Fragen und Antworten zur Bezahlkarte und erste Erfahrungen aus der Erprobung

25.02.2024 In einem sehr grundlegenden Beitrag beleuchtete das Handelsblatt die wichtigsten Fragen und Antworten zur beschlossenen, aber weiter umstrittenen Bezahlkarte, mit der Geflüchtete demnächst (Teil-)Leistungen nach dem AsylbewerberLeistungsGesetz erhalten sollen, sowie Details aus ersten Erfahrungen, z. B. aus Greiz und Hannover.

Was hinter der Bezahlkarte für Geflüchtete steckt

24.02.2024 Bundesweit sollen Prepaid-Karten für Asylsuchende eingeführt werden. Hannover sowie die Landkreise Greiz und Eichsfeld sind schon vorgeprescht – aber ganz unterschiedlich.

Während über die Einführung einer einheitlichen Bezahlkarte für Geflüchtete gerungen wird, sind einzelne Bundesländer sowie Kommunen bereits vorgeprescht. So hat Bayern vergangene Woche angekündigt, eine entsprechende Karte zu testen. In vier Pilot-Kommunen soll sie ab März eingeführt werden.

Hamburg hatte einen entsprechenden Test bereits Mitte Februar angekündigt, auch einige Großstädte und Landkreise proben den Einsatz von Bezahlkarten – allerdings mit ganz unterschiedlichen Partnern.

Inwieweit Barauszahlungen überhaupt beschränkt werden dürfen, welche US-Konzerne und Start-ups mitmischen und was für Kritik es an den Bezahlkarten gibt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Bezahlkarte für Geflüchtete: Was planen die Bundesländer?

Während Bayern und Mecklenburg-Vorpommern eigene Wege gehen, wollen die anderen 14 Bundesländer gemeinsam eine Bezahlkarte für Asylbewerberinnen und -bewerber in Deutschland einführen. Die neue Karte soll eine „Debitkarte“ mit Guthaben sein, das monatlich „aufgeladen“ wird.

Über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen entscheidet jedes Land selbst. Die technischen Möglichkeiten der Bezahlkarte aber sollen in allen Ländern einheitlich sein. Nicht vorgesehen sind ein Einsatz der Karte im Ausland, Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen im In- und Ausland. Auch Bargeld-Abhebungen können möglich sein, allerdings nur bis zu einem Höchstbetrag, der noch nicht feststeht.

Die Bezahlkarte soll grundsätzlich bundesweit in allen Branchen einsetzbar sein. Die Nutzung kann aber von den einzelnen Ländern regional eingeschränkt, Branchen können ausgeschlossen werden.

Was will man mit den Karten erreichen?

Mit der Karte soll unter anderem verhindert werden, dass Flüchtlinge Geld an ihre Familie oder Freunde ins Ausland überweisen. „Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt, um Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken“, sagte der hessische Ministerpräsident und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Boris Rhein (CDU).

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) erklärte: „Die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bereitgestellten finanziellen Mittel sollen den Lebensunterhalt in Deutschland sichern, sie dienen – bei allem Verständnis – nicht der Finanzierung der Familien im Heimatland.“ Gerade wenn Geflüchtete erst seit Kurzem in Deutschland sind, haben sie oft noch kein Konto. Geld ins Ausland schicken können sie dann in Form von Bargeld über den Transferdienst Western Union.

Der Migrationsexperte Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bezweifelt, dass der gewünschte Effekt eintritt. „Es gibt so gut wie keine belastbaren Erkenntnisse dazu, dass die Höhe der Leistungen für Asylbewerber die Zahl der Asylanträge beeinflusst“, sagt er. Das gelte sowohl für Bargeld als auch Coupon-Zahlungen.

Der Dresdener Politikwissenschaftler Hans Vorländer ergänzt: „Aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen.“ Pull-Faktoren beschreiben die Gründe, die zu Zuwanderung in einen Staat oder eine Region bewegen.

Welche Kritikpunkte gibt es?

Umstritten ist, ob es für die Einführung der Bezahlkarte eine gesonderte bundesgesetzliche Regelung braucht. SPD und FDP halten das für notwendig. Und auch die Kommunen fordern für die Umsetzung „die nötige Verlässlichkeit und Rechtssicherheit“. Doch die Grünen mauern. Sie verweisen darauf, dass alle rechtlichen Möglichkeiten für eine Bezahlkarte auf Länderebene bereits gegeben seien.

Deutliche Kritik an der geplante Bezahlkarte kommt von Flüchtlingsorganisationen. Der Flüchtlingsrat in Thüringen etwa bemängelte, dass zwar in Supermärkten bezahlt werden könne, beim Friseur, in kleineren Geschäften oder beim Erwerb eines Deutschlandtickets gebe es aber Probleme.

Die Organisation Pro Asyl nannte die Bezahlkarte ein „Diskriminierungsinstrument“. Es werde vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken. Versuche der Einschränkung seien oft „auch mit der öffentlichen Diffamierung der Betroffenen verbunden“.

Hinzu kommt, dass Daten fehlen. Zahlen dazu, wie viel Geld aus staatlichen Transferleistungen ins Ausland geschickt oder überwiesen wird, gibt es derzeit nicht.

Welche Kommunen setzen bereits eine Bezahlkarte ein?

Neben Hamburg und Bayern haben mehrere Städte und Gemeinden mit der Ausgabe von Bezahlkarten für Geflüchtete begonnen. Dazu gehören Hannover, in Thüringen Eichsfeld und der Landkreis Greiz und in Baden-Württemberg der Ortenaukreis. Auch die Stadt Leipzig will den Schritt gehen. Vielfach sind die Bezahlkarten allerdings erst testweise in Betrieb.

Früh gestartet ist Hannover. Dort geht es explizit darum, die Verwaltung zu entlasten. Bisher stehen viele Menschen Schlange, um sogenannte Verpflichtungsscheine abzuholen und sich damit in der Sparkasse Bargeld auszahlen zu lassen. Schon vor dem gemeinsamen Projekt in 14 Bundesländern preschen einige weitere Landkreise vor und kündigen den Start von Bezahlkarten per März oder April an. Die Auftragsvergabe für die Kartendienstleister wird bis Sommer 2024 angestrebt.

Was stark lässt sich die Nutzung der Karten einschränken?

Die Nutzung können Kommunen und Länder deutlich einschränken. Erstens ist es möglich, den Bargeldbezug stark zu begrenzen oder sogar komplett auszuschließen.

In Hamburg beispielsweise können sich die Nutzerinnen und Nutzer der im Pilotprojekt gestarteten Karte maximal 50 Euro monatlich als Bargeld auszahlen lassen.

Neben Sachleistungen gibt es nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens. Dieser ist bundesweit einheitlich auf 185 Euro pro Monat für alleinstehende Erwachsene festgelegt, heißt es auf der Internetseite  der Stadt, und wird künftig über die Bezahlkarte zur Verfügung gestellt.

In Hannover lässt sich die gesamte Summe als Bargeld abheben – am Geldautomaten oder beim Einkauf an der Ladenkasse, allerdings fällt bei Barabhebungen am Automaten eine Gebühr an.

Zweitens lassen sich Bezahlkarten so einstellen, dass Nutzer nur in bestimmten Städten oder Regionen damit einkaufen können. Drittens wäre es möglich, bestimmte Ladentypen auszuschließen, auch Onlineeinkäufe generell. Und viertens können die Kommunen entscheiden, ob die Karten automatisch einmal im Monat aufgeladen werden oder ob die Geflüchteten dafür auf ein Amt kommen müssen.

Der Landkreis Greiz hat die Kartennutzung auf die Postleitzahlen des Landkreises Greiz beschränkt und Barauszahlungen sind nicht möglich.

Zudem werden die Karten „ausschließlich unter persönlicher Anwesenheit der Kartennutzer in der Kreisverwaltung“ aufgeladen. Der Kreis zahlt aber eine bestimmte Summe weiterhin als Bargeld aus und verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Wer bietet die Karten an?

Mehrere teils relativ junge Firmen geben die Bezahlkarten aus, gemeinsam mit den US-Zahlungskonzernen Mastercard oder Visa, über die die Zahlungsabwicklung läuft. Die Kartenausgeber können von den Auftraggebern beispielsweise Entgelte für Ausgabe und Aufladen von Karten verlangen.

Die Karte in Hamburg, Hannover und Leipzig, die sich jeweils „Social Card“ nennt, bietet das Start-up Publk aus Bersenbrück in Kooperation mit Visa an. Es geht um eine Visa-Debitkarte, hinter der aber kein Girokonto liegt.

In Bayern hat Paycenter aus Freising die Ausschreibung gewonnen. Die Firma will die Mastercard-Bezahlkarten ausgeben. Mastercard-Karten sind beispielsweise auch in Greiz im Einsatz, dort über Givve. Das Münchener Finanz-Start-up Givve gehört zur französischen Up Groupe.

Die deutschen Sparkassen wollen sich über ihre Tochter S-Payment ebenfalls um Aufträge bemühen. Die Sparkassen, Marktführer im Geschäft mit privaten Kundinnen und Kunden, führen bundesweit auch fast alle Konten für Geflüchtete.

Ein Anbieter indes hält sich schon wieder zurück. Das französische Unternehmen Edenred, das die entsprechende Bezahlkarte in Eichsfeld ausgibt, will sich nicht an Ausschreibungen beteiligen, wie es auf Handelsblatt-Anfrage erklärte. Der Unternehmensfokus liege vielmehr auf Gutscheinen und Gutscheinkarten im Geschäft mit Unternehmen.

In welchen anderen Staaten werden Bezahlkarten für Geflüchtete bereits eingesetzt?

Unter anderem gebe es Bezahlkarten für Geflüchtete bereits seit 2010 in Großbritannien und seit 2016 in Frankreich, erklärt Mastercard. Visa verweist auf den Einsatz in den Niederlanden sowie in Finnland.

Auch in der Türkei, die mit über vier Millionen Menschen weltweit mit Abstand die größte Anzahl registrierter Flüchtlinge beherbergt, werden seit Langem entsprechende Mastercard-Karten eingesetzt. Der türkische Rote Halbmond, eine Hilfsorganisation, gibt die „Kizilay Kart“ gemeinsam mit der staatlichen Halkbank aus. Bezahlen mit Karte oder Handy ist in der Türkei üblich, Bargeld kann man hingegen mit der Karte nicht abheben.