20.07.2024 Aus den News von Pro Asyl zitieren wir diesen Beitrag:
Malta weigert sich, Menschen in Seenot zu retten und lässt die sogenannte libysche Küstenwache Geflüchtete rechtswidrig zurück nach Libyen schleppen. Schutzsuchende, die es dennoch schaffen, werden inhaftiert, oft für viele Monate. Die PRO ASYL-Partnerorganisation aditus foundation kämpft gegen Menschenrechtsverletzungen in den Haftlagern.
Die Zahl der Geflüchteten, die Malta mit oftmals seeuntauglichen Booten über das Mittelmeer erreichen, geht seit Jahren zurück. Während mit 3.406 Ankünften im Jahr 2019 ein Höchststand erreicht war, kamen im Jahr 2023 nur noch 380 Menschen in dem südeuropäischen Inselstaat an, dessen Größe etwa der Stadt Bremen entspricht. Die Mehrzahl der Menschen floh 2023 über Libyen, einige wenige auch über Tunesien. Die Schutzsuchenden kamen unter anderem aus Bangladesch, Syrien, Guinea und Kamerun.
Der starke Rückgang ist eine Folge der Politik der maltesischen Regierung, die seit Jahren aktiv versucht, Ankünfte auf der Insel zu verhindern: So ignoriert Malta systematisch Notrufe und weigert sich, Rettungseinsätze zu koordinieren; hält Handelsschiffe aktiv davon ab, zu retten; lehnt es ab, mit Akteur*innen der Seenotrettung zu kooperieren und etwa gerettete Menschen anlanden zu lassen; drängt Menschen in Seenot vor der maltesischen Küste dazu, weiter Richtung Italien zu fahren. Systematisch verletzt Malta damit internationales Recht. Mit ihrer Abschottungspolitik versperrt die maltesische Regierung de facto den Zugang zu Asylverfahren für Menschen, die in Malta Zuflucht suchen.
»Diese Weigerung, zu retten, ist schlicht inakzeptabel«, sagt Neil Falzon, Geschäftsführer der maltesischen Nichtregierungsorganisation aditus foundation (aditus), die von PRO ASYL finanziell unterstützt wird. »Es geht hier um einen EU-Mitgliedstaat, der eigentlich grundlegende Menschenrechte schützen sollte!« Nach Angaben seiner Organisation haben die maltesischen Behörden im Jahr 2022 mehr als 20.000 Menschen in Not ignoriert; 413 Boote in Seenot in der maltesischen Seenotrettungs-Zone seien nicht unterstützt und nur drei Boote von den maltesischen Streitkräften gerettet worden.
20.000 Menschen in Not ignoriert
Diese Praxis der unterlassenen Hilfeleistung geht immer weiter. Laut dem AIDA-Bericht 2023 gibt es Vorwürfe, dass Malta zu rettende Boote nach der Nationalität der in Seenot geratenen Personen auswähle. Dabei würden Personen bevorzugt, die geringere Chancen hätten, Schutz zu erhalten, weil bei ihnen die Wahrscheinlichkeit höher sei, dass sie zwangsweise zurückgebracht werden oder einer freiwilligen Rückkehr zustimmen könnten.
Tödliche Politik: Unterlassene Hilfeleistung und Zurückschleppen nach Libyen
Daneben verfolgt Malta eine Strategie der Externalisierung von Grenzkontrolle: Der Inselstaat arbeitet eng mit der sogenannten libyschen Küstenwache zusammen, um Abfahrten aus Libyen zu unterbinden. Diejenigen, die es trotz allem in maltesische Gewässer schaffen, werden von den libyschen Milizen in rechtswidrigen »Pullbacks« zurück in das Bürgerkriegsland gezogen. Zum Teil weist Malta auch private Schiffe an, Schutzsuchende zwangsweise nach Libyen zu bringen.
Im Jahr 2022 sind laut aditus über 24.600 Menschen zwangsweise nach Libyen zurückgeschleppt worden, und auch 2023 setzte sich diese Praxis sich fort, was einen tausendfachen Verstoß gegen das Völkerrecht und den Grundsatz der Nichtzurückweisung darstellt. Denn Libyen ist kein sicherer Ort: Schutzsuchende sind dort regelmäßig Folter, Versklavung und anderen massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.
Die zentrale Mittelmeerroute zwischen Libyen, Tunesien, Malta und Italien gilt als die gefährlichste Fluchtroute der Welt: Mehr als 2.500 Menschen sind im Jahr 2023 im zentralen Mittelmeer gestorben oder gelten als vermisst, seit 2014 sind es weit über 23.600 Menschen – die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Der Inselstaat trägt durch seine tödliche Politik Mitverantwortung für den Verlust von Tausenden Menschenleben.
Im Jahr 2022 starb Loujin, ein dreijähriges syrisches Mädchen, da maltesische Behörden ihrer Pflicht zur Seenotrettung nicht nachkamen. Aditus vertritt die Eltern des Kindes und hat vor wenigen Tagen Klage gegen Malta vor dem maltesischen Zivilgericht eingereicht. Ziel ist es, für Aufklärung und Gerechtigkeit zu sorgen und Aufmerksamkeit für die maltesischen Menschenrechtsverletzungen auf dem Mittelmeer zu schaffen.
»Wir bezahlen die Folgen dieser Politik, die in Europa gemacht wurde, mit unseren Leben, unserem Blut und unseren Liebsten«, so David Yambio, sudanesischer Geflüchteter und Gründer der Organisation Refugees in Libya, bei einer globalen Gedenkveranstaltung in Malta.
Systematische Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen
Die aditus foundation berichtet, dass alle Asylsuchenden, die Malta 2023 per Boot erreichten, unmittelbar nach ihrer Ankunft automatisch inhaftiert wurden – zunächst mit Verweis auf »die öffentliche Gesundheit«.
Menschen aus Staaten mit niedrigen Schutzquoten wurden anschließend auf Grundlage einer Aufnahmeverordnung automatisch für die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens beziehungsweise die maximal zugelassene Dauer inhaftiert, während andere Asylsuchende – insbesondere aus Syrien und Libyen – entweder gar nicht oder nur kurz in Gewahrsam genommen wurden. Sobald ein negativer Asylbescheid ergeht, wird die Haft häufig in Abschiebungshaft umgewandelt, sodass abgelehnte Asylsuchende gleich hinter Gittern bleiben müssen.
»Hier schikaniert ein Staat vulnerable Menschen, die Schutz suchen, ein besseres Leben.« Neil Falzon, aditus foundation
Auch Kinder, Frauen und andere besonders vulnerable Personengruppen werden systematisch nach ihrer Ankunft eingesperrt. »Malta sorgt mit seinem harten Haftregime dafür, dass Geflüchtete als Invasoren und Kriminelle angesehen werden«, so Neil Falzon. Die Inhaftierten würden ihrer Menschlichkeit beraubt, der Kontakt zu ihren Familien, Freund*innen und Hilfsorganisationen werde verhindert. »Hier schikaniert ein Staat vulnerable Menschen, die Schutz suchen, ein besseres Leben.«
Maltas Inhaftierungspolitik verletzt internationale, europäische und nationale Standards
Maltas systematische Inhaftierung von Asylantragstellenden und Migrant*innen wird seit Jahren nicht nur von Menschenrechtsorganisationen kritisiert, sondern auch von offiziellen europäischen Stellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Menschenrechtskommissar des Europarats, das Komitee zur Verhütung von Folter des Europarates und Maltas eigene Gerichte haben harsche Worte gefunden, um die maltesische Inhaftierungspolitik zu kritisieren, die internationale, europäische und nationale Standards ignoriert.
Nach einem Besuch im Jahr 2020 beklagte das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) »Lebensbedingungen, die an institutionelle Massenvernachlässigung durch die Behörden grenzen«. Die Bedingungen in Haft stellten möglicherweise eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar, die gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße. Im Herbst 2023 überprüfte das CPT Malta erneut, die Veröffentlichung des Berichts steht noch aus.
Der Staat begrenzt und überwacht den Zugang von Nichtregierungsorganisationen zu den Haftanstalten. Anwält*innen von aditus versuchen dennoch, Schutzsuchende regelmäßig in den Haftanstalten zu besuchen, um rechtliche Beratung anzubieten und allgemeine Informationen zur Verfügung zu stellen, etwa in Form eines Factsheets zur Verwaltungshaft. Wenn nötig, vertreten sie Betroffene auch vor maltesischen und europäischen Gerichten.
800 Tage Gewahrsam, 400 Menschen, zwei Duschen
Junge Geflüchtete beschreiben ihre Erfahrungen in maltesischen Gefängnissen als grausam. So schildert ein junger Mann aus Bangladesch, dass er als 15-Jähriger 14 Monate inhaftiert wurde, um nach einer kurzen Freilassung für weitere neun Monate eingesperrt zu werden. »Was das an Leid bedeutet, können nur Menschen verstehen, die es erlebt haben«, sagte er. Während der Haftzeit habe er nicht mit seiner Familie sprechen können. Aditus hatte junge Männer nach ihren Erfahrungen in maltesischen Haftanstalten zwischen Dezember 2019 und April 2022 gefragt.
Ein anderer junger Mann erzählt, dass er 2020 mit fast 400 Leuten in einem Raum festgehalten wurde, mit nur zwei Duschen für alle Inhaftierten. Es war Winter, das Wasser eiskalt, die Räume sehr dreckig. »Am 25. Dezember sah ich zwei Menschen, die sich selbst verletzten. Manchmal habe ich gedacht, dass auch ich mir etwas antun werde, wenn ich noch länger in Haft bleiben muss.« Über 800 Tage musste er in Gewahrsam ausharren. »Bitte, behandelt uns gut«, appelliert er. »Wir sind auch Menschen.«
»Wir suchen es uns nicht aus, zu fliehen«, unterstreicht ein dritter Mann, »doch sobald wir hier ankommen, werden wir erneut eingesperrt, für Monate, manchmal für ein Jahr.« Er berichtet von mangelhafter Gesundheitsversorgung, schlechtem Essen und fehlenden Informationen: »Wir wissen nicht, warum sie uns überhaupt inhaftieren.« Menschen hätten sogar Toilettenwasser getrunken. Er fordert, dass die maltesische Regierung die Situation in den Haftanstalten verändert.
Die Lebensbedingungen in Haft seien »minderwertig und unwürdig«, fasst aditus die Situation 2023 im Bericht für die Asylum Informationen Database (AIDA) zusammen. Immer wieder kommt es zu Selbstverletzungen oder Selbstmordversuchen. Doch statt Menschen mit psychischen Problemen aus den Haftzentren zu entlassen, hat Malta 2023 begonnen, sogenannte psychologische Unterstützung vor Ort anzubieten.
BROSCHÜRE
Nach GEAS-Reform: Monitoring von Haftlagern bleibt zentral
Auch Menschen, die aus einem anderen EU-Staat im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Malta »rücküberstellt« werden, können in Haft landen. Für das Jahr 2023 hat aditus das verstärkt beobachtet. Aus Deutschland wurden 2023 26 Menschen nach Malta abgeschoben (bei 260 Übernahmeersuchen).
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wird in absehbarer Zeit zu mehr Haftlagern an den EU-Außengrenzen führen. »Wir befürchten, dass die Absenkung der Standards in der gesamten Europäischen Union die schrecklichen Praktiken, wie wir sie in Malta seit einigen Jahren beobachten, noch verstärken wird«, so Neil Falzon. Das Monitoring der maltesischen Haft-Zentren werde so in Zukunft noch dringlicher: »Denn wir werden mehr denn je sicherstellen müssen, dass Asylsuchende die Informationen erhalten, auf die sie Anspruch haben, um den Zugang zu Asylverfahren sicherzustellen.«
(hk)