Nachlese zum EU-Gipfel über Zukunft der europäischen Asylpolitik

04.11.2024 Eine späte Nachlese zum EU-Gipfel: Das beim Gipfel noch vorbildhaft dargestellte Albanien-Auslagerungsprojekt von Meloni mit 16 eingewiesenen Migranten war unmittelbar nach dem Gipfel per Gericht für  nicht-rechtens erklärt worden, die Betroffenen mussten nach Italien gebracht werden. Dazu mehr in den Aktuellen Zitaten.   Wir zitieren einige Pressestimmen: - Tagesschau: Warum die EU schon wieder über Migration streitet Stand: 18.10.2024 Eigentlich hatte die EU sich gerade erst auf einen Asylpakt [...] weiterlesen

Wir zitieren einige Pressesteimmen:

Stand: 18.10.2024 Eigentlich hatte die EU sich gerade erst auf einen Asylpakt geeinigt - doch nun war Migration schon wieder das bestimmende Thema des Gipfeltreffens. Das hat auch mit dem Rechtsruck in einigen Mitgliedsstaaten zu tun.

Von einer "extrem tiefgründigen Debatte" spricht nach seinem letzten EU-Gipfel als Ratspräsident Charles Michel, "umfassend" nennt sie Kommissionschefin Ursula von der Leyen, "sehr konstruktiv" Bundeskanzler Olaf Scholz: Bis in den späten Abend hinein befasst sich dieser EU-Gipfel am Donnerstag mit der Migration, nachdem die Tagesordnungspunkte Ukrainekrieg und Nahostkonflikt bereits am Vormittag und am Nachmittag abgearbeitet worden waren.

Europas politische Landkarte verändert sich

Obwohl sich die EU gerade erst und nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Asylpakt geeinigt hat, steht das Thema nun doch wieder weit oben auf der Tagesordnung. Die Zahl der Ankommenden nimmt zwar ab, aber es geht auch um die, die europäischen Boden wieder verlassen sollen, dies aber nicht tun.

Diese Debatte ist gerade in Deutschland durch Fälle wie den tödlichen Messerangriff von Solingen wieder entbrannt. Außerdem hat sich die politische Landkarte in Europa in den vergangenen Monaten spürbar verändert: In den Niederlanden ist eine Regierung gebildet worden, die vom Wohlwollen des Rechtsaußen Geert Wilders abhängig ist; die neue Regierung in Frankreich ist ebenso abhängig von Marine Le Pens Rassemblement National; in Deutschland hat die AfD bei mehreren Landtagswahlen erfolgreich abgeschnitten, und bei den Europawahlen konnte die Rechtsaußen-Seite des Parlaments ebenfalls erheblich dazugewinnen.

Die Regierungschefs auf dem EU-Gipfel fordern mehr Tempo beim gemeinsamen EU-Asylsystem. mehr

Scholz: Offen bleiben für Arbeitskräfte

Der Versuch, dies alles auszubalancieren, spiegelt sich in den Äußerungen rund um diesen Gipfel wider. Dazu gehört einerseits das klare Bekenntnis zum Asylpakt, inklusive Beschleunigung, wenn es vorher schon geht. "Wir müssen schneller werden", erklärt der Kanzler. Die irreguläre Migration müsse zurückgehen und man habe in Deutschland gerade schon einiges auf den Weg gebracht.

Scholz mahnt aber zugleich, "dass die Europäische Union offen bleibt für die Zuwanderung der nötigen Arbeitskräfte und Fachkräfte, damit unsere Volkswirtschaft trotz der demografischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wachsen kann."

faq 17.10.2024

Migration Wer will was im EU-Asylstreit?

Über kaum ein Thema debattiert die EU so anhaltend wie die Asylpolitik. Ein Überblick über die Positionen. mehr

EU will italienisches Modell beobachten

Dazu gehört auch, dass eine gewisse nationale Freiheit für Sonderwege besteht. Den italienischen Versuch mit ausgelagerten Asylverfahren auf albanischem Boden will man beobachten.

Die EU-Kommission soll nun zügig ein Konzept vorlegen, mit dem die Verfahren zur Rückführung gestrafft und beschleunigt werden können, fordern die Mitgliedsstaaten. Von einer verstärkten "Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern" - also weiteren Abkommen mit Drittstaaten - ist in der Schlusserklärung die Rede und überhaupt von "entschlossenem Handeln auf allen Ebenen".

16.10.2024 Erste Migranten angekommen Italiens Asyl-Experiment in Albanien beginnt

16 Männer aus Ägypten und Bangladesch wurden von der italienischen Küstenwache aufgenommen und nach Albanien gebracht.

Scholz gegen Aufnahmezentren außerhalb der EU

Von Aufnahmezentren für Asylverfahren außerhalb der EU - ob nun in Albanien oder Ruanda oder, wie jetzt von den Niederlanden ins Spiel gebracht, Uganda - hält der deutsche Kanzler übrigens nicht viel. Er könne "mit diesen Diskussionen wenig anfangen", sagte er.

Mehr als 300.000 Frauen und Männer seien im vergangenen Jahr irregulär nach Deutschland gekommen, sagt Scholz, von denen einige Schutz gefunden hätten, viele nicht. Mit Blick auf diese Zahlen, die sich ja auch aus anderen Ländern berichten ließen, machten solche Spekulationen "wenig Sinn", findet Scholz.

12.10.2024 Regierungschef Polens Tusk will Asylrecht aussetzen

Im Kampf gegen illegale Migration will Polens Regierungschef Tusk das Asylrecht vorübergehend aussetzen. mehr

Solidarität mit Polen

Ausdrücklich wird in der Schlusserklärung die Solidarität mit Polen hervorgehoben, das an seiner Grenze zu Belarus das Asylrecht aussetzen will, weil Belarus gezielt Migranten an diese EU-Außengrenze bringt.

Das sei auch schon den baltischen Staaten und Finnland so gegangen, das seine Grenzen nach Russland ebenfalls geschlossen hat, erinnert Kommissionschefin von der Leyen. "Putin und Lukaschenko wollen Druck auf uns ausüben", sagt von der Leyen, "Sie versuchen, die Sicherheit und territoriale Integrität Europas zu untergraben, das sind hybride Attacken durch staatliche Akteure."

 

Brüssel · Dauerhafte Unterstützung für die Ukraine, Appelle an einen Frieden in Nahost und intensive Beratungen zur Zukunft der europäischen Asylpolitik prägten den jüngsten EU-Gipfel in Brüssel.

18.10.2024 … Schon vor dem Auftakt der offiziellen Gipfelgespräche hat Italiens rechtspopulistische Regierungschefin Giorgia Meloni zu einer Vorbesprechung zur Asylverschärfung im kleinen Kreis geladen. Keine geringere als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erweist ihr die Ehre. Sie hat schon in einem Brief an die 27 Gipfelteilnehmer angekündigt, neue Gesetzgebung voranzubringen, dadurch nicht nur die Rückführungsrichtlinie handhabbarer zu machen, sondern auch „externe Lösungen“ aufzugreifen: Flüchtlinge künftig in Drittstaaten festzuhalten, ihre Anträge dort zu prüfen und nur die Erfolgreichen in die Länder der EU zu lassen. Meloni hat eigens am Tag zuvor die ersten im Mittelmeer aufgefischten Menschen in die neuen italienischen Aufnahmelager nach Albanien schicken lassen, um dem neuen Dreh der EU-Asylpolitik mehr Schwung zu geben.

Gerne stellt auch Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán das Bild vom morgendlichen Vortreffen in die Sozialen Netzwerke. Es bereitet ihm ausdrücklich Genugtuung, nicht mehr - wie so oft - außen vor, sondern mitten drin zu sein, nicht zu den Bremsern, sondern EU-Schrittmachern zu gehören. Neben ihm sitzt der christdemokratische griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis, auch die Niederlande, Dänemark, Tschechien, Portugal und Zypern sind mit ihren Regierungschefs vertreten.

Lange war im Vorfeld spekuliert worden, ob auch Olaf Scholz aus Deutschland bei der Runde dabei sein werde. Er hatte mit den Grenzkontrollen an allen deutschen Schengenbinnengrenzen ein von vielen in der Meloni-Runde begrüßtes Zeichen im Vorfeld des Gipfels gesetzt. Offenbar hatte er aus Berlin jedoch auch andere Signale: Dass es vor der kritischen Abstimmung über das Sicherheitspaket an diesem Freitag nicht das Klügste gewesen wäre, sich mit Rechtspopulisten bei angeregten gemeinsamen Planungen ablichten zu lassen. Auch die konkrete Frage, wie er es mit den Rückführungszentren in Drittstaaten halte, beantwortet er ausweichend. Es sei „klar, dass Konzepte, die ganz wenige kleine Tropfen darstellen, für ein so großes Land wie Deutschland nicht wirklich die Lösung sind“. Deutschland habe im Vorjahr mit 300.000 irregulären Aufnahmen „viel zu viel“ abbekommen. Da seien „mal da 1000 und mal da 2000“ eindeutig zu wenig, „wenn man von 300.000 herunterkommen will“.

Tatsächlich verständigt sich die Runde darauf „neue Wege zur Vermeidung und Bekämpfung irregulärer Migration“ in Betracht zu ziehen. Als Scholz die Diskussion darüber lobt und die Beschlüsse vorstellt, erwähnt er indes die Drittstaatenverfahren nicht. Vielmehr kündigt er an, dass die Ampelregierung noch in diesem Jahr mit der Umsetzung des gemeinsamen europäischen Asylsystems in deutsches Recht noch weit gekommen sein will. Er begrüßt zudem die Ankündigung von der Leyens, die Rückführungsrichtlinie zügig zu überarbeiten. Die Gipfelentscheidung mit Blick auf die östlichen Partner, dass außergewöhnliche Situationen auch außergewöhnliche Reaktionen möglich machten, relativiert Scholz mit dem Hinweis darauf, dass dabei das europäische wie das Völkerrecht zu beachten sei. Zuvor war darüber spekuliert worden, ob Polen das Asylrecht dann aussetzen könnte, wenn sein Nachbar Weißrussland Migranten als Waffe einsetze. Auch Rückweisungen im großen Stil sind in der Diskussion. ...

Straßburg · Eine Woche nach dem Meinungsschwenk bei EU-Kommission und EU-Gipfel zu einem verschärften Vorgehen gegen die Irreguläre Migration sind im Europaparlament die Fraktionen reihenweise auf Distanz dazu gegangen. Die Mehrheit für Veränderungen ist damit fraglich.

23.10.2024 Da kündigt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Brief an die Teilnehmer des jüngsten EU-Gipfels an, bei der Bekämpfung der irregulären Migration neue Wege einzuschlagen - aber bei der darauf aufbauenden Debatte des Europaparlamentes an diesem Mittwoch glänzt sie durch Abwesenheit und lässt stattdessen ihre Gleichstellungskommissarin ein paar Sätze ablesen. Da kündigt die ungarische Ratspräsidentschaft die Wiedergewinnung der Kontrolle über die Migration als wichtigen Inhalt an - aber in der Straßburger Debatte schwänzt sie und verpasst die Möglichkeit, für den neuen Kurs zu werben. Schon diese Missachtung des Parlamentes hätte dazu führen können, dass viele Abgeordnete den beiden anderen Institutionen ein Stopp-Zeichen für ihre Vorhaben zeigen. Doch auch inhaltlich machten sowohl Teile des linken und rechten Randes als auch Sozialdemokraten, Liberale und Grüne klar, den neuen Kurs nicht mittragen zu wollen.

Am Anfang breitet EU-Kommissarin Helena Dalli die Faktenlage aus ihrer Sicht aus: Die strategischen Partnerschaften mit Drittländern funktionierten, die Ankünfte übers Mittelmeer seien im Jahresvergleich um 64 Prozent zurückgegangen, die Rückführungen funktionierten effektiver und seien von Januar bis Juni diesen Jahres um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Migranten seien jedoch ein „wesentlicher Bestandteil unserer Volkswirtschaften und Gesellschaften“. Schon jetzt bekundeten vier von fünf Unternehmen in der EU, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung geeigneter Arbeitskräfte zu haben.

Info Drei Asylpakete sind auf dem Weg

Schon beschlossen ist das Gemeinsame Europäische Asylsystem (Geas), das die EU-Staaten bis Juni 2026 - oder auch früher - in nationales Recht umsetzen.

Im nächsten Frühjahr kommt die Anpassung der Rückführungsgesetzgebung, die aktuelle Hürden abbauen soll.

Noch diskutiert werden Rückführungszentren in Drittstaaten, in die die Asylverfahren ausgelagert werden könnten.

Als erster Parlamentarier unterstreicht der schwedische Christdemokrat Tomas Tobé in der Debatte, dass seine Europäische Volkspartei (EVP) „nachdrücklich“ sowohl die neuen Positionen der Kommissionspräsidentin als auch des EU-Gipfels mit seinen „neuen Wegen“ in der Migrationspolitik begrüße. Er sieht mit Zuversicht den neuen Rückführungsregeln entgegen, die die neue Kommission innerhalb der ersten hundert Tage ihrer Amtszeit vorlegen will und stellt in seiner letzten Bemerkung fest, dass sowohl Teile der Linken als auch Teile der Rechten „geeint in ihrem Widerstand gegen eine gemeinsame europäische Asylpolitik“ seien.

Doch es sind bei weitem nicht nur die Positionen vom linken und rechten Rand. Unmittelbar danach geht keine Geringere als die sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Iratxe García Pérez in die Vollen und bekundet, dass die ganze „sozialistische Familie nicht bereit ist zuzulassen, dass das Schreiben der letzten Woche von Frau von der Leyen den Migrationspakt sozusagen abschafft“. Allein an die Grundrechte-Charta der Europäischen Union fühlten sich die Sozialdemokraten gebunden. Das von der Kommission mit Interesse verfolgte Albanien-Modell nennt die Chefin der europäischen Sozialdemokrat eine „unmenschliche Deportation in Drittstaaten“. Es sei „nicht akzeptabel“, vor den Rechtsextremisten in die Knie zu gehen. Die Vorausschau warne vor dem Fehlen von 35 Millionen Arbeitskräften in Europa. Zwischen 35 und 50 Prozent der Unternehmen in der EU würden ohne Migranten „untergehen“. Somit gebe es keine Alternative zu eine humanen, sicheren und geordneten Migrationspolitik.

Während sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für eine Verschärfung der Migrationspolitik beim Gipfel der Vorwoche offen zeigte, gehen seine eigenen führenden liberalen Abgeordneten in Straßburg auf Distanz. „Wie kann man so etwas zum Vorbild nehmen?“, schimpft Fraktionschefin Valérie Hayer über die Tatsache, dass Italien zwölf Migranten für 48 Stunden nach Albanien gebracht habe. Das sei „wirklich ein Schlag ins Wasser“ gewesen. Zu den explodierenden Lebenshaltungskosten kämen nun die „Kosten des Populismus“. 65 Millionen Euro für das Lager in Albanien für zwölf Migranten, und das auch noch für eine Politik, „die in keinster Weise unsere Werte repräsentiert“, hält Hayer den Debatten auf dem Gipfel entgegen. Die französische Migrationsexpertin Fabienne Keller greift die Formulierung der Gipfel-Erklärung von „innovativen Lösungen“ auf und sagt, dass die Liberalen „ausdrücklich dagegen“ seien.

Unterschiedlich sind die Positionierungen auf dem rechten Rand. Für die Patrioten bleibt der Asylpakt der „größte Fehler“, dagegen sehen die konservativen Reformer die Externalisierung (also die Bearbeitung von Asylanträgen außerhalb der EU) als „Schritt in die richtige Richtung“. Damit ist die Mehrheitsfähigkeit im Europaparlament zu den ab nächstem Frühjahr zu erwartenden Nachschärfungen des Asylrechtes völlig unklar.

Für die deutschen Grünen mahnt Erik Marquardt die EVP: „Bitte schielen Sie nicht nach rechts, wir kriegen das zusammen hin.“ Doch auch er meldet massive Bedenken schon bei den bestehenden Migrationsabkommen an, verweist auf das Aussetzen von Flüchtlingen in der Wüste und fordert die Kommission auf, die „Grausamkeiten bei der externen Zusammenarbeit endlich anzuerkennen“. Dagegen erinnert die CDU-Migrationsexpertin Lena Düpont daran, dass schon bei der Verabschiedung des Asylpaktes allen klar gewesen sei, „dass das nicht alles war“. Dennoch brauchte die EU zehn Jahre bis zur Entscheidung darüber. Die nächsten Schritte können angesichts dieser Debatte also wieder dauern.