Kabinettsentwurf für Bundeshaushalt: Integrationskurse in Gefahr, Afghanistan-Aufnahmeprogramm drastisch gekürzt

19.07.2024 Allen Ratschlägen von Fachleuten zuwider setzt die Bundesregierung die in diesen Zeiten schädliche Schuldenbremse fort und beschließt einen Haushaltsentwurf, der von Widersprüchen geprägt ist. Wir nennen hier nur die angekündigten Sparmaßnahmen, die im Bereich der Aufnahme Schutzsuchender und Migrant*innen wirksam werden, wenn der Entwurf nicht nach Debatte korrigiert wird:

... weniger Geld für Sprach- und Integrationskurse für Zuwanderer ... Das Bundesinnenministerium, das aktuell 1,1 Milliarden Euro in Integrationskurse investiert, kann hierfür dem Haushaltsentwurf 2025 zufolge nur noch 500 Millionen Euro ausgeben, also weniger als die Hälfte.... Gegenüber dem ersten Entwurf heißt es mittlerweile einschränkend: In Bezug auf die Integrationskurse sind die finanziellen Bedarfe zu prüfen und aktuell noch nicht bezifferbar. Die Bundesregierung hat sich deshalb darauf verständigt, die konkrete finanzielle Ausstattung des Integrationskursbereichs erst im Zuge der parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 2025 im Herbst zu bestimmen.

... Bundesinnenministerin Faeser will die Mittel für Aufnahme- und Resettlementprogramme wie das Bundesaufnahmeprogramm im kommenden Jahr um fast 90 Prozent kürzen...

Dem stehen erhöhte Ausgaben im Bereich Sicherheit gegenüber, laut Innenministerium unter anderem für

Asylverfahren beschleunigen und digitalisieren

Gegenüber der bisherigen Finanzplanung sind zusätzliche 200 Millionen Euro vorgesehen, um die Asylverfahren weiter zu beschleunigen und zu digitalisieren und das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) schnellstmöglich umzusetzen. In Bezug auf die Integrationskurse sind die finanziellen Bedarfe zu prüfen und aktuell noch nicht bezifferbar. Die Bundesregierung hat sich deshalb darauf verständigt, die konkrete finanzielle Ausstattung des Integrationskursbereichs erst im Zuge der parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 2025 im Herbst zu bestimmen.

Bundespolizei, Zoll, Bundeskriminalamt und andere Sicherheitsbehörden werden mit fast einer Milliarde gestärkt.

"Der nächste Haushalt wird ein echter Sicherheitshaushalt sein," preist Nancy Faeser. Das ist - wie gehabt - einseitig definiert. Mit Sicherheit ist nicht die der Aufgenommenen gemeint, nicht die der Wohnungssuchenden, nicht die der in Armut Lebenden oder durch sie Bedrohte...

Hier Pressestimmen zu den Punkten:

Die Bundesregierung wollte einst mit dem Bundesaufnahmeprogramm von den Taliban verfolgte Afghaninnen und Afghanen retten. Nun plant Bundesinnenministerin Faeser, die Finanzierung fast gänzlich zu streichen.

Bundesinnenministerin Faeser will die Mittel für Aufnahme- und Resettlementprogramme wie das Bundesaufnahmeprogramm im kommenden Jahr um fast 90 Prozent kürzen. Das geht aus dem Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums vor, der dem ARD-Magazin Panorama vorliegt. Der Entwurf soll heute im Zuge der Haushaltsberatungen im Bundestag vorgestellt werden.

Mit dem Bundesaufnahmeprogramm sollten seit Oktober 2022 monatlich bis zu 1000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufgenommen werden. Dies war ein Versprechen an diejenigen, die sich gemeinsam mit Deutschland und den westlichen Verbündeten für die Demokratie in Afghanistan eingesetzt hatten. "Wir handeln und erfüllen unsere humanitäre Verantwortung", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zum Start des Programms. Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ die Grünen) ergänzte damals: "Ihnen wollen wir ein Stück Hoffnung zurückgeben und die Chance auf ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Sicherheit".

533 Personen eingereist

Bisher hätten also 20.000 Personen aufgenommen werden sollen. Tatsächlich sind erst 533, also weniger als drei Prozent, nach Deutschland eingereist. Das liege laut Bundesinnenministerium (BMI) auch daran, dass die Sicherheitsmaßnahmen seit dem Start des Programms noch einmal deutlich erhöht wurden. Bundesinnenministerin Faeser erklärte gegenüber Panorama: "Über das Bundesaufnahmeprogramm speziell sind nicht so viele gekommen wie gedacht. Da geht es aber auch darum, dass nach der Sicherheitsüberprüfung entschieden wird. Ich verantworte die Sicherheitslage in Deutschland, das ist natürlich prioritär weiterhin."

Konkret zur Finanzierung und dazu, welche Bereiche betroffen wären, äußerte sich das BMI auf Nachfrage in der heutigen Regierungspressekonferenz nicht und ließ die Zukunft des Programms offen: "Inwiefern wir das weiter finanzieren können, ist offen und Gegenstand von Beratungen mit dem Auswärtigen Amt", sagt ein Sprecher.

Etwas anders klingt es aus dem Auswärtigen Amt. So beteuert ein Sprecher, es sei bisher keine Entscheidung getroffen worden, das Programm kurzfristig zu beenden. 

Kritik von zivilgesellschaftlichen Organisationen

Das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt kooperieren mit zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Koordination der Aufnahmen. Diese haben sich nun mit einem Brandbrief an die Bundesregierung gewandt. Sie fordern die Fortführung der Finanzierung. Sollten die Mittel gekürzt werden, bedeute dies "das Ende" des Bundesaufnahmeprogramms, kritisieren sie. "Dies wäre fatal und ein voreiliges Ende eines elementaren Menschenrechtsprogramms", heißt es in dem Schreiben, das Panorama vorliegt. Zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die unterschrieben haben, gehören etwa Amnesty International, Kabul Luftbrücke und der Lesben und Schwulen Verband Deutschland (LSVD).

Insbesondere die Zustände in Pakistans Hauptstadt Islamabad würden sich danach durch die Kürzungen dramatisch verschlimmern. Gefährdete Afghaninnen und Afghanen durchlaufen bisher in der deutschen Botschaft dort das Aufnahmeverfahren mit anschließender Sicherheitsüberprüfung. Aktuell halten sich dort mehr als 3.700 Personen auf, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben. Weitere rund 15.000 Menschen, die sich zum großen Teil noch in Afghanistan befinden, wurden von der Bundesregierung als schutzbedürftig anerkannt und kontaktiert - und warten auf Rückmeldung zum Aufnahmeverfahren. Gerade diese Menschen wären von den Kürzungen besonders betroffen, betonen die NGOs.

 

Etwa 540 besonders gefährdete Afghanen sind bisher über ein spezielles Programm nach Deutschland gekommen. Angesichts des Spardrucks für die Ampel ist dessen Zukunft weiterhin offen. Auch politischer Druck aus Bundesländern spielt dabei eine Rolle – trotz geringer Fallzahlen.

Die Zukunft des Bundesaufnahmeprogramms für besonders gefährdete Afghanen bleibt zunächst offen. Zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Auswärtigen Amt werde darüber weiter beraten, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch in Berlin. Bereits erteilte Aufnahmezusagen sollten erfüllt werden. Bisher gebe es rund 3.000 Zusagen und etwa 540 Aufnahmen in Deutschland durch das Programm.

Ein Sprecher des Außenministeriums pochte darauf, dass das Programm im Koalitionsvertrag verankert sei und während der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden solle. Eine Entscheidung über ein vorzeitiges Ende gebe es nicht.

Zahl der Aufgenommenen und Kosten deutlich geringer als erwartet

Über das Aufnahmeprogramm können seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 besonders gefährdete Menschen nach Deutschland kommen. Es richtet sich an Personen, die durch ihren Einsatz für Frauen und Menschenrechte oder durch ihre Tätigkeit in den Bereichen von Justiz, Politik, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft besonders exponiert sind.

Bislang habe es im Haushalt keinen speziellen Titel für das Bundesaufnahmeprogramm gegeben – dies werde auch so bleiben, sagte der Sprecher des Innenministeriums. Die Zahl jener, die über das Programm aufgenommen würden, sei deutlich geringer als erwartet. Man sei ursprünglich von 1.000 Menschen pro Monat ausgegangen. Angesichts dessen seien auch die Kosten deutlich niedriger als erwartet. Wie das Programm weiter finanziert werden könne, sei Gegenstand der Verhandlungen mit dem Auswärtigen Amt.

 

am Ende des sehr ausführlichen und informativen Beitrags die Aussagen:

... Deutschlehrerin: Kritik an Kürzungen und Struktur der Kurse

Deutschland bemüht sich also, möglichst viele Migranten den Zugang zu den Standardintegrationsmaßnahmen zu bieten, und das so früh wie möglich. So können seit einer Gesetzesreform auch Asylbewerber an Kursen teilnehmen. Trotzdem plant die Bundesregierung die Mittel für Integrationskurse zu kürzen.

Das Bundesinnenministerium soll kommendes Jahr 400 Millionen Euro mehr für innere Sicherheit bekommen. Dafür plant das Ministerium die Gelder für Integrationskurse von 1,1 Milliarden auf 500 Millionen Euro zu kürzen, also um mehr als die Hälfte.

Das ärgert Anna Walter, freiberufliche Sprachlehrerin für verschiedene private Träger in Sachsen. Sie unterrichtet seit mehreren Jahren allgemeine Integrationskurse sowie Alphabetisierungsklassen. MDR AKTUELL sagt sie, dass es schon jetzt schwer sei, mit den derzeitigen Mitteln, Geflüchteten Sprache und Kultur beizubringen. Vor allem fehle es an Zeit und Personal.

In einem allgemeinen Integrationskurs dürfen bis zu 24 Teilnehmer sitzen, im Alphabetisierungskurs bis zu 16 Personen. Die Altersspanne erstreckt sich dabei von 18 bis 70 Jahre.

 

BERLIN. Die Ampelkoalition plant, im kommenden Jahr weniger Geld für Sprach- und Integrationskurse für Zuwanderer bereitzustellen. Das wurde aus Regierungskreisen in Berlin bekannt. Das Bundesinnenministerium, das aktuell 1,1 Milliarden Euro in Integrationskurse investiert, kann hierfür dem Haushaltsentwurf 2025 zufolge nur noch 500 Millionen Euro ausgeben, also weniger als die Hälfte. Ein renommierter Verlag der Bildungsbranche, der Ernst Klett Sprachen Verlag, schlägt deshalb Alarm.

Der Vorschlag zu dieser Kürzung kam dem Vernehmen nach aus Faesers Haus. Angesichts des Spardrucks will die Innenministerin Prioritäten bei der inneren Sicherheit setzen, sie spricht von einem „Sicherheitshaushalt“. In Berlin hofft man aber, für Integrationskosten noch Geld von der EU-Kommission zu bekommen, weil Deutschland, Polen und Tschechien besonders viele Ukraine-Flüchtlinge aufgenommen haben.

Integrationskurse bestehen zum Großteil aus Sprachkursen, es gibt aber auch einen Orientierungsteil, dazu kommen bei Bedarf Alphabetisierungskurse. Nicht immer sind solche Kurse erfolgreich, die Bundesregierung will das Konzept überarbeiten, gleichzeitig aber Kosten sparen.

Es sei unbestreitbar, dass die Stärkung der Sicherheitsbehörden und die Schaffung neuer Polizeistellen in Zeiten wachsender internationaler Unsicherheit wichtig ist – meint nun der Ernst Klett Verlag. Die geplanten Kürzungen

der Mittel des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei den Integrationskursen seien jedoch der falsche Weg, um diese Maßnahmen zu finanzieren. „Nur wer auf das Leben und die Gesellschaft in Deutschland vorbereitet ist, kann sich aktiv beteiligen und langfristig integrieren. Dies gilt insbesondere auch für die Sprachkurse, die sich in der Regel an die Integrationskurse anschließen: die berufsbezogenen Sprachkurse auf höherem Sprachniveau“, so erklärt die Geschäftsführung des Unternehmens.

„Integrationskurse sind essenziell, um Deutsch als Zweitsprache auf einem Basisniveau zu sprechen, um Sprachbarrieren abzubauen und ein Verständnis für das Leben, die Kultur und die Werte in Deutschland zu erlangen. Sie sind der Schlüssel zur beruflichen Integration von Zugewanderten. Ohne ausreichende Sprachkenntnisse und das notwendige kulturelle Verständnis wird die Bundesrepublik die Herausforderungen des Arbeitsmarktes und des Fachkräftemangels langfristig nicht lösen können. Zudem können die Eltern von zugewanderten Schülerinnen und Schülern oft nicht als Bildungsstützen fungieren, wenn ihnen der Zugang zu Sprachkursen erschwert oder versagt wird“, so heißt es weiter.

„Der Erfolg von Integrationsmaßnahmen ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes“

Die Entscheidung, die Mittel für Integrationskurse zu kürzen, sei ein gefährliches Signal, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt langfristig weiter schwächen kann. Der Verlag Ernst Klett Sprachen fordert Innenministerin Faeser auf, von ihrem Vorschlag Abstand zu nehmen und alternative Finanzierungsquellen für die Stärkung der Sicherheitsbehörden zu suchen. Diese Maßnahmen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Der Verlag appelliert daher an die Bundesregierung, diese Sparmaßnahme nicht umzusetzen und die Mittel für Integrationskurse aufrechtzuerhalten. Denn: „Nur so kann sichergestellt werden, dass Geflüchtete und zugewanderte Menschen in Deutschland die Chance erhalten, sich erfolgreich zu integrieren.“ News4teachers / mit Material der dpa