30.09.2020 Am 23.09. wurde von der EU-Kommission der seit längerem angekündigte Entwurf für einen „Migrationspakt“ der EU, der »New Pact on Migration and Asylum« vorgestellt.
Einer der Kerninhalte: Lager an den Außengrenzen, auch mit haftähnlichen Bedingungen. Lager wie KARA TEPE, das als Blaupause gilt.
Es fielen in Wiederholung große Worte: Humaner soll es werden, gerechter, effizienter. Von Solidarität war viel die Rede. Von Einigkeit und Gemeinschaft. Balance. Patenschaften sogar!
Doch die Werte, für die solche Worte stehen, werden pervertiert. Am krassesten in der Wortschöpfung „Rückführungspatenschaft“, anders gesagt Abschiebungspatenschaft.
"Manche Vorschläge klingen zynisch, andere hilflos", stellt Monitor fest..
Zum Inhalt fasste die Tagesschau zusammen: „Mit ihrem neuen Migrationspakt will die EU-Kommission den jahrelangen Streit unter den Mitgliedsstaaten beenden. Aber was steht in dem Papier?
Verfahren an der Grenze
Bevor ein Migrant ins Land kommt, soll der betroffene Staat nach Vorstellung der Kommission künftig an der Grenze eine Vorüberprüfung vornehmen - deutlich umfangreicher als bisher: Der Migrant wird registriert, Fingerabdrücke genommen, es gibt Gesundheits- und Sicherheitschecks. Kommen Asylsuchende aus einem Land mit einer geringer Anerkennungsrate - Tunesien oder Marokko etwa - soll es innerhalb von zwölf Wochen ein schnelles Grenzverfahren geben. Für alle anderen gilt ein "normales" Verfahren. Während der Verfahren schließt die EU-Kommission auch nicht aus, dass Migranten in geschlossenen Lagern festgehalten werden.
Umverteilung innerhalb der EU
Verpflichtende Umverteilungen von Schutzsuchenden nach Quoten auf alle EU-Länder soll es nicht geben. Stattdessen finanzielle Anreize Diese Idee hatte die EU-Staaten in den vergangenen Jahren entzweit und galt der EU-Kommission offenbar als nicht durchsetzbar.
Anstelle verpflichtender Umverteilungen hat die Kommission daher ein mehrstufiges System entwickelt. Es soll finanzielle Anreize geben: Nehmen Länder Flüchtlinge aus anderen Mitgliedstaaten auf, sollen sie aus dem EU-Budget 10.000 Euro pro Person bekommen. Bei Minderjährigen sind es 12.000 Euro.
Dublin-Verfahren
An den derzeit gültigen Dublin-Regeln hält die EU-Kommission grundsätzlich fest - passt sie aber an. Heute ist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, auf dessen Boden der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Das belastet Länder wie Italien, Griechenland oder Spanien übermäßig. Die EU-Kommission will dafür sorgen, dass andere Kriterien ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.
Wer in einem anderen Staat etwa Geschwister hat, dort früher schon mal studiert oder gearbeitet hat, soll dorthin kommen. Gleiches gilt, wenn ein Asylbewerber zuvor legal mit einem Visum in ein EU-Land gereist ist. Und auch gegen das Weiterziehen in andere EU-Staaten soll etwas unternommen werden. Dafür hatte sich Deutschland eingesetzt, das hier zu den Hauptzielländern gehört.
Seenotrettung
Hier setzt die Kommission zunächst auf freiwillige Zusagen der Mitgliedstaaten. Brüssel will zudem Empfehlungen für eine bessere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und Nichtregierungsorganisationen bei der Seenotrettung erlassen. Sie will sicherstellen, dass die Grund- und Menschenrechte von Einwanderern an der EU-Außengrenze nicht verletzt werden. Überwachen soll das unter anderem Frontex.“ (Ende Zitat Tagesschau)
Es reichen wenige Stichworte um zu verstehen: Dies wird kein Pakt für sichere Fluchtwege, für die Stärkung der Seenotrettung, für solidarische Aufnahme Schutzsuchender, für menschenwürdige Bedingungen, für die Vermeidung von Elendslagern. Dieser Pakt hat nicht die Menschen im Blick, die er betrifft. Sogar Ylva Johansson selbst spricht inzwischen von Abschreckung als Ziel des "Migrationspaktes".
Der Entwurf drückt den Willen der Seehofer, Orban, Kurz und ihrer leider viel zu vielen Gesinnungsfreunde aus, denen sich auch Frau Johanson aus dem früher so offenen und liberalen Schweden anschließt. Der Wille zur weiteren Verriegelung der Festung Europa. Zur Unterbindung derMigration. Der Wille, keine sicheren Fluchtwege zu gewähren!
Konnten wir anderes erwarten? Realistischerweise nicht. Trotzdem ist dieser Entwurf ein bedrückendes Zeugnis für die bereitwillige Übernahme der Positionen der rechten und rassistischen Kräfte in Europa. Nichts wirklich Neues bietet dieser Entwurf.
Kein Anklang von Erfahrungen, wie sie in der Erklärung #offengeht resümiert wurden. Trotz der Namensgebung keine Orientierung am UN-Migrationspakt Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration von 2018, der seinen Namen wirklich verdient und tatsächlich als ausbalanciert zwischen den verschiedenen Interessen bezeichnet werden kann. Ohne Notiz vom UN-Globalen Pakt für Flüchtlinge zu nehmen, der ebenfalls den Schutzsuchenden ihre Rechte (Menschenrechte!) zuspricht.
Nein, wir konnten von der Kommission nichts anderes erwarten, wollen aber anderes! Ich erinnere an Vorstellungen von zivilgesellschaftlicher Seite, wie sie im Berliner Aktionsplan für eine neue europäische Asylpolitik niedergelegt sind, der am 25. November 2019 anlässlich einer Europäischen Konferenz zu europäischer Asyl-und Migrationspolitik beschlossen wurde.
Dafür gilt es nun viel zu tun. Als Erstes fordert ProAsyl zur Unterschrift unter einen Appell auf, die sich an die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes richtet: Ich sage »Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager!«
Sorgen wir dafür, dass der Entwurf ein solcher bleibt und im Papierkorb der Geschichte endet!
Setzen wir uns für einen wahren Migrationspakt ein, der die Menschenrechte in den Mittelpunkt rückt! Für Seenotrettung! Für sichere Häfen! Für solidarische Aufnahme Schutzsuchender! Wir haben Platz!
UNSER EUROPA RETTET! LEAVE NO ONE BEHIND!
Susanne Rohde (als Redebeitrag bei der Mittwochsmahnwache am 30.09. vorgetragen)
Argumente:
Es lohnt ein Blick in Dokumente der letzten Jahre, die nicht so einseitig auf Abschottung setzen:
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UN-Migrationspakt Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration von 2018
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Berliner Aktionsplan für eine neue europäische Asylpolitik, anlässlich einer Europäischen Konferenz zu europäischer Asyl-und Migrationspolitik veröffentlicht, die am 25. November 2019 in Berlin stattfand.
Keine Angst vor Migration! Dazu ermutigt auch die "gemeinsame Erklärung #offengeht - Fünf Jahre nach dem Sommer der Flucht" von Juli 2020