Migrationspaket: Unvorstellbar inhuman!

Eindrücke von einem Vortrag über das Migrationspaket

18.10.2019 Wenn Rechtsanwalt Jens Dieckmann die rechtlichen Voraussetzungen für den Aufenthalt von Geflüchteten in Deutschland beleuchtet, findet er regelmäßig zahlreiche interessierte Zuhörer*innen. Viele von ihnen haben die großen Hürden, die die Geflüchteten meistern müssen, durch die persönlichen Kontakte hautnah erleben können.

Als er auf Einladung der Stabsstelle Integration am Montag, 7. Oktober über das Migrationspaket mit der Fragestellung „Welche Neuerungen muss ich wissen?“ sprach, war der große Ratssaal besonders gut gefüllt, die vorbereiteten Handouts reichten bei weitem nicht aus.

Am Beginn stand die Feststellung, dass - nach den starken Einschränkungen durch die Asylpakete 1 und 2 - das verstümmelte Asylrecht immer noch verschiedene Rechte und Vorschriften enthielt, die jetzt zurückgenommen wurden. Mit der dadurch entstandenen Lage müssen sich Geflüchtete, ihre Unterstützer*innen, Rechtsberatungen und Anwält*innen und nicht zuletzt die Gerichte in Zukunft auseinandersetzen.

Das Migrationspaket umfasst 8 neue Gesetze bzw. Gesetzesänderungen. Zum Teil sind sie bereits in Kraft, andere werden zum Jahreswechsel wirksam, z. B. das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Vieles an dem Vorgetragenen war für mich als juristische Laie schwer verständlich, hinterließ aber bei mir wie bei anderen Zuhörer*innen ein deutliches Gefühl von Frustration und Wut. Ich frage mich: Hat der erstaunliche Wechsel bei Seehofer seine Ursache darin, dass er jetzt all seine Restriktionspläne umsetzen konnte? Da kann er gut von Humanität reden…

Im Gesetzgebungsprozess hatten wie üblich Interessenvertretungen und Verbände Gelegenheit, Einwände vorzubringen. Doch die Zeit dafür war äußerst knapp und das Paket dick. Von den trotzdem gemachten Einwänden fand kein einziger Eingang in den Regierungsentwurf, der von der Parlamentsmehrheit beschlossen wurde und auch den Bundesrat ohne Veränderungen passierte.

Jens Dieckmann benannte mehrere Problemfelder im Zusammenhang mit dem Migrationspaket:

1. Problemfeld: Völker-, menschen- und EU-rechtswidrige Gestaltung der Abschiebehaft – neue Regelungen zur Abschiebung

2. Problemfeld: Die Zukunft der Asylverfahrensberatung

3. Problemfeld: „Sonder-Duldung bei ungeklärter Identität - §60b AufenthG

4. Problemfeld: Ausbildungsduldung/Beschäftigungsduldung

5. Problemfeld: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz – FEG

6. Problemfeld: Zugang zur Sprachförderung des Bundes durch das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz ab dem 1. August 2019

7. Problemfeld: Schließung der Förderlücke für Auszubildende und Studierende im Asylbewerberleistungsgesetz ab dem 1. September 2019

8. Problemfeld: Leben in Aufnahmeeinrichtungen

9. Problemfeld: Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG

10. Problemfeld: Änderungen für anerkannte Flüchtlinge

Besonders zu den Fragen der Abschiebung und der Identitätsklärung, die eine immense Hürde voller Widersprüchlichkeiten darstellt, führte Dieckmann Fallbeispiele und Situationen an, die zu bisher unvorstellbaren Restriktionen führen, z. B. eine „Mitwirkungshaft“ genannte Form von Beugehaft, die Durchführung von Abschiebehaft im normalen Strafvollzug, Ausreisegewahrsam im Transitbereich eines Flughafens oder einer Flüchtlingsunterkunft (das seinen „illegale Hafträume“), die Kürzung von Leistungen für Alleinstehende, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, weil sie wie Paare gemeinsam haushalten könnten, und schließlich der Stopp aller Leistungen für Ausreisepflichtige nach dem Dublin-Verfahren. „Sie sollen nur für zwei Wochen eingeschränkte, sogenannte Überbrückungsleistungen bekommen. Nach diesen zwei Wochen erhalten sie, außer in Härtefällen, keinerlei Leistungen mehr, also auch keine Unterbringung und Nahrung“, erklärt Dieckmann in seinem Paper. Dies waren Beispiele, die sich mir besonders eingeprägt haben. Erschwerend kommt hinzu, dass in die Gesetze wiederholt eine „Vermutung“ festgeschrieben wurde, die vom Geflüchteten oder seiner Vertretung widerlegt werden muss.

Solche Gesetze sind eine Schande! Sie werden nicht auf Dauer den verschiedenen Klagen standhalten, aber bis dahin früher unvorstellbare Auswirkungen auf die betroffenen Menschen haben. Wie sollen oder können wir Geflüchteten solche inhumanen Vorschriften eines reichen Landes erklären, das sich selbst für seine hohen Werte preist?,

fragt sich Susanne Rohde.

 

Stefanie Schäfer von der Stabsstelle Migration, die das Handout per Email nachreichte, wies auf zwei weiterführende Artikel zum Thema hin:

Sie kommen, sie kommen nicht, sie kommen... - Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Die Wirtschaft, Bonn - Oktober 2019

"Das Reservoir potenzieller Auszubildender wird sich dramatisch verkleinern!" - Interview mit Rechtsanwalt Jens Dieckmann, Spezialist für Ausländer- und Asylrecht

Die Wirtschaft, Bonn - Oktober 2019