„Gefährlicher und schäbiger Testlauf“: Dublin-Abschiebung nach Griechenland

04.08.2022 Vor einer Woche organisierte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführung (LfAR) einen Abschiebungscharterflug nach Griechenland. Wieder wurden vom  BAMF dabei bewusst Urteile von deutschen Oberverwaltungsgerichten aus dem Jahr 2021 ignoriert, die eindeutig entschieden haben: Anerkannte Schutzberechtigte aus Griechenland dürfen grundsätzlich nicht zurückgeschickt werden, weil sie dort nicht einmal ihre elementarsten Bedürfnisse wie „Bett, Brot, Seife“ befriedigen können – selbst wenn sie alleinstehend, gesund und arbeitsfähig sind

PRO ASYL und Bayerischer Flüchtlingsrat bezeichnen den Vorgang in einer Pressemitteilung vom 26.07.2022 als „gefährlichen und schäbigen Testlauf“. Wir zitieren:

Bundesamt verharmlost die dramatische Lage von Schutzsuchenden in Griechenland – Bayern organisiert die Abschiebung per Charterflug ins Elend

Heute Vormittag fand ein Abschiebungscharterflug von München nach Athen statt. An Bord der vom Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführung (LfAR) organisierten Maschine waren, nach PRO ASYL vorliegenden Informationen, neben Polizeikräften vier Schutzsuchende aus dem Jemen, Syrien und Palästina. PRO ASYL und der Bayerische Flüchtlingsrat befürchten, dass dies ein gefährlicher und schäbiger Testlauf ist, um noch mehr Menschen zurück ins Elend nach Griechenland abzuschieben. Die Organisationen kritisieren, dass das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die dramatische Lage von Schutzsuchenden in Griechenland bewusst verharmlost.

Unter den Abgeschobenen befindet sich auch ein junger Schutzsuchender aus dem Bürgerkriegsland Jemen. Der Asylantrag des jungen Mannes wurde am 16. Mai 2022 von der BAMF-Außenstelle in Bayreuth als „unzulässig“ abgelehnt – der Bescheid liegt PRO ASYL und dem Bayerischen Flüchtlingsrat vor. Der Asylsuchende hat knapp ein Jahr in Griechenland gelebt. Nachdem er dort Schutz gewährt bekommen hatte, stellten die griechischen Behörden die Sozialleistungen ein, so dass er mittellos der Obdachlosigkeit ausgeliefert war. Im März 2020 reiste er nach Deutschland, um ein erneutes Schutzgesuch zu stellen.

Der BAMF-Bescheid ist aus Sicht von PRO ASYL und dem Bayerischen Flüchtlingsrat in mehrfacher Hinsicht realitätsfern und skandalös. Im Ablehnungsbescheid heißt zum Beispiel:

„Die Lebensbedingungen von international Schutzberechtigten sind ausreichend.“ (Seite 3)

„Die Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland hat sich insgesamt im Vergleich zu den vorherigen Jahren verbessert.“ (Seite 6)

Die Darstellung des Bundeamtes steht im krassen Gegensatz zur Verelendung von Schutzsuchenden in Griechenland und den eigenen internen Einschätzungen des BAMF und des Bundesinnenministeriums. Das BAMF ignoriert dabei bewusst Urteile von deutschen Oberverwaltungsgerichten aus dem Jahr 2021, die eindeutig entschieden haben: Anerkannte Schutzberechtigte aus Griechenland dürfen grundsätzlich nicht zurückgeschickt werden, weil sie dort nicht einmal ihre elementarsten Bedürfnisse wie „Bett, Brot, Seife“ befriedigen können – selbst wenn sie alleinstehend, gesund und arbeitsfähig sind (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 21. Januar 2021; OVG Niedersachsen, Urteile vom 19. April 2021).

Hintergrund:

Aufgrund der katastrophalen Zustände in Griechenland, die PRO ASYL und seine griechische Partnerorganisation Refugee Support Aegean (RSA) fortlaufend dokumentieren und anprangern, fliehen viele Schutzsuchende nach ihrer Anerkennung in Griechenland weiter in andere europäische Länder – darunter auch nach Deutschland. Die deutsche Rechtsprechung ist sich seit letztem Jahr weitgehend einig, dass die Menschen nicht ins Elend nach Griechenland zurückgeschickt werden dürfen.

Seit Dezember 2019 hat das BAMF Asylanträge von Asylsuchenden, die bereits in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt wurden oder subsidiären Schutz erhalten haben, liegen gelassen und nicht weiter bearbeitet. Insgesamt hat sich bei den sogenannten Anerkannten aus Griechenland durch diesen Entscheidungsstopp ein Rückstau von knapp 50.000 nicht bearbeiteten Asylanträgen gebildet. Bei der mit Abstand größten Gruppe dieser Menschen handelt es sich um Syrer*innen, gefolgt von Geflüchteten aus Afghanistan und dem Irak.

In einem aktuellen Rundschreiben informiert das BAMF die Gerichte, dass „seit 1. April 2022 die Entscheidungstätigkeit in diesen Verfahren wieder aufgenommen [wurde]“. Neben „sicherheitsrelevanten“ Fällen sollen zunächst Anträge von vulnerablen oder besonders schutzbedürftigen Menschen bearbeitet werden. Auf Nachfrage von PRO ASYL teilte das BAMF mit, dass bei diesen Fällen „im Regelfall eine inhaltliche Prüfung der Asylanträge“ erfolgen werde, auch wenn „Unzulässigkeitsentscheidungen in begründbaren Einzelfällen […] nicht ausgeschlossen“ seien. Im Klartext: Die Asylanträge sollen in aller Regel nicht als unzulässig abgelehnt werden. Abschiebungen nach Griechenland wären damit vom Tisch. Der heutige Abschiebeflug könnte jedoch ein gefährlicher Einstieg in verstärkte Abschiebungen nach Griechenland darstellen, und zwar um jeden menschenrechtlichen Preis.