NRW: Einführung der Bezahlkarte fraglich, Kritik wegen Finanzierung

06.02.2024 Gerade erst beschlossen und als Problemlösung verkündet, stellt sich jetzt heraus: Die Bezahlkarte für Geflüchtete, die helfen soll, Migration zu begrenzen, will NRW nicht finanzieren. Das sorgt für Kritik.

Laut Landesregierung sollen die Kommunen in NRW über die Einführung der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber entscheiden und Kosten tragen. Laut WDR-Berichten erwarten die Städte und Gemeinden keine Erleichterungen, im Gegenteil: Sie müssten die Kosten für die Bezahlkarte selbst übernehmen. Damit ist völlig unklar, in wieviel Kommunen die Karte tatsächlich kommt.

"Die Bezahlkarte ist immer wieder vehement von Ministerpräsidenten Hendrik Wüst gefordert worden. Mit der konkreten Umsetzung will seine schwarz-grüne Landesregierung nun offensichtlich nichts zu tun haben."  Lisa-Kristin Kapteinat, SPD

Der Städtetag NRW forderte die schwarz-grüne Landesregierung auf, möglichst schnell Gespräche mit den Kommunen zu starten, um die Voraussetzungen und die Details zur Bezahlkarte in NRW zu klären. Etwa für welche Gruppen von Leistungsbeziehern die Karte gelten solle, wie die Karten in die Kommunen komme und wer sie dort ausgebe.

Wir zitieren Medienberichte:

 

Jetzt wird klar: Die Bezahlkarte für Geflüchtete, die helfen soll, Migration zu begrenzen, will NRW nicht finanzieren. Das sorgt für Kritik.

Die Kommunen in NRW sollen laut Landesregierung über die Einführung der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber entscheiden und Kosten tragen.  

Nordrhein-Westfalens Kommunen sollen nach Angaben der Landesregierung über die Einführung der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber entscheiden und die entstehenden Kosten dabei auch selbst tragen. Es werde keinen Anschlusszwang für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen geben, sagte eine Sprecherin der Staatskanzlei am Montag. Der Bund werde sich an den mit der Einführung der Bezahlkarte verbundenen Kosten nicht beteiligen. „Eine Übernahme der in den Kommunen entstehenden Kosten durch das Land ist in Nordrhein-Westfalen – auch vor dem Hintergrund der mit der Einführung verbundenen Entlastungen – nicht geplant“, erklärte sie. Die Landesregierung werbe aber „für einen möglichst flächendeckenden Einsatz der Bezahlkarte“.

Beim Städte- und Gemeindebund NRW rief die Ankündigung der schwarz-grünen Landesregierung Kritik hervor. „Das Land hat bei der Bezahlkarte einseitig Fakten geschaffen, ohne vorher mit den Kommunen die Rahmenbedingungen zu besprechen. Das ist mehr als enttäuschend“, sagte Hauptgeschäftsführer Christof Sommer und fügte hinzu: „Für uns ist klar: Wenn Bund und Länder die Einführung einer Bezahlkarte beschließen, müssen sie auch vollständig die Kosten übernehmen.“

Eine Bezahlkarte könne Ämtern und Geflüchteten helfen, wenn sie einfach zu handhaben sei und Aufwand reduziert werde. „Vieles spricht dafür, sie flächendeckend einzuführen. Nur dann kann sie auch einen Beitrag leisten, Migration zu steuern.“

Auch der Städtetag NRW äußerte sich deutlich. „Bund und Länder haben die Bezahlkarte als Bargeldersatz beschlossen, damit ist auch klar, dass sie die Kosten für das neue System übernehmen müssen“, erklärte Geschäftsführer Helmut Dedy. Zudem müsse sichergestellt werden, dass die Geldkarte einfach handhabbar sei, sowohl für Asylbewerber als auch die Kommunen. „Das Land darf nicht raus aus seiner Verantwortung. Die Städte wollen außerdem keinen Flickenteppich: Die Bezahlkarte muss im ganzen Land angewendet werden“, sagte Dedy.

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Der Städtetag NRW forderte die schwarz-grüne Landesregierung auf, möglichst schnell Gespräche mit den Kommunen zu starten, um die Voraussetzungen und die Details zur Bezahlkarte in NRW zu klären. Etwa für welche Gruppen von Leistungsbeziehern die Karte gelten solle, wie die Karten in die Kommunen komme und wer sie dort ausgebe.

Mit der Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge sollen Asylbewerber künftig einen Teil der staatlichen Leistungen als Guthaben erhalten und nicht mehr als Bargeld. 14 von 16 Bundesländern einigten sich Ende Januar auf ein gemeinsames Vergabeverfahren, das bis zum Sommer abgeschlossen sein soll. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen eigene Wege, wollen aber ebenfalls eine Bezahlkarte einführen.

Mit der Karte soll unter anderem verhindert werden, dass Flüchtlinge Geld an ihre Familie oder Freunde ins Ausland überweisen. „Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt, um Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken“, hatte der hessische Ministerpräsident und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Boris Rhein (CDU), erklärt.

Die Düsseldorfer Staatskanzlei hatte zu der Einigung fast aller Länder auf ein Vergabeverfahren mitgeteilt, dass sich NRW an der gemeinsamen Ausschreibung beteiligen werde. Die geeinten Standards enthielten zum Teil Möglichkeiten zur länderspezifischen Anpassung. Ob und in welchem Umfang solche Anpassungen in NRW vorgenommen werden, hänge unter anderem mit den technischen Möglichkeiten oder weiteren Akteuren, insbesondere den Kommunen, zusammen.

Die FDP-Landtagsfraktion kritisierte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). „In Berlin hat er es vollmundig gefordert, in NRW kommt es nicht flächendeckend – Ministerpräsident Hendrik Wüst fährt einen riskanten Schlingerkurs bei der Bezahlkarte für Flüchtlinge“, erklärte Fraktionschef Henning Höne. Statt den Kommunen zu helfen, überlasse Wüst ihnen die Entscheidung und finanzielle Last. „Diese Kehrtwende zur gemeinsamen Entscheidung der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder Ende 2023 macht Wüst unglaubwürdig“, unterstrich der Oppositionspolitiker.

Auch die SPD-Landtagsfraktion hielt Wüst vor, dass er die Bezahlkarte „immer wieder vehement“ gefordert habe. Mit der konkreten Umsetzung wolle die Landesregierung nun offensichtlich nichts zu tun haben, kritisierte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Lisa-Kristin Kapteinat. Das Land sei aber in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu organisieren.

Der Städte- und Gemeindebund NRW wies auf die Äußerungen der Düsseldorfer Staatskanzlei auf die ohnehin schon starke Belastung der Kommunen hin. „Die Kommunen zahlen für die Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten schon viel zu lange drauf und sind auf Entlastungen angewiesen“, erklärte Sommer. Zusätzliche Aufgaben bedeuteten das Gegenteil. Auch die Beschäftigten arbeiteten „seit zwei Jahren am Limit“.

 

Droht bei der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber ein Flickenteppich? Laut Landesregierung sollen die Kommunen selbst entscheiden, ob sie die Karte einführen.

Die von der Landesregierung angekündigte Bezahlkarte für Asylbewerber kommt möglicherweise doch nicht flächendeckend in ganz NRW. Grund dafür ist, dass jede einzelne Kommune selbst entscheiden kann, ob sie die Karte einführen will.

Umfrage: Viele Kommunen skeptisch

Die Staatskanzlei in Düsseldorf teilte auf WDR-Anfrage mit, es gebe keinen "Anschlusszwang" für die Kommunen. Außerdem müssten die Städte und Gemeinden die Kosten für die Bezahlkarte selbst übernehmen. Damit ist völlig unklar, in wieviel Kommunen die Karte tatsächlich kommt. Denn die Einführung ist nicht unumstritten: Bei einer WDR-Umfrage unter elf Städten und Gemeinden erwartete nur eine Stadt uneingeschränkt Erleichterungen, andere, wie zum Beispiel Krefeld, befürchteten sogar eine Zunahme des Verwaltungsaufwands.

Opposition fordert Landesregierung zum Handeln auf

Das Vorgehen der Landesregierung stößt auf Kritik bei der Opposition im Landtag. FDP-Fraktionschef Henning Höne sagte am Montag: "In Berlin hat er es vollmundig gefordert, in NRW kommt es nicht flächendeckend – Ministerpräsident Hendrik Wüst fährt einen riskanten Schlingerkurs bei der Bezahlkarte für Flüchtlinge." Statt den Kommunen zu helfen, überlasse Wüst ihnen die Entscheidung und finanzielle Last. Die Bezahlkarte für Flüchtlinge müsse flächendeckend in Nordrhein-Westfalen eingeführt werden, forderte Höne.

SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat sagte: "Die Bezahlkarte ist immer wieder vehement von Ministerpräsidenten Hendrik Wüst gefordert worden. Mit der konkreten Umsetzung will seine schwarz-grüne Landesregierung nun offensichtlich nichts zu tun haben." Das Land sei aber in der Verantwortung. Zugleich dürfe die Ausgestaltung der Bezahlkarte "nicht zur Folge haben, dass Schutzsuchenden die Geltendmachung ihrer Rechte verwehrt wird".

Erwachsene Asylbewerber in staatlichen Unterkünften erhalten gegenwärtig monatlich 204 Euro für den persönlichen Bedarf. Die Landesregierung will mit der Bezahlkarte Verwaltungsaufwand mindern und verhindern, dass Asylbewerber einen Teil dieses Geldes in die Heimat überweisen.

Allerdings hatten sich Kabinettsmitglieder wie Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) zuvor ablehnend über Pläne zur Einführung einer Karte geäußert. Kritik kam auch von Flüchtlingshilfe-Organisationen.

Bundesländer nicht mit einheitlichem Modell

14 der 16 Länder streben ein gemeinsames Vergabeverfahren für die Karte an. Die Einführung ist im Sommer oder spätestens im Herbst geplant. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen die Bezahlkarte ebenfalls einführen, gehen bei der Vergabe aber eigene Wege.

Im Westpol-Interview bezweifelte der Sozialwissenschaftler Özgür Özvatan von der Humboldt-Universität Berlin, dass staatliche Sozialleistungen ein "Pullfaktor" für Asylbewerber seien, nach Deutschland zu kommen. Entscheidend seien vielmehr "Pushfaktoren" wie staatliche Verfolgung und Krieg. Zudem würden größere Summen von Geflüchteten erst nach Hause überwiesen, wenn die Menschen selbst Geld hier verdienten.