20.03.2025 In den EhrenamtsNews Nr. 1/2025 schreibt der Flüchtlingsrat NRW:
Aus der vorgezogenen Bundestagswahl am 23.02.2025 ging die CDU/CSU als stärkste Kraft hervor: Sie erhielt laut amtlichem Ergebnis vom 14.03.2025 28,6 % der abgegebenen Stimmen (208 Sitze). Derzeit laufen Koalitionsverhandlungen mit der SPD, die auf 16,4 % kam (120 Sitze; damit würde eine schwarz-rote Koalition die erforderliche Mehrheit von 316 Sitzen erreichen). Das als Grundlage für die Verhandlungen dienende Ergebnispapier entsprechender Sondierungsgespräche vom 08.03.2025 sieht gravierende flüchtlingspolitische Verschärfungen vor, u. a. Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Staatsgrenzen sowie (verstärkte) Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Auch soll der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten befristet ausgesetzt werden. Schon im Vorfeld der Wahl hatte die Union mit ihrem „Zustrombegrenzungsgesetz“, das am 31.01.2025 nur knapp im Bundestag gescheitert war, die (hier: unbefristete) Aussetzung des Nachzugs zu Personen mit subsidiärem Schutz gefordert – mehr dazu in unserer Rubrik „Aktuelles“.
Politische Auseinandersetzungen um das Recht geflüchteter Menschen, ihre Angehörigen nachzuholen, sind nicht neu: Die schwarz-rote Koalition der Merkel-Ära hatte den Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, den sie kurz zuvor noch als Anspruch ausgestaltet hatte, zwischen dem 17.03.2016 und dem 31.07.2018 gänzlich ausgesetzt und anschließend bloß als Härtefallregelung (§ 36a AufenthG) wieder eingeführt. Die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP wiederum hatte in ihrem Koalitionsvertrag zwar angekündigt, „die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten mit den GFK-Flüchtlingen gleich[zu]stellen“, setzte dieses Versprechen aber bis zuletzt nicht um.
Die geplante (erneute) Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten nehmen wir zum Anlass, uns – da für diese Gruppe derzeit noch die Möglichkeit der Zusammenführung besteht – in dieser Ausgabe der EhrenamtsNews mit aktuellen praktischen Schwierigkeiten und rechtlichen Hürden beim Nachzug zu beschäftigen und Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen. ...
Schwerpunkt: Familiennachzug:
- Kontingentregelung beim Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten
- Lange Wartezeiten auf Vorsprachetermine
- Vergabe von Sonderterminen
Schwerpunkt: Familiennachzug
- Kontingentregelung beim Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten:
Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ist nach der durch das „Familiennachzugsneuregelungsgesetz“ seit dem 01.08.2018 geltenden Regelung gem. § 36a AufenthG – anders als bei anerkannten Flüchtlingen und Asylberechtigten – nicht als Anspruchsregelung ausgestaltet, sondern stellt die Bewilligung der Familienzusammenführung in das behördliche Ermessen („Kann“-Regelung). Die Anzahl der nachziehenden Personen ist dabei kontingentiert, es werden pro Monat maximal 1.000 Visa erteilt. Dieses monatliche Kontingent wurde, anders als in früheren Jahren, im Jahr 2024 laut der Antwort der Bundesregierung vom 14.01.2025 auf eine Kleine Anfrage der Linken regelmäßig erfüllt (11.250 erteilte Visa zum Stichtag 03.12.2024).
Um ein Visum für den Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zu erhalten, müssen die
Voraussetzungen für die Erteilung der späteren Aufenthaltserlaubnis nach § 36a AufenthG erfüllt sein. Diese Aufenthaltserlaubnis erfordert als „Härtefallregelung“ das Vorliegen humanitärer Gründe, zu denen insbesondere – aber nicht ausschließlich – die folgenden zählen:
(1) Die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft ist seit langer Zeit nicht möglich. Hinweis: Dies dürfte der Regelfall sein. Als „lang“ erachtet das Gesetz eine Trennungsdauer von mind. zwei Jahren. Halten sich die Angehörigen in einem anderen Staat als dem Herkunftsland auf, ist es wichtig, im Antrag darzulegen, dass die Familie z. B. wegen fehlender Aufenthalts- und/oder Erwerbstätigkeitsperspektiven nicht bzw. nicht auf zumutbare Weise in diesem Staat zusammenleben kann.
(2) Ein minderjähriges lediges Kind ist betroffen. Hinweis: Das kann die Stammberechtigte oder eine nachzugswillige Angehörige sein. Bei der Berücksichtigung des Kindeswohls spielen insbesondere das Alter (Kinder unter 14 Jahren gelten als besonders schutzwürdig) und die Betreuungssituation eine Rolle.
(3) Im Aufenthaltsstaat besteht eine ernsthafte Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der
(nachzugswilligen) Familienmitglieder.
Hinweis: Die Gefährdung kann sich laut Gesetzesbegründung „beispielsweise aus dro-
hender Gewalt, drohender Rekrutierung als Kindersoldat, drohendem Menschen- oder
Kinderhandel oder drohender Zwangsheirat ergeben“.
(4) Es liegt eine schwere/schwerwiegende Erkrankung, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung vor.
Hinweis: Grundsätzlich ist ein qualifizierter Nachweis (ärztliches Attest) erforderlich; mehr dazu finden Sie unter Punkt 7 in den FAQ des Auswärtigen Amts. Dies ist entbehrlich, wenn die Familienangehörige im Ausland durch anderweitige Anhaltspunkte das Vorliegen einer entsprechenden Beeinträchtigung glaubhaft machen kann.Das Bundesverwaltungsamt trifft im Rahmen des 1.000er-Kontingents eine Auswahl unter den entscheidungsreifen Zusammenführungsanträgen. Dabei hat es nach § 36a Abs. 2 S. 4 AufenthG sog. Integrationsaspekte besonders zu berücksichtigen. Diese beziehen sich sowohl auf die Nachziehenden (hier sind v. a. Deutschkenntnisse bzw. Bemühungen um den Spracherwerb relevant) als auch auf die Stammberechtigten (neben Kenntnissen der deutschen Sprache spielen etwa Lebensunterhaltssicherung, ausreichender Wohnraum, Ausbildung/Studium und gesellschaftliches bzw. ehrenamtliches Engagement eine Rolle).
Wenn Sie subsidiär Schutzberechtigte bei der Familienzusammenführung unterstützen, sollten Sie also darauf achten, dass alle Umstände, die sich unter den genannten Gesichtspunkten positiv auf die Entscheidung über den Antrag auswirken können, zusammengetragen und – sofern möglich – entsprechende Belege/Nachweise beigebracht werden. Weiterführende Informationen zum Antrag auf Familienzusammenführung – nicht nur bei subsidiär Schutzberechtigten – finden Sie im Leitfaden des Bleibewerks Bonn (Stand: April 2024) und auf der Themenseite zum Familiennachzug des Informationsverbunds Asyl & Migration.
- Lange Wartezeiten auf Vorsprachetermine
Nachzugswillige Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten müssen sich auf der zentralen Warteliste des Auswärtigen Amts eintragen, um bei der zuständigen Auslandsvertretung (1) einen Termin für die Beantragung des Visums zur Familienzusammenführung zu erhalten. Allein für das Warten auf den Vorsprachetermin ist mit Zeiten von (weit) über einem Jahr zu rechnen, wie sich aus der Antwort der Bundesregierung vom 12.09.2024 auf eine Kleine Anfrage der Linken ergibt. Familienangehörige von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen be-
antragen ihren Termin direkt bei den Auslandsvertretungen, nach Angaben der Bundesregierung müssen sie dennoch häufig mehrere Monate, mitunter ebenfalls über ein Jahr lang warten. Obwohl Organisationen der Flüchtlingssolidaritätsarbeit schon seit einiger Zeit auf diesen Missstand hinweisen und Verbesserungen fordern – s. etwa unsere gemeinsame Pressemitteilung mit terre des hommes und PRO ASYL vom 15.05.2023 –, blieben Maßnahmen wie eine nachhaltige Aufstockung des Personals in den Botschaften/Konsulaten bislang aus.Die Wartezeit bis zum Vorsprachetermin können Sie zusammen mit den von Ihnen begleiteten Personen gut nutzen, um die (weiteren) benötigten Dokumente, v. a. Pässe/ Identitätsdokumente und Personenstandsurkunden zum Nachweis der Verwandtschaft, zu beschaffen bzw. zusammenzutragen. Praktische Hinweise hierzu finden Sie in unseren EhrenamtsNews 2/2023. Unter anderem insbesondere in Fällen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis – also beim Nachzug zu Asylberechtigten bzw. anerkannten Flüchtlingen – oder in dringenden Fällen – beispielsweise bei drohendem Tod der Stammberechtigten – kann die Ausländerbehörde der Erteilung des Visums vorab zustimmen, um das Verfahren zu beschleunigen (§ 31 Abs. 3 AufenthV). Nutzen Sie für einen entsprechenden Antrag auf Vorabzustimmung z. B. das Musterschreiben des Informationsverbunds Asyl & Migration (Stand: 2017).
- Vergabe von Sonderterminen
In humanitären oder medizinischen Notfällen, in denen das lange Warten auf einen regulären Vorsprachetermin unzumutbar ist, können Betroffene sich nach der Terminbuchung – unerheblich, ob diese über die zentrale Liste oder direkt bei der Auslandsvertretung erfolgt ist – an die Auslandsvertretung bzw. an das Familienunterstützungsprogramm der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wenden, um einen vorgezogenen Sondertermin zu beantragen, wie das DRK in seinen Fachinformationen zum Familiennachzug vom 12.12.2024 aufzeigt. Das gilt insbesondere, wenn schwere Krankheiten der nachzugswilligen Angehörigen vorliegen, die nur in Deutschland behandelt werden können, wenn eine dringende Gefahr für Leib und Leben der nachzugswilligen Angehörigen existiert oder wenn der Tod der Stammberechtigten kurz bevorsteht. Auf den Schutzstatus der Stammberechtigten kommt es hierbei nicht an. Erforderlich für den Nachweis gesundheitsbedingter Dringlichkeitsgründe sind qualifizierte ärztliche Fachgutachten, z. B. auch durch IOM Medical.
In der Vergangenheit konnten Eltern von Minderjährigen mit subsidiärem Schutz unter Verweis auf die bald eintretende Volljährigkeit des Kindes, die zum Verlust des Nachzugsrechts führt, ebenfalls Sondertermine erhalten, um eine Einreise vor dem 18. Geburtstag zu ermöglichen. Mit Weisung vom 06.11.2024 hat das Auswärtige Amt allerdings seine Vergabepraxis dahingehend geändert, dass Sondertermine nicht mehr allein aufgrund der bevorstehenden Volljährigkeit der Stammberechtigten erteilt werden.
Wie PRO ASYL in einem Artikel vom 20.11.2024 kritisiert, bedeutet diese Entscheidung angesichts der langen Wartezeiten auf einen regulären Termin, dass nachzugswillige Eltern – insbesondere von Kindern über 15 Jahren – in den meisten Fällen nicht rechtzeitig das Visumsverfahren abschließen und vor Eintritt der Volljährigkeit einreisen können.Wenn Sie unbegleitete Minderjährige mit subsidiärem Schutz bei der Familienzusammenführung unterstützen, gilt es dementsprechend zu prüfen, ob ggfs. schwerwiegende Gründe für einen Sondertermin vorliegen, die über die baldige Volljährigkeit hinausgehen – z. B., dass die Anwesenheit der Eltern für die psychische Gesundheit der Stammberechtigten dringend erforderlich ist. Grundsätzlich können gegen die Ablehnung des Antrags auf einen vorgezogenen Termin bei bevorstehender Volljährigkeit zwar Rechtsmittel eingelegt werden, entsprechende Eilanträge beim Verwaltungsgericht Berlin wurden bislang indes abgelehnt. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass Sie sich mit der Stammberechtigten an den/die Menschenrechtsbeauftragte/n der Bundesregierung wenden. Dies hat in der Vergangenheit bei einzelnen Zusammenführungsverfahren geholfen, in jedem Fall macht es auf die Problematik des Verlusts des Nachzugsrechts durch die langen Wartezeiten aufmerksam und stößt damit u. U. politische Veränderungen in diesem Bereich an.
(1) Zuständig ist grundsätzlich die deutsche Auslandsvertretung in dem Land, in dem die nachzugswilligen Personen (seit mindestens sechs Monaten) leben. Falls in dem betreffenden Staat keine Botschaft/Visastelle existiert bzw. deren Arbeit aktuell eingeschränkt ist, kann in einigen Fällen auf die Auslandsvertretungen in Nachbarländern ausgewichen werden. Die Zuständigkeiten der deutschen Botschaften/Konsulate sind in einem Verzeichnis auf der Seite des Auswärtigen Amts aufgeführt.