Neues Gesetz "zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters": Kein Datenschutz für Geflüchtete?

02.5.2021 Wie Pro Asyl in seinen News am 30.April berichtet, will die Bundesregierung noch vor den Wahlen ein Gesetz durchs Parlament bringen, das die zentrale Speicherung aller Daten Geflüchteter vorsieht. Nicht nur in Papierform, sondern auch digital. "Mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters“ will die Regierung den bundesweiten Datenpool über Menschen ohne deutschen Pass erneut vergrößern und künftig allen möglichen Behörden eine Vielfalt von Informationen automatisiert zur Verfügung stellen – darunter jetzt auch Asylentscheidungen und andere persönliche Dokumente."

"Das verstößt gegen Grundrechte – und kann für die Betroffenen lebensgefährliche Folgen haben...", stellt Pro Asyl fest. Weiter heißt es:

"Häufig werden Gesetze ausgerechnet dann geändert, wenn keiner so genau hinschaut. Zum Beispiel, wenn die Corona-Zahlen alles andere überschatten. Was die Bundesregierung derzeit plant, sollte ein Alarmsignal für alle sein, denen die Kontrolle über persönliche Informationen wichtig ist. Im Ausländerzentralregister (AZR) sollen künftig zahlreiche Daten und Dokumente von Geflüchteten erfasst und zehntausenden deutschen Beamtinnen und Beamten zugänglich gemacht werden.

Dabei gilt es hierzulande eigentlich als Tabu, persönliche Daten zu sammeln und sie dann in einer zentralen Datei zusammenführen. Das hat zuletzt die Diskussion über eine zentrale Datenerfassung im Zuge der Infektionsbekämpfung gezeigt. Anders verhält es sich aber offenbar, wenn es um Menschen ohne deutschen Pass, insbesondere Flüchtlinge, geht. Bereits seit 2016 enthält das AZR von Geflüchteten – neben Daten zu Person, Aufenthaltsstatus und anderem – auch Fingerabdrücke, Informationen über Gesundheitsuntersuchungen und Impfungen, Schul-und Berufsbildung, etc. Nun soll das Ausländerzentralregister wieder einmal massiv ausgebaut werden.

Zugriffsrechte für tausende staatliche Stellen

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters will die Bundesregierung künftig auch Asylbescheide, asyl- und aufenthaltsrechtliche Gerichtsentscheidungen und andere Dokumente von Geflüchteten im Volltext verfügbar machen – inklusive der darin zu findenden Fluchtgeschichten, Familienverhältnisse und persönlichen Merkmale wie sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit sowie die politische Ansichten. Neu ist auch die geplante Speicherung der Personenidentitätsnummer aus dem Herkunftsland.

150.000

Menschen können auf das Ausländerzentralregister als Informationsquelle zugreifen

Wer soll auf die persönlichen Unterlagen aus dem asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren künftig Zugriff haben? Alle 600 lokalen Ausländerbehörden, die Länder-Aufnahmeeinrichtungen, die Bundesagentur für Arbeit, Sozialämter und Jobcenter, die Bundespolizei, alle »sonstigen« Polizeivollzugsbehörden, Zolldienststellen, Staatsanwaltschaften, das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter sowie deutsche Auslandsvertretungen. Wozu all diese Stellen diese Zugriffsrechte auf die Dokumente benötigen, ist weder begründet noch nachvollziehbar. Für ihre Aufgabenerfüllung brauchen sie vielleicht das Ergebnis der Asylprüfung, aber nicht die vorgebrachten Begründungen und Geschehnisse – die gehen sie schlicht nichts an.

Durch das Gesetz sollen die Verwaltungsabläufe verbessert werden. Die Rechte der Betroffenen, vor allem auf Datenschutz und auf informationelle Selbstbestimmung, spielen keine Rolle. Ihre mangelnde Berücksichtigung wird seit Jahren kritisiert. Am aktuellen Gesetzentwurf haben unter anderem das Netzwerk Datenschutzexpertise mit dem ehemaligen Schleswig-Holsteinischen Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Caritasverband deutliche Kritik geäußert.

Speicherung von Asylakten – Daten zum Verfolgerstaat?

Die neue Aktensammlung öffnet dem Missbrauch bis hin zum Zugriff ausländischer (Verfolger-) Staaten Tür und Tor. Gelangen Informationen aus der Asylakte an die Behörden des Staates, dem die Betroffene entflohen ist, kann dies lebensbedrohliche Folgen haben: Wird eine zum Christentum konvertierte Iranerin in den Iran abgeschoben, droht ihr Gefängnis und Schlimmeres, wenn die staatlichen Stellen das wissen. Homosexuelle, deren sexuelle Orientierung bekannt ist, müssen in Nigeria und anderen Staaten mit Gefängnis rechnen. Eine Kurdin, deren oppositionelle Haltung hier nicht für eine Asylanerkennung reicht, erwartet in der Erdogan-Türkei möglicherweise dennoch Verhaftung und Verfolgung. Eine Gefahr besteht auch für Angehörige, die in der Asylakte genannt sind.

Auch hierzulande ist die Gefahr von Missbrauch durch Mitarbeitende in den Behörden real. Dies zeigt der Fall eines ägyptischen Flüchtlings, den das ARD-Magazin FAKT aufgedeckt hat: Dessen AZR-Daten wurden von einem Mitarbeiter des Jobcenters abgerufen, um den Betroffenen Angst zu machen und ihn zu maßregeln.

Die zentrale, automatisierte Preisgabe sehr persönlicher Informationen an eine Vielzahl von Behörden greift erheblich in das Recht der Betroffenen auf den Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK, Art. 17 UN-Zivilpakt) und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Grundgesetz) ein.

Zwar sieht der aktuelle AZR-Gesetzentwurf vor, dass BAMF- und asylrechtliche Gerichtsentscheidungen nur gespeichert werden, »soweit besondere gesetzliche Verarbeitungsregelungen oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person dem nicht entgegenstehen.« Es fehlen aber wirksame Möglichkeiten der Betroffenen, die Kontrolle über ihre Daten zu wahren.

Dabei sind Daten, aus denen – wie gerade in Asylakten – »politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen« sowie »Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung« nach der geltenden Datenschutzgrundverordnung sogar besonders geschützt. Die gesetzlichen Vorgaben sieht der Paritätische Gesamtverband »hier nicht annähernd erfüllt«. Das Netzwerk Datenexpertise stellt ebenso wie der Caritasverband fest, dass der Gesetzentwurf hinsichtlich des Umgangs mit diesen besonders geschützten Daten rechtswidrig ist.

Im Koalitionsvertrag von 2018 steht, worum es der Regierung eigentlich geht: Sie will das Ausländerzentralregister »ertüchtigen, um belastbarere Auskünfte erhalten zu können, allen relevanten Behörden unkomplizierten Zugriff zu ermöglichen und es auch zur besseren Steuerung der Rückführung und freiwilligen Ausreise einsetzen zu können«. Mit dem Gesetzentwurf entwickelt sich das AZR weiter zu einem Management-Tool des Staates, das dem Ziel von Beschleunigung und Abschiebung dienen soll. Welche Informationsflüsse im Zuge künftiger »Abschiebungskooperation« mit den Herkunftsstaaten für legitim gehalten werden, ist dabei noch gar nicht absehbar."