Aus den News von Pro Asyl:
07.07.2023 Text zum Foto: Das Schiff wurde vor dem Untergang nicht nur von griechischen Behörden gesichtet und fotografiert, sondern auch begleitet.
Am 14. Juni sind vor der griechischen Küste über 500 Menschen ertrunken – vor den Augen der griechischen Küstenwache. Sie waren in einem überfüllten Boot auf dem Weg von Libyen nach Italien. PRO ASYL & RSA stehen den Überlebenden und Angehörigen bei und fordern Aufklärung.
Wochen nach der vermutlich tödlichsten Schiffskatastrophe in Europa in diesem Jahrtausend verdichten sich die Hinweise, dass die griechische Küstenwache die Menschen nicht nur durch Nichtstun hat Sterbenlassen, sondern möglicherweise auch durch versuchte Abschleppaktionen mitverantwortlich für das Kentern des überfüllten Bootes war. Derlei Aktionen sind nicht neu, immer wieder versuchen Grenzschutzbehörden, Flüchtlingsboote aus ihren Gewässern zu schleppen. Das ist zwar illegal, aber offenbar der neue Stil Europas.
Wie geht es den Überlebenden?
Nur 104 Menschen überlebten das Unglück. Sie wurden ab dem 16. Juni vom Hafen von Kalamata zum Aufnahme- und Identifizierungszentrum (RIC) in Malakasa, nördlich von Athen, transportiert. Nach den griechischen Vorschriften (die Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission vom Januar 2023 sind) wurden sie de facto in Gewahrsam genommen und konnten das Lager bis zum Abschluss der Überprüfungsverfahren nicht verlassen.
Diese Woche wurden sie in das noch bestehende alte Lager in Malakasa verlegt. Dort sind die Lebensbedingungen ähnlich schlecht, das Lager ist aber offener. Unsere Anwält*innen von Refugee Support Aegean sind quasi täglich vor Ort. Wir vertreten 17 der Überlebenden im Asylverfahren, viele der Überlebenden haben zudem Angehörige in anderen europäischen Ländern, wie Deutschland. Wir unterstützen sie mit unseren Teams in Deutschland und Griechenland dabei, dass die Familien möglichst schnell zusammengeführt werden können.
Druck der Behörden, noch keine unabhängige Untersuchung
Die juristische Unterstützung ist besonders wichtig, denn: Die Betroffenen werden nach den traumatischen Erlebnissen nicht etwa vernünftig betreut, es wird auch nichts dafür getan, dass sie schnell in sichere Verhältnisse oder zu ihren Familien gelangen. Im Gegenteil üben die griechischen Behörden großen Druck aus. Die Verfahren wurden extrem verkürzt, Asylanhörungen fanden schon kurz nach dem Unglück statt, sie wurden vor allem digital durchgeführt und es gab auffallend häufig Fragen nach Verbindungen zu möglichen Schleppern – und nicht nach Fluchtgründen.
»Wir arbeiten als RSA-Team rund um die Uhr. Wir haben immer noch Schwierigkeiten, die Dimension der Katastrophe zu begreifen.« Natassa Strachini, Refugee Support Aegean
Die Überlebenden appellieren an dieser Stelle, sie nicht zu vergessen – öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Schicksal ist die einzige Möglichkeit, ihnen einen minimalen Schutz zu gewähren.
Wenig Hoffnung in die Ermittlungen
Und viele Überlebende haben daher große Angst vor den griechischen Behörden. Etliche sind überzeugt davon, dass die griechische Küstenwache letztlich ursächlich für das Kentern ihres Schiffes war. Gegenüber einem Recherchekollektiv, u.a. unter Beteiligung von SPIEGEL und Monitor, äußerten einige Überlebende auch, dass ihre Aussagen nach dem Unglück fehlerhaft protokolliert wurden. Möglicherweise um eine direkte Beteiligung der griechischen Küstenwache an der Katastrophe zu verschleiern. Erste Verhöre in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kalamata wurden offenbar sogar von der griechischen Küstenwache selbst durchgeführt.
Diese Erzählungen machen wenig Hoffnung darauf, dass die Ermittlungen in Griechenland zu einem raschen und wahrheitsgemäßen Ergebnis führen. Zu befürchten ist, dass ein ähnlich langer Weg bevorsteht, wie nach dem Unglück vor Farmakonisi 2014, als es acht lange Jahre gedauert hat, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 7. Juli 2022 die Schuld Griechenlands festgestellt und die Behörden wegen Verletzung des Rechts auf Leben zu Entschädigungszahlungen verurteilt hat (Safi and others v Greece). Nur wenige Tage vor dem Schiffsunglück von Pylos erklärte Griechenland übrigens dem Europarat, dass dies ein Einzelfall war und Griechenland keine allgemeinen Maßnahmen ergreifen müsse, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten. Aktuell sind aber mehr als 30 Fälle beim EGMR wegen Misshandlungen von Geflüchteten durch die griechische Küstenwache und die griechische Polizei anhängig.
Auch dieses Mal werden wir den Klageweg natürlich beschreiten, um Gerechtigkeit herzustellen. Wir bereiten gemeinsam mit Überlebenden und Angehörigen den Gang vor internationale Gerichte vor.
Auch dieses Mal werden wir den Klageweg natürlich beschreiten, um Gerechtigkeit herzustellen. Wir bereiten gemeinsam mit Überlebenden und Angehörigen sowie Expert*innen und Gutachter*innen den Gang vor internationale Gerichte vor. Außerdem ist so schnell wie möglich eine unabhängige Untersuchungskommission notwendig.
Hilfe für die Hinterbliebenen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen!
Unser Team in Griechenland half in den letzten Wochen auch etlichen verzweifelten Angehörigen bei der Suche nach ihren Familienmitgliedern, die sie auf dem Schiff und unter den Todesopfern vermuteten. Für sie ist elementar, dass nun auch das Wrack mit vermutlich vielen Leichen, geborgen wird.
Und auch wenn es einen langen Atem braucht: Ebenso elementar ist, dass die Verantwortlichen für den Tod von Hunderten Menschen – ob durch bloßes Wegsehen und die Verweigerung von Hilfe oder gar durch aktives Zutun – zur Rechenschaft gezogen werden.
(kk / mk)