Gewalt und Missbrauch von Kindern auf der der Flucht - Forderung nach Schutz

14.09.2022 Die NGO Save the Children legte jetzt einen Report vor, mit dem sie über Gewalt und Missbrauch von Kindern berichtet, die sich auf den Fluchtwegen der Balkanroute befinden. Save the Children fordert dagegen den Schutz der Kinder und Jugendlichen. Ihre Konsequenz: "Die Europäische Union und die Regierungen müssen unverzüglich handeln. Sie sollten Kindern auf der Flucht den Zugang zu sicheren, geregelten und legalen Migrationsrouten ermöglichen, damit sie nicht länger den in diesem Bericht dokumentierten Torturen ausgesetzt sind."

Geflüchtete Kinder auf der Balkanroute erleben täglich Gewalt und Missbrauch

Triggerwarnung: Der Text beinhaltet Gewaltsschilderungen an Kindern und kann verstörend oder retraumatisierend sein.

Schläge, sexueller Missbrauch und Ausbeutung: Geflüchtete Kinder auf der Balkanroute sind erschreckend häufig mit Gewalt durch Erwachsene konfrontiert. Auf ihrer Reise durch den Balkan sind sie Polizisten, Menschenschmugglern und anderen fremden Personen schutzlos ausgeliefert. Maßgebliche Ursache für diesen unmenschlichen Umgang ist die von der EU und den Ländern der Region verfolgte Abschreckungs- und Abschottungspolitik gegenüber Geflüchteten.

Kinder, darunter Tausende unbegleitet, machen etwa ein Drittel aller in Europa ankommenden Flüchtlinge und Migranten aus. Ein erheblicher Prozentsatz dieser Kinder kommt über die Balkanroute und reist durch Länder wie Griechenland, Bulgarien, Serbien sowie Bosnien und Herzegowina. Allein im Jahr 2015 durchquerten etwa eine halbe Million Flüchtlinge und andere Migrierende die Länder der Balkanroute.

Für den Report „Wherever we go, someone does us harm“ („Wo wir auch hingehen, tut uns jemand Gewalt an“) wurden in Bosnien-Herzegowina und Serbien 48 Kinder im Alter von 13 bis 19 Jahren ausführlich interviewt. Im Schnitt waren die befragten Kinder bereits seit vier Jahren unterwegs.

Gewalt und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung

Die häufigste Gewalt, von der die Kinder berichteten, war physische Gewalt durch Grenzpolizisten. Dies geschah entlang der gesamten Balkanroute, am häufigsten bei den Versuchen, informelle Grenzübergänge zu überqueren, um dann in sogenannten "Pushbacks" gewaltsam zurückgewiesen zu werden. Die befragten Kinder beschreiben, dass sie nackt ausgezogen wurden, in der Kälte stehen mussten und Elektroschocks und Stockschläge erhielten, die zu schweren körperlichen Verletzungen wie Knochenbrüchen oder schweren Prellungen führten. Auch durch Schmuggler erfuhren viele der Kinder Gewalt.

Fast zwei Drittel der Kinder gaben zudem an, sexuellen Missbrauch eines Kindes in ihrer unmittelbaren Umgebung erkannt oder miterlebt zu haben.  Schmuggler bestachen sie im Gegenzug für sexuelle Dienste mit Geld, Schutz oder einem "kostenlosen" Passierschein über die Grenze. Diese Praxis ist, den Berichten der Kinder zufolge, auf der Balkanroute weit verbreitet. Unbegleitete Minderjährige, insbesondere allein reisende Jungen, sind dabei besonders gefährdet.

Für diese Kinder ist Gewalt alltäglich, sowohl in ihren Herkunftsländern als auch auf ihrer Flucht und in den Transitländern – und zwar alle Formen von Gewalt. Diese Erlebnisse können ihre Entwicklung dauerhaft beeinträchtigen und sich auch negativ auf ihre Fähigkeit zur Integration in den Aufnahmeländern auswirken. - Bogdan Krasic, Leiter des Balkanbüros für Migration und Vertreibung von Save the Children

Keine Möglichkeit der Bewältigung

Hilflos und ohne jede Möglichkeit das Erlebte zu verarbeiten, kompensieren viele Kinder und Jugendliche ihren Stress mit Alkohol und Drogen. Auch gibt es erschreckend viele Fälle von Selbstverletzungen bis hin zu versuchten Selbsttötungen.

Derart einschneidende und negative Erfahrungen in der frühen und mittleren Kindheit und Jugend sind in der Regel mit langfristigen psychischen und physischen Gesundheitsstörungen und Beeinträchtigungen der kognitiven, emotionalen und sozialen Funktionen verbunden.

Das Recht auf Schutz

Wir fordern die EU auf, sichzuerstellen, dass alle Maßnahmen im Zusammenhang mit der Grenzsicherung mit den Menschenrechten und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung im Einklang stehen. Kinder und ihre Familien müssen Zugang zu Asylverfahren haben, die auf ihren individuellen Schutzbedürfnissen basieren. Für Kinder auf der Flucht muss der Zugang zu sicheren und legalen Migrationswegen sichergestellt werden, damit sie nicht von Schleppern abhängig sind oder zu Kinderarbeit gezwungen werden.

Weil sich Europa auf die Abschreckung von Ankommenden konzentriert, sind Kinder schockierender Gewalt durch Polizei und Grenzschutz ausgesetzt - Gewalt, die ungestraft bleibt. Die Europäische Union und die Regierungen müssen unverzüglich handeln. Sie sollten Kindern auf der Flucht den Zugang zu sicheren, geregelten und legalen Migrationsrouten ermöglichen, damit sie nicht länger den in diesem Bericht dokumentierten Torturen ausgesetzt sind. Ylva Sperling, Direktorin von Save the Children Europe