EU-Migrations- und Asylpaket jetzt beschlossene Sache - Stimmen zur Bewertung

10.04.2024 Zwei Monate vor der Neuwahl gelang es den konservativen bzw. extrem rechten Kräften innerhalb des europäischen Parlaments, die Verschärfung des europäischen Asylysytems durchzusetzen. Von deutscher Regierungsseite hatten Faeser und Baerbock an die Abgeordneten der SPD bzw. der Grünen appelliert zuzustimmen.

... man dürfe dieses Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen, die Menschen in Not für ihre Stimmungsmache missbrauchten, sagte Faeser (SZ)

... es brauche verlässliche Regeln für Migration und Asyl, "um den unmenschlichen Zuständen an den EU-Außengrenzen unsere Solidarität entgegenzusetzen", so Baerbock (SZ) ... "beweist die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit" (Legal Tribune)

„Ein historischer, unverzichtbarer Schritt.“ – Das schreibt Bundeskanzler Scholz zur Einigung im Europäischen Parlament auf dem Kurznachrichtendienst X. „Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems steht für die Solidarität unter den europäischen Staaten. Sie begrenzt die irreguläre Migration und entlastet endlich die Länder, die besonders stark betroffen sind“, fasst der Bundeskanzler die Ziele der Asylreform zusammen. (Pressemitteilung Bundesregierung)

Immerhin gab es besonders bei den Grünen Widerstand:

Erik Marquardt, asylpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, begründete sein Nein am Mittwoch: »Wenn selbst Europa sich in der Asylpolitik von Menschenrechten verabschiedet, dann wird es bald keine Menschenrechte mehr geben.« (nd)

"Wir haben als Grüne heute gegen die EU-Asylverschlechterungen gestimmt. Das neue #GEAS wird mehr Bürokratie, einen Asylflickenteppich und weiter Leid erzeugen. Es ist keine Lösung, sogar Kinder und Familien in Lager zu sperren." (X)

In den zehn Einzelgesetzen von GEAS gab es zahlreiche Gegenstimmen und Enthaltungen. Aber auch von Seiten der Rechten:

Teile der rechtskonservativen EKR- und die rechtsextreme ID-Fraktion hatten sich ebenfalls gegen die Reform ausgesprochen, weil ihnen die Abschottung nicht weit genug geht. (nd)

Zivilgesellschaftlich war diese Entscheidung jahrelang bekämpft worden, auch von uns. Noch während der Beschlussfassung mahnten Aktivist*innen: "Dieser Pakt tötet - stimmt dagegen". Es nützte nicht. Innerhalb der nächsten zwei Jahre wird nun umgesetzt werden, was die deutsche Regierung als Erfolg feiert:

"Europa bekommt verbindliche Regeln mit Humanität und Ordnung. Die verpflichtende europäische Solidarität ist ein Meilenstein. Das ist auch eine gute Nachricht für Kommunen in Deutschland." Baerbock (SZ)

Deutschland werde jetzt gemeinsam mit der EU-Kommission und der belgischen Ratspräsidentschaft "sehr intensiv daran arbeiten, das 'Gemeinsame Europäische Asylsystem' schnellstmöglich umzusetzen", Faeser nach der Abstimmung. (SZ)

Kritik gibt es von zivilgesellschaftlicher Seite:

“Diese Asylrechtsverschärfung ist eine Bankrotterklärung der einst so gefeierten europäischen Werte. Es ist skandalös, dass die EU, in entscheidender Rolle auch Deutschland, das individuelle Recht auf Asyl faktisch abschafft.“ (Seebrücke)

...ein historischer Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa... „Die GEAS-Reform ist unmenschlich und missachtet das Leid und die Rechte der Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen." (Pro Asyl)

Migrationsforscher Gerald Knaus der Meinung: "Die EU hat hier nach jahrelangen Verhandlungen eine Maus geboren – also eine ganz kleine Reform, die wenig ändert wird". (MDR)

Was das Paket im Einzelnen bedeutet, beschreibt Pro Asyl in seinen News: GEAS-Reform im EU-Parlament: Historischer Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa

 

Im Folgenden findet sich eine Auswahl von Texten und Beurteilungen:

  • Stellungnahme von Erik Marquardt, asylpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament Interview Asylreform in der EU Widerstand gegen europäische Neuregelung

 

Jetzt die Beiträge im Wortlaut:

Schnellere Prüfung von Asylanträgen, darunter an den EU-Grenzen, und wirksamere Rückführung 

Verbesserte Identifizierung bei der Ankunft und verpflichtende Sicherheits- und Gesundheitskontrollen sowie Prüfungen der Schutzbedürftigkeit für Menschen, die irregulär in die EU einreisen 

Mitgliedstaaten können wählen, ob sie Verantwortung für Asylbewerber übernehmen, finanzielle Beiträge leisten oder operative Unterstützung bieten 

Bessere Bewältigung von Krisensituationen und neue Regelung für die freiwillige Neuansiedlung von Flüchtlingen aus Drittstaaten

Das Europäische Parlament hat heute zehn Gesetzestexte zur Reform der europäischen Migrations- und Asylpolitik angenommen, auf die sich Parlament und Rat im Dezember geeinigt hatten.

Solidarität und Verantwortung

Zur Unterstützung von EU- Ländern, die unter Migrationsdruck stehen, werden andere Mitgliedstaaten einen Beitrag leisten, indem sie Asylsuchende oder Personen, die internationalen Schutz genießen, in ihr Hoheitsgebiet umsiedeln lassen, finanzielle Beiträge leisten oder operative bzw. technische Unterstützung bieten. Darüber hinaus werden die sogenannten Dublin-Vorschriften überarbeitet – also die Kriterien, nach denen bestimmt wird, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig ist.

Das Parlament nahm die von Berichterstatter Tomas TOBÉ (EVP, Schweden) vorgelegte Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement mit 322 zu 266 Stimmen bei 31 Enthaltungen an. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bewältigung von Krisensituationen

Die Verordnung zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt sieht einen Mechanismus für die Reaktion auf einen plötzlichen Anstieg des Migrantenzustroms vor. Dadurch sollen Solidarität sowie die Unterstützung jener Mitgliedstaaten sichergestellt werden, die mit einer außergewöhnlich hohen Zahl an Migrantinnen und Migranten aus Drittstaaten konfrontiert sind. Die neuen Regeln behandeln auch die Instrumentalisierung von Migrantinnen und Migranten, die von Drittstaaten oder feindseligen nichtstaatlichen Akteuren gezielt eingesetzt werden, um die EU zu destabilisieren.

Die Abgeordneten nahmen den von Berichterstatter Juan Fernando LÓPEZ AGUILAR (S&D, Spanien) vorgelegten Text mit 301 zu 272 Stimmen bei 46 Enthaltungen an. Weitere Informationen über die Verordnung über Krisensituationen finden Sie hier.

Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den EU-Grenzen

Personen, die die Voraussetzungen für eine Einreise in die EU nicht erfüllen, werden vor der Einreise in einem bis zu sieben Tage andauernden Verfahren überprüft. Dabei werden sie identifiziert, ihre biometrischen Daten werden erfasst und sie werden Gesundheits- und Sicherheitskontrollen unterzogen. Die Mitgliedstaaten müssen unabhängige Kontrollmechanismen einrichten, um sicherzustellen, dass die Grundrechte geachtet werden.

Der von Berichterstatterin Birgit SIPPEL (S&D, Deutschland) vorgelegte Text wurde mit 366 zu 229 Stimmen bei 26 Enthaltungen angenommen. Außerdem billigten die Abgeordneten neue Regeln für das zentralisierte System für Informationen zu Verurteilungen (ECRIS-TCN) mit 414 zu 182 Stimmen bei 29 Enthaltungen. Weitere Informationen zur neuen Screening-Verordnung finden Sie hier.

Schnellere Asylverfahren

Für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes wird EU-weit ein neues, gemeinsames Verfahren eingeführt. Die Bearbeitung von Asylanträgen an den Grenzen der EU muss in Zukunft schneller erfolgen. Auch sollen die Fristen für unbegründete oder unzulässige Anträge künftig kürzer sein.

Das Parlament nahm den von Berichterstatterin Fabienne KELLER (Renew, Frankreich) vorgelegten Text mit 301 zu 269 Stimmen bei 51 Enthaltungen an. Das Abstimmungsergebnis für das Rückführungsverfahren an der Grenze war 329 zu 253 Stimmen bei 40 Enthaltungen. Mehr über die Asylverfahrensverordnung erfahren Sie hier.

Eurodac-Verordnung

Die Daten von Personen, die irregulär in die EU kommen – darunter Fingerabdrücke und Gesichtsbilder von Menschen ab sechs Jahren –, werden in der überarbeiteten Eurodac-Datenbank gespeichert. Die Behörden sind künftig auch in der Lage, zu erfassen, ob jemand ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte oder gewalttätig bzw. bewaffnet war.

Der von Berichterstatter Jorge BUXADÉ VILLALBA (EKR, Spanien) vorgelegte Text wurde mit 404 zu 202 Stimmen bei 16 Enthaltungen angenommen. Weitere Informationen zu den neuen Eurodac-Regeln finden Sie hier.

Anerkennungsverordnung

Mit Blick auf die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus sowie auf die Rechte jener, die ein Anrecht auf Schutz haben, sprach sich das Parlament für neue einheitliche Normen für alle Mitgliedstaaten aus. Die Mitgliedstaaten sollen die Lage im jeweiligen Herkunftsland auf der Grundlage von Informationen der EU-Asylagentur bewerten und die Flüchtlingseigenschaft regelmäßig überprüfen. Schutzsuchende müssen im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bleiben, der für ihren Antrag zuständig ist bzw. in dem Schutz gewährt wurde.

Der Text wurde von Berichterstatter Matjaž NEMEC (S&D, Slowenien) vorgelegt und mit 340 zu 249 Stimmen bei 34 Enthaltungen angenommen. Mehr über die Anerkennungsverordnung erfahren Sie hier.

Aufnahme von Asylsuchenden

Die Mitgliedstaaten müssen in Zukunft sicherstellen, dass für die Aufnahme von Asylsuchenden gleichwertige Normen gelten. Das betrifft unter anderem Unterkunft, Schulbildung und Gesundheitsversorgung. Registrierte Asylbewerberinnen und Asylbewerber können künftig spätestens sechs Monate nach Antragstellung eine Arbeit aufnehmen. Neue Regeln für Inhaftierung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit sollen außerdem Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, davon abhalten, sich innerhalb der EU zu bewegen.

Das Parlament nahm den von Berichterstatterin Sophia IN 'T VELD (Renew, Niederlande) vorgelegten Text mit 398 zu 162 Stimmen bei 60 Enthaltungen an. Mehr über die Richtlinie über Aufnahmebedingungen erfahren Sie hier.

Sicherer und legaler Weg nach Europa

Nach einem neuen Rahmen für Neuansiedlung und Aufnahme aus humanitären Gründen können Mitgliedstaaten anbieten, von den Vereinten Nationen anerkannte Flüchtlinge aus Drittstaaten aufzunehmen und ihnen damit die legale, organisierte und sichere Einreise in die EU zu ermöglichen. Der von Berichterstatterin Malin BJÖRK (Die Linke, Schweden) vorgelegte Text wurde mit 452 zu 154 Stimmen bei 14 Enthaltungen angenommen. Mehr über den EU-Neuansiedlungsrahmen erfahren Sie hier.

Nächste Schritte

Als Nächstes muss der Rat das Paket förmlich billigen. Danach treten die neuen Vorschriften in Kraft, sobald sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Es wird erwartet, dass die Verordnungen in zwei Jahren zur Anwendung kommen. Was die Richtlinie über Aufnahmebedingungen betrifft, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Änderungen in ihr nationales Recht einzuführen.

Mit der Annahme dieses Berichts reagiert das Parlament auf die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, die Rolle der EU bei der Bekämpfung aller Formen der irregulären Migration zu stärken und den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union unter Wahrung der Menschenrechte zu verbessern, um in allen Mitgliedstaaten einheitliche Regeln für die Erstaufnahme von Migranten anzuwenden, die Rolle der EU zu stärken und das europäische Asylsystem auf der Grundlage der Grundsätze der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortung zu reformieren, wie dies in den Vorschlägen 42(2), 43(1), 43(2), 44(1), 44(2), 44(3), 44(4) der Schlussfolgerungen der Konferenz zur Zukunft Europas zum Ausdruck kommt.

 

 

Kinder in Haft, Asylschnellverfahren an den Außengrenzen, Abschiebungen in Länder ohne Schutz für Flüchtlinge, immer mehr Deals mit autokratischen Regierungen: Das ist die Zukunft des Flüchtlingsschutzes in Europa, wenn heute das EU-Parlament der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zustimmt. Damit wäre der Pakt besiegelt, die Mitgliedstaaten haben bereits in den letzten Verhandlungen im Februar  ihre Verschärfungen durchgesetzt – ihre finale Zustimmung  ist sicher.

„Eine Zustimmung des Europaparlaments zur GEAS-Reform wäre ein historischer Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa. Die EU schottet sich immer weiter ab: Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kommen nun absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen dazu“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Seit Jahren Proteste gegen die Aushöhlung des europäischen Flüchtlingsschutzes

Über eine Reform des GEAS wird seit vielen Jahren diskutiert, verstärkt wieder seit rund 18 Monaten. Kurz vor Weihnachten 2023 hatten sich die EU-Mitgliedstaaten und das Parlament geeinigt, im Februar 2024 stimmte der zuständige Ausschuss des Europaparlaments dem Kompromiss zu. Obwohl sich die Mitgliedstaaten mit ihren restriktiven Vorschlägen in den allermeisten Punkten durchsetzen konnten, ist mit einer Mehrheit im Parlament für die Reform zu rechnen.

PRO ASYL protestiert seit Jahren, auch zusammen mit deutschen und internationalen Organisationen, gegen diese Verschärfungen und die Aushöhlung des europäischen Flüchtlingsschutzes. Vor der Abstimmung appellieren 161 europäische Organisationen an das Parlament, der Verschärfung doch nicht zuzustimmen.

Die Verordnungen treten voraussichtlich noch vor der Europawahl im Juni 2024 in Kraft, kommen aber erst 24 Monate später zur Anwendung, also im ersten Halbjahr 2026.

Reform missachtet das Leid und die Rechte von Schutzsuchenden

„Die GEAS-Reform ist unmenschlich und missachtet das Leid und die Rechte der Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen. PRO ASYL wird zusammen mit Partnerorganisationen in ganz Europa weiter gegen die Isolations- und Abschottungsstrategie der EU kämpfen“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Zu den massiven Verschlechterungen der GEAS-Reform gehören ein standardisiertes Screening, Asylverfahren an den Außengrenzen unter Haftbedingungen (auch für Familien) und extrem niedrige Standards für sogenannte sichere Drittstaaten außerhalb Europas. Das bedeutet: Ein großer Teil der Flüchtlinge wird in Zukunft kein reguläres Asylverfahren in einem EU-Land durchlaufen, sondern nur noch ein beschleunigtes Verfahren an den EU-Außengrenzen, in dessen Verlauf sie als „nicht eingereist“ gelten – abgeschottet von der Außenwelt ohne die Chance auf Beratung oder rechtliche Unterstützung. Auch Kinder müssen in diesen haftähnlichen Bedingungen ausharren, sogar eine Inhaftnahme von Kindern während des Grenzverfahrens ist nicht ausgeschlossen.

In die sogenannten sicheren Drittstaaten können Schutzsuchende, die nach Europa geflohen sind, abgeschoben werden, ohne dass ihre tatsächlichen Fluchtgründe zuvor geprüft wurden – einfach, weil in einer Vereinbarung zwischen der EU und dem Drittstaat festgelegt wurde, dass zumindest Teile des Landes „sicher“ sind. Die Genfer Flüchtlingskonvention zum Beispiel muss dort nicht gelten.

Mehr Informationen zur GEAS-Reform:

Nach einem Screening werden Asylgrenzverfahren unter Haftbedingungen an den Außengrenzen für bestimmte Personengruppen verpflichtend sein, sie können zwölf Wochen dauern. Insgesamt können geflüchtete Menschen bis zu sechs Monate an den Außengrenzen festgehalten werden, da sich noch ein neues Abschiebungsgrenzverfahren anschließt. Im Fall eines der neuen Ausnahmezustände kann dies ausgeweitet werden. Die Mitgliedstaaten können die Grenzverfahren zudem auch auf Menschen anwenden, die über angeblich sichere Drittstaaten geflohen sind. Faire Asylverfahren wird es an den Außengrenzen nicht geben, wie die langjährige Erfahrung aus der Praxis zeigt. Besonders dramatisch ist, dass es nicht einmal Ausnahmen für Kinder mit ihren Familien geben wird. Hierfür wollte sich die Bundesregierung einsetzen. Das Parlament hatte zumindest eine Altersgrenze von zwölf Jahren verlangt – aber dies dann in den Verhandlungen aufgegeben.

Auch können mit der Einigung künftig deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als „sicher“ eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten noch muss das ganze Land „sicher“ sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die „Sicherheit“ schlicht angenommen werden können. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Mitgliedstaaten sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als „sicher“ einstufen.

Das wird dazu führen, dass Menschen, die nach Europa geflohen sind, ohne Prüfung ihrer tatsächlichen Fluchtgründe in diese Länder abgeschoben werden. Mit der Reform kann die Blaupause des EU-Türkei- Deals einfacher auf weitere Drittstaaten übertragen werden, obwohl gerade dieser Deal zu immensem Leid und Menschenrechtsverletzungen geführt hat. In Griechenland gilt die Türkei auf Grundlage des Deals unter anderem für syrische und afghanische Flüchtlinge als „sicher“, ihre Asylverfahren werden deswegen als „unzulässig“ abgelehnt – nach den Gründen, warum sie ihr Herkunftsland verlassen haben, werden sie nicht mehr gefragt.

Auch auf die besonders toxische Krisenverordnung wurde sich von den Gesetzgebern geeinigt (mehr Informationen hier). Hier lagen Mitgliedstaaten und Europaparlament besonders weit auseinander – doch erneut setzten sich primär die Mitgliedstaaten durch. Damit können im Fall von Krisen und „Instrumentalisierung von Migrant*innen“ die Grenzverfahren massiv ausgeweitet werden – sowohl was die Dauer der Verfahren angeht als auch wer alles in den Grenzverfahren sein/ihr Asylverfahren durchlaufen muss. Bislang hatte das Europaparlament das Konzept der „Instrumentalisierung“ noch nicht akzeptiert, auch weil erhebliche Grundrechtsbedenken damit einhergehen. Doch auch dies findet sich nun in der Einigung wieder und schafft damit die Basis für zukünftige Ausnahmezustände an den Außengrenzen, in denen es zu Menschenrechtsverletzungen wie brutalen Pushbacks kommen wird.

Die bisherige Dublin-III-Verordnung, die festlegt, welcher Mitgliedstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, wird durch die Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Doch vieles wird beim alten bleiben, Grundprobleme des europäischen Asylsystems werden nicht gelöst. Denn weiterhin sind es die Außengrenzstaaten, die primär für die Durchführung der Asyl(grenz)verfahren zuständig sind. Beim EU-Parlament gab es zumindest den Ansatz, durch einen starken Solidaritätsmechanismus einen gewissen Neuanfang zu wagen. Doch die Mitgliedstaaten haben sich auch hier durchgesetzt. Ergebnis ist, dass die Aufnahme von Schutzsuchenden als Solidaritätsmaßnahme gleichgestellt wird mit Geldzahlungen oder Projekten in Drittstaaten, die der Fluchtverhinderung dienen. Es ist zu erwarten, dass das ganze System sogar noch bürokratischer wird als die aktuellen Dublin-Regeln.

 

Am gestrigen Mittwoch stimmte das EU-Parlament in Brüssel in finaler Lesung der Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu. Ein breites Bündnis aus über 160 zivilgesellschaftlichen und menschenrechtspolitischen Organisationen aus ganz Europa kritisierten die Entscheidung vor dem EU-Parlament und europaweit in zahlreichen/über 50 dezentralen Aktionen. Insgesamt waren rund um die Abstimmung tausende Menschen auf der Straße, in Brüssel über 500.   Johannes Rückerl von der Seebrücke: “Diese Asylrechtsverschärfung ist eine Bankrotterklärung der einst so gefeierten europäischen Werte. Es ist skandalös, dass die EU, in entscheidender Rolle auch Deutschland, das individuelle Recht auf Asyl faktisch abschafft.“  „Einst aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges geschaffen, ist es dem Europäischen Parlament nicht mal mehr das Papier wert, auf dem geschrieben wurde. Die EU verrät ihre eigenen Werte. Heute ist ein schwarzer Tag für Europa und die Menschenrechte“, kritisiert Jan Behrends vom der Seebrücke.  Während der Abstimmung unterbrachen Aktivist*innen das Plenum mit unüberhörbaren Zwischenrufen. Vor dem Parlament wurde schon die Debatte mit vielfältigen Aktionen begleitet. Die Seebrücke, welche mit rund 150 Aktivist*innen aus verschiedenen Städten in Deutschland angereist war, sperrte den Place du Luxembourg mit Absperrband ab und stellte eine Baustelle nach.  „Wir markieren hier einen Ort, an dem Menschenrechte abgebaut werden. Wenn Europa das Recht auf Asyl einreißt, müssen wir die offene und solidarische Gesellschaft wieder aufbauen!“ so Rückerl und erläutert: „Seit Monaten warnen wir vor dieser Entscheidung. Sie ist unsolidarisch, rassistisch und wird unzähligen Menschen auf der Flucht ihre Menschenwürde und nicht zuletzt das Leben kosten. Die dringend benötigten Verbesserungen des europäischen Asyl- und Migrationssystems schafft sie nicht.“  „Gemeinsam mit tausenden Menschen erheben wir lautstark unsere Stimmen und leisten europaweit Widerstand gegen die Abschottungspolitik der Regierungen. Wir sind nicht bereit das massenhafte Töten an den Mauern der Festung Europa hinzunehmen!“, so Behrends kämpferisch. „Der Abbau von Menschenrechten wird nicht unbeantwortet bleiben. Wir bleiben weiterhin laut und kämpfen für ein solidarisches Miteinander und ein Leben in Würde für Alle. In Deutschland, in Europa und überall!!“  Die Seebrücke ist eine breite zivilgesellschaftliche und antirassistische Bewegung, die sich für Seenotrettung, für sichere Fluchtwege und die dauerhafte Aufnahme von geflüchteten Menschen in Deutschland einsetzt.

 

Jahrzehntelang wurde über schärfere Regeln im europäischen Asylrecht gestritten. Nun hat das EU-Parlament den Plänen zur GEAS-Reform zugestimmt. Bundesinnenministerin Faeser ist erleichtert, andere sehen eine "dystopische Zukunft".

Das Europäische Parlament hat den Weg für die umstrittene EU-Asylreform freigemacht. Nach jahrelangen Diskussionen über das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stimmten die Abgeordneten am Mittwoch in Brüssel für das geplante Paket. Damit sollen die bisherigen Regeln für Migration in die Europäische Union deutlich verschärft werden.

Demnach sollen die Mitgliedstaaten zu einheitlichen Verfahren an den Außengrenzen verpflichtet werden, damit rasch festgestellt werden kann, ob Asylanträge unbegründet sind, und die Geflüchteten dann schneller und direkt von der Außengrenze abgeschoben werden können. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen bis zu zwölf Wochen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können.

Menschen, die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent kommen, sowie solche, die als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, müssen künftig verpflichtend in ein solches Grenzverfahren. Ankommende Menschen können dem Vorhaben nach mit Fingerabdrücken und Fotos registriert werden, auch um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind.

"Entlastung der Kommunen" durch "Entrechtungspaket"? 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte das Abstimmungsergebnis einen "großen und sehr wichtigen Erfolg". Mit der Einigung habe man "eine tiefe Spaltung Europas überwunden". Das neue GEAS werde zu einer Entlastung der Kommunen führen. "Wir werden irreguläre Migration wirksam begrenzen. Asylverfahren werden schon an den EU-Außengrenzen geführt werden, wenn Menschen nur eine geringe Aussicht auf Schutz haben", so die SPD-Politikerin.

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Zustimmung zur Asylreform begrüßt. Damit "beweist die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit", schrieb Baerbock am Mittwoch auf X. Europa bekomme verbindliche Regeln mit Humanität und Ordnung. Noch unmittelbar vor der Abstimmung hatte Baerbock angesichts kritischer Stimmen aus den eigenen Reihen um Zustimmung geworben. Von allen Parteien waren die Grünen wohl am stärksten zerstritten darüber, ob sie der GEAS-Reform im EU-Parlament zustimmen sollen.

Kritik kam aus den Reihen der Linkspartei. Die fluchtpolitische Sprecherin Clara Bünger nannte die Reform ein "Entrechtungspaket". Sie warnte zugleich vor "verheerenden" Auswirkungen "auf die Lage von Geflüchteten in Europa". Das EU-Parlament habe die Chance vertan, eine "dystopische Zukunft noch abzuwenden". Schon jetzt seien auf den griechischen Ägäis-Inseln Menschen inhaftiert, die nichts anderes getan haben, als einen Asylantrag zu stellen. "Die Zustände in den Haftlagern sind so desaströs, dass selbst Kinder dort Suizid-Versuche unternehmen", so Bünger.

Die Reform muss noch von den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität. Viele Abgeordnete waren unzufrieden mit dem im Dezember ausgehandelten Kompromiss. Daher war bis zum Schluss offen, ob das Plenum zustimmen wird. Eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten störte die Abstimmung am Mittwochnachmittag vorübergehend. Sie riefen von der Besuchertribüne aus: "Dieser Pakt tötet – stimmt dagegen!" Erhört wurden sie nicht.

 

Über die Reform war innerhalb der Europäischen Union lange diskutiert worden. Das Gesetzespaket sieht schnellere Asylverfahren an den Außengrenzen und einen Solidaritätsmechanismus zur Verteilung der Schutzsuchenden vor.

Das EU-Parlament hat für die umstrittene Asylreform gestimmt. Nach jahrelangen Diskussionen machten die Abgeordneten in Brüssel den Weg frei für einen zuvor ausgehandelten Kompromiss, mit dem die bisherigen Regeln für Migration in die Europäische Union deutlich verschärft werden sollen.

Die Abgeordneten stimmten insgesamt über zehn Vorschläge ab. Sie regeln alle Etappen im Umgang mit Geflüchteten und Migranten: Erfassung, Erstaufnahme, Asylverfahren, Abschiebungen und den Umgang mit Drittstaaten. Grundsätzlich werden die Regeln für Asyl und Migration restriktiver.

Das Gesetzespaket sieht unter anderem vor, dass Asylsuchende mit geringer Bleibechance schneller und direkt von den EU-Außengrenzen abgeschoben werden. Dahinter stehen die sogenannten Grenzverfahren. Geplant ist außerdem ein Solidaritätsmechanismus zur Verteilung von Schutzsuchenden. Wollen Staaten keine Flüchtlinge aufnehmen, können sie auch finanzielle Hilfe leisten.

Im Kern hatten die Abgeordneten darüber zu entscheiden, ob Staaten an den EU-Außengrenzen zu einheitlichen Grenzverfahren verpflichtet werden. Diskutiert wurde unter anderem, ob ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen können. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

Personen, die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent kommen, sowie Menschen, die als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, müssten den Plänen nach künftig verpflichtend in ein solches Verfahren.

Ein weiterer Baustein ist die Krisenverordnung. Sie regelt, wie EU-Staaten bei einem besonders starken Anstieg der Migration verfahren können. Ankommende dürfen dann zum Beispiel länger an der Grenze festgehalten werden. Nach dem EU-Parlament muss noch der Rat der EU-Mitgliedstaaten der Reform zustimmen. Dies gilt als Formsache. Anschließend haben die Staaten zwei Jahre Zeit für die Umsetzung.

Zahlreiche Abgeordnete der Linken und der Grünen sind der Ansicht, dass die Verschärfung des Asylrechts zu weit geht. Abgeordnete rechter Parteien hingegen halten die neuen Regeln für nicht weitreichend genug.

Aktivistinnen und Aktivisten störten kurzfristig die Sitzung des Parlaments. Während der laufenden Abstimmung riefen die Protestierenden von der Besuchertribüne aus "Dieser Pakt tötet - stimmt dagegen" und warfen Papierflugzeuge in das Plenum. Die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ermahnte die Aktivistinnen und Aktivisten mehrfach und unterbrach kurz die Abstimmung. Die unerwartete Aktion sorgte für gemischte Reaktionen unter den Abgeordneten: Einige standen auf und applaudierten, während andere den Protest kritisierten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) appellierte vor der Abstimmung an die Abgeordneten, der Neuregelung der europäischen Asylpolitik zuzustimmen. Faeser sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, man dürfe dieses Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen, die Menschen in Not für ihre Stimmungsmache missbrauchten. Es sei ein großer Erfolg gewesen, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten nach jahrelangen harten Verhandlungen auf ein umfassendes Paket geeinigt hätten. Deutschland werde jetzt gemeinsam mit der EU-Kommission und der belgischen Ratspräsidentschaft "sehr intensiv daran arbeiten, das 'Gemeinsame Europäische Asylsystem' schnellstmöglich umzusetzen", sagte sie nach der Abstimmung.

Auch Außenministerin Annalena Baerbock warb angesichts kritischer Stimmen aus den eigenen Reihen vorab um Zustimmung für die Änderungen. Mit der Reform liege ein hart verhandelter Kompromiss auf dem Tisch, schrieb die Grünen-Politikerin auf X. "Es ist an Europa, jetzt Handlungsfähigkeit zu beweisen." Baerbock hob weiter hervor, es brauche verlässliche Regeln für Migration und Asyl, "um den unmenschlichen Zuständen an den EU-Außengrenzen unsere Solidarität entgegenzusetzen". Nach der Abstimmung sagte sie: "Europa bekommt verbindliche Regeln mit Humanität und Ordnung. Die verpflichtende europäische Solidarität ist ein Meilenstein. Das ist auch eine gute Nachricht für Kommunen in Deutschland."

 

Jahrelang wurde um das europäische Asylrecht gestritten – am frühen Mittwochabend hat das EU-Parlament für die umstrittene Reform zu seiner Verschärfung gestimmt. Die Sitzung war von Protesten begleitet worden. Den Anfang machte am Mittwoch die Linksfraktion: Zahlreiche Abgeordnete hatten sich vor dem Brüsseler EU-Parlament um einen Sarg gruppiert und trugen so das EU-Asylrecht symbolisch zu Grabe. Malin Björk, die als Berichterstatterin der Linksfraktion den Gesetzgebungsprozess begleitete, erklärte gegenüber »nd«: »Die GEAS-Reform wird die Situation für Asylsuchende weiter verschärfen. Neben den geplanten Internierungslagern und der Aussetzung des Rechts auf Asyl verfehlt die Reform auch ihr Hauptziel: Sie wird die Lasten und Aufgaben eben nicht gerecht verteilen.« Kritik kam auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, die vor dem Parlamentsgebäude gegen die Asylrechtsverschärfung protestierten. Viele internationale NGOs wie Amnesty, Oxfam und Save the Children sowie kleinere Organisationen, die an den EU-Grenzen arbeiten, warnten zuvor in einem Offenen Brief: »Es besteht die große Gefahr, dass der Pakt zu einem schlecht funktionierenden, kostspieligen und grausamen System führt, das bei der Umsetzung zusammenbricht und kritische Fragen unberücksichtigt lässt.«

Während draußen protestiert wurde, gab es auch im Plenum heftige Diskussionen. Denn obwohl der EU-Rat den Verordnungen und Richtlinien des GEAS-Pakets bereits am 8. Februar zugestimmt hatte, war das notwendige Votum des EU-Parlaments am Mittwoch keineswegs sicher. Eine Koalition aus Liberalen, Konservativen, Rechtskonservativen und Sozialdemokraten wollte die zentralen Punkte mittragen. Allerdings stand der Block nicht geschlossen hinter der Reform. So hatten die S+D-Abgeordneten aus Frankreich und Italien im Vorfeld erklärt, nicht für den Pakt votieren zu wollen. Die deutschen Abgeordneten der Grünen-Fraktion stellten sich gegen das Vorhaben und somit auch gegen die eigene Partei, die in Berlin dem Deal zugestimmt hatte.

Erik Marquardt, asylpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, begründete sein Nein am Mittwoch: »Wenn selbst Europa sich in der Asylpolitik von Menschenrechten verabschiedet, dann wird es bald keine Menschenrechte mehr geben.« Martin Schirdewan, Vorsitzender der Fraktion The Left, brachte den Pakt auf die einfache Formel: »Stacheldraht statt Solidarität« und warnte: »Abschottung hält Menschen nicht von der Flucht ab, sondern vorm sicheren Ankommen.«

Teile der rechtskonservativen EKR- und die rechtsextreme ID-Fraktion hatten sich ebenfalls gegen die Reform ausgesprochen, weil ihnen die Abschottung nicht weit genug geht. Zudem fürchten die Rechten wohl insgeheim, dass ihnen ihr wichtigstes Wahlkampfthema genommen wird.

Die GEAS-Reform ist ein äußerst komplexes Projekt. Sie besteht aus zehn verschiedenen Gesetzespaketen, die einzeln abgestimmt werden mussten. »Fällt eines durch, wackelt der brüchige Konsens zwischen den EU-Staaten«, so ein Mitarbeiter aus der sozialdemokratischen S+D-Fraktion. Die Rechtsakte drehen sich um Einzelfragen wie die »Kontrolle von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen«, ein »Europäisches Strafregister für Drittstaatsangehörige« oder das »Asyl- und Migrationsmanagement«. Die Reform soll die Bearbeitung von Asylanträgen auf zwölf Wochen beschleunigen, sieht Lager für Menschen mit geringen Asylaussichten vor und soll die Lasten unter den EU-Staaten gerechter verteilen.

Im Plenum selbst warb die GEAS-Koalition um Zustimmung. So der sozialdemokratische Berichterstatter Matjaž Nemec, der im Falle einer Ablehnung »die Existenz der EU« in Gefahr sah. Die liberale Berichterstatterin Sophia in 't Veld kritisierte die »unmenschlichen Bedingungen an den EU-Außengrenzen« und warb gleichzeitig für die GEAS-Reform. »Wenn dieses Paket abgelehnt wird, haben wir nichts in der Hand. Dann werden die Rechtsextremen noch stärker«, warnte sie.

Insbesondere bei Regierungschefs, denen die Rechte im Nacken sitzt, lagen die Nerven blank. So bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dessen liberales Wahlbündnis in aktuellen Umfragen weit hinter der rechtsextremen Partei von Marine Le Pen landet. Wie das Magazin »Politico« am Mittwoch berichtete, soll Macron den polnischen Regierungschef Donald Tusk angerufen haben, um ihn zu bitten, »seine Mitte-Rechts-Abgeordneten dazu zu bewegen, sich bei der Abstimmung zumindest zu enthalten«. Im Osten der EU ist die Skepsis gegen die gemeinsame Asylpolitik besonders groß.

 

  • Stellungnahme von Erik Marquardt, asylpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament auf X: 

Wir haben als Grüne heute gegen die EU-Asylverschlechterungen gestimmt. Das neue #GEAS wird mehr Bürokratie, einen Asylflickenteppich und weiter Leid erzeugen. Es ist keine Lösung, sogar Kinder und Familien in Lager zu sperren. Interview des Deutschlandfunk vor der Abstimmung: Asylreform in der EU Widerstand gegen europäische Neuregelung Das Europaparlament stimmt über die Reform des europäischen Asylsystems ab. Die grünen EU-Abgeordneten wollen nicht zustimmen. Sprecher Erik Marquardt befürchtet, dass die Neuregelung die Probleme der Migration nicht verbessert, sondern verschärft.

 

Cornelia Ernst, asyl- und migrationspolitische Sprecherin von Die Linke im Europaparlament, erklärt zur heutigen Zustimmung des EP zu den Verhandlungsergebnissen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS): „Historisches Versagen des EU-Parlaments. Der Beschluss der GEAS-Reform ebnet den Weg für einen beispiellosen Rechtsruck in der EU-Asylpolitik. Diese Reform ist die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrecht seit Gründung der EU. Die Mehrheit der Fraktionen im Parlament tragen diese Zäsur mit. Das ist ein historisches Versagen des Parlaments und eine herbe Niederlage für die Demokratie.

Die Reform ist ein Schlag ins Gesicht für Schutzsuchende und alle die seit Jahrzehnten für eine humane Asylpolitik in der EU kämpfen. Noch dazu wird die GEAS-Reform die Herausforderungen der Praxis nicht lösen. Im Gegenteil, sie legalisiert die jahrelangen Rechtsbrüche im EU-Asylrecht durch die Mitgliedstaaten. Damit wird die Rechtsstaatlichkeit in der EU schwer beschädigt.

Zukünftig werden Asylsuchende, einschließlich Familien mit Kindern, an der Grenze inhaftiert, und von dort aus, wenn möglich, direkt abgeschoben, auch in sogenannte ‚sichere Drittstaaten‘. Damit ist das individuelle Recht auf Asyl in der EU de facto tot. Eine echte Reform des Dublin-Systems ist gescheitert. Statt Menschen aufzunehmen, können die Mitgliedstaaten Abschottungs-Projekte in Drittstaaten finanzieren oder Mittel zur Grenzüberwachung, wie Stacheldraht, innerhalb der EU bereitstellen. Das nennt man dann auch noch ‚Solidarität‘ – das ist blanker Hohn und wird Ersteinreisestaaten wie Griechenland oder Italien nicht entlasten.

Hinzu kommt die Einführung mehr als fragwürdiger Konzepte, wie das der ‚Instrumentalisierung‘ von Migration. Dieses ist ein Blankoscheck für die Aussetzung praktisch aller Rechte Schutzsuchender und ein Freibrief für Pushbacks. Dass die Mitgliedstaaten damit die Ausnahme zur Regel machen werden, ist ein offenes Geheimnis.

Alle Kolleginnen und Kollegen der großen Fraktionen, die dieses fatale Paket mittragen, sind verantwortlich für die Normalisierung rassistischer und rechtspopulistischer Narrative in Europa bei. Schutzsuchende Menschen werden zu Sündenböcken gemacht. Es ist eine Frage des politischen Anstandes hier klar und deutlich Nein zu sagen.“

 

Das Europaparlament in Brüssel hat in der vergangenen Woche der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zugestimmt. Die zehn Gesetzesvorschläge sollen die Migration in die EU begrenzen und steuern. Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält die Reform aber für wenig zielführend.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus hat die EU-Asylreform als nicht zielführend kritisiert. Er sagte MDR AKTUELL, es scheine zwar plausibel, dass man an den Außengrenzen schneller feststelle, wer keinen Schutz brauche. Doch ein schnelles Zurückbringen gelinge bereits heute nicht – und es gebe in der Vereinbarung nichts, das das schneller mache.
Um illegale Migration zu verhindern, brauche es vor allem Einigungen mit sicheren Drittstaaten, erläuterte Knaus. Dafür müsse man ihnen attraktive Angebote machen, etwa mehr legale Migration ermöglichen.

Migrationsforscher: EU-Asylreform wird wenig ändern

"Die EU hat hier nach jahrelangen Verhandlungen eine Maus geboren – also eine ganz kleine Reform, die wenig ändert wird", sagte Knaus. Deshalb hält er es für sinnvoll, vorab mit Drittstaaten über eine mögliche Rückführung zu verhandeln. "Viele der Dinge, die wir brauchen, gab es schon vor dieser Reform".

Was der Reform fehle, sei die Diplomatie, sichere Drittstaaten zu überzeugen. Knaus ist Soziologe und gilt als Vordenker des Migrationsabkommens der EU mit der Türkei von 2016.