EU-Sondergipfel Migration: Mehr Abschottung, schnellere Abschiebungen

10.02.2023 Der Sondergipfel war für diesen Donnerstag ursprünglich im Dezember einberufen worden, um über die verfahrene gemeinsame Migrationspolitik der EU zu beraten, erinnert die Deutsche Welle in ihrem Bericht (s. unten). Kurzfristig stand aber der Auftritt des ukranischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Mittelpunkt des Gipfeltreffens und der Berichterstattung. Die Beratungen begannen nach Selenskyjs Abreise. Bisher (Stand 10:00 Uhr) finde ich nur wenige Berichte dazu. Ich zitiere aus der Tagesschau und der Deutschen Welle zuerst ausgewählte prägnante Aussagen und anschließend die Beiträge. Außerdem dokumentieren wir die Vorab-Presseerklärung der Seebrücke "Keine Milliarden für Menschenrechtsverletzungen!" - Aktualisiert durch weitere Berichte von taz und ZDF heute 

Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Kollegen einigten sich am frühen Freitagmorgen beim EU-Gipfel in Brüssel darauf, illegale Einreisen möglichst von vornherein zu verhindern beziehungsweise unattraktiver zu machen. Dies soll etwa durch mehr Grenzschutz, schnellere Abschiebungen und einen verstärkten Kampf gegen Menschenschmuggler geschehen.

Vorerst setzen die meisten Regierungen auf stärkere Abschottung und wollten vor allem über schnellere Abschiebungen und eine bessere Grenzsicherung reden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum vereinbarten Pilotprojet, bei dem es um die Sicherung der Grenze zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei geht: "Wir werden unsere Außengrenzen besser schützen und illegale Migration verhindern." - ... EU-Haushaltsmittel "Diese sollen vor allem für die Infrastruktur sein, ohne die kein Grenzzaun funktioniert. Man braucht Kameras, elektronische Überwachung, man braucht, Fahrzeuge, Personal und Wachtürme."

Um die Zahl der Rückführungen zu erhöhen, habe man sich darauf geeinigt, dass die Ablehnung eines Asylantrags in einem Land auch in allen anderen Mitgliedsstaaten anerkannt wird. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung, meint die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Denn es sei ein Fakt, dass Migration immer eine gesamteuropäische Frage sei.

Zum ersten Mal empfiehlt die EU-Kommission ausdrücklich Entwicklungshilfe, Handelsabkommen und Visaregelungen als Hebel einzusetzen, um Rückführungsabkommen abschließen zu können. Die Bundesregierung wehrt sich bislang gegen dieses Vorgehen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gipfels sprachen sich zum wiederholten Male dafür aus, die Zahl der Abschiebungen und Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern zu erhöhen. ... Wie mehr Abschiebungen erreicht werden sollen, bleibt aber auch nach Lektüre der Gipfelbeschlüsse eher unklar.

Olaf Scholz am Ende der Beratungen: "Natürlich gibt es unterschiedliches Engagement. Deutschland hat sich immer bereitgefunden, mitzuhelfen, wenn zum Beispiel bei den Ländern im Mittelmeerraum die Frage ist, kann man auch einige Flüchtlinge direkt übernehmen."

Der Beauftragte für Außenpolitik der Europäischen Union, Josep Borrell, sagte beim Gipfel in Brüssel, der Bau einer "Festung Europa" werde auf Dauer nicht weiterhelfen. "Die Menschen verlassen ihre Länder, weil sie dort keine Zukunft, keinen Frieden, keine Stabilität haben", so Borrell. Deshalb müsse es mehr legale Wege nach Europa geben.

Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel sagte am Rande des Gipfels: "Es wäre eine Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde mit den europäischen Sternen drauf."

 

EU will Migrationspolitik verschärfen

Tagesschau Stand: 10.02.2023 06:26 Uhr

Beim EU-Gipfel wurde über ein altes Streitthema debattiert: Flüchtlingspolitik. Die EU will ihre Außengrenzen stärker kontrollieren. Doch es bleibt die Frage, wer dafür wie viel zahlen soll.

Ursprünglich als Sondergipfel für Migration geplant, debattierte man dann auch bis in die Morgenstunden über dieses Thema, bei dem sich die Geister weiter scheiden. Das musste auch Bundeskanzler Olaf Scholz am Ende der Beratungen einräumen: "Natürlich gibt es unterschiedliches Engagement. Deutschland hat sich immer bereitgefunden, mitzuhelfen, wenn zum Beispiel bei den Ländern im Mittelmeerraum die Frage ist, kann man auch einige Flüchtlinge direkt übernehmen."

Andere seien da weniger dabei, meint Scholz. "Aber trotzdem ist das, glaube ich, schon eine Situation, in der viele gelernt haben: Die Idee, dass es nur bei den anderen Flüchtlinge gibt, und das man sich selber dafür unzuständig fühlen kann, die ist wahrscheinlich unrealistisch. Und da setze ich auch drauf, dass sich das weiter herumspricht."

Mehr Abschottung, schnellere Abschiebungen

Vorerst aber setzen die meisten Regierungen auf stärkere Abschottung und wollten vor allem über schnellere Abschiebungen und eine bessere Grenzsicherung reden. In diesem Sinne wurde ein Pilotprojet vereinbart, bei dem es um die Sicherung der Grenze zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei geht, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt: "Wir werden unsere Außengrenzen besser schützen und illegale Migration verhindern."

Dafür gebe es drei Finanzierungsmöglichkeiten: nationale Mittel, Gelder im Rahmen des Solidaritätsmechanismus unter den Ländern und EU-Haushaltsmittel, so von der Leyen. "Diese sollen vor allem für die Infrastruktur sein, ohne die kein Grenzzaun funktioniert. Man braucht Kameras, elektronische Überwachung, man braucht, Fahrzeuge, Personal und Wachtürme."

Um die Zahl der Rückführungen zu erhöhen, habe man sich darauf geeinigt, dass die Ablehnung eines Asylantrags in einem Land auch in allen anderen Mitgliedsstaaten anerkannt wird. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung, meint die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Denn es sei ein Fakt, dass Migration immer eine gesamteuropäische Frage sei.

 

EU-Gipfel: Kaum Bewegung bei Migration

Deutsche Welle

Die Zahl der irregulären Einwanderer soll in der EU sinken. Nur wie? Dem Gipfel fehlten neue Ideen. Die EU setzt auf bessere Zusammenarbeit mit Herkunftsländern und mehr Rückführungen.

Nachdem der ukranische Präsident Wolodymyr Szelenskyj beim Gipfeltreffen der Europäischen Union mit fast jedem der 27 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs Vier-Augen-Gespräch geführt hatte und auch noch vom König der Belgier, Philippe, empfangen wurde, reiste er am Abend in Richtung Kiew ab. Die Gipfelrunde hatte ihm die Solidarität und Unterstützung der EU versichert und widmete sich nach Selenskyjs Abreise den Themen, die sonst noch auf der politischen Tagesordnung standen. Der Sondergipfel war für diesen Donnerstag ursprünglich im Dezember einberufen worden, um über die verfahrene gemeinsame Migrationspolitik der EU zu beraten.

Zahl der Migranten steigt

EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen hatte einige Schautafeln vorbereitet, um den Regierungschefinnen und -chefs noch einmal den Ernst der Lage vor Augen zu führen. Die Zahl der Asylbewerber ist im Jahr 2022 in der EU drastisch um 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Zu den 924 000 Asylsuchenden kommen die etwa vier Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlinge hinzu. Staaten wie Deutschland, Österreich, die Niederlande und Belgien sehen sich bei Unterbringung der vielen Menschen überfordert. "Migration ist eine europäische Herausforderung, die eine europäische Antwort braucht", sagte von der Leyen. Das habe der Gipfel noch einmal klar benannt. 

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der innenpolitisch wegen der hohen Migrationszahlen unter Druck steht, sagte in Brüssel, es sei wichtig "gemeinsame Perspektiven" zu entwickeln. Er halte das für möglich. Das sei jetzt nicht die Zeit, in der von Konferenz zu Konferenz neue Beschlüsse gefasst würden, sondern wo am Ende gemeinsame Zielsetzungen definiert würden, die in diesem Jahr in praktische Politik übersetzt werden könnten. Die Europäische Union versucht allerdings schon seit mindestens sechs Jahren, bereits definierte Zielsetzungen - nämlich die Absenkung der Migrationszahlen - in praktische Gesetze umzusetzen. Die EU-Kommission hat dazu immer wieder eine Reihe von Gesetzesvorschlägen und Pakten auf den Tisch gelegt. Bislang konnten sich die Mitgliedsstaaten aber nicht auf wesentliche neue Regelungen einigen.

Ungelöste Konflikte innerhalb der EU

Die Länder an den Außengrenzen der EU, also Griechenland, Italien, Kroatien, Bulgarien, Malta und Zypern, klagen seit Jahren über eine zu hohe Belastung, während Zielländer der Migranten wie Deutschland, Österreich und Frankreich seit Jahren darauf pochen, dass die Länder der Ersteinreise an den Außengrenzen für die Migranten und Asylverfahren zuständig seien. Die Verteilung von Migranten - nach Quoten oder freiwillig - ist immer wieder gescheitert. Die Verlagerung der Asylverfahren in Asylzentren im Süden Europas oder gar nach Nordafrika ist über die Planungsphase nicht hinausgekommen. Länder wie Schweden, Dänemark, Polen oder Ungarn fahren seit Jahren eine restriktive Politik gegenüber Migranten aus dem Mittleren Osten oder Afrika. Dänemark hat seinen Plan, Asylverfahren nach Ruanda zu verlagern, wegen zu großer praktischer und legaler Hindernisse allerdings gerade wieder aufgegeben.

Die EU-Kommission versuchte bei diesem Gipfel in Brüssel einen neuen Anlauf und schlug vor, die Außengrenzen der EU besser zu schützen. Das heißt, Grenzübertritte außerhalb von Grenzübergangsstellen an der "grünen Grenze" zu verhindern. Außerdem sollen mit den Herkunftsstaaten und Transitländern der Migranten Rückführungsabkommen ausgehandelt werden. Auch dies ist wahrlich kein neuer Ansatz. Zum ersten Mal empfiehlt die EU-Kommission ausdrücklich Entwicklungshilfe, Handelsabkommen und Visaregelungen als Hebel einzusetzen, um Rückführungsabkommen abschließen zu können. Die Bundesregierung wehrt sich bislang gegen dieses Vorgehen. Bundeskanzler Scholz sagte, Rückführungen könnten nur gelingen, wenn man "faire Abkommen" mit den Herkunftsstaaten zustande bringe.

Mehr Abschiebungen als Lösung?

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gipfels sprachen sich zum wiederholten Male dafür aus, die Zahl der Abschiebungen und Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern zu erhöhen. Insgesamt liegt die Rückführungsquote bei 21 Prozent. Das heißt von 340.000 ausreisepflichtigen Ausländern haben im Jahr 2021 nur 70.500 die EU tatsächlich verlassen. Wie mehr Abschiebungen erreicht werden sollen, bleibt aber auch nach Lektüre der Gipfelbeschlüsse eher unklar. So wird die EU-Asylagentur "EASO" mit Sitz in Malta aufgefordert, Richtlinien für die Abschiebungen und Kriterien für eine gegenseitige Anerkennung von Abschiebe-Entscheidungen zu verfassen. An die sollten sich alle Mitgliedsstaaten dann auch halten, heißt es in der Gipfelerklärung.

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich dafür aus, statt irregulärer Migration mehr legale Einwanderung zuzulassen, weil die alternden Gesellschaften in der EU schließlich Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt brauchten. Einzelheiten zu einem möglichen Verfahren nannte er nicht. "Wir sind noch nicht zusammen in allen Punkten", sagte Scholz. Aber insgesamt diskutiere man weniger aufgeregt als 2014 und 2015, als mehr als eine Million Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien in die EU kamen. 

Die EU-Kommission schlägt auch vor, das heikle Thema der solidarischen Verteilung von Migranten und Flüchtlingen in der EU noch einmal anzugehen, was seit Jahren zu bitterem Streit zwischen den Mitgliedsstaaten führt. Auch die sogenannte Binnenmigration, also das Weiterziehen von Migranten von Griechenland durch zahlreiche EU-Staaten bis nach Deutschland oder Österreich, sollte besprochen werden, empfiehlt die Kommission. In den Gipfelbeschlüssen taucht diese Anregung nicht auf.

Mehr Zäune?

Der Bundeskanzler von Österreich, Karl Nehammer, verlangte beim Gipfel denn auch, dass die EU Zäune an den Außengrenzen zum Beispiel zwischen Bulgarien und der Türkei mitfinanzieren sollte. Die EU-Kommission, Luxemburg, Deutschland und andere lehnen es bislang ab, Mauern und Zäune zu finanzieren. Allerdings zahlt die EU seit Jahren Zuschüsse für Überwachungstechnik, für die Ausrüstung von Grenzposten, für Kommunikationsmittel und für das Personal der Grenzschutzagentur Frontex. Die EU-Kommission soll demnächst eine "umfassende Strategie für das Management der Grenzen" vorlegen. Kommissionspräsidentin von der Leyen kündigte zwei Pilot-Projekte an, in denen Grenzkontrollen und Registrierung von Asylbewerben erprobt werden sollen.

Zäune und befestigte Grenzanlagen wachsen bereits seit Jahren an verschiedenen Außengrenzen der EU, insbesondere in Griechenland, Bulgarien, Ungarn, Kroatien, Polen, Litauen und auch Spanien. Inzwischen sind es rund 2000 Kilometer. Vor zehn Jahren waren es nur 300 Kilometer. Italien will seine Häfen für Einwanderer möglichst dicht machen und den privaten Seenot-Rettungsschiffen striktere Regeln verpassen.

Der Beauftragte für Außenpolitik der Europäischen Union, Josep Borrell, sagte beim Gipfel in Brüssel, der Bau einer "Festung Europa" werde auf Dauer nicht weiterhelfen. "Die Menschen verlassen ihre Länder, weil sie dort keine Zukunft, keinen Frieden, keine Stabilität haben", so Borrell. Deshalb müsse es mehr legale Wege nach Europa geben.

 

09.02.2023 · Pressemitteilung: EU-Migrationgipfel: Keine Milliarden für Menschenrechtsverletzungen! Stoppt den EU-Türkei-Deal!

Am 09. und 10. Februar treffen sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU unter schwedischer Ratspräsidentschaft zu einem Sondergipfel in Brüssel. Auf Druck der rechten Regierungskoalition um Ministerpräsident Ulf Kristersson und der rechtsextremen Schwedendemokraten wird die vermeintliche Sicherung der europäischen Außengrenzen ein weiteres Mal auf die Agenda der Europäischen Union gesetzt. In einem gemeinsamen Schreiben drängen die Regierungschefs acht weiterer europäischer Staaten unter der Führung des rechten österreichischen Kanzlers Karl Nehammer auf eine Einigung über eine striktere Migrations- und Asylpolitik.
Vor Beginn des Gipfels zeigt sich deutlich, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs planen, Abschottung, Abschiebungen und Externalisierungspraktiken unter dem Deckmantel europäischer Werte weiter auszubauen.
 
Seit Jahren weisen Migrationsforscher*innnen jedoch immer wieder darauf hin, dass diese repressive Migrationspolitik die grundsätzlichen Herausforderungen der globalen Flucht- und Migrationsbewegungen nicht ansatzweise lösen kann. Stattdessen wird das Leid fliehender Menschen weiter verschärft und wissentlich in Kauf genommen.
Ein Bündnis aus Seebrücke, Balkanbrücke, SOS Balkanroute und weiteren Organisation fordert die europäischen Staats- und Regierungschefs deshalb auf, die Gewaltspirale zu beenden, sichere Fluchtwege zu schaffen und allen Menschen auf der Flucht ihr Recht auf Asyl zu gewähren.

Dazu Jan Behrends von der Seebrücke: „Während täglich Menschen an den Grenzen Europas sterben, schottet sich die EU immer weiter ab. Weltweit sind so viele Menschen wie nie zuvor auf der Flucht. Anstatt sichere Fluchtwege zu gewähren und Menschen vor dem Tod zu schützen, werden EU-Mitgliedsstaaten wie Kroatien und Partner wie die Türkei für systematische Menschenrechtsverletzungen belohnt."

Beispielhaft für diese Fehlentwicklung der europäischen Migrationspolitik steht der sogenannte EU-Türkei-Deal, über welchen ebenfalls auf dem heutigen Gipfel gesprochen werden wird. Im März läuft die Finanzierung des Abkommens zwischen der EU und der Türkei nach sieben Jahren aus – sieben Jahre, in denen die EU das autokratische Regime in der Türkei mit Milliarden von Euro unterstützte und damit systematische Menschenrechtsverletzungen an der europäischen Außengrenze und in Nordkurdistan finanzierte und normalisierte. Der EU-Türkei-Deal steht damit für das Scheitern einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik und für ein System, das Gewalt als Abschreckung billigend in Kauf nimmt.

„In den vergangenen Jahren hat sich deutlich gezeigt, dass es beim sogenannten EU-Türkei-Deal vor allem darum ging, die Verantwortung für Menschen auf der Flucht abzugeben. Dabei wurden jegliche menschenrechtlichen Prinzipien missachtet. Folge dieses Deals ist mehr Abschottung durch unmenschliche Lager, Pushbacks, und die Blockierung fairer Asylverfahren. Daher sagen wir ganz klar: Dieser Deal muss enden! Kein Geld für Menschenrechtsverletzungen! Stattdessen fordern wir sichere und legale Fluchtwege und eine menschenrechtsbasierte europäische Migrationspolitik" sagt Magdalena Hartung von der Initiative Balkanbrücke.

Anlässlich des siebten Jahrestages des EU-Türkei-Deals ruft ein breites Bündnis aus verschiedenen Organisationen und Bewegungen unter dem Slogan „No more EU-Turkey-Deal – Human Rights are not for sale" zum 18. März 2023 zu europaweiten Protesten gegen die externalisierten Menschenrechtsverletzungen und systematischen Abschiebungen auf.
 
Dazu Petar Rosandic von der SOS Balkanroute:
„Wir stellen uns ganz klar gegen eine Neuauflage dieses schmutzigen Deals, gegen jegliche Formen der Abschiebung in die Türkei und die illegalen Pushbacks!  Die EU verstößt mit diesen Praktiken gegen geltendes nationales und internationales Recht. Asyl ist ein Menschenrecht! Die Kriminalisierung von fliehenden Menschen und ihren Unterstützer*innen muss sofort aufhören. Wir fordern ein sofortiges Ende dieser Politik der systematischen Gewalt gegen fliehende Menschen und des institutionalisierten Rechtsbruches. No More EU-Turkey-Deal! Human rights are not for sale!"

 

taz am 10.02.2023:

EU-Gipfel zu Migration: Europa zäunt sich ein

Mit „Infrastruktur“ will sich die EU gegen unerwünschte Migranten abschotten. Vor allem Österreich und Griechenland vertreten eine harte Linie.

BRÜSSEL taz | Die Europäische Union hat die Absicht, Zäune zu errichten. Sie schließt es jedenfalls nicht mehr explizit aus. Dies geht aus dem Beschluss des EU-Gipfels hervor, der in der Nacht zu Freitag in Brüssel zu Ende ging. Demnach können künftig EU-Mittel für „Infrastruktur“ an den Grenzen bereit gestellt werden. Ob das Zäune und Mauern oder Wachtürme und Kameras sind, ließen die Staats- und Regierungschefs offen.

Die EU-Kommission hatte sich lange gegen die Finanzierung von Zäunen aus der Gemeinschaftskasse gewehrt. Auch Deutschland und Luxemburg waren dagegen. „Es wäre eine Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde mit den europäischen Sternen drauf“, sagte Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel in Brüssel. Eine harte Linie vertraten dagegen Österreich und Griechenland. Wien drohte gar mit einer Blockade.

Der Gipfelbeschluss, der nach stundenlanger Debatte zustande kam, ist ein dehnbarer Kompromiss. Das Wort „Infrastruktur“ kann so oder so ausgelegt werden. In der Praxis dürfte nun vor allem Bulgarien EU-Geld erhalten, um die Grenze zur Türkei aufzurüsten. Nach Schätzungen sind zwei Milliarden Euro nötig. So viel steht im EU-Haushalt allerdings nicht bereit. Einen Teil könnte die EU-Kommission finanzieren, den Rest Bulgarien.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach von zwei Pilotprojekten. Eines sehe vor, die Grenze zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei etwa mit Fahrzeugen, Kameras, Straßen und Wachtürmen zu sichern. Bei dem zweiten Projekt soll es um die Registrierung von Migranten, ein schnelles Asylverfahren sowie Rückführungen an der Außengrenze gehen. Einen Ort nannte von der Leyen nicht.

Bedarf an Fachkräften

Österreichs Kanzler Karl Nehammer sprach von einem Durchbruch. Die EU habe einen „neuen Schwerpunkt“ in der Migrationspolitik, der nun weiterentwickelt werden müsse. „Den Worten müssen Taten folgen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem vertretbaren Ergebnis. „Wir sind in der Lage, uns zusammenzufinden und gemeinsame Positionen zu entwickeln, die uns für die Zukunft helfen.“

Kontrollen an den Außengrenzen seien genauso nötig wie eine bessere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern, sagte Scholz. Die EU habe einen großen Bedarf an Fachkräften, weshalb auch legale Migration notwendig sei. Auch dieser Punkt hat es in die Gipfel-Schlussfolgerungen geschafft. Dort ist nun von „wechsel-seitig vorteilhaften Partnerschaften“ die Rede.

Das derzeit größte Problem, die sogenannte Sekundärmigration, bleibt jedoch ungelöst. Dabei geht es um Migranten, die nach ihrer Ankunft in einem EU-Land in ein anderes weiter wandern, etwa nach Deutschland oder in die Niederlande. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte hatte deshalb Alarm geschlagen. Der Schengenraum gerate in Gefahr, sagte Rutte vor dem Gipfeltreffen.

Auch die faire Verteilung von Migranten und Asylbewerbern auf die EU-Staaten bleibt ein frommer Wunsch. Deutschland hat sie seit der großen Krise der Jahre 2015/16 immer wieder angemahnt – vergeblich. Weil man sich nicht einigen kann, geht es jetzt vor allem um Abschottung. Die Absicht, Zäune und Mauern zu errichten, ist nicht mehr tabu. Österreich will weiter Druck machen.

 

ZDF heute 10.02.2023

Grenzschutz und Abschiebungen : EU verschärft Kurs bei Migrationspolitik

Mehr Grenzschutz, schnellere Abschiebungen, Kampf gegen Menschenschmuggel: Die EU hat auf ihrem Gipfel beschlossen, stärker gegen irreguläre Zuwanderung vorzugehen.

Wegen der starken Zunahme unerwünschter Migration hat die Europäische Union sich auf eine Verschärfung der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik verständigt.

Mehr Grenzschutz und schnellere Abschiebungen

Kanzler Olaf Scholz und seine Kollegen einigten sich am frühen Freitagmorgen beim EU-Gipfel in Brüssel darauf, illegale Einreisen möglichst von vornherein zu verhindern beziehungsweise unattraktiver zu machen. Dies soll etwa durch mehr Grenzschutz, schnellere Abschiebungen und einen verstärkten Kampf gegen Menschenschmuggler geschehen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte:

Wir werden handeln, um unsere Außengrenzen zu stärken und irreguläre Migration zu verhindern.

 

EU plant zwei Pilotprojekte

Scholz betonte, notwendig seien nicht nur die Kontrollen an den Außengrenzen, sondern man müsse auch mit den Herkunfts- und Transitländern zusammenarbeiten. Die EU brauche dringend mehr Fachkräfte, daher seien auch legale Zuwanderungsmöglichkeiten wichtig, sagte der SPD-Politiker.

Nach Angaben von der Leyens soll es in einem ersten Schritt zwei Pilotprojekte geben. Die Projekte sollen in Bulgarien und Rumänien starten. Eines sehe vor, die Grenze zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei etwa mit Fahrzeugen, Kameras, Straßen und Wachtürmen zu sichern. Diese sollten aus EU-Mitteln, dem bulgarischen Haushalt und Beiträgen der EU-Staaten finanziert werden.

Bei dem zweiten Projekt soll es um die Registrierung von Migranten, ein schnelles Asylverfahren sowie um Rückführungen an der Außengrenze gehen.

Zäune an Außengrenzen aus EU-Mitteln?

Politisch umstritten war vor dem Gipfel vor allem die Frage, ob künftig auch Zäune entlang der Außengrenzen aus dem EU-Haushalt finanziert werden sollten. Länder wie Österreich oder Griechenland fordern dies vehement, die EU-Kommission, Deutschland und Luxemburg sind dagegen.

Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel sagte am Rande des Gipfels:

Es wäre eine Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde mit den europäischen Sternen drauf. Xavier Bettel, Luxemburgs Regierungschef

In der Abschlusserklärung wird die EU-Finanzierung von Zäunen nicht genannt. Es heißt lediglich, dass EU-Mittel unter anderem für "Infrastruktur" an den Grenzen mobilisiert werden sollten.

Abschiebungen sollen beschleunigt werden

Einig sind sich die EU-Staaten hingegen darin, dass mehr Druck auf Länder gemacht werden sollte, die bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber nicht kooperieren. Dies soll dazu führen, dass mehr Menschen ohne Bleiberecht die EU verlassen und so die teils stark überlasteten Asylsysteme entlastet werden.

Zudem wollen die Mitgliedsstaaten künftig gegenseitig Rückführungsentscheidungen anerkennen. Auch das soll Abschiebungen beschleunigen.

Druck auf unkooperative Herkunftsstaaten

Druck auf unkooperative Herkunftsländer wollen die EU-Staaten etwa über eine verschärfte Visa-Politik, die Handelspolitik und die Entwicklungshilfe machen. Zugleich sollen aber auch Möglichkeiten für legale Migration geschaffen werden.

Auf der Gipfel-Tagesordnung stand das Thema vor allem deshalb, weil die Zahl der Asylanträge 2022 im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent auf 924.000 gestiegen ist. Hinzu kamen rund vier Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, die nicht Asyl beantragen müssen.