Libyen kein sicheres Land

15.02.2022 Massenhafte Entführungen und Verhaftungen tausender Migrant*innen in Libyen, willkürliche Gefangenschaft und Gewalt führten zu Protestmaßnahmen. Mit Hungerstreik vor der UNHCR-Niederlassung will die Gruppe "Refugees in Libya" auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machen und fordert die Evakuierung aus dem Land. Am 27.01.2022 berichtete die SEEBRÜCKE in ihren News: "Evakuierung von geflüchteten Menschen in Libyen, JETZT!Bild entfernt.  Seit Oktober 2021 haben RefugeesinLibya in Tripolis selbstorganisiert für ihre Rechte gekämpft. In der Nacht von Sonntag auf Montag, den 10. Januar, wurden die meisten von ihnen, mindestens 600 Menschen, gewaltvoll in das berüchtigte libysche Lager Ain Zara gebracht, wo Vergewaltigung, Folter und Zwangsarbeit an der Tagesordnung sind.Die deutsche Bundesregierung und die EU sind maßgeblich mitverantwortlich für das Leid der schutzsuchenden Menschen in Libyen, da sie sich an der Finanzierung und Ausstattung der sog. libyschen Küstenwache beteiligen. Diese hindert Menschen an der Flucht über das Mittelmeer und verschleppt sie zurück in Detention Centers. Damit muss endlich Schluss sein! Wir stehen solidarisch an der Seite von RefugeesinLibya und fordern die sofortige Evakuierung der schutzsuchenden Menschen aus Libyen und ein Ende der Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache!"

UNHCR-Projektmanagerin Caroline Gluck spricht ausführlich über die Lage, in "nd.DerTag": "Flüchtlinge müssen in Libyen geordnet aus unbegründeter Haft entlassen werden. (Interview s. unten)

31 000 Menschen hat die libysche Küstenwache im vergangenen Jahr auf dem Mittelmeer gerettet und ins Land verfrachtet - mehr als drei Mal so viel wie im Vorjahr. "Libyen ist weder ein sicheres Land für Asyl noch ein sicherer Ort", sagte Caroline Gluck vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gegenüber "nd.Der Tag". Die internationale Projektmanagerin in Libyen macht auf den prekären Status der Migranten in Libyen aufmerksam. "Libysche Behörden betrachten Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten ohne offizielle Papiere als illegale Einwanderer. Sie werden verhaftet und inhaftiert ohne Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens."

Für Gluck ist eine Verbesserung der Lage bei politischem Willen durchaus denkbar. Gemeinsam mit anderen UN-Organisationen sei das UNHCR bereit, mit den libyschen Behörden an der Entwicklung eines Plans zu arbeiten, um die Situation von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Migranten auf humane und rechtebasierte Weise anzugehen. "Eines der dringendsten Probleme ist die Unterbringung und die Verfügbarkeit von erschwinglichem, sicherem und preiswertem Wohnraum", so Gluck. Sie würde es begrüßen, wenn die Behörden Flüchtlinge und Asylbewerber, die ohne gerichtliche Überprüfung festgehalten werden, geordnet aus der Haft entlassen würden. Dabei sollte mit den dringendsten Fällen, einschließlich Frauen und Kindern, begonnen werden. Für Gluck steht jedoch außer Frage, dass die Befriedung Libyens zentral ist..."

Der UN zufolge beträgt die Zahl der registrierten Flüchtlinge und Asylbewerber in Libyen 42.024 (Stand: 1.2.2022), die der intern Vertriebenen 179.047 (Stand: 30.11.2021).

 

Bericht von Mirco Keilberth, Tunis:

Dreifache Opfer

Gewalt gegen Migranten in Libyen geht von der Regierung, den Milizen und Menschenhändlern aus

Mehr als 4000 Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara waren im vergangenen Oktober von Sicherheitskräften entführt worden, eine unbekannte Zahl von ihnen wird in privaten Gefängnissen, sogenannten Ghettos, gefangen gehalten. Die libyschen Behörden halten 600 mehrheitlich aus Westafrika stammende Gefangene in einer Lagerhalle im Stadtteil Ain Zara fest. Aufgrund der schlechten hygienischen Verhältnisse, Unterernährung und der offenbar täglichen Misshandlungen durch das Wachpersonal sind mehrere Gefangene in den Hungerstreik getreten. »Wir fordern unsere Evakuierung aus Libyen. Kurzfristig aber zumindest die Hilfe von IOM oder UNHCR«, so ein Sprecher der Gruppe »Refugees in Libya«, die über soziale Netzwerke auf die verzweifelte Lage der über 30.000 illegal in Libyen lebenden Menschen aufmerksam macht.

Mitarbeiter der beiden humanitären Organisationen der Vereinten Nationen ließen sich seit dem Sturm auf den Stadtteil Gargaresch kaum noch blicken, beklagen die Opfer, mit denen »nd« sprach. Ihr Straßencamp rund um die Mauern eines Verteilungszentrum des UNHCR war vor zwei Wochen das letzte Ziel der Milizen. Über Nacht zerstörten vermummte Bewaffnete die Zelte von Familien, Schwangeren und Verletzten.

Mit Milizen und Mafia gegen Migranten

Die Grenzen zwischen offiziellen Regierungseinheiten und Schmugglern sind fließend. Mohammad Al-Khoja, der neue Chef des Direktorats zum Kampf gegen Illegale Migration (DCIM), inspizierte die Zerstörung der Zeltstadt der Migranten persönlich. Der ehemalige Milizenführer Al-Khoja war am 23. Dezember zum Leiter der staatlichen Behörde gegen illegale Migration befördert worden, zuvor jedoch für mehrere privat betriebene Internierungslager verantwortlich.

Al-Khoja könne seine Erfahrung als Leiter des berüchtigten Gefängnisses »Trik Al-Sikka« in seinen neuen Aufgabenbereich sicher gewinnbringend einbringen, sagt Mohammed aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum am Telefon. Der 25-Jährige ist selbst Geflüchteter, versteckt sich vor libyschen Milizionären in einer angemieteten Wohnung in Ain Zara. In der Gegend erinnern ausgebrannte Stofffetzen und Müll auf den Bürgersteigen daran, dass im Januar noch Tausende auf den Straßen bei Minusgraden in Zelten und auf Wolldecken campierten. Bis die Miliz »Ritter von Janzour« mit gepanzerten Fahrzeugen und Pick-ups die im Süden von Tripolis gelegene Gegend absperrten. »Sie sind weiterhin auf der Suche nach Schwarzen«, sagt Mohammed.

 

Mirco Keilberth, Tunis führte ein Interview mit Caroline Gluck vom UNHCR (Quelle: nd, 13.02.2022):

Caroline Gluck ist für die Außenbeziehungen und Kommunikation des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Libyen verantwortlich. Das UNHCR ist eine weltweite Organisation mit dem Mandat, Flüchtlinge, Asylbewerber, Vertriebene, Rückkehrer und Staatenlose zu schützen und zu unterstützen, so auch in Libyen.

»Libyen ist kein sicheres Land für Asyl«

Der UN zufolge beträgt die Zahl der registrierten Flüchtlinge und Asylbewerber in Libyen 42.024 (Stand: 1.2.2022), die der intern Vertriebenen 179.047 (Stand: 30.11.2021).

Caroline Gluck ist für die Außenbeziehungen und Kommunikation des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Libyen verantwortlich. Das UNHCR ist eine weltweite Organisation mit dem Mandat, Flüchtlinge, Asylbewerber, Vertriebene, Rückkehrer und Staatenlose zu schützen und zu unterstützen, so auch in Libyen.

Interview mit Caroline Gluck für nd:

Wie ist die Lage für Flüchtlinge und Migranten in Libyen aus ihrer Sicht zur Zeit ?

Libyen ist weder ein sicheres Land für Asyl noch ein sicherer Ort. Das Land hat weder die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 noch das Protokoll von 1967 unterzeichnet. Libysche Behörden betrachten Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten ohne offizielle Papiere als illegale Einwanderer. Sie werden verhaftet und inhaftiert ohne Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens. Das tägliche Leben war für diese Gruppe schon immer sehr schwierig. Nach dem 1. Oktober vergangenen Jahres verschlechterte sich die Lage in Tripolis jedoch massiv. Bei mehreren gewaltsamen Aktionen der libyschen Sicherheitskräfte wurden mehr als 4000 Personen in Gewahrsam genommen wurden. Mehrere Tausend wurden obdachlos, da ihre Behelfsunterkünfte zerstört wurden und sie ihr Hab und Gut zurück lassen mussten.

Für die Sicherheit aller Personen in Libyen sind die libyschen Behörden verantwortlich. Sie sind verpflichtet, die Menschenrechte und die Würde aller Personen in ihrem Hoheitsgebiet, einschließlich der Migranten und Asylbewerber, zu achten. Wir fordern die libyschen Behörden weiterhin dazu auf, die willkürlich Inhaftierten freizulassen und die am stärksten gefährdeten Personen, insbesondere Frauen und Kinder, sowie Personen mit gesundheitlichen Problemen, die unter schwierigen und überfüllten Bedingungen festgehalten werden, unverzüglich freizulassen.

Wo leben die Menschen seit der Stürmung ihrer Unterkünfte in Gargaresch, Ain Zara und den anderen Stadtteilen in Tripolis?

Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, befinden sich immer noch in überfüllten Gefängnissen. Andere leben in prekären Verhältnissen in den Städten, nachdem sie ihre Häuser und all ihren Besitz verloren haben. Das UNHCR und seine Partner haben Tausende von bedürftigen Menschen mit Bargeld, Lebensmittelpaketen und anderen Hilfsgütern, medizinischer Hilfe und ärztlichen Überweisungen versorgt. UNHCR-Mitarbeiter haben auch UNHCR-Dokumente ersetzt oder neu ausgestellt, die während der Sicherheitsoperationen verloren gegangen oder zerstört worden waren.

Was ist die Aufgabe des UNHCR in Libyen, wie sieht ihr Alltag in Tripolis aus?

Die Bedürfnisse der Flüchtlinge und Asylsuchenden sind enorm und die UNHCR-Teams versuchen auf die sehr schwierigen operativen und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen immer wieder schnell zu reagieren. Das UNHCR hat allerdings kein Gastlandabkommen mit Libyen, was unsere Arbeit und die Genehmigung unserer Operationen ebenso erschwert wie die Möglichkeit für internationale Mitarbeiter, ein Visum für die Arbeit in Libyen zu erhalten.

Nach der Bombardierung mehrerer Unterkünfte der Migranten während des Krieges um Tripolis versorgten sie die Menschen über Verteilungszentren in Tripolis. Sind diese sogenannten Community Day Centres (CDC) nun alle geschlossen?

Das CDC, das von unseren Partnern als zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge und Asylsuchende betrieben wird, wurde Ende des Jahres geschlossen. Es kam immer wieder zu Sicherheitsvorfällen, als einzelne Personen vor dem Gebäude kampierten und so verhinderten, dass Menschen mit vereinbarten Terminen dort Hilfe bekamen. Das UNHCR und seine Partner setzten jedoch die Verteilung von Hilfsgütern an anderen Orten in Tripolis fort. Das UNHCR-Hauptbüro, wo wir Registrierungsaktivitäten durchführen, bleibt geöffnet.

Nach dem Milizen-Angriff auf die Menschen, die rund um das CDC kampierten, wurde es also geschlossen. Die Migranten und Flüchtlinge beschweren sich, dass bei der Vertreibung kaum UNHCR-Mitarbeiter vor Ort waren. Was war der Grund für die passive Haltung Ihrer Organisation?

Mitarbeiter und Menschen mit Terminen konnten das CDC fast drei Monate lang nicht betreten, da viele Menschen vor dem Gebäude kampierten und ihnen den Zugang versperrten. Wir boten weiterhin Dienstleistungen an anderen Orten an, einschließlich der Unterstützung für diejenigen, die draußen kampierten. Unsere Mitarbeiter, einschließlich unser Missionsleiter, hielten regelmäßig Treffen mit den Vertretern der Protestierenden ab, um ihre Bedürfnisse und Sorgen besser zu verstehen und um zu erklären, was der UNHCR als Reaktion auf ihre Forderungen tun konnte – und was nicht.

Fliegt das UNHCR weiterhin identifizierte Flüchtlinge zurück in ihre Heimat oder Drittländer?

Das UNHCR repatriiert keine Flüchtlinge aus Libyen, denn sie dürfen niemals an einen Ort zurückgeführt werden, an dem ihr Leben oder ihre Freiheit gefährdet sein könnten. Unsere Schwesterorganisation, die IOM, betreibt ein Programm zur freiwilligen Rückkehr. Der UNHCR arbeitet jedoch mit der IOM zusammen, um sicherzustellen, dass alle Personen, die internationalen Schutz benötigen, an den UNHCR verwiesen werden.

Viele der Opfer haben weder Reisepässe noch ein Dach über dem Kopf. Geben sie weiterhin UNHCR-Ausweise aus?

Das UNHCR führt weiterhin Registrierungsgespräche mit Asylbewerbern durch, und diejenigen, die die Kriterien erfüllen, erhalten Registrierungsbescheinigungen, die ihnen Zugang zu den UNHCR-Diensten verschaffen.

Wie würde eine Lösung der aktuellen humanitären Krise aussehen?

Gemeinsam mit anderen UN-Organisationen ist das UNHCR bereit, mit den libyschen Behörden an der Entwicklung eines Plans zu arbeiten, um die Situation von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Migranten auf humane und rechtebasierte Weise anzugehen. Eines der dringendsten Probleme ist die Unterbringung und die Verfügbarkeit von erschwinglichem, sicherem und preiswertem Wohnraum. Ein weiterer Fortschritt wäre, wenn die Behörden Flüchtlinge und Asylbewerber, die ohne gerichtliche Überprüfung festgehalten werden, geordnet aus der Haft entlassen würden, wobei mit den dringendsten Fällen, einschließlich Frauen und Kindern, begonnen werden sollte. Letztendlich können die humanitären Bemühungen in Libyen jedoch nur dann größere Fortschritte machen, wenn es einen dauerhaften Frieden im Land gibt und eine politische Lösung zur Wiederherstellung von Stabilität und Sicherheit.