03.05.2023 Weitere Aktualisierung: Grüne widersprechen Faeser: Keine Einigkeit.
Tagesschau: "Keine Einigung um jeden Preis"
Laut Bundesinnenministerin Faeser ist sich die Ampelkoalition einig, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen anzustreben. Doch Grünen-Chef Nouripour erklärte nun, dass die Zustimmung seiner Partei noch offen sei. Andere Grüne äußern offen Kritik.
Die Grünen zeigen sich grundsätzlich offen für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, stellen aber Bedingungen. Zur möglichen Zustimmung seiner Partei zum Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte Grünen-Chef Omid Nouripour im ZDF: "Das hängt vom Paket ab."
Voraussetzung seien unter anderem verbindliche Verteilungsmechanismen für die Flüchtlinge in der Europäischen Union. Transitzentren an den Außengrenzen für Asylsuchende lehnte er ab: "Wir reden über Grenzverfahren und nicht über Transitzentren." Es brauche Lösungen auf europäischer Ebene. "Die Frage der Registrierung der Leute ist nicht dasselbe wie ein Asylverfahren. Was sicher nicht geht ist, Grundrechte aushebeln und die Leute davon abzuhalten, dass sie einen Asylantrag stellen, der dann auch überprüft wird. Wir brauchen Humanität und Ordnung", erklärte er und betonte dabei das Wort "und". "Es wird keine Einigung geben für uns um jeden Preis." ... Deutliche Kritik an Faeser kam vom Grünen-Europaabgeordneten Erik Marquardt. Er sagte im Deutschlandfunk, es sei ein sehr schlechter Vorschlag, mit dem sie Rechtspopulisten auf den Leim gehe. Schon jetzt seien durch das geltende Dublin-System die Staaten an den Außengrenzen in der Verantwortung, Asylverfahren durchzuführen. Doch dort würden immer wieder Migranten mit Gewalt abgewiesen oder durchgewinkt. Der Vorschlag sei nicht neu, sondern bereits gescheitert....
Kritik kommt auch aus der Union. Der Innenexperte der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), sagte der "Welt", die Pläne der Bundesregierung zu den Asylverfahren an den EU-Außengrenzen blieben hinter dem Vorschlag der EU-Kommission zurück. "Damit werden die Verfahren ineffektiv und das schadet vor allem Deutschland als Hauptzielland von Flucht in Europa."
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem "dreisten Ablenkungsmanöver". Die Innenministerin werfe Nebelkerzen anstatt irreguläre Migration zu begrenzen, sagte er der "Augsburger Allgemeinen". Vielmehr schaffe die Ampel ständig neue Anreize für zusätzliche Migration und überfordere damit Städte und Gemeinden. "Die Ampel muss aufhören, Migranten ohne Bleibeperspektive auf die Kommunen zu verteilen und endlich die Mittel zur Verfügung stellen, damit die Unterbringung von Schutzbedürftigen weiter möglich ist."
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte einen "neuen Kurs in der Migrationspolitik": "Wenn die irreguläre Migration nicht zusehends begrenzt wird, wird auch die Akzeptanz der Menschen vor Ort für Einwanderung und Integration schwinden", sagte er den Funke-Zeitungen. Die "katastrophalen Fehler" der Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU) dürften nicht wiederholt werden.
01.05.2023 Aktualisierung: Im Bericht aus Bonn der ARD am 30.04. bestätigt Innenministerin Faeser die Befürchtungen von Pro Asyl (siehe unten). Ihre Aussagen werden von zahlreichen Medien in die Schlagzeilen übernommen.
Tagesschau: Einigung in der Ampelkoalition. Faeser sieht Chance für Asyl-Durchbruch
Bundesinnenministerin Faeser sieht ein "historisches Momentum" für die EU-Flüchtlingspolitik. Die Ampelkoalition habe sich darauf verständigt, Asylverfahren an der Außengrenze anzustreben. Die angestrebte Frist ist ambitioniert.
Wenige Tage vor dem Spitzentreffen zur deutschen Flüchtlingspolitik am 10. Mai sieht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein "historisches Momentum" auf europäischer Ebene. Sie setze sich seit längerem dafür ein, dass die Verteilung innerhalb Europas besser werden müsse, betonte sie im Bericht aus Berlin. ...
BR24: EU-Flüchtlingspolitik: Faeser sieht "historisches Momentum"
Seit der Flüchtlingskrise 2015 ist es der EU nicht gelungen, sich auf eine Reform des Asylsystems zu einigen. Bundesinnenministerin Faeser sieht nun die Chance, dass Europa hier gemeinsam vorankommt. Das Ziel: Asylverfahren an den EU-Außengrenzen.
Zeit: Migration: Bundesregierung will Asylverfahren an EU-Außengrenzen voranbringen
Laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeichnen sich "große Veränderungen" in der EU-Asylpolitik ab. Geflüchtete sollen schon an den Außengrenzen ein Verfahren erhalten.
Die Bundesregierung will sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zufolge für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen einsetzen. Damit werde eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik möglich, sagte die SPD-Politikerin in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin. Es zeichne sich eine "große Veränderung" ab. Die Ampel-Koalition habe sich deshalb darauf geeinigt, "dass wir dieses gemeinsame Asylsystem voranbringen wollen", sagte Faeser.
Konkret heißt das laut der Bundesinnenministerin, dass bereits an den Außengrenzen Asylverfahren stattfinden können. "Dass bereits dort die Registrierung und Erfassung und Identifizierung der Geflüchteten stattfinden wird", sagte Faeser. Im Zuge eines "Ausgleichs" innerhalb der EU sei dann die "Solidarität der anderen Staaten" gefragt. Wer die Voraussetzungen für Asyl erfülle, müsse auch aufgenommen werden.
Seit der Asylkrise im Jahr 2015 ist es den EU-Ländern nicht gelungen, sich auf eine umfassende Reform des europäischen Migrationswesens zu einigen. Faeser sieht nun eine Chance, dass Europa in der Asylpolitik gemeinsam vorankommt. "Wir sehen jetzt ein historisches Momentum, dass wir mit anderen europäischen Staaten es schaffen können, ein gemeinsames Asylsystem auf den Weg zu bringen, wo an den Grenzen die Asylverfahren stattfinden", sagte sie in der ARD.
EU-Staaten kündigten im Februar strengere Migrationspolitik an
Über die Einzelheiten des neuen Verfahrens sei sie seit Monaten mit anderen EU-Ländern im Gespräch, sagte die Bundesinnenministerin. Deutschland arbeite dabei unter anderem mit Frankreich, Italien, Spanien, Schweden und Belgien zusammen. Im Gespräch sei zudem eine Bearbeitungszeit der Asylanträge von maximal zwölf Wochen.
Die EU-Staaten hatten sich bereits auf ihrem Frühjahrsgipfel im Februar auf eine strengere Migrationspolitik verständigt. Damals stellte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Registrierung von Geflüchteten an den Außengrenzen als eines von zwei Pilotprojekten vor. Im zweiten plante man, die Grenze zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei mit Fahrzeugen, Kameras, Straßen und Wachtürmen zu sichern. Zudem einigten sich die Mitgliedsstaaten darauf, mehr Druck auf Länder ausüben zu wollen, die bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber nicht kooperierten.
29.04.2023 Im ersten Halbjahr 2023 wird im Rat unter der schwedischen Ratspräsidentschaft über für die Zukunft des Flüchtlingsschutzes in Europa besonders relevante Entwürfe diskutiert: die Asylverfahrensverordnung und die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung. Die Positionierung Deutschlands ist alarmierend, so stellt Pro Asyl in einer Pressemitteilung von gestern fest. Wir zitieren:
PRO ASYL alarmiert: Bundesregierung stimmt De-facto-Haftlagern und Aushebelung des Flüchtlingsschutzes an den EU-Grenzen zu
28.04.2023 Die Bundesregierung stellt heute im Bundestag ihre Position zur europäischen Flüchtlingspolitik und den aktuell diskutierten Reformplänen vor. In den Medien bekannt gewordene Aspekte zeigen, dass die Bundesregierung sich gefährlich weit von den Grundsätzen ihres menschenrechtsbasierten Koalitionsvertrags entfernt. PRO ASYL regiert enttäuscht und entsetzt auf die rot-grün-gelbe Einigung. Damit rücken Grenzverfahren in Haftlagern an der EU-Grenze mit Ziel der Zurückweisung in nicht sichere Drittstaaten immer näher.
Bei den Verhandlungen um die Zukunft des europäischen Asylsystems geht es auch um die Zukunft von Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten in der EU. Dass die Bundesregierung sich von ihren starken Menschenrechtspositionen nun zunehmend verabschiedet, ist ein dramatisches Signal. Der Druck von rechtspopulistischen Strömungen in der EU zur Abschaffung des Zugangs zum Recht auf Asyl ist enorm. Von der Rechtsstaatspartei FDP, den für Flüchtlingsrechte eintretenden Grünen und einer sozialdemokratischen Partei, deren Mitglieder vor Jahrzehnten selbst verfolgt wurden, hätten wir dieses Umfallen nicht erwartet,“ kommentierte Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von PRO ASYL, bitter. ... hier weiterlesen
Laut Medienberichten stimmt die Bundesregierung grundsätzlich der Einführung verpflichtender Grenzverfahren zu, will diese in ihrer Anwendung nur etwas mehr einschränken als bislang diskutiert. Hierzu gehört eine grundsätzliche Ausnahme von Kindern.
„Grenzverfahren sind der Kardinalsfehler der letzten Jahre, denn die Erfahrung zeigt, dass Verfahren an der Grenze zu humanitären Missständen, schlechten Verfahren und letztlich zu einer Verweigerung von Schutz führen. Es ist auch fraglich, ob es in diesen Verfahren überhaupt noch um die Fluchtgründe geht oder nur noch darum, in welchen außereuropäischen Drittstaat die fliehenden Menschen geschickt werden können. Eine solche Zustimmung zu Grenzverfahren passt nicht zu dem Versprechen des Koalitionsvertrags, bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren zu schaffen und das Leid an den Außengrenzen zu beenden“, so Kopp.
Zu der Position der Bundesregierung gehört auch, dass es zwar einen verpflichtenden Solidaritätsmechanismus bezüglich der Zuständigkeit für Asylverfahren geben soll, gleichzeitig das Dublin-System aber verschärft werden soll.
„Die Bundesregierung will das gescheiterte Dublin-System zusätzlich verschärfen. Schon jetzt führt das System nicht nur zu einer Überlastung der Außengrenzstaaten, sondern auch zu starken Verzögerungen beim Zugang zum Schutz. Die Verlängerung der Überstellungsfristen von sechs auf zwölf Monate hätte dramatische Auswirkungen für viele Schutzsuchende. Ob ein Solidaritätsmechanismus hier überhaupt ein effektives Korrektiv sein kann, ist höchst fraglich. Auch hier droht die Bundesregierung Fehler der Vergangenheit zu wiederholen“, mahnt Kopp.
Im ersten Halbjahr 2023 wird im Rat unter der schwedischen Ratspräsidentschaft über für die Zukunft des Flüchtlingsschutzes in Europa besonders relevante Entwürfe diskutiert: die Asylverfahrensverordnung und die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung. Bislang hatte die Bundesregierung zu entscheidenden Punkten wie den Grenzverfahren, der Anwendung von „sicheren Drittstaaten“ und den künftigen Zuständigkeitsregeln keine geeinte Position. Bis zum nächsten Ratstreffen der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 müssen sich die Mitgliedstaaten auf Verhandlungspositionen einigen, um den Reformprozess bis zur Europawahl im Frühjahr 2024 abschließen zu können.
Koalitionsvertrag 2021:
„Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden.“
„Wir wollen bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren und bei der Integration in den EU-Staaten.“
„Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss inhaltlich geprüft werden.“
PRO ASYL hat in einem Kurzpositionspapier die wichtigsten menschenrechtlichen roten Linien für die Verhandlung benannt: https://www.proasyl.de/material/notwendige-rote-linien-der-bundesregierung-fuer-die-verhandlungen-zum-new-pact-on-migration-and-asylum/
In der Sachverständigenanhörung im Bundestag zur europäischen Flüchtlingspolitik hat Wiebke Judith als rechtspolitische Sprecherin für PRO ASYL auf die Gefahren der Reform hingewiesen: https://www.proasyl.de/material/stellungnahme-zur-oeffentlichen-anhoerung-des-innenausschusses-zur-reform-des-gemeinsamen-europaeischen-asylsystems-geas/ https://www.proasyl.de/material/stellungnahme-zur-oeffentlichen-anhoerung-des-innenausschusses-zur-reform-des-gemeinsamen-europaeischen-asylsystems-geas/