12.10.2025 Gegen den Plan Dobrindts und der Bundesregierung, verstärkt nach Syrien abzuschieben, spricht sich der oberste Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Syrien, Gonzalo Vargas Llosa, aus. Die SZ berichtet:
Nach Zahlen des Flüchtlingshilfswerks kehren allein in diesem Jahr eine Million Flüchtlinge heim nach Syrien, 2026 wird eine weitere Million erwartet. Die meisten von ihnen waren in Nachbarländer geflohen, nach Jordanien, nach Libanon oder die Türkei, sie kehren zurück in ein zerstörtes Land. „Syrien ist am Limit, die Aufnahmekapazität schon jetzt erschöpft“, sagt Vargas Llosa der Süddeutschen Zeitung. Würden jetzt aus Ländern wie Deutschland auch noch Geflüchtete zurückgeschickt, könne das die Lage nur verschlechtern.
Hier der Beitrag der SZ, auf den sich heute weitere Medien beziehen:
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SZ: UN-Flüchtlingshilfswerk warnt vor Rückkehr syrischer Migranten „Syrien ist am Limit“
Geht es nach der Bundesregierung, sollen möglichst schnell möglichst viele Syrer aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren. Der oberste Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks im Land hält das für gar keine gute Idee.
An den 8. Dezember vorigen Jahres erinnert sich Gonzalo Vargas Llosa nur zu gut. Tagelang konnte er, der oberste Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Syrien, seine Unterkunft nicht verlassen. Nicht, weil es draußen zu gefährlich war – sondern wegen der Freudensalven, die nach dem Sturz des Assad-Regimes durch den Himmel über Damaskus gefeuert wurden. Es war der Tag, an dem sich die Lage rund um eine der größten Flüchtlingskrisen fundamental änderte.
Derzeit ist Vargas Llosa, Sohn des gleichnamigen Literatur-Nobelpreisträgers, in Hauptstädten Europas unterwegs, unter anderem in Berlin. Auch Deutschland hatte seine Geschichte mit der Syrien-Krise, sie spielte vor allem in den Jahren nach 2015, als Hunderttausende Syrer nach Europa flohen, viele davon in die Bundesrepublik. Willkommen waren sie nur am Anfang – weshalb auch in der Regierung Ressortchefs wie Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Zeit gekommen sehen, Geflüchtete in größerer Zahl auch gegen ihren Willen wieder zurückzubringen. Keine gute Idee, findet Vargas Llosa.
Denn nach Zahlen des Flüchtlingshilfswerks kehren allein in diesem Jahr eine Million Flüchtlinge heim nach Syrien, 2026 wird eine weitere Million erwartet. Die meisten von ihnen waren in Nachbarländer geflohen, nach Jordanien, nach Libanon oder die Türkei, sie kehren zurück in ein zerstörtes Land. „Syrien ist am Limit, die Aufnahmekapazität schon jetzt erschöpft“, sagt Vargas Llosa der Süddeutschen Zeitung. Würden jetzt aus Ländern wie Deutschland auch noch Geflüchtete zurückgeschickt, könne das die Lage nur verschlechtern.
Berlin plant Abschiebungen nach Syrien
Genau das aber schwebt der Bundesregierung vor. Er wolle „noch in diesem Jahr eine Vereinbarung mit Syrien“ treffen, um zuerst Straftäter, aber danach auch „Personen ohne Aufenthaltsrecht abzuschieben“, kündigt Dobrindt an. Zur Vorbereitung dafür sollen auch die ausgesetzten Asylentscheidungen wieder aufgenommen werden. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekam vom Innenminister die Weisung, die Arbeit an den Fällen wieder aufzunehmen.
Doch auch freiwillige Heimkehrer fänden häufig ihre Häuser oder Wohnungen stark beschädigt oder zerstört vor, warnt Vargas Llosa. Zuweilen seien dort auch Nachbarn eingezogen, die ihrerseits das Dach über dem Kopf verloren hätten. Kehrten noch mehr Menschen heim, verschärfe sich dieses Problem. „Vor allem aber ist eine erzwungene Rückkehr nur selten nachhaltig“, mahnt Vargas Llosa. Letztlich zögen diese Heimkehrer weiter, entweder nach Jordanien oder nach Libanon, die ohnehin schon überfordert seien. Oder nach Westeuropa. Die Rückführung könnte so zum Bumerang werden.
Syrerinnen und Syrer stellen mit einer knappen Million Menschen die größte Gruppe von Geflüchteten in Deutschland, neben Ukrainerinnen und Ukrainern. Asyl gewährt wurde allerdings nur gut 5000 Menschen aus Syrien. Weiteren 650 000 wurden Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention zugesprochen oder der eingeschränkte, subsidiäre Schutz. Er steht Menschen zu, denen im Herkunftsland die Todesstrafe, Folter oder willkürliche Gewalt droht. Dieser Schutz kann allerdings widerrufen werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland ändert. Nach dem Sturz Assads wird dies in der Bundesregierung diskutiert.
Bisher nur knapp 2000 Rückkehrer nach Syrien
Dobrindt deutete allerdings auch an, bei Abschiebungen einen Unterschied machen zu wollen. Man müsse unterscheiden zwischen Menschen, die gut in Deutschland integriert seien und „solchen ohne Anspruch auf Asyl, die von Sozialleistungen leben“, sagte er. Bei vielen der syrischen Geflüchteten ist die Integration so gut gelungen, dass sie die Kriterien für eine Einbürgerung erfüllen. 2024 erhielten mehr als 83 000 die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die nach dem Ende des Assad-Regimes freiwillig zurückgekehrt sind, steigt nur gering an. Aus Dobrindts Ministerium hieß es, bis Ende August seien 1900 Menschen mit Förderung vom Bund nach Syrien ausgereist.
Die Lage dort allerdings könnte besser sein, würde nicht weltweit die humanitäre Hilfe gekürzt. Zuletzt warnte Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, vor einer Finanzierungslücke von 300 Millionen Dollar allein im laufenden Jahr. 5000 Mitarbeitende des Hilfswerkes verloren ihren Job. Das geht auch an Syrien nicht spurlos vorbei. So habe man 40 Prozent der einst 122 regionalen Anlaufstellen schließen müssen, beklagt Vargas Llosa – Orte, die sich auch um Rückkehrer kümmern. Das Personal habe man um ein Drittel kürzen müssen.
Deutschland hatte die Mittel für humanitäre Hilfe zuletzt halbiert und auch die Gelder für das Flüchtlingshilfswerk massiv gekürzt. Ein Fehler auch mit Blick auf Syrien, warnt Vargas Llosa. „Wir haben es dort mit einer der größten Flüchtlingskrisen der Welt zu tun“, sagt er. Und es bestehe die „sehr, sehr, sehr seltene Situation“, dass sich diese Krise lösen lasse. „Wir müssen diese Chance ergreifen.“