17.02.2024 Zur Forderung nach wöchentlicher Abschiebung, dem Abschiebeflug in den Irak, zur Planung weiterer Abschiebegefängnisse nach meiner Meinung Medienberichte - hier im Überblick Weniger Straftäter in den Irak abgeschoben, 50 Menschen an Bord Regierung schickt Abschiebeflug in den Irak, Neue Abschiebeflüge nach Afghanistan?, Land plant Neubau in Mönchengladbach Abschiebegefängnis kommt ins JHQ, Neue Abschiebungshafteinrichtung in Mönchengladbach, Illegale Einreisen und Zurückweisungen, Zurückweisungen an der Grenze - Merz will EU-Recht ignorieren, Regeln für Zurückweisungen und Abschiebungen
Meinung: Zweifellos sind wir alle sehr betroffen von den gehäuften Anschlägen der jüngsten Zeit, und wir trauern um die Opfer. Mir geht es so wie vielen.
Doch gleichzeitig bin ich empört über die (vor)schnellen Äußerungen der Politiker*innen, deren Reaktion der wiederholte Ruf nach Abschiebung und Abschottung ist. Jetzt im ganz auf Migration populistisch zugespitzten Wahlkampf läuft es offenbar vor allem darum, die Konkurrenz zu übertrumpfen. Mit kühlem Kopf kann niemand davon ausgehen, dass Abschiebungen (auch nicht wöchentliche) und Abschottung (auch nicht durch geschlossene Grenzen) vor weiteren Anschlägen schützen.
Nicht zuletzt durch die auf die Anschläge fokussierte Berichterstattung sind Angst und das Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen im Land gesteigert worden. Doch vergessen wir nicht, dass gerade auch Migrant*innen und Schutzsuchende nun verstärkt in Angst leben: die aus Afghanistan stammenden, die nun unter Generalverdacht stehen oder die aus Syrien, denen dringend nahegelegt wurde, sofort nach Syrien zurückzukehren, vor allem aber diejenigen, auf die "ausreisepflichtig" zutrifft, was aus dem Munde populistischer Politiker*innen fast schon wie "kriminell" klingt.
So hören wir jetzt das laute Nachdenken über Verhandlungen mit den Taliban, um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen, wir lesen über den verstärkten Bau von Abschiebegefängnissen, über Sammelabschiebungen und angstmachende Briefe des BAMF, die Dublin-Betroffene vertreiben sollen. Werte wie Menschenwürde, Humanität und Solidarität haben einen schweren Stand...
Im Folgenden Medienbeiträge der letzten Tage:
aktualisiert 20.2.2025:
- dpa in SZ: Weniger Straftäter in den Irak abgeschoben ... war irrtümlich die Zahl der Menschen, die aus Abschiebungshaft abgeschoben wurden, mit der Zahl der Straftäter gleichgesetzt worden. „Es ist aber so, dass nicht alle Menschen, die in Abschiebungshaft sind, per se auch Straftäter sind“, sagte der Sprecher [des niedersächsischen Innenministeriums.
... Bei dem Abschiebeflug aus Niedersachsen in den Irak sind weniger Straftäter abgeschoben worden, als das Land zunächst mitgeteilt hat. Von den 16 Männern, die aus Niedersachsen kamen, waren lediglich 7 Straftäter, nicht 9, wie ein Sprecher des Innenministeriums mitteilte.
Am Montag war demnach irrtümlich die Zahl der Menschen, die aus Abschiebungshaft abgeschoben wurden, mit der Zahl der Straftäter gleichgesetzt worden. „Es ist aber so, dass nicht alle Menschen, die in Abschiebungshaft sind, per se auch Straftäter sind“, sagte der Sprecher. Die Abschiebungshaft komme auch infrage, wenn ein Richter die Gefahr sehe, dass sich der Mensch der Abschiebung entziehen könnte.
Zu den Straftaten, die die abgeschobenen Iraker begangen haben, machte das Ministerium auf Nachfrage keine Angaben...
- Bericht von t-online: 50 Menschen an Bord Regierung schickt Abschiebeflug in den Irak
Am Montagmorgen startete ein Abschiebeflug vom Flughafen Hannover in Richtung Irak. Es gab Proteste.
Ein Abschiebeflug ist am Montagmorgen vom Airport Hannover mit Ziel Irak gestartet. Der Charterflug von Freebird Airlines hätte eigentlich um 8 Uhr abheben soll, startete dem Tracking-Portal Flightradar zufolge aber erst um 9.18 Uhr. An Bord befanden sich 47 Menschen aus elf Bundesländern, deren Asylanträge abgelehnt worden waren, heißt es vom niedersächsischen Innenministerium. 16 von ihnen kamen demnach aus Niedersachsen.
Vor dem Flughafen fanden sich laut einem Reporter vor Ort einige Demonstranten ein, die gegen die Abschiebung protestierten. Sie hielten unter anderem Banner mit den Worten "Stop Deportation" hoch.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hatte zu dem Protest aufgerufen. Denn an Bord der Chartermaschine sollen sich auch Menschen befunden haben, die in Deutschland gut integriert waren, einer Arbeit nachgegangen sind. "Das sind keine Straftäter, sondern ganz normale Menschen", so Oda Becker vom Netzwerk gegen Abschiebung Hannover im Gespräch mit dem Reporter vor Ort.
Abschiebeflug: 30-Jähriger aus Hannover an Bord
Laut Angaben des Flüchtlingsrates war einer der Menschen an Bord der Jeside Badi Juki S. (Name wurde geändert). Der 30-Jährige war aus der Region Shingal geflüchtet, in der sich 2014 der Genozid an den Jesiden durch den IS ereignete.
"Der Genozid hat auch bei Badi Juki S. und seiner Familie unheilbare Wunden hinterlassen", sagt Simon Wittekindt vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Er kritisiert, dass der 30-Jährige in ein Land abgeschoben wird, in dem das Leben aller Jesiden nach wie vor von Islamisten bedroht sei. "In ein Land, in dem auch zehn Jahre nach dem Genozid zehntausende Jesiden gezwungen sind, in unterversorgten Flüchtlingslagern im Elend zu leben, ohne dass sie auch nur den Hauch einer Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben haben." Seit der Zerschlagung des IS sei das Land politisch, konfessionell und territorial tief gespalten.
Der Verein schildert, dass ein Teil der Familie von Badi Juki S. im Genozid 2014 durch den IS ermordet wurde. Viele seiner Familienangehörigen leben heute in Hannover. Einer seiner Brüder hat mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit. S. beantragte 2019 Asyl in Deutschland – erfolglos. Straftaten soll der junge Mann nicht begangen haben.
... Abschiebeflüge in den Irak gibt es regelmäßig. Im vergangenen Jahr schob Deutschland insgesamt 699 Menschen dorthin ab.
- 16.02.2025 Tagesschau Neue Abschiebeflüge nach Afghanistan?
Welche Konsequenzen folgen auf den Anschlag von München? Politiker von Union und SPD sprechen sich für weitere Abschiebeflüge nach Afghanistan aus. Von dort kam auch der Täter. Doch einfach werden die Gespräche mit den Taliban nicht.
Lediglich einen Abschiebeflug nach Afghanistan hat es in der jüngeren Vergangenheit gegeben. Nach dem Anschlag von München, den ein 24-jähriger Afghane am Donnerstag begangen hatte, werden nun Forderungen nach weiteren Flügen laut.
In der Bild am Sonntag fordert CSU-Chef Markus Söder wöchentliche Abschiebeflüge nach Afghanistan. Dies müsse die Bundesregierung mit den dort herrschenden Taliban verabreden "und die Interessen unseres Landes zuvorderst vertreten". Söder verwies auf die Anschläge von Aschaffenburg und München, die nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden beide von Afghanen begangen wurden. Söder forderte zudem einen Einreisestopp für Menschen aus Afghanistan und ein Aussetzen der Visa-Vergabe an diese. "Es reicht. Deutschland braucht einen Afghanistan-Sofortplan", sagte der bayerische Ministerpräsident. Allein in Bayern befänden sich fast 2.000 ausreisepflichtige Afghanen, knapp 200 davon seien schwere Straftäter.
Auch SPD will Abschiebeflüge
Auch der stellvertretende SPD-Fraktionschef Dirk Wiese pocht auf Abschiebeflüge. "Es muss unser Ziel sein, Direktflüge nach Afghanistan zur Rückführung ausreisepflichtiger Asylbewerber zu ermöglichen", sagte er dem Magazin Stern. Das bedeute Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern in Afghanistan. Innenministerin Nancy Faeser hatte gesagt, dass die Abschiebungen nach Afghanistan weitergehen würden.
Auch der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sprach sich für härtere Maßnahmen aus. Mit Blick auf die Anschläge in Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München sagte er: "Fünf Einzelfälle in neun Monaten sind nicht tolerierbar - die Migrationspolitik der letzten zehn Jahre muss auf den Prüfstand", erklärte Woidke. "Wir brauchen eine schnellere und konsequente Abschiebung von Menschen, die eine Gefahr für andere darstellen." ...
- 18.01.2025 Rheinische Post: Land plant Neubau in Mönchengladbach Abschiebegefängnis kommt ins JHQ – „irgendwo müssen solche Einrichtungen nun mal stehen“
Die Pläne für das frühere Nato-Hauptquartier haben sich in Teilen geändert. Das Land will dort nun eine Haftanstalt für Ausreisepflichtige bauen – auch als Reaktion auf das Attentat von Solingen. Die Stadt Mönchengladbach ist in die ...
- Februar 2025 aus Newsletter des Flüchtlingsrates NRW, S. 7ff: Neue Abschiebungshafteinrichtung in Mönchengladbach
In einer Pressemitteilung vom 17.01.2025 teilt die Landesregierung Nordrhein-Westfalen mit,
dass auf einem ehemaligen Militärgelände in Mönchengladbach eine sogenannte Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) zum Vollzug von Abschiebungshaft für bis zu 140 ausreisepflichtige Personen geplant werde. Die Festsetzung von ausreisepflichtigen Schutzsu-
chende in einer Abschiebungshafteinrichtung sei etwa bei Fluchtgefahr notwendig. „Dies steht aber in jedem Fall unter Richtervorbehalt und findet erst Anwendung, wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen“, erklärt Josefine Paul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration. Die geplante UfA in Mönchengladbach wäre neben der UfA in Büren (Kreis Paderborn), die mit 175 Plätzen die größte Abschiebungshafteinrichtung in Deutschland ist, die zweite entsprechende Einrichtung in NRW.
Der Bau der Abschiebungshafteinrichtung wurde vom Land NRW am 10.09.2024 im Rahmen des Maßnahmenpakets zu „Sicherheit, Migration, Prävention“ beschlossen. Das Maßnahmenpaket stelle eine Reaktion auf den islamistisch motivierten Terroranschlag von Solingen am 23.08.2024 dar, erklärt die Landesregierung NRW in einer Pressemitteilung vom 11.09.2024. Die Migrationspolitik des Landes NRW folge dem Leitbild „Ordnung, Steuerung, Begrenzung und Humanität“. Die Landesregierung setze in ihrem Maßnahmenpaket auf beschleunigte Asylverfahren und verstärkte Abschiebungen. Sie führt aus, dass die getroffenen Maßnahmen, insbesondere die „konsequente Anwendung von Ausreisegewahrsam“, künftig den Bedarf für die zweite bschiebungshafteinrichtung erhöhen würden.
Die Pläne für die zweite Abschiebungshafteinrichtung stoßen bei flüchtlingssolidarischen Initiativen auf massive Kritik. Der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. lehnt in einer Pressemitteilung vom 20.01.2025 den Bau der Anstalt entschieden ab. Für Pressesprecher Frank Gockel ist der Ausbau neuer Kapazitäten für die Abschiebungshaft alarmierend. Bestehende Einrichtungen wie in Büren seien bisher noch nicht ausgelastet. Die durchschnittliche Belegung der Abschiebungshafteinrichtung in Büren im Jahr 2024 habe bei unter 100 Gefangenen pro Tag gelegen. Er betont, dass viele Untergebrachte nach den geltenden Gesetzen zu Unrecht inhaftiert seien. Die Kosten für den Bau der Abschiebungshaftanstalt, die sich auf 300 Millionen Euro belaufen würden, sieht der Verein ebenfalls kritisch und erklärt: „Dieses Geld hätte an anderer Stelle besser investiert werden können, etwa in die Förderung im sozialen Bereich wie Jugendeinrichtungen, Ausbau von Kindergartenstätten oder Flüchtlingsberatungsdiensten“. Gockel betrachte die Pläne als ein „deutliches Signal, dass es nicht um notwendige Kapazitäten geht, sondern um politisches Kalkül“. Auch der Zeitpunkt der Bekanntgabe, ein Monat vor der Bundestagswahl, verstärke den Eindruck von Populismus.
Das Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern – in Düsseldorf und überall“ kritisiert in einem Beitrag vom 26.01.2025 ebenfalls das Vorhaben als populistisch. Der Anschlag in Solingen werde als Vorwand genutzt: „Abschiebehaft, das Einsperren unschuldiger Menschen nur um sie des Landes zu verweisen, hätte diese Tat nicht verhindert“. Abschiebungen und die Inhaftierung von ausreisepflichten Schutzsuchenden sind laut der Initiative keine angemessenen Mittel zur Kriminalitätsprävention. Es sei gefährlich, die Ausweitung von Abschiebungen als einen adäquaten Lösungsansatz zur Verhinderung von Taten wie der in Solingen zu präsentieren. Somit würden rechte Ideen in das Landesparlament in NRW gelangen, die von Parteien der sogenannten Mitte umgesetzt würden. Dies würde dazu beitragen, dass Schutzsuchende vermehrt unter Generalverdacht gestellt und „unschuldig in (Abschiebungs-)Haft genommen“ werden.
- 03.01.2025 Bundestag / Presse / Kurzmeldungen Inneres und Heimat — Kleine Anfrage — hib 8/2025 Illegale Einreisen und Zurückweisungen
Berlin: (hib/PK) Die Asylpolitik und Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen sind Thema einer Kleinen Anfrage (20/14387) der Gruppe Die Linke. Die Antwort der Bundesregierung auf eine vorherige Kleine Anfrage belege einen deutlichen Anstieg der Zurückweisungen von bei der unerlaubten Einreise festgestellten Personen. Im ersten Halbjahr 2024 seien mehr als die Hälfte (51,2 Prozent) von ihnen zurückgewiesen worden, im Jahr 2023 seien es noch 27,9 Prozent gewesen. Die unmittelbare Zurückweisung von Schutzsuchenden im Rahmen von Binnengrenzkontrollen sei rechtlich aber nur in wenigen Konstellationen möglich.
Die Abgeordneten wollen von der Bundesregierung wissen, wie viele unerlaubte Einreisen im zweiten Halbjahr 2024 an den deutschen Grenzen festgestellt wurden, in wie vielen dieser Fälle ein Asylgesuch registriert worden ist und wie viele Zurückweisungen es gab.
- 29.01.2025 Legal Tribune Online: Analyse Zurückweisungen an der Grenze Merz will EU-Recht ignorieren
Die CDU/CSU will asylsuchende Flüchtlinge an der deutschen Grenze generell zurückweisen. Sie will entgegenstehendes EU-Recht nicht anwenden und argumentiert mit dem ordre public. Christian Rath hält die Argumente nicht für überzeugend.
Einfach keine Flüchtlinge mehr reinlassen. Das ist der Kern der migrationspolitischen Offensive von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. In der Bevölkerung kommt das gut an, nachdem ein afghanischer Flüchtling vorige Woche in Aschaffenburg eine Kindergartengruppe angriff und zwei Menschen tötete. In einer aktuellen Umfrage stützen 66 Prozent der Befragten den Merz-Plan, auch eine Mehrheit der SPD-Wähler:innen.
Noch in dieser Woche soll im Bundestag über migrationspolitische Resolutionen und Gesetzentwürfe der CDU/CSU-Fraktion abgestimmt werden. Eine knappe Mehrheit von CDU/CSU, AfD, FDP, BSW und einigen fraktionslosen Abgeordneten ist möglich.
Eine zentrale Forderung dabei ist die generelle Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze. Die Forderung war schon Teil des CDU/CSU-Wahlprogramms, hat nach Aschaffenburg aber noch größere Bedeutung erhalten, vor allem weil Merz angekündigt hat, dass er hier keinerlei Kompromisse machen wird.
Wie Dublin (nicht) funktioniert
In der EU hat jeder Flüchtling Anspruch auf Prüfung seines Asylgesuchs. Welcher Staat konkret zuständig ist, regelt die Dublin-III-Verordnung (VO). Danach ist in der Regel der EU-Staat für die Prüfung verantwortlich, in dem der Flüchtling ankam. Das sind vor allem die EU-Staaten an den Außengrenzen, also z.B. Italien, Griechenland, Bulgarien. Deutschland in der Mitte der EU ist demnach eigentlich fast nie für Asylverfahren zuständig.
Natürlich finden die Staaten an den EU-Außengrenzen die Lastenverteilung grob ungerecht. Sie versuchen deshalb, die Dublin-Regeln zu unterlaufen, indem sie ankommende Flüchtlinge oft nicht registrieren und bei der Rückübernahme wenig kooperieren oder sich (wie Italien seit zwei Jahren) generell weigern, Flüchtlinge zurückzunehmen.
Wenn Flüchtlinge nach Norden weiterwandern, etwa nach Deutschland, haben sie zwar keinen Anspruch auf ein Asylverfahren. Sie dürfen nach der Dublin-III-Verordnung dennoch nicht zurückgewiesen werden, weil nun festgestellt werden muss, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Wenn etwa Bulgarien als zuständiger EU-Staat identifiziert wird, muss eine Rücküberstellung nach Bulgarien organisiert werden. Wenn diese binnen sechs Monaten nicht gelingt, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über.
Nur weil diese Dublin-Rücküberstellungen in der Regel nicht gelingen, hat Deutschland überhaupt hunderttausende Asylverfahren pro Jahr. Wenn die Flüchtlinge dann als asylberechtigt anerkannt werden, haben sie ein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Wenn der Asylantrag abgelehnt wird, müssten die Flüchtlinge zwar ins Herkunftsland ausreisen, was sie in der Regel aber verweigern. Und da auch Abschiebungen sehr häufig scheitern, weil die Migrant:innen und die Herkunftsstaaten nicht kooperieren, bleiben auch abgelehnte Asylsuchende überwiegend in Deutschland.
Insofern ist es zumindest nachvollziehbar, warum die CDU/CSU schon die Einreise von Flüchtlingen verhindern will.
Zurückweisung nach § 18 AsylG
Nach Ansicht der CDU/CSU ist das rechtliche Instrumentarium für Zurückweisungen an den Grenzen bereits vorhanden. Sie verweist gern auf § 18 Asylgesetz (AsylG). Dort heißt es ausdrücklich: Dem Ausländer, der um Asyl nachsucht, "ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist". Da Deutschland von EU-Staaten und der Schweiz umgeben ist, die alle als sichere Drittstaaten gelten, könnten alle Flüchtlinge abgewiesen werden, so die Norm.
Dies lässt sich sogar dem Grundgesetz (GG) entnehmen. Seit 1993 heißt es in Art. 16a Abs. 2 GG: Auf das Grundrecht auf Asyl kann sich nicht berufen, wer aus einem EU-Staat oder einem sicheren Drittstaat einreist.
Nach dieser Logik fehlt es nur an einem entsprechenden Befehl an die Bundespolizei, die Rechtslage umzusetzen. Ein neuer Innenminister der CDU/CSU könnte diesen Befehl sofort geben. Dementsprechend hat die CDU/CSU bisher keine Gesetzesänderung gefordert, um Zurückweisungen an der Grenze durchzusetzen. Im Gesetzentwurf für ein Zustrombegrenzungsgesetz von September 2024 hieß es noch ausdrücklich: "Grenzkontrollen und Zurückweisungen sind auf Basis des geltenden Rechts bereits möglich, sodass insofern keine gesetzlichen Änderungen erforderlich sind."
Nun aber findet es die CDU/CSU-Fraktion doch plakativer, das Asylgesetz ausdrücklich zu ändern. In § 18 AsylG soll der Passus "Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern" durch die Worte "durch Zurückweisung an der Grenze" ergänzt werden. Dies hätte aber wohl selbst aus Sicht der CDU/CSU nur deklaratorischen Charakter.
§ 18 AsylG wird durch EU-Recht überlagert
Vor allem aber würde die geplante Ergänzung des Asylgesetzes nichts daran ändern, dass § 18 AsylG durch die Regelungen der Dublin-III-VO überlagert wird. Zurückweisungen an der Grenze sind rechtswidrig, weil sie gegen die Dublin-III-VO der EU verstoßen.
Danach ist bei Stellung eines Asylantrags gem. Art 20 Abs. 1 der VO zunächst das "Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats" einzuleiten. Dies ist auch keine bloße Förmelei. Wenn Italien, Griechenland oder Bulgarien der zuständige Mitgliedstaat ist, dann ist eine Zurückweisung an der Grenze nach Österreich nicht naheliegend.
Der Vorrang der Dublin-III-VO ergibt sich schon aus dem allgemeinen Vorrang des EU-Rechts, ohne den die EU als Rechtsgemeinschaft nicht funktionieren würde. Der Vorrang gilt grundsätzlich auch gegenüber den nationalen Verfassungen. Zudem enthält das deutsche AsylG in § 18 Abs. 4 eine ausdrückliche Vorrangklausel für EU-Recht.
Dass das deutsche Recht hier vom EU-Recht verdrängt wird, erkennt im Prinzip auch Friedrich Merz an. Bei den Zurückweisungen an der Grenze soll das aber nicht mehr gelten, weil das EU-Recht "dysfunktional" geworden sei und es deshalb notwendig sei, vom "Recht auf Vorrang des nationalen Rechts" Gebrauch zu machen. Dieses Recht gibt es nicht, jedenfalls nicht als allgemeines Rechtsprinzip. Es gilt der Vorrang des EU-Rechts. Ob es Ausnahmen zum Schutz der deutschen Verfassungsidentität gibt, ist umstritten.
Bedrohung der nationalen Sicherheit – der ordre public-Vorbehalt
Inzwischen hat die CDU/CSU klargestellt, dass sie sich bei den Zurückweisungen nicht auf eine neue Vorrang-Theorie beruft, sondern mit Art. 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) argumentiert. Danach kann EU-Recht ignoriert werden, wenn die nationale Sicherheit und Ordnung bedroht ist, der sogenannte ordre public-Vorbehalt.
Ob ein Staat von diesem Vorbehalt Gebrauch machen kann, entscheidet aber nicht der Staat allein, sondern letztlich der Europäische Gerichtshof (EuGH), der in dieser Frage recht restriktiv ist. So gab es schon einige Versuche von EU-Staaten (insbesondere Ungarn), sich auf Art. 72 AEUV zu berufen, wenn sie EU-Recht nicht einhalten wollten. Und noch kein einziges Mal hat der EuGH das akzeptiert.
Dass Deutschland derzeit in einer asylpolitischen Notlage steckt, ist jedenfalls eine wenig erfolgversprechende Argumentation. So wurden 2024 in Deutschland zwar rund 225.000 Asylanträge gestellt, das sind aber über 30 Prozent weniger als im Jahr davor. Natürlich kann man auch versuchen, sich auf eine Erschöpfung der Integrations-Kapazitäten zu berufen. Dass diese angespannt sind, ist offensichtlich. Aber ein echter Notstand wird sich auch hiermit kaum belegen lassen.
Ungeeignet ist vor allem aber der Gesichtspunkt, der in der aktuellen Diskussion im Mittelpunkt zu stehen scheint: dass mehrere Flüchtlinge in den letzten Monaten fürchterliche Morde begangen haben, insbesondere in Solingen, Magdeburg und jetzt in Aschaffenburg. Auch schlimme Straftaten sind jedoch keine nationale Notlage. Vor allem legen sie nicht nahe, nun überhaupt keine Flüchtlinge mehr nach Deutschland zu lassen. Denn die allermeisten Flüchtlinge sind friedliche Leute.
Die Notlagen-Argumentation der CDU/CSU ist also eher dünn. Vielleicht ist sie nur ein Feigenblatt für den Unwillen, sich hier weiter an EU-Recht zu halten. Merz' Wunsch nach einem "Recht auf Vorrang des nationalen Rechts" war da vermutlich ziemlich ehrlich.
Dysfunktionales EU-Recht?
Als zweites Argument wird von der CDU/CSU angeführt, das Dublin-Recht sei inzwischen so dysfunktional, dass niemand sich mehr daranhalten müsse. Dass das Dublin-System nicht richtig funktioniert, ist allgemein bekannt. Allerdings gibt es im EU-Recht keine Möglichkeit, nach dem Prinzip "Auge um Auge" bestimmte Rechtsvorschriften zu missachten, weil andere ihre Pflichten aus dem gleichen Rechtsakt nicht einhalten.
Der naheliegendste Weg wäre, das dysfunktionale Recht zu ändern. Da es sich bei der Dublin-III-VO um EU-Sekundärrecht handelt, ist keine Einstimmigkeit erforderlich wie bei Vertragsänderungen. Allerdings hat die EU im letzten Jahr bereits eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen, die 2026 in Kraft treten soll. Teil des GEAS ist die neue Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung, in der die Dublin-Grundgedanken aber erhalten bleiben. Für die Asylverfahren bleiben vor allem die EU-Staaten an den Außengrenzen zuständig. Zwar ist bei Überlastung einzelner Staaten eine Umverteilung von jährlich 30.000 bis 40.000 Flüchtlingen in andere EU-Staaten vorgesehen. Bei rund einer Million Asylanträgen in der EU im Jahr 2024 ist das allerdings nur ein eher symbolisches Zugeständnis.
Angesichts der jahrelangen Verhandlung ist eher nicht damit zu rechnen, dass die anderen Staaten nach einem Merz-Wahlsieg zu Neuverhandlungen bereit sind. Ohne gerechte Lastenverteilung werden die Zuständigkeitsregelungen im neuen GEAS aber wohl genauso missachtet werden wie bisher.
Klagen sind möglich
Wenn politische Änderungen unwahrscheinlich sind, so könnte Deutschland zumindest die Staaten, die sich am wenigsten an die Dublin-Regeln halten, beim EuGH verklagen. Jeder Mitgliedstaat kann dort ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten (vor allem wenn die EU-Kommission ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge - wie im Asylrecht üblich - nicht ernst nimmt). Dies mag zwar ein Affront gegenüber den betroffenen anderen EU-Staaten sein, aber es wäre ein geringerer Affront, als einfach Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen.
Und natürlich könnte Deutschland auch zuerst die eigenen Hausaufgaben machen, bevor es das EU-Recht für dysfunktional erklärt. Nicht jede Rücküberstellung scheitert an der Renitenz des Zielstaats. Der afghanische Attentäter von Aschaffenburg hätte zum Beispiel durchaus nach Bulgarien überstellt werden können. Hier brauchten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die bayerischen Ausländerbehörden einfach zu lange, so dass die Sechsmonatsfrist ablief.
Schließlich ist aber auch zu fragen, ob die faktische Lastenteilung wirklich so dysfunktional ist, wie die CDU/CSU nun glauben machen will. Wenn von rund einer Million Asylanträgen in der EU (2024) rund 225.000 in Deutschland gestellt werden, wirkt das nicht völlig unverhältnismäßig. Angesichts von Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl würde wohl auch bei einer ausgehandelten fairen Lastenverteilung ein ähnlicher Anteil herauskommen. Die Vorstellung der CDU/CSU, dass Deutschland von einer Million Asylanträgen möglichst keinen einzigen abbekommen soll, wirkt eher weltfremd und unsolidarisch. Sie dürfte deshalb in Europa nach hinten losgehen.
Ignoranz gegenüber Gerichten?
Wenn Merz sehenden Auges eine rechtswidrige Maßnahme durchsetzt, gefährdet dies auch den Rechtsstaat und seine Akzeptanz in der Bevölkerung.
Denn vermutlich werden zurückgewiesene Flüchtlinge unter Anleitung deutscher NGOs wie Pro Asyl gegen die Zurückweisung klagen. Die deutschen Verwaltungsgerichte können dann einerseits einstweilige Anordnungen erlassen, die den jeweiligen Flüchtlingen eine Einreise ermöglichen.
Zugleich können sie den Fall dem EuGH vorlegen, so dass dieser ggf. im Eilverfahren schon nach wenigen Monaten entscheiden kann, ob die deutsche Berufung auf eine Notlage gem. Art. 72 AEUV trägt oder die Zurückweisungen rechtswidrig sind.
Was würde Merz tun, wenn die Gerichte Zurückweisungen für rechtswidrig erklären? Will er die Gerichtsurteile ignorieren, weil sie auch "dysfunktional" sind? Wird er eine Kampagne gegen die Gerichte und die Richter starten, wie Polen unter der PIS-Regierung? Wird er versuchen, den Rechtsschutz für bestimmte Maßnahmen auszuhöhlen?
Die Fragen zeigen, welche Brisanz das Vorgehen der CDU/CSU in sich trägt. Wer illegale Maßnahmen propagiert, nimmt Konflikte mit der Justiz in Kauf, die schnell eine explosive Wucht entfalten können. Die CDU/CSU spielt mit dem Feuer.
- 28.01.2025 Migazin - Mediendienst Integration: Regeln für Zurückweisungen und Abschiebungen
Nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg wird über Grenzkontrollen, Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und Abschiebehaft debattiert. Ein Überblick über Zahlen und rechtliche Grundlagen.
Aktuell wird wieder verstärkt über Grenzkontrollen, Abschiebungen und Abschiebehaft debattiert. Der Mediendienst hat Zahlen und Fakten zum Thema zusammengestellt.
Dauerhafte Grenzkontrollen (s. Grafik)
Deutschland ist Teil des sogenannten Schengen-Raums. Als solcher führt die Bundesrepublik seit 1995 keine Grenzkontrollen nach Belgien, Luxemburg, den Niederlanden durch – später auch nach Italien, Österreich und der Schweiz. Der Schengener Grenzkodex ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Grenzkontrollen für begrenzte Zeit wieder einzuführen. Im September 2024 hat die Bundesregierung vorübergehende Grenzkontrollen an den Grenzen zu Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und Dänemark eingeführt. Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz finden schon seit Oktober 2023 statt. An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es sie (mit Unterbrechungen) seit 2015. Die Kontrollen müssen nach dem Schengener Kodex befristet sein.
Zurückweisungen an den Grenzen (s. Grafik)
Nach aktueller Rechtslage dürfen Asylsuchende nicht an der Grenze zurückgewiesen werden. Das ergibt sich aus dem nationalen, europäischen und internationalen Asylrecht: Demnach hat jede asylsuchende Person in Deutschland Anspruch auf die individuelle Prüfung ihres Antrags. Ohne diese Prüfung darf sie nicht zurückgewiesen werden.
Auch Personen, die über einen der EU-Nachbarstaaten Deutschlands einreisen, dürfen nicht an der Grenze abgewiesen werden: Bei ihnen muss geprüft werden, welcher EU-Mitgliedstaat für sie nach der Dublin-III-Verordnung zuständig ist.
Dass Zurückweisungen an EU-Binnengrenzen nach der aktuellen Rechtslage rechtswidrig sind, haben zuletzt Urteile sowohl des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bestätigt.
Systematische Zurückweisungen an den Grenzen wären nur dann möglich, wenn
- Deutschland eine "Notlage" nach Artikel 72 des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) erklärt – nach Einschätzung von EU-Rechtsexpert*innen gilt das als sehr unwahrscheinlich;
- Deutschland aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention austritt. Laut Rechtswissenschaftler*innen müsste dafür auch ein Austritt aus der Europäischen Union erfolgen. Im Fall eines Konfliktes zwischen nationalen und EU-Recht gilt der Vorrang des EU-Rechts.
Nicht-systematische Zurückweisungen an den Grenzen finden schon jetzt statt: Etwa 41.600 Personen, die irregulär nach Deutschland einreisen wollten, hat die Bundespolizei zwischen Januar und November 2024 an den Grenzen zurückgewiesen – das sind 23 Prozent mehr Zurückweisungen als im gesamten Vorjahr (34.860 Zurückweisungen). Quelle
Ausreisepflicht und Abschiebehaft (s. Grafik)
Als "vollziehbar ausreisepflichtig" gelten alle Personen, die eine Ausreiseaufforderung bekommen haben und nicht innerhalb der Ausreisefrist das Land verlassen haben – auch wenn sie eine Duldung haben. Dabei handelt es sich um rund 221.000 Personen. Wichtig: Eine Duldung beseitigt weder die Ausreisepflicht noch deren Vollziehbarkeit, sie setzt nur den Vollzug zeitweilig aus. Das heißt: Wenn eine Ausländerbehörde entscheidet, dass die "Abschiebungshindernisse" entfallen, können ausreisepflichtige Personen abgeschoben beziehunghsweise in Abschiebungshaft genommen werden – unabhängig davon, ob sie eine Duldung haben oder nicht. Sogenannte unmittelbar ausreisepflichtige Personen (rund 42.300 Personen) sind Personen, die ihre Duldung nicht verlängert haben und womöglich bereits ausgereist sind.
Wenn ein ausländischer Staatsbürger ausreisepflichtig ist und Deutschland nicht freiwillig verlässt, kann er in Abschiebehaft genommen werden. Ein Gericht darf das aber nur dann anordnen, wenn es keine andere Möglichkeit sieht, die Ausreise durchzusetzen beziehungsweise eine "erhebliche Fluchtgefahr" besteht. Dieses Prinzip ist im EU-Recht verankert. In Abschiebehaft können auch Ausreisepflichtige genommen werden, von denen eine "Gefahr für Leib und Leben Dritter" ausgeht. Die Abschiebehaft darf nach dem deutschem Recht nicht länger als sechs Monate dauern.
Nachdem sie während der Covid-19-Pandemie stark zurückgegangen war, ist die Zahl der Inhaftierungen zwischen 2021 und 2023 wieder gestiegen. Fast alle Bundesländer haben die Kapazitäten der Hafteinrichtungen erweitert: Bundesweit gibt es rund 800 Haftplätze in der Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam (Stand: Oktober 2024).
Seit 2015 gab es zahlreiche Verschärfungen des Abschiebe- und Ausweisungsrecht. Insbesondere wurden die Bedingungen für Abschiebehaft und -gewahrsam erweitert und die Inhaftnahme verlängert.
Fünf Reformen des Abschiebungs- und Ausweisungsrecht in neun Jahren (s. Grafik)