NRW: Förderprogramm "Soziale Beratung von Geflüchteten" wird runtergefahren

01.11.2020 Die Verbände, die sich seit Jahren erfolgreich um die Beratung von Geflüchteten beühen, sind alarmiert. Durch die Neuregelung des Förderprogramms »Soziale Beratung von Geflüchteten«, die Anfang Oktober von Nordrhein-Westfalens Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration bekannt gegeben wurde, drohen heftige Einschnitte. Demnach müssten die Wohlfahrtsverbände ab Januar 2021 in der Flüchtlingsberatung der Landesunterkünfte bis zu 15 000 Euro je bewilligter Vollzeitstelle selbst zahlen. Allgemein wurden die Förderhöchstsätze in den Beratungsstellen im Vergleich zu den Vorjahren deutlich herabgesetzt.

Die Neuregelung stelle »eine schallende Ohrfeige für alle Akteure aus der Beratungsarbeit und stellt einen katastrophalen Paradigmenwechsel dar«, so die integrationspolitische Sprecherin der Grünen in NRW, Berivan Aymaz. (s. unten: Stimmen)

Der Paritätische schrieb dazu:

"Flüchtlingshilfe wird geschwächt

NRW-Wohlfahrtsverbände kritisieren Neuausrichtung der Landesförderung für Flüchtlingsberatung

13.10.2020  Die Flüchtlingshilfe der Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen wird nach Ansicht der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Freien Wohlfahrtspflege massiv geschwächt. Grund ist die Neuausrichtung der Landesförderung, wodurch die Personalkosten in der Flüchtlingsberatung zu einem erheblichen Anteil von den Verbänden selbst übernommen werden müssten. Auch die Psychosozialen Zentren und die Beratungsstellen in den Kommunen sind von den neuen Förderbestimmungen betroffen. Die LAG der Freien Wohlfahrtspflege ist ein Zusammenschluss der nordrhein-westfälischen Wohlfahrtsverbände, dem auch der Paritätische NRW angehört.

Land vermindert seinen Anteil an Personalkosten

Am 5. Oktober 2020 gab das NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) die Neuregelung des Förderprogramms „Soziale Beratung von Geflüchteten“ bekannt. Danach müssten die Wohlfahrtsverbände ab Januar 2021 in der Flüchtlingsberatung in den Landesunterkünften bis zu 15.000 Euro je bewilligter Vollzeitstelle selbst einbringen. Das Land NRW vermindert einfach seinen Finanzierungsanteil an diesen Personalkosten in beträchtlichem Ausmaß." https://bochum.paritaet-nrw.org/neuigkeiten/detail/news/871/

 

Und die Diakonie Westfalen-Lippe warnte:

"Gute Beratung nicht aufs Spiel setzen

Diakonie RWL kritisiert Kürzungspläne der NRW-Regierung in der Flüchtlingsberatung

Düsseldorf, 28. Oktober 2020. Nach anhaltender Kritik von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Flüchtlingsinitiativen an den neuen Förderrichtlinien des Landes NRW für die Flüchtlingsberatung fordert das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) die Landesregierung auf, diese zurückzunehmen. Die deutliche Absenkung der Förderung bei den Personalkosten ist heute auch Thema im Integrationsausschuss des Landtages. Sie gefährdet die bisherige unabhängige und qualitativ hochwertige Soziale Beratungsarbeit für Geflüchtete.

"Erste diakonische und kirchliche Träger haben ihren Ausstieg aus der Asylverfahrens- sowie Psychosozialen Erstberatung und den Beschwerdestellen in den Landesunterkünften bereits beschlossen, sofern nicht eine andere unmittelbare finanzielle Unterstützung zeitnah und verbindlich zugesagt wird", warnt Diakonie RWL-Vorstand Thomas Oelkers. "Weitere Träger werden folgen, wenn die Landesregierung jetzt nicht gegensteuert."

Dringend notwendig: Berater mit hoher Expertise

Für viele der rund 150.000 Geflüchteten in NRW, über deren Bleibeperspektive noch entschieden werden müsse, sei das fatal, ergänzt Manfred Hoffmann, Migrations- und Flüchtlingsexperte der Diakonie RWL. "Diese Menschen, von denen etwa 40 Prozent als traumatisiert gelten, brauchen Fachleute mit Expertise, die sie bei ihren Asylanträgen beraten und auch psycho-sozial unterstützen." Das entlaste die Behörden und ebne den Weg zu einer gelingenden Integration.

Doch bei den neuen Fördervorgaben legt das Land das Gehalt von Berufseinsteigern zugrunde und entzieht der qualifizierten Beratungsarbeit damit die Grundlage. "Die örtlichen Träger der freien Wohlfahrt wissen nicht, wie sie die Gehälter ihrer erfahrenen Fachleute auf tariflicher Grundlage weiter finanzieren können", erklärt Oelkers.

Stellen künftig nur zu 80 Prozent finanziert

NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp will die Regeln des Förderprogramms "Soziale Beratung von Geflüchteten" ändern. Bisher hat das Land 99 Prozent der tatsächlichen Personalkosten bei der Flüchtlingsberatung in Landesunterkünften refinanziert. Ab Januar 2021 bekommen die Wohlfahrtsverbände nur noch maximal 80 Prozent der Personalkosten erstattet. Betroffen sind insgesamt 134 Stellen: 81 in der Asylverfahrensberatung, 38 Beschwerdestellen (Teilzeit), 26 Stellen in der Psychosozialen Erstberatung und fast 30 in der Ausreise- und Perspektivberatung.

Die Diakonie RWL würde es begrüßen, wenn die Mitglieder des Integrationsausschusses nun ihre fachpolitische Expertise wirkungsvoll in den Diskurs mit der Landesregierung einbringen."

 

Stimmen 

»Dadurch wird die für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für gelingende Integration so wichtige Vermittlungsaufgabe zwischen Flüchtlingen und Behörden in Frage gestellt«, kommentierte Michael Mommer, Vorsitzender des Arbeitsausschuss Migration der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die Neuregelung. Auch stehe die standortübergreifende Fachbegleitung bei der Asylverfahrensberatung und der Beschwerdestellen auf der Kippe. Würde diese wegfallen, wäre die Qualität der Beratung gefährdet.

Auch die integrationspolitische Sprecherin der Grünen in NRW, Berivan Aymaz, kritisierte am Montag die Neuregelung des Förderprogramms. Gerade die Pandemiezeit, unter deren Auswirkungen Geflüchtete ganz besonders leiden, habe gezeigt, wie elementar wichtig eine qualifizierte Beratungsarbeit und flüchtlingspolitische Begleitung durch die freien Träger sei. Immer wieder gab und gibt es Masseninfektionen in Flüchtlingsunterkünften, laut dem Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge hat die Pandemie zudem dafür gesorgt, dass der Zugang der Asylverfahrensberatung in Deutschland eingeschränkt war.

»Die Absenkung der Förderhöchstbeträge ist nicht akzeptabel«, sagte Grünen-Politikerin Aymaz. Viele tarifgebundene Träger könnten ihre Arbeit in den Landesunterkünften für Geflüchtete unter diesen Bedingungen finanziell nicht mehr stemmen. Laut Aymaz hätten bereits die ersten Träger ihren Ausstieg aus der Beratungsarbeit ankündigen müssen. »Mit der Neuausrichtung der Förderrichtlinie wird die bisherige unabhängige und qualitativ hochwertige Soziale Beratungsarbeit für Geflüchtete nun in neoliberaler Manier kaputt gespart.« Sie kritisierte auch, dass die NRW-Landesregierung die Träger zu lange in Ungewissheit gelassen habe und dass diese nun vor vollendete Tatsachen stellen würde. Das sei »eine schallende Ohrfeige für alle Akteure aus der Beratungsarbeit und stellt einen katastrophalen Paradigmenwechsel dar«.

Die Stimmen sind entnommen dem Beitrag in nd, 28.10.2020 https://www.neues-deutschland.de/artikel/1143675.katastrophaler-paradigmenwechsel.html