13.10.2022 Die ersten Nachrichten von den Ergebnissen des "Flüchtlingsgipfels" klangen vielversprechend: "Der Bund hilft den Kommunen", "Der Bund stellt Immobilien für die Unterbringung zur Verfügung", usw. Doch mittlerweile mehren sich die Stimmen derer, deren Erwartungen und Erfordernisse enttäuscht wurden. Das sind vor allem die Kommunen, die die Unterbringung und Beschulung zu stemmen haben. Die zugesagten leerstehenden Bundesimmobilien helfen da wenig, zumal sie als "Schrottimmobilien einzustufen wären. Neben Unterbringungsmöglichkeiten brauchen die Länder und Kommunen vor allem mehr Geld vom Bund, um ihre Aufgaben erfüllen zu können.
Andere beklagen die Fortsetzung der Ungleichbehandlung der hierher Flüchtenden: "Erlaubte" werden gegen "Unerlaubte" ausgespielt. Die "Unerlaubten" sind die, die über die Balkanroute kommen. „Neben der großen Fluchtbewegung aus der Ukraine kommen derzeit auch über die Balkanroute mehr Menschen nach Europa – das macht mir Sorgen“, wird Faeser zitiert. Während die aus der Ukraine zu Beginn des Winters in größerer Zahl erwarteten Kriegsflüchtlinge nach besten Kräften aufgenommen werden sollen, sollen gleichzeitig die Grenzkontrollen fortgesetzt und verschärft werden, um "unerlaubt" Einreisende zu stoppen. Seit Wochen bereits gab es Töne, die an rechte Parolen anknüpften und mit dem Stichwort "Balkanroute" Angst schürten vor einem "neuen 2015". Und Faeser hatte bereits vor dem Gipfel erklärt, es sei ihr Ziel, die Zahl der unerlaubten Einreisen über die sogenannte Balkanroute zu reduzieren.
Dazwischen gibt es Stimmen der Vernunft, die wie so oft nicht in die Schlagzeilen vordringen: das seien "nur etwa 10 bis 15 Prozent der damaligen Zahlen." "Da ist keine Welle im Entstehen", sagt Migrationsforscher Frank Düvell von der Uni Osnabrück. "Dass jetzt wieder das Schreckgespenst Balkanroute 2015 bemüht wird – ich finde das eigentlich unverantwortlich." Sein Berliner Kollege Engler sieht das ähnlich: "Ich sehe da bisher keine ganz große neue Migrationsbewegung von außen in die Europäische Union." (zitiert aus "Stern")
aktualistert 14.10.:
Tagesschau: Vor EU-Innenministertreffen Wie es um die Balkanroute wirklich steht Stand: 14.10.2022 04:02 Uhr
Nach wie vor sind Menschen auf der Balkanroute in die West-EU unterwegs. Dass die Lage laut Österreich "zum Teil dramatisch" ist, bestätigen Migrationsforscher bislang nicht - warnen aber: Die Länder seien schlecht vorbereitet.
Seit vier, fünf Monaten steckt Manaf aus dem Jemen fest im Dreiländereck zwischen Serbien, Rumänien und Ungarn. In einer verfallenen Molkerei ohne Dach campieren der 24-Jährige und einige Dutzend andere Geflüchtete auf der sogenannten Balkanroute.
"Ich bin von Jemen nach Ägypten gereist, um ein Visum für die Türkei zu kriegen", erzählt er. "Dort bin ich hingeflogen und dann losgelaufen. Nach Griechenland. Etwa einen Monat."
Danach verschwimmt die Reihenfolge der Länder und Städte, die Manaf durchquert hat. Jetzt jedenfalls ist er wieder an einer EU-Außengrenze angekommen. Sein Ziel: die Niederlande. Ein Mal hat er mit einem Freund schon versucht, über Rumänien nach Ungarn zu kommen, aber die Polizisten auf der anderen Seite hätten sie erwischt, sagt er - und mit dem Auto zurück an die serbische Grenze gefahren.
100.000 Menschen bis Ende August
Es sind also nach wie vor und wieder Menschen auf dem Balkan unterwegs. Mehrere Migrationsforscher gehen davon aus, dass sich nun viele Menschen wieder in Bewegung setzen, die wegen der Corona-Pandemie festsaßen. Wie viele es genau sind: Schwer zu sagen. Denn oft werden die Menschen auf ihren Reisen mehrfach aufgegriffen und gehen so in die Statistiken mehrerer Länder ein.
Laut der Internationalen Organisation für Migration der UN wurden bis Ende August im gesamten Westbalkan knapp 100.000 Flüchtlinge registriert. Flüchtlingstrecks wie im Jahr 2015 sind also nicht unterwegs.
Dennoch beschwor der serbische Innenminister Aleksandar Vulin vergangene Woche bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Ungarn und Österreich das Bild der großen Flüchtlingskrise herauf: "Ich kann Ihnen sagen, dass die Zahlen beinah explodiert sind, sodass sie sogar mit dem Beginn der Krise 2015 verglichen werden können", behauptete er. "Der Druck auf unsere Grenzen ist enorm."
Viele Asylanträge ohne Perspektive
Allerdings ist Serbien eher Zwischenstopp als Endstation - und aus Sicht der EU Teil des Problems: Denn Serbien hat Reiseabkommen mit mehreren Staaten, die den Bürgerinnen und Bürgern visumsfreie Einreisen erlauben. Das merkt momentan vor allem Österreich.
Die Situation sei "dynamisch, ja zum Teil dramatisch", sagt der dortige Innenminister Gerhard Karner nach seinem Gespräch mit Vulin: "Wenn wir sehen, dass wir in den ersten acht Monaten 58.000 Asylanträge hatten - und vor allem aus Ländern, die praktisch keine Chance auf Asyl haben."
Rund ein Viertel der Asylanträge in Österreich werden derzeit von Menschen aus Indien und Tunesien gestellt, ohne Aussicht auf Erfolg. Es sind Länder, mit denen Serbien eben jene Visa-Abkommen hat. Serbien versprach daher jüngst, seine Visa-Regeln an die der EU anzupassen - voraussichtlich bis Ende des Jahres.
"10 von 11 Flüchtlingen aus der Ukraine"
In Deutschland wurden in diesem Jahr laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bisher rund 155.000 Anträge auf Asyl gestellt, weit weniger als in den Jahren 2015 und 2016. Damals waren es mehr als drei- bis viermal so viele.
Die Situation heute ist also mit der von 2015 nicht vergleichbar, sagt der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus, Gründer der Denkfabrik "European Stability Initiative":
2015 hatten wir in zwölf Monaten eine Million Menschen, die irregulär aus der Türkei mit Booten nach Griechenland auf die Inseln kamen und dann über Südosteuropa Richtung Deutschland. 2022 sind zehn von elf Flüchtlingen, die in Deutschland aufgenommen wurden, regulär in die Europäische Union eingereist: aus der Ukraine. Ohne Schlepper."
EU schlecht vorbereitet
Die Zahl der irregulären Einreisen über die Balkanroute verblasse gegen die realistische Herausforderung, dass mit einer sich möglicherweise verschlechternden Lage in der Ukraine wieder mehr Menschen von dort Richtung Europa flüchten könnten.
Knaus rät daher, auch nicht mit den Rezepten von 2015 auf die Lage heute zu reagieren: "Debatten über Grenzkontrollen an der bayrisch-österreichischen oder deutsch-tschechischen Grenze führen an der Herausforderung - sich vorzubereiten auf die größte Flüchtlingsbewegung, die der Krieg in der Ukraine auslöst -, führen an dieser Herausforderung vollkommen vorbei."
Bisher, sagt der Experte, seien die Länder auf die tatsächliche Herausforderung eher schlecht vorbereitet.
Im Folgenden sind einige Pressestimmen zusammengetragen:
stern in einem Beitrag vor dem Flüchtlingsgipfel:... Es kommen mehr Flüchtlinge über die Balkanroute Kopfzerbrechen bereitet den Behörden seit einigen Wochen, dass zusätzlich zu den Ukraine-Flüchtlingen mehr Menschen aus anderen Regionen über die sogenannte Balkanroute kommen. Sachsen gilt als ein Hotspot. Hier kommen Menschen über die Grenzen zu Tschechien und Polen an. Die Zahl der in der Dresdner Bundespolizei-Inspektion registrierten ankommenden Migranten stieg von gut 500 im Juli über 1200 im August auf etwa 2400 im September. Bei unerlaubten Einreisen werden vor allem Menschen aus Syrien, aber auch Iraker und Afghanen aufgegriffen, darunter viele junge Männer im Alter von 15 bis 25 Jahren. Brandenburg meldet einen starken Anstieg illegaler Schleusungen.
Bayern stellte von Anfang Januar bis Ende August 2022 im 30-Kilometer-Bereich an den Grenzen zu Tschechien und Österreich 1650 Fälle unerlaubte Einreisen fest und kündigte verstärkte Kontrollen in der Grenzregion an. Österreich hat nach Behördenangaben seit Mai rund 68.000 irregulär eingereiste Migranten aufgegriffen, vor allem aus Afghanistan, Indien, Syrien, Tunesien und Pakistan – Tendenz steigend. Auch Indikatoren in Serbien und Ungarn deuten darauf hin: Die Balkanroute wird derzeit intensiver genutzt als noch vor einem Jahr. Pandemie hat Fluchtbewegungen zwischenzeitlich gedrosselt Migrationsforscher setzen die steigenden Zahlen aber ins Verhältnis. Über die Balkanroute kämen viel weniger Menschen als 2015 oder 2016 – nur etwa 10 bis 15 Prozent der damaligen Zahlen, sagt Franck Düvell von der Universität Osnabrück. Dahinter stecke auch ein "nachholender Effekt". Es kämen viele Menschen, die wegen der Corona-Pandemie in Ankunftsländern wie Griechenland festgesessen hätten und sich nun bessere Bedingungen in nördlichen EU-Ländern erhofften.
Die Zahl der entdeckten irregulären Ankünfte in der EU sei hingegen nicht besonders hoch. "Da ist keine Welle im Entstehen", sagt Düvell. "Dass jetzt wieder das Schreckgespenst Balkanroute 2015 bemüht wird – ich finde das eigentlich unverantwortlich." Sein Berliner Kollege Engler sieht das ähnlich: "Ich sehe da bisher keine ganz große neue Migrationsbewegung von außen in die Europäische Union."
rnd: Innenministerin kündigt nach Flüchtlingsgipfel stärkere Grenzkontrollen an
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat sich nach dem Flüchtlingsgipfel in Berlin angesichts der Flüchtlingsbewegungen über die Balkanroute besorgt gezeigt. Sie kündigte daher stärkere Kontrollen an der Grenze zu Österreich und Tschechien an. Für Flüchtlinge aus der Ukraine kündigte Faeser Unterstützung durch den Bund an. Thema des Gipfels waren die Flüchtlingsbewegungen aus der Ukraine und aus Nordafrika
„Neben der großen Fluchtbewegung aus der Ukraine kommen derzeit auch über die Balkanroute mehr Menschen nach Europa – das macht mir Sorgen“, sagte Faeser weiter. An den EU-Außengrenzen steige der Druck durch Migration. Die Innenministerin kündigte an, ein „Bündel an Maßnahmen“ ergriffen zu haben. Die Grenzkontrollen an den Grenzen zu Österreich und Tschechien sollen demnach fortgeführt werden. Die beiden Nachbarländer hätten nach „sehr ernsten Gesprächen“ zudem ihrerseits verstärkte Grenzkontrollen an ihren Landesgrenzen zugesagt....Faeser hatte bereits vor dem Treffen erklärt, es sei ihr Ziel, die Zahl der unerlaubten Einreisen über die sogenannte Balkanroute zu reduzieren.
ndr: Kommunen in Niedersachsen enttäuscht von Flüchtlingsgipfel
Nach dem Flüchtlingsgipfel in Berlin ist weiter unklar, inwieweit sich der Bund an den Kosten für Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten beteiligt. Ein Angebot aber hat der Bund gemacht.
Der niedersächsische Städte- und Gemeindebund zeigt sich nach dem Flüchtlingsgipfel in Berlin enttäuscht. "Ich bin mir nicht sicher, ob der Ernst der Lage in Berlin angekommen ist", sagte der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Marco Trips, am Dienstag in Hannover. "Ich hätte mir ein deutliches Eingeständnis gewünscht, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in privaten Wohnungen zu Ende ist." Ihm zufolge bringen die Städte und Gemeinden in Niedersachsen schon jetzt Menschen in Sammelunterkünften unter: "Dies wird spätestens ab Dezember überall der Fall sein."
ntv: Der Flüchtlingsgipfel bringt für viele Teilnehmer nur ernüchternde Ergebnisse. .. Angesichts steigender Flüchtlingszahlen in Deutschland sehen Vertreter von Kommunen nach dem Gipfel bei Innenministerin Nancy Faeser weiteren Handlungsbedarf bei der Bundesregierung. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, forderte ein weiteres Spitzentreffen bei Kanzler Olaf Scholz unter Einbeziehung der Länder und Kommunen noch in diesem Jahr. Nur im Dialog zwischen Bund, Ländern und Kommunen könnten die "vor uns liegenden Aufgaben" bewältigt werden, sagte er der "Rheinischen Post". ..