Flüchtlingsrat NRW und Landesintegrationsrat NRW: Gemeinsames Forderungspapier zur kommunalen Unterbringung von Flüchtlingen

06.03.2023 Wir zitieren von der Seite des Flüchtlingsrates NRW: Der Flüchtlingsrat NRW hat in Kooperation mit dem Landesintegrationsrat NRW ein Forderungspapier zur kommunalen Unterbringung von Flüchtlingen erarbeitet, das im Rahmen der gemeinsamen Veranstaltung „Kommunale Flüchtlingsunterbringung neu denken! Herausforderungen und Lösungsansätze für die Praxis" am 03.03.2023 erstmals präsentiert wurde.

Die Verfasserinnen fordern eine dezentrale Unterbringung in Privatwohnungen; solange diese nicht umsetzbar ist, muss in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften ein menschenwürdiges und an den Bedürfnissen der Schutzsuchenden orientiertes Wohnumfeld gewährleistet werden, für welches im Forderungspapier entsprechende Standards formuliert werden. Insbesondere soll das Forderungspapier als Leitfaden für all jene dienen, die sich dafür einsetzen möchten oder sich bereits dafür engagieren, die Unterbringungssituation in ihrer jeweiligen Kommune zu verbessern.

Kommunale Flüchtlingsunterbringung neu denken!“

Forderungspapier des Landesintegrationsrates NRW und des Flüchtlingsrates NRW
Den Kommunen kommt die verantwortungsvolle Aufgabe zu, Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Wenn Schutzsuchende den Städten und Gemeinden zugewiesen werden, bringen sie in aller Regel eine lange Geschichte der Entbehrung, Not, Angst und Verzweiflung mit sich. Nachdem sie bereits das Aufnahmesystem auf Landesebene durchlaufen haben, können sie in den Kommunen endlich ankommen. Dafür braucht es Rahmenbedingungen, die ihnen das ermöglichen und die Integration in die Gesellschaft erleichtern. Mitarbeiter/innen der Verwaltung, sozialer oder caritativer Dienste, Ehrenamtlichen, engagierten Politiker/innen und allen weiteren Beteiligten, die sich im Sinne der Flüchtlinge und der Stadtgesellschaften einbringen und oftmals Beachtliches leisten, gebührt dafür Anerkennung und Unterstützung.
Mehrere nordrhein-westfälische Kommunen haben in den vergangenen Jahren die Initiative ergriffen und sind Mängel bei der Flüchtlingsunterbringung angegangen. Teilweise wurden Unterbringungskonzepte erarbeitet, um ein gutes Zusammenleben in der Stadtgesellschaft zu gewährleisten. Die Konzepte zielen vorrangig auf eine dezentrale Unterbringung in Privatwohnungen ab, ansonsten soll eine bessere, eher an den Bedarfen der Untergebrachten ausgerichtete Ausgestaltung von Flüchtlingsunterkünften gewährleistet werden. Doch vielerorts gestaltet sich die Wohn- und Lebenssituation von geflüchteten Menschen schwierig. Gemeinschaftsunterkünfte bilden nach wie vor die vorherrschende Unterbringungsform; teilweise sind die Unterkünfte abgelegen oder in Industriegebieten angesiedelt. Mangels verbindlicher Vorgaben durch das Land NRW ist die Art der Ausgestaltung der Unterbringung und damit auch die Wahrung eines Mindestmaßes an Wohnqualität den Städten und Gemeinden überlassen. Hinzu kommt bei vielen Untergebrachten das fehlende Recht auf freie Wohnsitzwahl. Vor dem Hintergrund klammer Haushaltslagen, unklarer Zuständigkeiten,
Überforderungen und stellenweisen Desinteresses seitens der Verantwortlichen ist der Zustand zahlreicher Unterkünfte völlig ungenügend und zum Teil katastrophal. Den Bedürfnissen insbesondere der besonders vulnerablen Gruppen, wie Kindern oder Personen mit Behinderung, wird vielerorts nicht entsprochen, Hygienestandards werden missachtet, Informations- und Beratungsleistungen nur unzureichend angeboten. Zudem stellt die Flüchtlingseinwanderung aus der Ukraine die Kommunen vor große Herausforderungen. Ungeachtet dieser schwierigen Rahmenbedingungen ist eine menschenwürdige Unterbringung von Schutzsuchenden unverhandelbar.

Der Landesintegrationsrat NRW und der Flüchtlingsrat NRW fordern alle Kommunen auf, zeitnah verbindliche Konzepte zur adäquaten Unterbringung von Schutzsuchenden zu beschließen. Es gilt, sich an den Bedürfnissen und Lebenslagen der Flüchtlinge zu orientieren und insbesondere die Situation von Frauen, Kindern und anderen vulnerablen Gruppen im Blick zu haben.
Bei der Erarbeitung eines entsprechenden Konzepts sind eine gute innergemeindliche Kommunikation und die Einbindung aller in der Flüchtlingsarbeit Beteiligten wichtig. Insbesondere ist auf eine konstruktive Zusammenarbeit der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung mit den örtlichen Integrations- und Flüchtlingsräten sowie weiteren haupt- und ehrenamtlichen Initiativen zu achten. In Anbetracht dynamischer globaler Entwicklungen sollte eine nachhaltige Planung erfolgen, so dass flexibel auf sich verändernde Einwanderungszahlen von Flüchtlingen reagiert werden kann. Von großer Bedeutung ist, dass die Unterbringung in Privatwohnungen die Norm bildet, um so Privatsphäre, eine selbstbestimmte Lebensweise und die gesellschaftliche Integration zu ermöglichen. Grundsätzlich sollte von Wohnverpflichtungen für Gemeinschaftsunterkünfte abgesehen werden und allen Flüchtlingen erlaubt sein, sich unmittelbar nach Ankunft in der Kommune eine Wohnung zu suchen.
Kreative Lösungen sind gefragt, um die Menschen in eigenen Wohnungen oder, solange dies aufgrund begrenzt zur Verfügung stehenden bezahlbaren Wohnraums noch nicht möglich ist, zumindest abgetrennten Wohneinheiten mit eigenem Bad und eigener Küche unterzubringen. Die Kommunen sind aufgefordert, bei knappem Raumangebot Liegenschaften in öffentlicher Hand zu nutzen und entsprechende Umbauten/Anpassungen vorzunehmen sowie den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben.

Ist eine Unterbringung in eigenen Wohnungen nicht möglich, muss auf die Einhaltung von Standards geachtet werden. Für Gemeinschaftsunterkünfte sollte Folgendes gelten:


Persönlichkeitsrechte der Bewohner/innen:

  • keine Wohnverpflichtungsdauer (unabhängig von Aufenthaltsstatus und Leistungsbezug)
  • Schutzkonzept für vulnerable Gruppen
  • Abgetrennte Wohneinheiten für max. je 2 alleinstehende Personen bzw. eine Familie
  • Mindestens 9-qm persönlichen Wohnraum (ohne Küche/Bad)
  • Keine Einschränkung von Besuchen
  • Abschließbarkeit der Schlafräume, keine Zimmerkontrollen
  • Schwarzes Brett/ Informationsaushang/ Informationen über Beratungs- und Teilhabemöglichkeiten wie die örtlichen Integrationsräte und die Flüchtlingsberatungsstellen
  • Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Unterkunft

Bauliches, Ausstattung, Gebühren:

  • Festbauweise
  • Kleine Einrichtungen mit max. 80 Plätzen
  • Betrieb der Unterkunft durch Kommune oder gemeinnützige Organisation
  • Gebühren für Selbstzahler/innen abhängig vom Standard max. ortsübliche Vergleichsmiete
  • Gute Anbindung an örtliche Infrastruktur, z.B. kurze Wege zu Schule und Kindergarten, sowie Geschäfte des täglichen Bedarfs; gute Anbindung an ÖPNV
  • Angemessene Ausstattung von Schlafraum, Küche und Bad
  • Möglichkeit zur Einrichtung mit eigenen Möbeln bzw. Einrichtungsgegenständen
  • Aufenthaltsraum, Funktionsräume (z.B. zum Waschen, Bügeln)
  • „Beratungs- und Begegnungsraum“ Anlaufstelle für soziale Dienste, Ehrenamtler/innen etc.
  • W-Lan und Computer, ggf. Medienraum
  • Reinigungsdienst für Gemeinschaftsflächen
  • Vorkehrung für schnelles Alarmieren von Polizei, Feuerwehr, Notarzt

Betreuung und Beratung, Sicherheitsdienst

  • Interkulturell geschultes Personal, auch mehrsprachiges Personal mit internationaler Familiengeschichte
  • Sofern erforderlich, qualifizierter Wachdienst (Sicherheitsüberprüfungen, Führungszeugnis,
  • Qualifizierte Sozialbetreuung, Schlüssel mind. 1 Vollzeitkraft/50 Personen
  • Beratung durch Fachkräfte
  • Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen /Zugang zu Unterkünften für alle, die in der Unterkunft tätig sind
  • Professionelles Auszugsmanagement
  • Unterstützung bei der Arbeitssuche


Bildung und Freizeitgestaltung:

  • Angebote zur Erstorientierung, Sprach- und Integrationsangebote
  • Angebote zur Freizeitgestaltung für Erwachsene
  • Kinder-/Jugendbeschäftigung, Hausaufgabenbetreuung/Lerngruppen, Spielzeug, Spielraum, Spielplatz (wenn fußläufig keiner erreichbar)
    Qualitätsmanagement
  • unabhängiges Beschwerdemanagement/Ombudsstelle
  • Gesundheit- und Hygienestandards (anlassbezogene Kontrollen durch Gesundheitsamt)
  • Monitoring/regelmäßige Qualitätskontrollen durch örtliche Behörden, interkulturelle Schulungen etc.)

Qualitätsmanagement:

  • unabhängiges Beschwerdemanagement/Ombudsstelle
  • Gesundheit- und Hygienestandards (anlassbezogene Kontrollen durch Gesundheitsamt)
  • Monitoring/regelmäßige Qualitätskontrollen durch örtliche Behörden