sollen unter anderem Equipment und Fortbildungen für die libanesischen Sicherheitsbehörden und Streitkräfte finanziert werden. „Wir zählen auf gute Zusammenarbeit bei der Verhinderung illegaler Migration und der Bekämpfung von Schleuserkriminalität“, sagte von der Leyen. Gemeinsam mit Christodoulidis bat sie den Libanon, den Informationsaustausch mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zu verstärken.
Das kleine Land hat auf seine Bevölkerungszahl gerechnet so viele Menschen aufgenommen wie kein anderes. Die meisten von ihnen sind Syrer*innen, die vor dem seit 13 Jahren andauernden Krieg geflohen sind. Bereits seit 2011 hat die EU den Libanon mit 2,6 Milliarden Euro für die Unterbringung von Geflüchteten unterstützt.
Die Ankündigung sei kein neues Abkommen, sondern Teil der Wahlkampagne vor den EU-Wahlen, analysiert entsprechend Sarah Nasrallah vom Libanesischen Center für Menschenrechte (CLDH). Von der Leyen und Christodoulidis „versuchen, dies als Verhandlungsmasse in Europa zu nutzen“, sagte sie der taz. Es sei eine kurzfristige Strategie und beweise zudem, „dass die libanesischen Behörden keinen klaren strategischen Plan zur Bewältigung der Krise haben“.
Die Sicherheitspolitik Europas baut darauf auf, durch humanitäre Hilfen, den Aufbau von Infrastruktur sowie Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Solaranlagen das Leben für Geflüchtete und in den Aufnahmegemeinden zu erleichtern – und damit die Geflüchteten im Libanon zu halten. Das nun angekündigte EU-Geld soll auch ins Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen fließen. Darüber hinaus seien Wirtschafts- und Finanzreformen vorgesehen, bei denen die EU Libanon unterstützen wolle. Wie genau und welche Reformen das sind, blieb bei der Pressekonferenz offen.
Syrer*innen gelten im Libanon als Sündenböcke
Der Libanon ist seit 2019 in einer tiefen Wirtschaftskrise. Korruption und Missmanagement der Eliten, einschließlich des derzeitigen Ministerpräsidenten Nadschib Mikati, haben zu einem maroden Staatshaushalt geführt. Ein Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) lehnen die Politiker ab, weil sie die dafür verlangten Reformen nicht umsetzen wollen.
Bei der Pressekonferenz erwähnte Christodoulidis den IWF-Deal sowie eine neue Regierungsbildung, um die Möglichkeit eines Wandels im Libanon anzudeuten. Seit Mai 2022 ist Mikati nur übergangsweise im Amt, die Wahl eines neuen Kabinetts ist durch politische Streitigkeiten blockiert.
Währenddessen hetzen Politiker gegen die rund 1,5 Millionen Syrer*innen als Sündenböcke. Es gibt mediale Kampagnen für Rückführungen, Ausgangssperren, Konfiszierung von Motorrollern. Kürzlich drohte der Minister für Vertriebene in der libanesischen Übergangsregierung damit, „die Seehäfen seines Landes weit zu öffnen“. Ein 2020 unterzeichnetes bilaterales Abkommen erlaubt Zypern Pushbacks, also Migrant*innen aus dem Libanon zurückzuschicken. Seit Februar weigert sich der Libanon aber, Syrer*innen zurückzunehmen. Deshalb nun der Deal.
13.772 Personen hat der Libanon 2023 abgeschoben oder zurückgewiesen.
In Syrien brauchen 14,9 Millionen Menschen laut EU Unterstützung in der Gesundheitsversorgung, das UN-Welternährungsprogramm (WFP) zählt über 13 Millionen hungernde Menschen. Durch die vielen weltweiten Krisen musste das WFP seine Hilfen für Syrien drastisch kürzen. Rückkehrenden droht Gewalt, Folter, willkürliche Verhaftung, Vergewaltigung, Verschwindenlassen und Tötung. Ungeachtet dessen haben die libanesischen Behörden laut Menschenrechtsorganisationen in den vergangenen Monaten willkürlich Syrer*innen inhaftiert, gefoltert und gewaltsam nach Syrien deportiert, darunter auch Aktivist*innen, Militärverweigerer und unbegleitete Kinder.
Laut UN-Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der UN hat der Libanon im Jahr 2023 insgesamt 13.772 Personen abgeschoben oder an der Grenze zurückgewiesen. Das verstößt gegen das UN-Übereinkommen gegen Folter und gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung: Menschen dürfen nicht gewaltsam in Länder zurückgeschickt werden, in denen ihnen eindeutig Verfolgung droht.
Teile der EU wollen Teile Syrien als sicher erklären
„Libanesische Beamte haben jahrelang diskriminierende Praktiken gegen Syrer im Land angewandt, um sie zur Rückkehr nach Syrien zu zwingen, das nach wie vor unsicher ist“, sagt Ramzi Kaiss, Libanonforscher bei Human Rights Watch.
Die Bedrohung durch Abschiebung und die prekäre Lage im Libanon sowie fehlende Möglichkeiten der legalen Migration ließen keine andere Alternative als die Bootsmigration zu, sagen Menschenrechtsorganisationen. Sie fordern Zypern deshalb auf, die bisherige Praxis mit dem Libanon zu stoppen. Auch sollten das Land und die EU jeden Versuch stoppen, bestimmte Gebiete Syriens für sicher zu erklären.
Doch einige EU-Mitgliedsstaaten wollen genau das: Teile Syriens für sicher erklären, damit Migrant*innen zurückgeschickt werden können.
Zypern hat sich vergangenes Jahr dafür ausgesprochen. „Wir werden auch prüfen, wie wir die Hilfe der EU wirksamer gestalten können. Dazu gehört auch, dass wir in enger Zusammenarbeit mit dem UNHCR einen besser strukturierten Ansatz für die freiwillige Rückkehr nach Syrien erarbeiten“, sagte Zyperns Präsident. Auch müsse die internationale Gemeinschaft „Programme für einen raschen Wiederaufbau in Syrien“ stärker unterstützen.
Letzteres wäre ein Umschwung in der europäischen Politik zu Syrien. Diese war bisher: Keine Normalisierung, keine Unterstützung für Wiederaufbau, solange es keinen politischen Umschwung gibt. Wobei es auch hier zuletzt eine Art Schlupfloch gab: die Nothilfe zur Rehabilitation.
Diese Art der Finanzierung von Projekten in Gebieten unter Baschar al-Assad scheint nicht mehr als rote Linie für Finanzhilfen gesehen zu werden. Laut einer Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung aus April 2023 würden Rehabilitationsgelder bereits diskutiert. Der Deal mit dem Libanon könnte nun zu einer weiteren Aufweichung der roten Linie führen.
Der Flüchtlingsdeal mit Libanon wirft viele Fragen auf. Die EU setzt auf ein dysfunktionales und autokratisch regiertes Land.
Der EU-Flüchtlingsdeal mit dem Libanon, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Beirut verkündet hat, wirft Fragen auf. Wie kann man die versprochene 1 Milliarde Euro ausgeben, in einem völlig dysfunktionalen Staat, der sich seit Jahren im freien ökonomischen Fall befindet? Und wie kann man das Minenfeld umschiffen, nämlich dass die militant-schiitische Hisbollah seit Jahren in Beirut an der Regierung sitzt?
Alle drei EU-Flüchtlingsabkommen, die die EU am südlichen und östlichen Mittelmeer geschlossen hat – vergangenes Jahr mit Tunesien, vor sechs Wochen mit Ägypten und jetzt mit dem Libanon –, müssen sich auch eine andere Kritik gefallen lassen: Egal ob den arabischen Autokraten in Ägypten oder Tunesien oder den libanesischen Polit-Clans – sollte die EU überhaupt an Orten Geld ausgeben, in denen die Menschenrechtslage mehr als zweifelhaft ist? Die EU-Vertreter haben hier stets das gleiche Bekenntnis auf den Lippen: Man befinde sich in dieser Frage mit den jeweiligen Seiten im Dialog. Der Rest ist Realpolitik.
Doch die Zweifel zur Seite geschoben: Lassen sich die Erfolge oder Misserfolge der EU-Migrationsdeals überhaupt messen? Nehmen wir den Fall des 7,4 Milliarden Euro schweren Migrationsabkommens mit Ägypten, dessen größter Teil Wirtschaftshilfen umfasst und wo „nur“ 200 Millionen Euro für direkte Maßnahmen bestimmt sind, die Migration zu stoppen. Was würde passieren, wenn ein Ägypten mit über 100 Millionen Einwohnern, mit einem Friedensvertrag mit Israel und mit dem Suezkanal als einer der wichtigsten Handelstrassen der Welt, wirtschaftlich kollabieren würde?
Höchste Flüchtlingsrate der Welt
Die Folgen wären unabsehbar für die EU. Der Fall des Libanons ist ungleich kleiner und doch dramatisch. Mit 5 Millionen Einwohnern und 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen hat das Land die größte Pro-Kopf-Flüchtlingsrate der Welt. Will man die Sonntagsreden von der „Hilfe vor Ort“ zur Verhinderung von Flucht und Migration ernst nehmen, kommt die EU nicht am Libanon vorbei.
Es bleibt kompliziert, und es gibt keine einfachen Antworten auf die offenen Fragen und Klagen. Bleibt zu hoffen, dass auch im Libanon nicht der größte Teil der versprochenen 1 Milliarde Euro bei der libanesischen Küstenwache landet. Denn das wäre zu kurz gegriffen und würde das Hauptproblem ignorieren: den Grad der Verzweiflung. Als ich vor zwei Jahren selbst am Kai von Tripoli stand, dort, wo die Fischerboote mit den Flüchtlingen nach Zypern ablegen, fasst einer von ihnen seine Optionen mit einem Satz zusammen. „Vor mir“, sagte er, „liegt das Meer und hinter mir die Armut.“