Neu zum Weltflüchtlingstag: Der "Report globale Flucht 2024"

29.05.2024 Soeben wurde der Report Globale Flucht 2024 angekündigt. Er erscheint im S. Fischer Verlag zum Weltflüchtlingstag 20. Juni, der dazu schreibt:

Report Globale Flucht 2024. Herausgegeben von: Jochen Oltmer Marcel Berlinghoff Franck Düvell Christine Lang Andreas Pott

Zum Weltflüchtlingstag 2024: Der jährliche Bericht zu einem der drängendsten Themen unserer Zeit

Flucht ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Der »Report Globale Flucht« versammelt forschungsbasiertes Wissen aus unterschiedlichen Perspektiven und verschafft so einen Überblick über zentrale Debatten, aktuelle Entwicklungen und Hintergründe zum Thema Flucht. Schwerpunkt des Reports 2024 ist die Asylpolitik der Europäischen Union. Herausgegeben von Jochen Oltmer, Marcel Berlinghoff, Franck Düvell, Christine Lang und Andreas Pott im Auftrag des Projekts »Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer« (FFVT).

 

Wir zitieren im Folgenden Beiträge der SZ und der Deutschen Welle:

Im "Report globale Flucht 2024" warnen Migrationsforscher vor einer Erosion internationaler Asylstandards durch die EU. Gefährdet seien besonders geflüchtete Kinder.

Acht Jahre lange haben die EU-Staaten gestritten, vor zwei Wochen wurde die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen. Nun kommt scharfe Kritik aus der deutschen Migrationsforschung. "Grundlegende Normen des Flüchtlingsschutzes werden immer weiter ignoriert", sagte Franck Düvell vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück am Montag in Berlin. "Globale Verantwortung ist lediglich ein Lippenbekenntnis."

Anlass der Schelte war die Präsentation des "Report globale Flucht 2024". Er wird jährlich vom Verbundprojekt Flucht und Flüchtlingsforschung verfasst, beteiligt sind Forscherteams der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Osnabrück, das International Center for Conflict Studies in Bonn sowie das German Institute of Development and Sustainability (IDOS), eine Denkfabrik nachhaltiger Entwicklungspolitik.

Der Report widmet sich in diesem Jahr der GEAS-Reform, mit der Asylbewerber ohne Anspruch auf Schutz bereits an den EU-Außengrenzen abgefangen werden sollen. Geplant sind dort Sammelunterkünfte mit zunächst 30 000 haftähnlichen Plätzen. Asylbewerber, die aus einem Staat kommen, in dem im Schnitt nur 20 Prozent der Antragsteller wirklich Asyl bekommen, sollen in ein beschleunigtes Grenzverfahren mit eingeschränkten Einspruchsrechten kommen und bei Ablehnung direkt abgeschoben werden. Das gilt auch für Familien mit Kindern. Nur für alleinreisende Minderjährige sind Ausnahmen geplant.

Inhaltlich aber weise die Reform "eine deutliche Schieflage" auf

Das Versprechen der EU: rechtsstaatliche Verfahren. Die Kritik der deutschen Forscherteams: Nichts dergleichen sei garantiert. Die Reform sei als Einigung zwar "erst mal ein Durchbruch", sagte Migrationsforscher Düvell. Inhaltlich aber weise sie "eine deutliche Schieflage" auf. Zu befürchten stehe etwa eine Gefährdung des Kindeswohls. "Kindern kommen nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, nach der EU-Grundrechtecharta, nach der Einschätzung eines Berichts des Europarats besondere Schutzbedürfnisse zu", sagte die Nürnberger Politikwissenschaftlerin Petra Bendel. "Sie sind vulnerable Personen." Sie zu inhaftieren sei nur als "letztes Mittel" erlaubt, und ob die GEAS-Reform dies so umsetze, sei keineswegs gesichert.

Problematisch sei auch die "mangelnde Verfahrensgarantie im Grenzverfahren", so Migrationsforscher Düvell - und eine "Unterhöhlung" des Prinzips der Nicht-Auslieferung an Staaten, in denen "schwere Menschenrechtsverletzungen" drohten. Europas Wunsch nach deutlich mehr Abschiebungen sei außerdem "weder sinnvoll, nachhaltig noch durchsetzbar". In ärmeren Ländern der Welt, die sehr viel mehr Flüchtlinge aufgenommen hätten als Europa, werde die GEAS-Reform zu einer "Verlängerung und Verfestigung von Vertreibungssituationen außerhalb Europas" führen. Für zwei Drittel aller Geflüchteten weltweit sei Flucht schon jetzt ein Dauerzustand. Lang bestehende Vertreibungskrisen aber, etwa die Lage der Rohingya in Bangladesh oder der Syrer in der Türkei, würden hierzulande "weitgehend ignoriert".

Der Bonner Konfliktforscher Benjamin Etzold mahnte mehr legale Zuwanderungsmöglichkeiten nach Europa an. De facto seien sie "immer weiter erodiert worden", sagte er. Im Rahmen humanitärer Aufnahmeprogramme habe Deutschland 2023 nur 5000 Personen aufgenommen. Die Aufnahmebereitschaft sei "äußerst gering".

 

Weniger Flüchtlinge aus Afrika, dafür mehr aus der Ukraine? Und wie geht es weiter im Gaza-Streifen? Der "Report Globale Flucht 2024" gibt Antworten.

Was leisten Deutschland und Europa, um Menschen auf der Flucht zu helfen? "Einen bedeutenden Beitrag", sagt der Migrationsforscher Franck Düvell von der Universität Osnabrück unter Verweis auf über eine Million aufgenommene Flüchtlinge im Jahr 2023. Trotz dieses Lobs ist er mit der Gesamtbilanz jedoch unzufrieden. Das gilt auch für die anderen Fachleute, die mit ihm in Berlin den "Report Globale Flucht 2024" präsentieren.

"Die aktuellen Flucht-Debatten konzentrieren sich auf Abschreckungsmaßnahmen", kritisiert Düvell den nach jahrelangen Streitigkeiten innerhalb der Europäischen Union (EU) gefundenen Kompromiss zum Umgang mit Flüchtlingen

Symbol für Flüchtlingsleid: das Lager Moria auf der Insel Lesbos 

Zum Symbol einer verfehlten Flüchtlingspolitik wurde das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, das für 2800 Menschen geplant worden war. In den schlimmsten Zeiten waren dort aber 20.000 Männer, Frauen und Kinder untergebracht. Sie hausten unter katastrophalen hygienischen und gesundheitlichen Zuständen.

Nach der neuen Asylreform der Europäischen Union werden Asylsuchende künftig bereits an den EU-Außengrenzen kontrolliert und registriert. In Auffanglagern sollen sie bis zu zwölf Wochen warten, bis über ihren Asylantrag entschieden ist. Düvells Prognose: "Wir werden ganz viele Morias bekommen."

Auch Petra Bendel von der Universität Erlangen-Nürnberg befürchtet, dass sich Bilder überfüllter, menschenunwürdiger Lager besonders für Kinder und Familien auch in Zukunft wiederholen könnten: "Ob sich die herrschenden Missstände in den zahlreichen Aufnahme-Einrichtungen an den Außengrenzen zu effizienten Verfahren entwickeln, wird sich in der Umsetzung zeigen müssen."   

"Europa begibt sich in eine große Abhängigkeit von Despoten"

So sieht es auch ihr Kollege Düvell. Abkommen zur Aufnahme von Flüchtlingen mit überwiegend außereuropäischen Staaten hält der Fluchtforscher für höchstproblematisch. Dahinter stecke folgende Einstellung: "Bei uns sollen sie nicht bleiben, dann doch lieber bitte nach Ruanda oder nach Tunesien oder nach Albanien."

Zudem würden Abkommen mit autoritären Staaten Demokratisierungsprozesse in diesen Ländern unterlaufen, kritisiert der Experte: "Europa begibt sich in eine große Abhängigkeit von Despoten." Der frühere EU-Mitgliedsstaat Großbritannien nimmt aktuell erste Migranten fest, um sie im Juli nach Ruanda abzuschieben. Bis Ende des Jahres will die Regierung von Premierminister Rishi Sunak 5.700 Menschen ins afrikanische Land ausfliegen. 

Lob für den Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine

Ebenso erleichtert wie besorgt sind die Expertinnen und Experten für Migration über den Umgang mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Russlands Angriff auf sein Nachbarland habe die größte Flüchtlingsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst, sagt Franck Düvell. Aber es könne noch schlimmer kommen: "Wenn nicht verhindert wird, dass Russland den Krieg weiter eskaliert oder gar gewinnt, müssten wir im Westen tatsächlich mit Millionen weiterer Flüchtlinge rechnen."

Die Aufnahme von rund einer Million Menschen in Deutschland sei bislang aus zwei Gründen ganz gut gelaufen. Zum einen habe die Bundesregierung auf eine zentralisierte Unterbringung in Lagern verzichtet, zum anderen die Zivilgesellschaft massiv geholfen. "Sonst wäre das Aufnahme-System schon im Frühjahr 2022 zusammengebrochen", vermutet Düvell.