Interview: Psychische Erkrankungen bei Geflüchteten: »Wir brauchen Lösungen statt Stigmatisierungen«

26.02.2025 In den vergangenen Monaten erschütterten Attentate die Bundesrepublik. In einigen Fällen, wie in Aschaffenburg, hat der Täter eine psychische Erkrankung. Was im Umgang mit traumatisierten Geflüchteten falsch läuft und worauf es bei ihrer psychosozialen Versorgung ankommt, erklärt Lukas Welz, Experte für psychische Erkrankungen bei Geflüchteten.

Pro Asyl spricht im Interview mit Lukas Welz, Geschäftsleiter der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V. (BAfF)

Lukas Welz ist Geschäftsleiter der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V. (BAfF). Momentan sind 51 Psychosoziale Zentren in der BAfF organisiert. Sie versorgten im Jahr 2022 insgesamt knapp 25.000 Klient*innen. Mindestens 10.000 Personen mussten aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden 

Psychische Erkrankungen bei Geflüchteten: »Wir brauchen Lösungen statt Stigmatisierungen«

Nach den schrecklichen Anschlägen von Aschaffenburg und München wird auch über die psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten diskutiert. Fest steht: Es gibt viel zu wenig Therapieplätze. Haben Sie den Eindruck, dass das nun in der Politik angekommen ist? 

Laut internationaler Studienlage benötigen mindestens dreißig Prozent der Menschen mit Fluchterfahrung potenziell psychotherapeutische Hilfe. Doch in Deutschland wird lediglich ein Bruchteil dieser Menschen angemessen versorgt. Aktuell erhalten nur drei Prozent aller geflüchteten Menschen mit psychologischem Behandlungsbedarf aufgrund traumatisierender Erfahrungen wie Folter, Krieg und Flucht die entsprechende Versorgung. Doch das steht nicht im Fokus. Die politische Debatte nach Anschlägen wie in Aschaffenburg und München dreht sich nicht darum, die tatsächlichen Probleme zu lösen. Stattdessen suggerieren viele Politiker*innen: »Weniger Geflüchtete heißt weniger Probleme.« Außerdem erleben wir nun verstärkt das Narrativ, dass Geflüchtete mit psychosozialem Behandlungsbedarf ein »Sicherheitsrisiko« darstellen. So hat es kürzlich Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei Markus Lanz dargestellt. Und der hat das als »politischen Sprengstoff« bezeichnet. Es ist eine brandgefährliche Debatte, wenn wir so über Menschen sprechen, die unsere Hilfe benötigen.

Nur drei Prozent aller geflüchteten Menschen mit psychologischem Behandlungsbedarf erhalten in Deutschland die entsprechende Versorgung.

Es geht um »Gefährder«, statt die Gefährdung der Schutzsuchenden zu sehen.

Genau. Gewalt aufgrund einer psychischen Erkrankung richtet sich in erster Linie gegen sich selbst und nur zu einem verschwindend geringen Teil gegen Andere. Die Annahme, dass psychisch erkrankte Menschen besonders gewalttätig seien, beruht oft auf verzerrten Statistiken und Interpretationen der Polizeilichen Kriminalstatistik: Erfasst sind dort Fälle, in denen eine psychische Erkrankung bereits mit einer Straftat verknüpft ist. Das ist nicht repräsentativ für die Beurteilung aller Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Psychisch Erkrankte sind häufiger Opfer als Täter*innen. Wissenschaftliche Analysen zeigen: Pauschale Stigmatisierungen entbehren jeder Grundlage.

Der Gesundheitsminister möchte den Zugang zu Therapeuten für Geflüchtete erleichtern. Das ist doch immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, oder?

Karl Lauterbach hat einen Vorschlag gemacht, der Ende Januar im Bundestag und am 14. Februar im Bundesrat beschlossen wurde. Er sieht vor, dass mehr Therapeut*innen zur Behandlung besonders vulnerabler Personen ermächtigt werden können. Das klingt gut, aber ändern wird sich für viele Geflüchtete nichts. Denn die von ihm vorgeschlagene Lösung gilt nur für gesetzlich krankenversicherte Patient*innen – also für jene, die bereits einen Aufenthaltsstatus haben. Geflüchtete jedoch, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen, sind außen vor. Auf sie trifft die Regelung nicht zu.

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Seit einer Reform durch die Ampel-Regierung fallen geflüchtete Menschen noch länger unter das AsylbLG: Nämlich drei Jahre statt wie zuvor anderthalb…

… und in dieser Zeit haben sie keinen Anspruch auf Leistungen aus der Regelversorgung der Krankenkassen. Das bedeutet: In den ersten 36 Monaten hat der Großteil der geflüchteten Personen nur einen Anspruch auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. Die Sozialbehörden müssen Behandlungen bewilligen. Sie erkennen psychotherapeutische Behandlungen in der Regel aber nicht an. Aus diesem Grund gibt es die Psychosozialen Zentren, denn es gibt sonst kaum psychosoziale Versorgungs-möglichkeiten für Asylsuchende.

Es gibt Pilotprojekte zur Erkennung psychischer Probleme in den Erstaufnahme-einrichtungen, etwa in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz. Zuletzt ist Professor Thomas Elbert von der Uni Konstanz durch die Medien gegangen, der sagt: Ein Screening, bei dem die psychische Verfassung abgefragt wird, sei »technikgestützt in 15 bis 30 Minuten« machbar. In einem Projekt in Baden-Württemberg wird das schon seit einigen Jahren umgesetzt. Was halten Sie davon?

Screeningverfahren, die noch dazu weitreichende Implikationen für das Asylverfahren und die gesundheitliche Versorgung haben, dürfen kein reiner Selbstzweck sein. Sie müssen fachlichen und ethischen Standards genügen. Ein Screening bietet lediglich eine erste grobe Einschätzung über das mögliche Vorliegen einer Erkrankung. Wird nach einem Erstscreening eine psychische Erkrankung angemessen diagnostiziert, muss dann aber gewährleistet sein, dass die Betroffenen im Anschluss auch eine angemessene Versorgung erhalten.

Es kursieren in der derzeitigen politischen Debatte viele Ideen, bei denen man sehr, sehr vorsichtig sein muss. Ich sehe die Gefahr, dass dadurch der Fokus zu sehr auf einer vermeintlichen Gefahrenabwehr liegt anstatt auf der angemessenen psychosozialen Versorgung von Geflüchteten. Die Erfassung psychischer Störungen durch ein solches Screening wird derzeit nur als sicherheitspolitische Maßnahme diskutiert.

… ähnlich wie ein Register für psychisch erkrankte Geflüchtete, das etwa der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann gefordert hat?

Ja. Ein Register für psychisch erkrankte Geflüchtete lehnen wir ab. Das stellt eine pauschale Stigmatisierung dar, die Folgen haben wird. Ich habe den Eindruck, der Politik geht es vor allem darum, wie potenzielle Gefährder*innen identifiziert werden können schon allein aufgrund psychischer Erkrankungen. Diese Haltung verstößt gegen sämtliche internationale Verpflichtungen, etwa gegen die EU-Aufnahmerichtlinie, die für Deutschland bindend ist. Keine der vorgeschlagenen politischen Maßnahmen setzt an der Herausforderung an, dass die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten derzeit einem Flickenteppich gleicht und Betroffene so gut wie nicht erreicht.

Auch Robert Habeck forderte in einem 10-Punkte-Plan, dass Asylsuchende bei der medizinischen Erstuntersuchung ab sofort auf psychische Erkrankungen untersucht werden. Unterstellen wir mal gute Absichten: Ist es nicht positiv, wenn psychische Erkrankungen schnell erkannt und dann behandelt werden können?

Sicher, wenn man davon ausgeht, dass eine Behandlung dann auch erfolgt. Und das wage ich zu bezweifeln. Die Diskussion geht am eigentlichen Problem vorbei. Die Identifizierung ist wichtig, wenn die Menschen dann einer besonders schutzbedürftigen Gruppe zugeordnet werden und entsprechende Versorgung erhalten. Doch schon jetzt ist klar, dass der Bedarf da ist – aber es passiert trotzdem nichts. Die Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus, die Finanzierung der Psychosozialen Zentren ist eine Katastrophe, und die Gesetzeslage lässt eine bessere Versorgung gar nicht zu. Insofern ist das eine Scheindebatte.

Geflüchtete machen nicht nur im Herkunftsland und auf der Flucht traumatisierende Erfahrungen, sondern auch in Deutschland.

Inwiefern trägt Deutschland eine Mitschuld daran, dass sich die psychische Situation geflüchteter Menschen häufig noch verschlimmert, wenn sie hier sind? 

Das ist ein wichtiger Punkt: Geflüchtete machen nicht nur im Herkunftsland und auf der Flucht traumatisierende Erfahrungen, sondern zunehmend auch in Europa. Die Unsicherheit über die eigene Zukunft kann die psychische Belastung erheblich verstärken. In Deutschland führen neben der teils schlechten Unterbringung vor allem die politischen Debatten und Rassismuserfahrungen zu einer psychischen Erkrankung oder Re-Traumatisierung. Monatelange, jahrelange Asylverfahren, ungewisse Aufenthaltstitel, Kettenduldungen, Diskussionen über die Aberkennung von bereits zuerkannten Aufenthaltstiteln – all das sind Faktoren, die zusammenkommen, die Zukunftsängste schüren und psychische Erkrankungen begünstigen.

Jetzt für Geflüchtete spenden!

Im vergangenen Jahr wurde die finanzielle Lage der Psychosozialen Zentren durch drastische Kürzungen von Bundesmitteln verschlechtert. Und für 2025 will der Bund die Mittel um knapp die Hälfte streichen. Was bedeutet das konkret für Ihre Arbeit?

Die Psychosozialen Zentren finanzieren sich aus Bundes‑, Landes‑, EU-Mitteln und Spenden sowie aus Geldern der UNO-Flüchtlingshilfe. Es gibt allerdings Zentren, die vorwiegend aus Bundesmitteln finanziert sind, und für die bedeutet diese drastische Mittelkürzung das Aus: Die komplette Schließung oder einen massiven Stellenabbau. Letzteres ist ein Problem, denn Fachkräfte in diesem Bereich zu finden, ist schwierig. Es ist eine Tätigkeit, die sehr belastend ist und wenn Menschen, die das auf sich nehmen, entlassen werden, findet man nicht unbedingt ein paar Monate später, wenn der Bund es sich möglicherweise anders überlegt hat, neue Kräfte. Unser Engagement wird so an vielen Orten nachhaltig zerstört. Von einer Schließung betroffen sind zum Beispiel die Zentren in Sachsen, weil dort zuvor auch schon die Landesmittel weggebrochen sind.

Was brauchen Sie, um die Arbeit der Zentren bundesweit fortführen zu können?

Dafür braucht es für das Haushaltsjahr 2025 mindestens 27 Millionen Euro aus Bundesmitteln. So könnten wir flächendeckend eine stabile psychosoziale Versorgung von Geflüchteten gewährleisten. Der aktuelle Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums sieht für dieses Jahr aber eine Fast-Halbierung der Mittel von 2024 auf nur noch rund 7 Millionen Euro vor. Im Bundeshaushalt sind das Peanuts! Für uns bedeutet es eine drastische Unterfinanzierung. Die Bundesregierung kommt so ihrer Pflicht zur Versorgung von Schutzsuchenden nicht einmal annähernd nach.

Gibt es Bundesländer, die in puncto Finanzierung mit gutem Beispiel vorangehen? 

Rheinland-Pfalz hat viel Geld in die Psychosozialen Zentren investiert. Auch Sachsen war bis zur letzten Landtagswahl gut aufgestellt, was die Landesfinanzierung betrifft. In Bayern hingegen – auch vor dem Hintergrund der Anschläge in Aschaffenburg und München interessant – gibt es kaum Landesförderung für diese Arbeit.

Es ist teurer für den Sozialstaat, erkrankte Geflüchtete verspätet zu behandeln, als sie sofort medizinisch angemessen zu versorgen.

Das Problem der eklatanten Unterversorgung und Unterfinanzierung ist ja nicht neu: BAfF machte bereits vor zehn Jahren deutlich auf die Missstände aufmerksam, die Nationale Akademie der Wissenschaften warnte die Bundesregierung 2018, und die Rechercheplattform Correctiv schrieb 2023 von einem »Systemversagen mit Ansage«. Hat sich denn in den letzten zehn Jahren mit Blick auf die psychosoziale Versorgung Geflüchteter irgendetwas verbessert?

Das kann man leider nicht behaupten. Es ist ein kurzfristiges Denken, denn jeder investierte Euro, der in die psychosoziale Versorgung investiert wird, reduziert massiv Folgekosten. Das hat eine Studie der Uni Bielefeld ergeben. Die psychosoziale Versorgung Schutzsuchender ist also nicht nur gesellschaftlich wichtig, sondern auch ökonomisch rational: Sie entlastet perspektivisch alle anderen Sozialsysteme, etwa die Kranken- und Rentenversicherungssysteme. Es ist teurer für den Sozialstaat, erkrankte Geflüchtete verspätet zu behandeln, als sie sofort medizinisch angemessen zu versorgen.

 

In einem Offenen Brief von Psychiater*innen an Merz heißt es: »Herr Merz, (…) Keiner Ihrer aktuellen Vorschläge hätte den schrecklichen Vorfall von Aschaffenburg verhindert. (…) Im Gegenteil können die durchklingende Pauschalisierung und der massive öffentliche Druck die seelische Situation von Migranten nur verschlimmern.« Wie kommt unsere Gesellschaft aus diesem Teufelskreis heraus? 

Zunächst müssen wir ein anderes Narrativ setzen. Formulierungen und Forderungen, die psychisch kranke Geflüchtete stigmatisieren und noch dazu das gefährliche Potenzial haben, dass man sich dieser Menschen künftig einfach entledigen will, bringen uns nicht weiter. Eine verantwortungsvolle politische Debatte wäre eine, die tatsächlich nach Lösungen sucht. Zum Beispiel sollte der Zugang zur Gesundheitsversorgung inklusive psychosozialer Unterstützung von Tag eins an auch im Asylbewerber-leistungsgesetz verankert sein. Wir thematisieren das seit 25 Jahren, aber es gibt eine politische Verweigerungshaltung, sich damit auseinanderzusetzen. Ich wünsche mir sachorientierte Debatten, in der wir und andere Expert*innen einbezogen werden. Wir schicken unseren Versorgungsbericht jedes Jahr an Parlamentarier*innen, fühlen uns aber ein bisschen wie ein einsamer Rufer in der Wüste.

Hintergrund

Welche Hürden müssen Geflüchtete überwinden, um eine Psychotherapie bewilligt zu bekommen? 

Asylsuchende, die überhaupt die große Hürde nehmen und von sich aus therapeutische Hilfe suchen, müssen sich zunächst an die Sozialämter wenden. Dort beurteilen fachfremde Mitarbeiter*innen, ob eine Psychotherapie nötig ist. Sprich: Menschen, die überhaupt nicht dafür ausgebildet sind, sollen erkennen, ob etwa eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Das ist völlig absurd.

… und führt zu zahlreichen Fehlentscheidungen. 

Ja, eine Studie aus Sachsen-Anhalt zeigt beispielsweise, dass nur fünf Prozent der Geflüchteten von der zuständigen Sozialbehörde eine Depression, Angststörung oder Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde. Dabei lag der tatsächliche Bedarf deutlich höher, nämlich bei 59 Prozent. Im Klartext bedeutet das: Die Sozialämter genehmigen psychotherapeutische Behandlung oft nur sehr restriktiv bis gar nicht. Das liegt auch daran, dass das Asylbewerberleistungsgesetz derart formuliert ist, dass Psychotherapie eigentlich gar nicht vorgesehen ist. Wenn man sich ein Bein bricht, übernimmt der Staat die Behandlung, aber wenn die Seele krank ist, dann nicht.

Würde es helfen, wenn mehr niedergelassene Psychotherapeut*innen auch Geflüchtete aufnehmen?

Das würde definitiv helfen, aber niedergelassene Psychotherapeut*innen müssen einen hohen bürokratischen Aufwand betreiben, um ihre Leistungen für Geflüchtete, die unters Asylbewerberleistungsgesetz fallen, finanziert zu bekommen. Das fängt schon damit an, dass sie häufig nicht die entsprechenden Sprachkenntnisse der Geflüchteten haben, Dolmetscher*innen aber nicht vom Staat bezahlt werden. Hinzu kommt, dass die Arbeit mit Menschen, die schwerste Gewalt- und Foltererfahrungen überlebt haben, spezialisiertes Wissen und eine gute Haltung im therapeutischen Raum brauchen – Grundlagen, die nicht alle niedergelassene Psychotherapeut*innen mitbringen.

Auch viele Deutsche warten lange auf einen Therapieplatz. Haben wir denn überhaupt genug Psycholog*innen, um den enormen Bedarf decken zu können?

Da muss man vorsichtig sein, dass man nicht in die Wir-und-Die-Debatte abdriftet. Natürlich gibt es einen enormen Bedarf, der nicht gedeckt ist, und mehr Psycho-therapieplätze wären für alle gut. Aufgrund der genannten strukturellen Hürden ist es für Geflüchtete aber ungleich schwieriger als für Deutsche, überhaupt einen Therapieplatz zu bekommen. In der Gesamtbevölkerung gibt es natürlich auch einen psychologischen Behandlungsbedarf, der ist allerdings im Durchschnitt längst nicht so hoch wie in der Gruppe der Geflüchteten, die häufig sehr schlimme, existenzielle Erfahrungen gemacht haben. Bei den mindestens dreißig Prozent der Geflüchteten mit psychischem Behandlungsbedarf sprechen wir von schwerwiegenden Fällen, von Traumatisierungen, die auf Gewalterfahrungen basieren, auf dem Verlust von Angehörigen, Ängsten, Depressionszuständen. Oft geht das mit der Tendenz einher, nicht mehr für sich oder die Familie sorgen zu können, bis hin zu einer hohen Suizidalität. Werden diese Bedarfe nicht adressiert, verhindert man Integration und Teilhabe, die Möglichkeit, ins Berufsleben einzusteigen, Teil dieser Gesellschaft zu werden.

Sie sprachen das Problem mit der mangelnden Übersetzung bei psychologischer Behandlung an. Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen fordern immer wieder, dass die Kosten für qualifizierte Sprachmittlung im Gesundheitswesen vom Staat übernommen werden müssen. Kann Künstliche Intelligenz hier helfen?

Bedingt. Thüringen hat beispielsweise ein Landesprogramm, auf das alle Einrichtungen vom psychosozialen Zentrum bis zum Krankenhaus zugreifen können. Das ist ein video- und telefonbasierter Dolmetscherdienst. Das ist sinnvoll in einem Bundesland, in dem es nicht in jeder Kleinstadt Dolmetscher*innen insbesondere für seltene Sprachen gibt. Die Herausforderung in der psychosozialen Arbeit ist aber, dass wir es sehr oft mit Menschen zu tun haben, die aufgrund ihrer Folter- oder Repressionserfahrung ein sehr hohes Unsicherheitsgefühl haben. Vertrauen entsteht für sie durch einen geschützten Raum, im wahrsten Sinne des Wortes: Dadurch, dass sie wissen, welche Person im Raum ist, zuhört, unterstützt. Eine abstrakte Videodolmetscherin trägt da eher zur Verunsicherung bei und lässt Fragen aufkommen wie: »Wer hört da noch mit? Gerät das, was ich erzähle, in die Hände von Geheimdiensten?« Zudem geht es nicht nur um eine Eins-zu-Eins-Übersetzung, sondern darum, Vorstellungen, Konzepte, Kontext zu vermitteln.