15.11.2024 Nach der Ausstrahlung des ZDF-Magazin Royal veröffentlichte das ZDF den Wortbeitrag zum Thema. Auch die ZUE Muffendorf in Bad Godesberg wird durch Serco betrieben.
ZDF heute schreibt:
Ein britischer Konzern verdient mit einzelnen Geflüchteten-Unterkünften in Deutschland viel Geld. Das zeigen Recherchen von ZDF Magazin Royale, Monitor und Süddeutscher Zeitung.
Die Betreuung von Geflüchteten kann in Deutschland ein lukratives Geschäft für private Unternehmen sein. Davon profitiert mittlerweile unter anderem Serco, ein börsennotiertes Unternehmen aus Großbritannien, das auch militärische Dienstleistungen anbietet. Eine Recherche von ZDF Magazin Royale in Kooperation mit dem ARD-Politikmagazin Monitor und der "Süddeutschen Zeitung" gibt nun einen exklusiven Einblick in interne Abrechnungen eines Tochterunternehmens des Konzerns.
Deutsche Behörden schreiben den Betrieb von Geflüchteten-Unterkünften in der Regel aus. Bewerben können sich neben gemeinnützigen Hilfsorganisationen wie den Johannitern oder den Maltesern auch private gewinnorientierte Unternehmen. So sind in 13 deutschen Bundesländern solche privaten Unternehmen in Unterkünften für Geflüchtete aktiv.
Aber kein Unternehmen ist so groß wie Serco: Nachdem der Konzern in den vergangenen zwei Jahren die Unternehmen European Homecare und ORS aufgekauft hat, betreibt er in Deutschland inzwischen 130 Unterkünfte für Geflüchtete. Über seine Tochterunternehmen ist Serco am Betrieb jeder fünften landeseigenen Sammelunterkunft für Geflüchtete beteiligt.
Wirtschaftsexperte: Gewinnmargen "sind sehr hoch"
Firmeninterne Dokumente zeigen exklusiv, wie hoch die Bruttomargen des Serco-Tochterunternehmens ORS in einzelnen Geflüchteten-Unterkünften waren. Im ersten Quartal 2023 lag die Bruttomarge zum Beispiel im Ankunftszentrum Meßstetten in Baden-Württemberg laut der sogenannten Performance Reportings bei 45,1 Prozent.
Eine noch höhere Bruttomarge erzielte ORS in der Geflüchteten-Unterkunft in Bernkastel-Kues in Rheinland-Pfalz; hier lag sie im selben Zeitraum bei 49,8 Prozent. Bereits abgezogen vom Umsatz sind bei den Bruttomargen die Kosten für das Personal, die Sozialarbeit mit den Geflüchteten und der Materialaufwand.
"Die Gewinnmargen von Serco sind sehr hoch", sagt Werner Nienhüser, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen.
Sie liegen auch deutlich über den durchschnittlichen Gewinnmargen, die Serco in der Vergangenheit erzielt hat, über alle Geschäftsfelder hinweg." Werner Nienhüser, Universität Duisburg-Essen
Ex-Mitarbeiter: Geringe Löhne, wenig Personal, schlechte Betreuung
Mit der Unterbringung von Geflüchteten ließen sich demzufolge außerordentlich hohe Renditen oder Gewinnmargen erzielen, sagt Nienhüser. ORS selbst scheint die Höhe der Margen jedoch nicht zu überraschen. In einem internen Dokument heißt es mit Blick auf die Bruttomarge in Bernkastel-Kues von fast 50 Prozent:
"Die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende Bernkastel-Kues entspricht unseren Erwartungen." ORS, Tochter von Serco
Doch wie kommt es dazu, dass Serco so viel Geld mit der Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten verdienen kann? Denn unabhängig davon, ob eine gemeinnützige Hilfsorganisation oder privates Unternehmen im Rahmen einer Ausschreibung der Kommunen oder Länder den Zuschlag erhält, müssen grundsätzlich die Anforderungen des Auftrags, etwa in Bezug auf eine ausreichende Sozialbetreuung, in gleicher Weise erfüllt werden.
Berichte von ehemaligen Mitarbeiter*innen von Sercos Tochterunternehmen geben Hinweise darauf, wie gleichwohl hohe Margen zustande kommen können. Sie berichten von geringen Löhnen, zu wenig Personal und schlechten Betreuungsangeboten für die untergebrachten Menschen. "Der Flüchtling wird gar nicht als Mensch wahrgenommen", schildert ein ehemaliger Mitarbeiter seine Eindrücke, "der wird ja eigentlich nur als abrechenbarer Posten wahrgenommen."
Geflüchteten-Unterkünfte: Land Berlin beendet Zusammenarbeit mit Firma
Sercos Tochter ORS teilt auf Anfrage mit:
"Wir beschäftigen ausschließlich qualifizierte Personen, die umfassend für ihre Aufgaben geschult wurden, und zahlen angemessene Löhne für die wichtige Arbeit, die sie leisten." ORS
Auf Fragen zum Hintergrund der hohen Bruttomargen in einzelnen Unterkünften in Deutschland antwortet das Unternehmen nicht.
Doch nicht nur ehemalige Mitarbeiter*innen äußern Kritik an Sercos Tochterfirmen. Das Land Berlin hat mittlerweile die Zusammenarbeit mit Sercos Tochterfirma ORS beendet, unter anderem unter Verweis auf angeblich "gravierende Mängel" und "umfangreiche strukturelle Probleme". ORS weist die Vorwürfe zurück.
Serco auch im Bereich Grenzschutz, Gefängnisse und Raumfahrt aktiv
Mit dem Tochterunternehmen European Homecare ist Serco in Berlin jedoch weiterhin aktiv - genau wie in sieben weiteren Bundesländern.
Der Konzern Serco betreibt nicht nur Geflüchteten-Unterkünfte, sondern bietet eine Reihe weiterer Dienstleistungen an, die eigentlich der Erfüllung staatlicher Aufgaben dienen, Staaten aber durch Privatunternehmen erledigen lassen - zum Beispiel im Bereich Grenzschutz, Gefängnisse und Raumfahrt.
Ein Drittel seines Milliarden-Umsatzes erzielt der Konzern mit Dienstleistungen fürs Militär - etwa für die US-Luftwaffe. Insgesamt machte Serco laut eigenen Angaben 2023 weltweit über fünf Milliarden Pfund Umsatz.