Länder-Jahreskonferenz beschließt mit 15 Punkten zur Asylpolitik weitere Verschärfungsmaßnahmen und Forderungen

30.10.2024 Nach aufgeheizten Debatten im Vorfeld verständigten sich die Ministerpräsident*innen der Länder auf 15 Punkte in der Asyl- und Migrationspolitik, darunter vor allem Forderungen an die Bundesregierung.

Kontrollen an den Binnengrenzen

Wiederbelebung des sogenannten Dublin-III-Abkommens

Bundesausreisezentren errichten

mögliche Abschiebungen in Transit- oder Drittstaaten weiter prüfen

Familiennachzug auf Härtefälle beschränken

Harmonisierung der Sozialleistungsstandards, um Anreize für eine Sekundärmigration nach Deutschland zu senken

und mehr

Die umstrittene Forderung nach Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze ist nicht Teil des Beschlusspapiers, findet sich aber in einer Protokollerklärung Bayerns.

Das gesamte 15-Punkte-Papier der Jahreskonferenz hat der Flüchtlingsrat NRW zum Download veröffentlicht. Wir zitieren:

Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder
vom 23. bis 25. Oktober 2024 in Leipzig
BeschIuss
TOP 2 Migrations- und Flüchtlingspolitik von Bund und Ländern
TOP 2.1 Aktueller Sachstand und Umsetzung der Beschlüsse
Die Migrations- und Flüchtlingspolitik wird öffentlich unverändert intensiv diskutiert. Tatsächlich besteht zu diesem Thema weiterhin Handlungsbedarf. Die politisch Verantwortlichen im Bund und den Ländern müssen sich damit sachlich auseinandersetzen. Die bestehenden Handlungsbedarfe müssen praktikablen und rechtssicheren Lösungen zugeführt werden.
Seit der Jahres-MPK in Frankfurt vom 11. bis 13.10.2023 haben Bund und Länder erfolgreich verschiedene Maßnahmen zur besseren Steuerung der Migration und Integration vereinbart und umgesetzt bzw. die Umsetzung begonnen. Dies diente dem Zweck, die irreguläre Migration zu begrenzen, die Überlastung der Systeme durch eine ungebremste Zuwanderung zu verhindern und gleichzeitig denen gerecht zu werden, die auf unseren Schutz angewiesen sind. Festzuhalten ist, dass viele der neuen gesetzlichen Regelungen beginnen, ihre Wirkung zu entfalten.
Die Regierungschefinnen und Regierungschefs fassen vor diesem Hintergrund folgenden
Beschluss:

1. Zugangszahlen
Festzustellen ist, dass europaweit die Zahl der irregulären Grenzübertritte deutlich zurückgegangen ist. Allerdings sind die Zahlen immer noch zu hoch. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex sind seit Jahresbeginn bis Ende September 2024 166.000 solcher Grenzübertritte in der EU registriert worden. Verglichen mit dem Neunmonatszeitraum des Vorjahres bedeutet dies einen Rückgang um 42 %. Auch in Deutschland ist ein Rückgang bei den Zugangszahlen zu verzeichnen. Sind 2023 insgesamt 307.300 Personen im EASY-System erfasst worden, sind es bis Ende September 2024 insgesamt bislang 152.134. Im Vergleich zum Neunmonatszeitraum des Vorjahres bedeutet dies einen Rückgang von rd. 30%.

2. Binnengrenzkontrollen
2.1 Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stellen fest, dass die bisherigen Kontrollen an den Binnengrenzen maßgeblich dazu beigetragen haben, die Zahlen der illegalen Einreisen und der Zugänge im Aufnahmesystem zu reduzieren.
2.2 Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder begrüßen deshalb ausdrücklich die Entscheidung der Bundesregierung, die Binnengrenzkontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz über den 15.12.2024 und an der Grenze zu Österreich über den 11.11.2024 hinaus zu verlängern sowie die Zeiträume anzugleichen. Sie unterstützen grundsätzlich auch die befristete Einführung von Binnengrenzkontrollen an den übrigen Grenzen seit dem 16.09.2024. Die Umsetzung des GEAS sollte zur kritischen Überprüfung des weiteren Vorgehens in Bezug auf Grenzkontrollen genutzt werden.
2.3 Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten die Bundesregierung, diese Kontrollen regelmäßig auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und, an den Grenzen, die in diesem Kontext von besonderer Bedeutung sind, fortzusetzen, um die Zahl illegaler Einreisen zu reduzieren.
2.4 Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten die Bundesregierung, die Einführung von vorgelagerten Kontrollen auf den Gebieten der Nachbarstaaten nach dem Schweizer Beispiel in der Republik Polen und der Tschechischen Republik sowie den Ausbau der gemeinsamen Streifen auf dem dortigen Staatsgebiet zur Bekämpfung der irregulären Migration mit den europäischen Nachbarstaaten zu verhandeln.
2.5 Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sehen die Bundesregierung in der Verantwortung, sich auf europäischer Ebene und mit den europäischen Ländern dafür einzusetzen, dass das Dublin III-Abkommen unverzüglich mit Leben erfüllt und konsequent umgesetzt wird. Dies ist erforderlich, um mit den bereits bisher ergriffenen Maßnahmen die Zahlen der irregulären Migration deutlich zu reduzieren.

3. GEAS
Die Rechtsakte des GEAS sind am 11.06.2024 in Kraft getreten und die zweijährige Umsetzungsfrist bis zur Anwendbarkeit der Vorschriften hat begonnen. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stellen fest, dass die Bundesregierung bereits einen Referentenentwurf zur Umsetzung des GEAS vorgelegt hat und das Gesetzgebungsverfahren insgesamt noch vor September 2025 abgeschlossen werden soll. Eine weitere Beschleunigung sowohl in Deutschland als auch in Europa ist wünschenswert.

4. Dublin-Überstellungen
Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten die Bundesregierung, sich konsequent für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Dublin-Überstellungen einzusetzen, insbesondere in Bezug auf die Kooperationsbereitschaft der EU-Mitgliedstaaten.
Notwendig ist insbesondere eine Verlängerung oder Dispensierung der Überstellungsfristen, eine EU-weite Vereinfachung und Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen zu Rücküberstellungen, die Durchführung regelmäßiger Charterflüge durch den Bund, die Ausweitung von Überstellungen auf dem Landweg und der Abschluss weiterer Verwaltungsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik und EU-Staaten, die insbesondere die ausreichende Annahme von Sammelchartermaßnahmen festlegen. Darüber hinaus ist ein Einwirken auf Airlines er-
forderlich, damit diese (mehr) Passagiere pro Flug für Rücküberstellungen mit an Bord nehmen. Es bedarf einer gesetzlichen Verpflichtung aller Airlines, die Flughäfen in Deutschland nutzen, auch Überstellungen vorzunehmen.

5. Zuständigkeit des Bundes für Überstellungen nach Dublin III-Verordnung
Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sind der Auffassung, dass die
Zuständigkeit für Überstellungen nach der Dublin III-Verordnung nicht mehr bei den Ausländerbehörden der Länder verortet sein, sondern zentral beim Bund liegen sollte. Überstellungen sollten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder eine entsprechende Bundesbehörde organisiert und durchgeführt werden. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten den Bund in diesem Zusammenhang, in eigener Verantwortung Bundesausreisezentren zu errichten und zu betreiben.

6. Verfahren in Transit- oder Drittstaaten
Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bekräftigen den gemeinsamen
Beschluss mit dem Bundeskanzler vom 20.06.2024 mit dem die Bundesregierung gebeten wurde, aufbauend auf dem vorgelegten Sachstandsbericht konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transitstaaten zu entwickeln und dabei insbesondere auch dafür erforderliche Änderungen in der EU-Regulierung sowie gegebenenfalls im nationalen Asylrecht anzugehen. Die Bundesregierung wird gebeten, hierzu in der nächsten gemeinsamen Konferenz am 12.12.2024 den Sachstand zu berichten und die konkreten Modelle vorzustellen.

7. Beschränkung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten
Da die Zugangszahlen im Bereich Asyl weiterhin viel zu hoch sind und ein Rechtsanspruch auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigen weder völkerrechtlich noch europarechtlich besteht, sehen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder die Bundesregierung in der Verantwortung, den Familiennachzug zu subsidiären Schutzberechtigten auf Härtefälle zu beschränken.

8. Migrationsabkommen
Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder begrüßen die bereits abgeschlossen Migrationsabkommen mit Georgien, Kenia, Moldau und Usbekistan und bitten die Bundesregierung, die Gespräche mit weiteren Ländern fortzusetzen. Die Migrationsabkommen sind ein wesentlicher Baustein um irreguläre Migration deutlich zu reduzieren und gleichzeitig reguläre Migration zu ermöglichen. Sie helfen Bund und Ländern die Herausforderungen im Bereich der Migration effektiver zu bewältigen.

9. Erhöhung der Rücknahmebereitschaft von Herkunftsländern auch unter Einsetzung des „Visa-Hebels“
Die Länder unterstreichen, dass der Erfolg der Rückführung von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern in praktischer Hinsicht insbesondere von dem Verhalten des betreffenden Herkunftsstaates abhängig ist. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten die Bundesregierung, alle zur Verfügung stehenden Instrumente – insbesondere Handel, Visapolitik und Entwicklungszusammenarbeit – einzusetzen, um die Bereitschaft der Herkunftsländer zur Rücknahme ihrer Staatsangehörigen herzustellen oder zu fördern. Gerade mit dem europarechtlichen Instrument des „Visa-Hebels“ nach Art. 25a Visakodex besteht für die EU die Möglichkeit, die Kooperationsbereitschaft von Herkunftsstaaten zu erhöhen. Durch den Abschluss von Rückführungsübereinkommen mit für die Rückführung relevanten und bislang unkooperativen Herkunftsstaaten sind die tatsächlichen Rückführungsmöglichkeiten zu
verbessern. Dabei sind gesamtstaatliche außenpolitische Interessen zu berücksichtigen.

10. Beschleunigung von Asylverfahren
10.1 Der Bund wird gebeten, zeitnah eine beschleunigte Durchführung der Asylverfahren für Menschen aus Herkunftsstaaten, bei denen die Anerkennungsquote bis zu fünf Prozent beträgt, zu regeln.
10.2 Einige Länder haben bereits Zuständigkeiten bei den Verwaltungsgerichten konzentriert und so für die Beschleunigung der Gerichtsverfahren gesorgt; andere befinden sich in der Prüfung, auch bezüglich einer besseren personellen Ausstattung der Gerichte.
10.3 Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister wird gebeten, bis zur Konferenz des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 12.12.2024 die Ergebnisse des Prüfauftrags vom 06.03.2024 zur Ermittlung weiterer Potenziale zur Beschleunigung von gerichtlichen Asylverfahren vorzulegen.

11. Rückführungen
11.1 Am 30.08.2024 konnten erstmals seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren 28 afghanische Straftäter in die afghanische Hauptstadt abgeschoben werden. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder begrüßen diese Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan als ein wichtiges Signal und fordern die Bundesregierung auf, auch künftig Abschiebungen insbesondere von Straftätern und Gefährdern in ihre Heimatländer Afghanistan und Syrien zu ermöglichen. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten die Bundesregierung, für alle Herkunftsländer, insbesondere Afghanistan und Syrien sowie Anrainerstaaten zu prüfen, ob Abschiebungen von Personen, die schwere Straftaten begehen und von terroristischen Gefährdern möglich sind und dabei auch Teilregionen in den Blick zu nehmen.
11.2 Die Türkei gehört seit mehreren Jahren zu den drei zugangsstärksten Herkunftsländern von irregulärer Migration. Es steht zu erwarten, dass die Zahl ausreisepflichtiger türkischer Staatsangehöriger (Ende 2023: 13.523 Personen) deutlich anwächst. Vor diesem Hintergrund bitten die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder die Bundesregierung, zeitnah Rückführungen in das Land des NATO-Partners Türkei auszuweiten.

12. Beschleunigung und Digitalisierung
Die vereinbarten gesetzlichen Schritte zur Entbürokratisierung im Asyl- und Ausländerrecht sind am 27.02.2024 in Kraft getreten. Die Ausländerbehörden haben die vereinbarten Datenabgleiche zwischen den im Ausländerzentralregister vorhandenen Daten und den lokalen Datenbeständen zu einem Großteil angestoßen und über 90 Prozent der Ausländerbehörden nutzen bereits die einschlägigen Standards zum Datenaustausch.

13. Einführung der Bezahlkarte
Das Vergabeverfahren zur Einführung einer Bezahlkarte für Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, wurde erfolgreich abgeschlossen. Die am Vergabeverfahren beteiligten Länder bekräftigen, die Bezahlkarte zeitnah flächendeckend einzuführen.

14. Harmonisierung der Sozialleistungsstandards
Die Anreize für eine Sekundärmigration nach Deutschland müssen gesenkt werden. Um Fehlanreize für einen längeren Verbleib in Deutschland zu senken und um eine gleichmäßige und faire Verteilung innerhalb Europas einfacher erreichen zu können, ist durch die Bundesregierung zu prüfen, ob und wie eine Harmonisierung von kaufkraftbezogenen Sozialleistungsstandards in den EU-Mitgliedstaaten erreicht werden kann. Dies hat selbstverständlich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu erfolgen.

15. Flüchtlingsfinanzierung
Der Einstieg in ein atmendes System für die Finanzierung der Kosten der Asylerstantragsteller mit einer Pro-Kopf-Pauschale ist ein erster wichtiger Schritt, um die Finanzierung den Flüchtlingszahlen dynamisch anzupassen. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bekräftigen ihren Beschluss vom 06.03.2024, dass dauerhaft eine Dynamisierung einer angemessenen flüchtlingsbezogenen Pro-Kopf-Pauschale erfolgen und Gegenstand nachfolgender Gespräche sein soll. Die Beschränkung der Kostenbeteiligung auf Asylerstantragsteller greift jedoch zu kurz und berücksichtigt nicht die erheblichen finanziellen Aufwendungen für solche Antragsteller, die das Verfahren bereits durchlaufen haben, und für die nicht dem Asylrechtskreis unterliegenden Ukraineflüchtlinge. Die Länder und die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, die laufenden Aufgaben der Versorgung und Integration aller
Schutzsuchenden bewältigen zu können, ohne die Handlungsfähigkeit an anderer Stelle stark einschränken zu müssen.

Es folgen Protokollerklärungen von Bayern, Bremen und Rheinland-Pfalz.