04.09.2023 Ein weiterer Schritt zum Abbau der Rechte Schutzsuchender wird gegenwärtig mit der Erklärung von Georgien und Moldawien zu "sicheren" Herkunftsländern vollzogen. Wir zitieren dazu die Tagesschau mit dem Beitrag Sichere Herkunftsstaaten Moldau und Georgien ja, Maghreb-Staaten nein und eine Stellungnahme von Pro Asyl mit der Feststellung: Die Bundesregierung führt eine politisch motivierte Debatte und keine faktenbasierte! Wie Deutschland Herkunftsländer von Geflüchteten wider besseres Wissens als sicher erklärt . Nach allen Erfahrungen ist große Skepsis angebracht, wie lange das Nein bezüglich der Magreb-Staaten Bestand haben wird.
Sichere Herkunftsstaaten Moldau und Georgien ja, Maghreb-Staaten nein
Tagesschau Stand: 04.09.2023 10:55 Uhr
CDU-Chef Merz will weitere Länder zu "sicheren Herkunftsstaaten" machen, um Abschiebungen zu erleichtern. Georgien und Moldau sollen diesen Status bekommen. Doch die Ampelkoalition ist sich bei dem Thema nicht einig.
Joachim Stamp dürfte Tiflis und Chişinău inzwischen ganz gut kennen. Der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen ist in den vergangenen Monaten mehrmals in die Hauptstädte von Georgien und Moldau gereist, um mit den dortigen Regierungen über Migration zu sprechen. Geplant sind Migrationsabkommen, um die legale Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland zu erleichtern. Auch Saisonkräfte von dort sind immer wieder ein Thema.
Der erste Schritt ist nun getan: Die Bundesregierung stuft Moldau und Georgien als sichere Herkunftsstaaten ein. Aus diesen Ländern seien in der Vergangenheit mehr als zehn Prozent der Asylanträge gekommen, sagt der FDP-Politiker Stamp im Interview mit dem SWR. Deutschland habe daher ein großes Interesse, Georgien und Moldau auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen.
Die Behörden können dann Asylanträge von dort als "offensichtlich unbegründet" ablehnen. Denn man geht davon aus, dass es in diesen Staaten keine politische Verfolgung oder unmenschliche Behandlung gibt - den Menschen von dort also kein Schaden droht, wenn sie zurückgeschickt werden.
Entscheidung sorgt für Kritik
Die Einschätzung ist aber umstritten. Laut Pro Asyl werden in Moldau Angehörige der Volksgruppe der Roma diskriminiert. In Georgien berichtet die Menschenrechtsorganisation über Rückschritte bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Ähnliche Beobachtungen macht Clara Bünger, die fluchtpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag. "Georgien insbesondere ist bekannt dafür, dass queere Menschen verfolgt werden. Die Einstufung als sicheres Herkunftsland ist ein falsches Signal an alle Menschen, die von dort fliehen müssen, die bedroht werden", sagt Bünger im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Sie befürchtet, dass Menschen aus Georgien und Moldau ihr individuelles Recht auf Asyl verlieren könnten und Asylanträge von dort künftig pauschal abgelehnt werden.
Das werde nicht passieren, versichert der Beauftragte für Migrationsabkommen Stamp. Er verweist darauf, dass in beiden Ländern Visafreiheit für Reisen in die Europäische Union gilt. Laut Stamp kann daher jeder, der verfolgt wird, ausreisen und ein Asylverfahren in der EU anstoßen - zum Beispiel in Deutschland. Aus Sicht des FDP-Politikers dürfte es sich dabei aber um Einzelfälle handeln. Denn mehr als 99 Prozent der Antragssteller aus Georgien und Moldau erfüllen zurzeit die Asylkriterien nicht. Ihre Anträge werden also abgelehnt.
Klagen gegen abgelehntes Asyl werden schwieriger
Viele von ihnen klagen dagegen: Ein Verfahren, das sich oft über Monate, manchmal sogar Jahre zieht. Der Grund: Viele deutsche Gerichte sind überlastet. Solange ein Klageverfahren läuft, haben die Menschen Recht auf Sozialleistungen in Deutschland. "Sie nutzen das Sozialsystem aus", sagt Stamp. "Das ist beiden Ländern sehr peinlich. Sie möchten gerne als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, damit sich eine Asylantragsstellung gar nicht lohnt."
Klagt ein Bürger aus einem sicheren Herkunftsstaat gegen die Ablehnung seines Asylantrags, muss er das aus dem Heimatland tun. Dann gibt es keine Sozialleistungen aus Deutschland.
Umstritten in der Ampelkoalition
Die FDP steht hinter dem Konzept der sicheren Herkunftsländer, Bundesinnenministerin und SPD-Politikerin Nancy Faeser ebenfalls. Die Grünen sind der einzige Partner der Ampelkoalition, der sich schwertut.
Nach den Worten von Co-Parteichef Omid Nouripour halten die Grünen das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten für falsch. "Wir glauben nicht, dass es irgendwelche Probleme löst. Gleichzeitig gibt es so etwas wie einen Freifahrtschein für Staaten, die uns dann erklären, dass ihre Menschenrechtslage kein Problem sei", meint Nouripour.
Trotzdem gehen die Grünen im konkreten Fall mit. Sie nicken den Vorstoß aus dem Bundesinnenministerium ab, Georgien und Moldau zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Nouripour verweist darauf, dass beide Staaten auf dem Weg in die Europäische Union sind. Er spricht außerdem von Fortschritten bei der Rechtsstaatlichkeit.
CDU will mehr sichere Herkunftsländer
CDU-Chef Friedrich Merz möchte mehr Ländern den Status sicherer Herkunftsstaat geben. "Das Grundrecht auf Asyl hat Grenzen in der Anerkennung der tatsächlichen Asylgründe", so Merz in den Funke-Medien. Er kann sich vorstellen, dass nordafrikanische Staaten auf die Liste gesetzt werden - als Beispiele nennt er Tunesien und Algerien. Dem CDU-Vorsitzenden geht es um die Möglichkeit schnellerer Abschiebungen.
Doch an diesem Punkt hört die Verhandlungsbereitschaft der Grünen auf. Gerade in Algerien sei die Menschenrechtslage zu problematisch, sagt Parteichef Nouripour.
Es gab schon mehrmals Vorstöße, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären - und die Grünen spielten nicht mit. Sie blockierten das Vorhaben im Bundesrat. Nouripours Worte deuten nun an, dass so etwas im Fall von Georgien und Moldau nicht passiert, dass sich Landesregierungen mit grüner Beteiligung nicht querstellen. Der verlängerten Liste der sicheren Herkunftsstaaten dürfte in diesem Fall also nichts im Wege stehen.
Wie Deutschland Herkunftsländer von Geflüchteten wider besseres Wissens als sicher erklärt
News von Pro Asyl vom 04.09.2023: Am 30. August 2023 wurde im Kabinett ein SPD-Gesetzentwurf beschlossen, in dem Georgien und die Republik Moldau als »sichere Herkunftsländer« eingestuft werden. Er geht nun durch das parlamentarische Verfahren im Bundestag und zur Abstimmung in den Bundesrat. PRO ASYL kritisiert sowohl die Einstufung als auch das Verfahren als hoch problematisch.
PRO ASYL lehnt das Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« grundsätzlich ab, denn es ist bereits im Kern mit dem individuellen Recht auf Asyl unvereinbar.
Kriterien zur Einstufung nicht erfüllt
Zudem ignoriert das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) im aktuellen Gesetzesentwurf schlichtweg rechtliche Vorschriften. Das BMI begründet die Initiative vor allem mit den geringen Anerkennungszahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von Asylsuchenden aus diesen beiden Ländern. Dies als Anhaltspunkt zu nehmen, um Herkunftsstaaten als sicher zu deklarieren, ist jedoch rechtlich fraglich. Denn laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können die Schutzquoten nur Indizien bezüglich der Sicherheit eines Herkunftslandes sein. Vom Bundesverfassungsgericht wird zudem ein EU-Vergleich angeregt, der zum Beispiel für Georgien in anderen europäischen Ländern Anerkennungsquoten von bis zu 40 Prozent aufweist.
STELLUNGNAHME
Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1996 klare Kriterien formuliert, die für die Einstufung eines Herkunftslandes als sicher vorliegen müssen. Darin heißt es unter anderem, dass in dem Staat eine landesweite Sicherheit sowie eine Sicherheit für jegliche Gruppen innerhalb des Landes bestehen müssen. Zudem muss eine gewisse Stabilität und Kontinuität der Verhältnisse bestehen und eine Verbesserung der allgemeinen Situation in jüngerer Zeit zu sehen sein. Ebenso ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine gründliche Tatsachen- und Beweiswürdigung der verfügbaren Quellen vorzunehmen.
Diese verpflichtenden Kriterien können bezüglich der beiden Herkunftsstaaten Georgien und der Republik Moldau nicht erfüllt werden.
Die Einstufung hat für Geflüchtete aus sogenannten »sicheren Herkunftsstaaten« weitreichende Folgen. Sehr schnelle Verfahren, die große Schwierigkeiten bringen, rechtzeitig Beratung oder Anwält*innen zu finden, verkürzte Rechtsmittelfristen, Arbeitsverbote und der Ausschluss von Bleiberechtsregelungen sind einige davon. Die Basis des Asylrechts, nämlich die individuelle und vorbehaltlose Prüfung eines jeden Asylantrags, wird durch die gesetzliche Vermutung der Sicherheit kontaminiert.
Zum Herkunftsland Georgien ...
Zum Herkunftsland Moldau ...
Scheinheilige Verbändebeteiligung
Üblicherweise werden bei Gesetzgebungsverfahren auch die Stellungnahmen von Verbänden angefragt (Verbändebeteiligung). Bereits unter Seehofer waren hierfür die gesetzten Fristen für die Abgabe einer Stellungnahme sehr kurz. In gleichbleibender Tradition betrug auch dieses Mal unter einem SPD-geführten Bundesinnenministerium die Frist weniger als 48 Stunden – außerdem wurde drei Tage nach der Abgabe der Stellungnahmen der Gesetzesentwurf im Kabinett bereits beschlossen. Weder die Verbände hatten genug Zeit, sich detailliert mit dem Gesetzesentwurf auseinanderzusetzen und eine fundierte Stellungnahme zu schreiben, noch war es den zuständigen Personen im Bundesinnenministerium innerhalb der kurzen Zeit bis zum Beschluss möglich, die Stellungnahmen zu lesen. So verkommt das an sich gute Instrument der Beteiligung von Expert*innen im Gesetzgebungsverfahren zur Farce.
Die Debatte um »sichere Herkunftsstaaten« als Folge flüchtlingsfeindlicher Diskurse
Der Gesetzesentwurf zur Einstufung Moldaus und Georgiens als sogenannte sichere Herkunftsstaaten kommt nicht von ungefähr. Er ist Teil eines großen politischen Abschreckungssystems, welches seit Jahrzehnten aufgebaut und seit einigen Monaten erschreckend erweitert und verstetigt wird. Auf überlastete Kommunen und volle Geflüchtetenunterkünfte reagieren die Länder sowie der Bund zu häufig mit Abwehr- und Abschreckungsinstrumenten. Mehr Abschiebungen, weitere Haftgründe für Geflüchtete, grundrechtswidrige Ausweitungen polizeilicher Kompetenzen und nun die Einstufung weiterer Herkunftsländer als vermeintlich sicher bietet aber den Kommunen keine Lösungen für Unterbringung und Integration von Schutzsuchenden an.
Der Diskurs über die neuerliche Einstufung Georgiens und der Republik Moldau als »sicheren Herkunftsstaaten« setzt sich zudem über höchstinstanzliche Rechtsprechung hinweg und ist gleichzeitig auch zu einer nicht auf Fakten basierenden Debatte geworden.
Dem angeblichen Abschiebungsvollzugsdefizit soll mit der Einstufung »sicherer Herkunftsstaaten« begegnet werden. Dies ist jedoch irreführend. Denn schon jetzt können Abschiebungen nach Georgien und in die Republik Moldau ohne Probleme durchgeführt werden, es bestehen dazu mit beiden Ländern bereits Abkommen. Dies wird in nicht unerheblicher Anzahl bereits getan, nach Moldau zum Beispiel finden monatliche Sammelabschiebungen statt. An diesen Zahlen wird sich auch nach der Einstufung kaum etwas ändern.
Somit führt die Bundesregierung eine politisch motivierte Debatte und keine faktenbasierte. PRO ASYL hat zum Gesetzesentwurf eine ausführliche Stellungnahme verfasst.
(ta,nb)